Die beiden Schaumlöffel

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Autor: Klara Biller
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Titel: Die beiden Schaumlöffel
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47–50, S. 821–826, 837–843, 853–859, 869–874
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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[821]
Die beiden Schaumlöffel.
Eine Künstlergeschichte von Klara Biller.


In einer der Villenstraßen, die rechts und links die Briennerstraße durchkreuzen, liegt, versteckt von einer Gruppe alter Bäume, ein allerliebstes Haus, das sich ein bekannter Münchener Künstler, Paul Schaumlöffel, kürzlich erbaut hat. Vom Atelier, welches er als moderner Maler, der seine Staffelei am liebsten im Freien aufstellt, nur selten zum Arbeiten benutzt, schaut man ins Grün der Nachbargärten. Man kann sich da einbilden, daß man auf dem Lande sei und in den weitläufigen Park eines Schlosses blicke.

Wie das meist der Fall ist, hat Paul sich’s sauer genug werden lassen, ehe er Besitzer dieses hübschen Hauses wurde. Aber auch in der schwersten Zeit hat er, dank einer glücklichen Gemüthsanlage, den Kopf oben behalten. Er ist immer ein trefflicher, hilfbereiter Kamerad gewesen, besonders aber hat sein köstlicher Humor ihn überall beliebt gemacht. Wird in der Künstlergesellschaft „Allotria“ ein lustiger Schwank in Scene gesetzt, so steckt Paul sicher mit dahinter. Im Karneval führt er das große Wort, und ist ein gern gesehener Mitarbeiter der „Fliegenden Blätter“. Zuweilen kommt’s wohl vor, daß er neben den guten auch einmal einen schlechten Witz macht; ernsthaft aber hat sich noch kein Kamerad über ihn zu beklagen gehabt.

Paul hat keine regelmäßigen Züge; seine Nase erinnert durchaus nicht an die Griechen; der Mund ist etwas breit, und die Lippen sind zu voll, aber das Ensemble macht einen sehr angenehmen Eindruck. Den Rafaelschnitt der Haare verschmäht er selbstverständlich wie das Rafael’sche Ideal. Er trägt sein Haar kurz verschnitten, wie’s ihm bequem ist. Den Schnurrbart streichelt er gern, wie ein Ding, für das man eine gewisse Vorliebe hat. Sein Anzug ist tadellos, alles Auffallende daran vermieden. Wenn er an der Staffelei sitzt, zeigt die Wäsche wohl hier oder da einen Fleck, aber nie gemeine Vernachlässigung. Er hält sich seit zwei Jahren einen jungen Diener, den er selbst abgerichtet hat und auf dessen Erziehung er sich viel einbildet. Zuweilen macht der Zögling ihm auch Ehre. Schulden hat Paul nicht, wenigstens nicht mehr, als ein Künstler, der kürzlich in Mode gekommen ist und dessen Bilderpreise im Steigen sind, sich gestatten darf.

Vor der Staffelei steht er eben im Atelier, lächelt sein letztgemaltes Bild an und findet, daß das Leben doch eigentlich eine ganz herrliche Einrichtung sei. Giebt’s denn einen lustigeren Beruf, als mit Pinsel und Palettenmesser so recht in der vollen Farbe zu wirthschaften, bis ein Bild daraus wird, vor dem ein Amerikaner Augen und Brieftasche aufreißt? Fängt das Geld nicht an, ihm von allen Seiten zuzurollen? Und jetzt wird ja auch die Zeit kommen, wo’s nicht [822] im Rollen bleibt, sondern zum Besitz sich sammelt, . . . Jemand, den er fast ebenso gern hat wie die Malerei, wird ihn lehren sparsam sein!

Er ist kein Frauenverächter gewesen, Gott bewahre! Aber bis vor Kurzem hat weder Braun noch Blond noch Schwarz einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht, daß er am nächsten Tage die Farben auf der Palette verwechselt hätte. Erst seit er die blonde Mietze kennt, ist ihm manchmal so schauerlich süß und auch wieder so gruselig und flau zu Muthe … Meint’s die Mietze denn ehrlich, wenn sie ihn so freundlich – so ganz verwirrend nett anlächelt? Da hängt sie übrigens in einem Rahmen mit altem, kostbarem Stoff bezogen, wie’s jetzt modern ist. Wie der bläuliche Ton der verblichenen Seide zu dem aschblonden Kraushaar stimmt! Himmel! – wenn sie’s wüßte, daß Paul sie aus dem Gedächtniß gemalt! . . . In ein paar Tagen muß sich’s entscheiden, wie er mit ihr dran ist. Er fährt dann nach Tutzing hinaus, wo Mietze bei der Tante zum Besuch ist. Er soll die Tante, – die Frau Banquier Delfin, inmitten ihrer japanischen Brimborien malen. Dabei muß sich die Geschichte entscheiden. Man wird ihn doch nicht hinausgelockt haben, um ihn auf die Probe zu stellen und sich an seinen Liebesseufzern zu ergötzen? Liebesseufzer? Ha – da kennt man ihn schlecht!

Auf jeden Fall aber ist’s gut, die Taschen voll Geld zu haben, wenn man auf Freiersfüßen geht. Und da liegen Fünftausend Mark, die ihm ein amerikanischer Kunsthändler eben für das kleine Bild – „Scenen aus der Auer Dult“[1] – gegeben hat. Es ist flott gemalt in kaum acht Tagen … Das Pendant wird er beginnen, wenn er von Tutzing zurückkommt. Es schwebt ihm schon eine Idee dazu vor.

Er hört die Thür gehen. Fritz, das erzogene Dienstgenie, verfällt manchmal noch in die unelegante Gewohnheit, einzutreten, ohne anzuklopfen. Aber die Gewohnheit, seinen Herrn mit einem Schlage auf die Schulter aus Träumereien zu wecken, hat er allerdings nicht.

Rasch wendet Paul sich um. Ein junger Mann von etwa achtundzwanzig Jahren steht hinter ihm. Eine Physiognomie, aus welcher ernstes Studium und Entbehrungen die Jugend verwischt haben.

Paul begegnet dem Blick des Fremden. Plötzlich fährt er sich mit der Hand über die Stirn, als suche er da etwas; dann schreit, er laut auf:

„Oskar! Alter Junge – endlich!“

Und er zieht diesen mit seinen kräftigen Armen so stürmisch an sich, daß er ihn beinahe vom Boden aufhebt.

„Das ist hübsch von Dir, Paul, daß Du mich noch erkennst!“

„Werd’ ich nicht! Wie lange ist’s her?“

„Zehn Jahre.“

„Gott! Die Zeit ... die Zeit!“

„Du hast sie gut benützt – Du bist berühmt geworden.“

„Das heißt, ich verdiene Geld – ja! Aber laß Dich ’mal ansehen, lieber Junge ...“

Und sich zwei Schritt vor ihm aufstellend, fixirt ihn der Maler, während der Andere etwas unbehilflich dasteht. Eine schmächtige Gestalt, die Arme etwas zu lang, die Schultern etwas zu hoch, das Haar für den Teint etwas zu hell und die Züge zu spitz – entscheidet der Künstler. Nur an den Augen findet, er nichts auszusetzen. Es sind große, kluge, forschende Augen; Augen, aus denen Sehnsucht spricht, eine grübelnde, unruhige, verzehrende Sehnsucht. Menschen, die einem Problem nachjagen, haben solche Augen.

„Das sind noch dieselben lieben, prächtigen Augen!“ sagt Paul endlich; er findet, daß er nach dem langen Examen doch einen Ausspruch thun muß. „Du hast doch Deinen Koffer mitgebracht?“ setzt er schnell hinzu.

„Er ist noch auf der Bahn.“

„Wird besorgt werden. Vorläufig bleibst Du hier.“

„Aber Paul ...“

„Keine Einrede. Wo kommst Du her?“

„Vom Rhein.“

„Ich frage nicht erst, was Du dort getrieben ...“

„Wenn ich Dir sage –“ unterbricht Oskar ihn erregt, daß ich das Mittel gegen die Phylloxera wirklich in der Hand habe, daß ich nach allen Seiten hin experimentirt, alle Einreden vorgesehen, und daß ein Kind zu überzeugen wäre!“

„Ja, weißt Du – wer nicht überzeugt sein will, mit dem streitet man vergeblich. Mach’ Dir’s indeß erst bequem! Wir seufzen dann gemeinschaftlich über die menschliche Thorheit.“

Aber der Andere ist noch im Zuge:

„Sie bilden sich ein, man könne die Phylloxera aufhalten wie die Straßenräuber mit Polizei; aber daß es am Boden liegt, daß unser überkultivirter Boden anämisch ist, wie der Körper eines bleichsüchtigen Mädchens, daß man diesen Boden erst widerstandsfähig machen muß – das können sie nicht begreifen! … Ach, verzeih! Da haben wir uns seit zehn Jahren nicht gesehen, und ich schwatze Dir von solchen Dingen!“

„Mach’ Deinem Herzen Luft, lieber Schatz, bis das Frühstück kommt und Dir den Mund stopft!“ ruft Paul, ergreift den Arm Oskar’s und führt ihn in sein Zimmer. An der Thür ruft er seinem Dienstgenie : „He Fritz – ein Gabelfrühstück – etwas ganz Großartiges; zeig’, was Du gelernt hast!“

Und während Fritz, der in dieser Beziehung wirklich Anlage verräth, dem Verlangen nachkommt, strecken sich die Zwei auf einem bequemen Divan und schwatzen von den vergangenen Jahren, die wie eine Unendlichkeit einst vor ihnen lagen und die im Rückblick sich so schnell durchmessen lassen. Sie hatten sich nicht oft geschrieben.

„Warum hast Du eigentlich gar nichts von Dir hören lassen, Oskar?“

„Konnte ich denn – wenn von Dir auf die ersten Briefe keine Antwort erfolgte?“

„Aber Du wußtest doch, wie’s bei mir mit dem Schreiben bestellt ist!“

Der arme Oskar, feinfühlend wie Naturen seiner Art sind, mochte nicht eingestehen, daß er seinem Wunsch, von Paul zu hören – ja ihm wenigstens selbst zu schreiben, nur deßhalb nicht nachgekommen war, damit jener nicht an seine Noth erinnert werde. Paul hatte seinen treuen Kindheits- und Jugendgefährten zuerst zwar schmerzlich vermißt, sich aber bald mit dem Egoismus des Talentes in die Trennung gefunden und damit getröstet, es gehe Oskar gut, und er bedürfe seiner nicht mehr.

Sie waren Vettern und beide Münchener Kinder. Während Paul aber eine leidenschaftliche Neigung zur Kunst trieb, war es bei Oskar nur des strengen Vaters Wille – der Vater war ein geschickter Porcellanmaler – der den Sohn beim Zeichnen festhielt. Oskar’s Sinn stand danach, zu studiren; er hatte eine angeborene Neigung für Alles, was mit den Naturwissenschaften zusammenhing. Jede freie Stunde war dieser Leidenschaft gewidmet, der er entsagen sollte. Freilich fehlte es an den nöthigen Mitteln, sie zum Beruf zu wählen; dem Knaben aber wollte das nicht einleuchten. Er hoffte immer, den Vater durch irgend einen Erfolg auf diesem Gebiet für seine Pläne zu gewinnen. Bald versuchte er Farben für ihn zu bereiten, die beim Brennen unverändert blieben; bald beschäftigte er sich mit dem Erfinden einer neuen Lasur, oder er baute Modelle. Da starb der Vater, als Oskar im achtzehnten Jahre stand. Der Wittwe, welche außer dem Sohne noch drei Töchter besaß und die ganz mittellos war, kam das Anerbieten eines nach Amerika ausgewanderten Bruders, der ihr rieth – ihm mit der Familie nachzuziehen, sehr gelegen. Für Oskar war’s ein harter Schlag. Er war nicht von der Art, die in Amerika ihr Glück macht; er hatte den grübelnden Sinn der Erfinder, die säen, was praktischere Naturen ernten. Als ob er’s ahnte, daß er in der neuen Welt nichts erreichen werde, sträubte er sich, die Mutter zu begleiten. Auch von Paul wollte er sich nicht trennen. Vielleicht war die Ungleichheit der Vettern ein Band, das sie besonders fest an einander kettete: sie ergänzten sich. Paul aber hatte damals Mühe, sich selbst über Wasser zu halten. Er versuchte wohl, seinem geliebten Oskar Schüler zu verschaffen, aber was sollte Oskar auch lehren – das Erfinden? Da er körperlich nicht kräftig war, blieb ihm schließlich nichts übrig, als die Mutter zu begleiten.

„Du hast doch damals auf der Akademie schon recht nett gezeichnet – ja es sogar mit ein paar Portraits in Stiften versucht – konntest Du denn damit drüben nichts anfangen?“ [823] fragte Paul, indem er seinem Freund die Hälfte einer Beefsteakpastete auf den Teller schob.

Oskar schüttelte den Kopf.

„Es ist mit dem Beruf, an dem man mit ganzer Seele hängt, wie mit einer starken Leidenschaft – sie macht unfähig für alles Andere,“ sagte er. „Ich habe in Amerika Zeichenstunden gegeben, ja, ich habe sogar ein paar Portraits gemalt – lache nur! Es geschah, wie Du Dir denken kannst, nur um die Mittel zu erwerben, wieder zurückzukehren.“

„Und was denkst Du hier zu thun?“

„Die Laboratorien zu besuchen, ein paar Kollegien zu hören und mich wieder in den Stil der Gelehrsamkeit hineinzufinden, ohne den man in Deutschland einmal kein Ansehen hat. Dann will ich meine Abhandlung über die Phylloxera schreiben …“

„Bravo! Dabei entgehst Du mir nicht!“

„Du mußt wissen,“ fügte Oskar hinzu, den es quälte, sein Vetter könne denken, er habe auf dessen Gastfreundschaft gerechnet, „daß ich jetzt Kapitalist bin. Ein Runkelrübenbauer hat kürzlich meine Broschüre über die Verdoppelung des Zuckergehalts der Rüben gelesen. Ich mußte ihm zur Hand gehen bei Einrichtung meiner Methode, und er zahlte gut. Ein paar Monate reicht’s noch …“

„Den Monat zu hundert Mark gerechnet – wie?“

„Noch etwas darüber,“ erwiderte Oskar ernsthaft.

Paul lachte gerade aus.

„Sieh’ mal – da liegen fünftausend Mark – weißt Du, wie weit die reichen?“

„Seit wann ist Dein Stern aufgegangen?“

„Seit ich 1883 in der Internationalen meinen ‚Sommerabend im Hofbräu‘ ausstellte.“

„Davon habe ich sogar in Amerika gehört.“

„Ja, siehst Du, wenn man das Publikum an seinen Schwächen packt, da hat man’s gleich im Sack. Ich hatte das Bild derb realistisch gefaßt. Von den Stammgästen mußten ein paar still halten – paff, saßen sie auf der Leinwand, daß die Münchener sie beim Namen riefen. Ein paar hübsche Kellnerinnen, wohlbekannt, ließ ich mit den gefüllten Halben’ hin- und herspringen. Die Bockwürstl-, Rettich- und Bretzeljungen und den ganzen Schwindel – nichts vergessen! Wer Hofbräu getrunken, dem schmeckte das Bier in der Erinnerung noch einmal vor dem Bilde. Da kannst Du Dir denken, wie alle Welt sich hinzudrängte. Mit einem Schlage war ich bekannt – an Angeboten fehlte es nicht. Ein Amerikaner war Meistbietender. Großer Spektakel, als man hörte, ich habe nach New-York verkauft. Warum denn solche Perlen nicht im Vaterlande festhalten? Wozu war denn die Pinakothek eigentlich erbaut worden? Siehst Du, so über Nacht kommt das Glück auch einmal zu Dir! Vorläufig genügt’s ja für Beide, wenn’s bei Einem einkehrt!“

Oskar drückt ihm die Hand und lächelt schmerzlich.

„Ich wüßte schon ein Mittel, Dir zu Kapital zu verhelfen …“ wirft Paul hin.

„Wenn ich einen Millionär auf der Landstraße anfiele?“

„Nein – armer Junge! Der würde Dich nur Deiner Kourage wegen loben. Aber wenn Du seiner Tochter den Hof machtest …“

„Laß mich damit zufrieden.“

„Hast Du nie daran gedacht?“

„Nie.“

„So ist es hohe Zeit, jetzt daran zu denken.“

„Ich bin nicht gemacht, Frauen zu gefallen.“

„Jeder ist dazu gemacht, er braucht nur zu wollen.“

„Nun, dann will ich auch nicht durch eine Frau reich werden. Aber wie steht’s mit Dir?“ setzte er hinzu, um das Gespräch zu wenden.

Paul, der eine mittheilsame Natur war und welchem die Liebe zur Mietze im Augenblick ganz besonders das Herz erwärmen mochte, ließ sich nicht lange bitten, seinen Vetter ins Vertrauen zu ziehen. Oskar bekam die ganze Geschichte zu hören von dem herrlichen Einfall an, den Paul hatte, als er die blonde Mietze auf einem Ausflug nach Nymphenburg kennen lernte; wie er sie bestimmte, mit ihm voraus zu laufen, um im Zuge, der eben dahin abgehen sollte, Plätze zu halten; wie die korpulente Tante mit ihrer Gesellschaft natürlich zu spät kam und den Zug abfahren sah – er mit der Mietze darin! Und wie gut er die Stunde zu benützen wußte, die er voraus hatte, ehe der nächste Zug abging! Wie das arme Kind erst so erschreckt war, als sie sich mit ihm allein fand … wie sie dann sich ergab und zutraulich wurde, und endlich so herzlich mit ihm lachte, daß sie ihm alle ihre Grübchen in dem reizenden Gesicht verrieth … „Was willst Du nur, Fritz?“ unterbrach Paul sich etwas ungeduldig. Sein Dienstgenie stand an der Thür und telegraphirte mit den Armen. Er hatte ihm eingeschärft, ein tête-à-tête nicht durch Worte zu unterbrechen.

Fritz rückte mit einer Visitenkarte vor: Mr. John Dunby, New-York.

„Natürlich annehmen!“ rief Paul aufspringend. „Amerikaner werden immer angenommen. Ins Atelier; ich komme sobald wie möglich.“

Darauf füllte er Oskar’s Glas noch einmal und trank gemüthlich selbst noch eins aus.

„Es darf durchaus nicht den Anschein haben,“ entgegnete er seinem Vetter, der ihn zur Eile mahnte, „als hätten wir Künstler weiter nichts zu thun, als auf Bilderkäufer zu warten.“

Gemüthlich wandelte er dann über den Flur nach dem Atelier.

Hier findet er einen Mann von etwa fünfzig Jahren; untersetzt, ziemlich gebräunt, mit unschönen, aber intelligenten Zügen. Er macht in seinem hellen Sommeranzuge den Eindruck eines Arbeiters im Sonntagsstaat. Mit dem wohlwollenden Lächeln, das Kapitalisten so gern aufstecken, wenn sie mit Künstlern verkehren, ergreift Mr. John Dunby des Malers Hand, die er kräftig schüttelt.

„Herr Schaumlöffel?“

Paul verbeugt sich stumm und würdevoll.

„Herr Schaumlöffel, erlauben Sie mir,“ sagt der Amerikaner mit starkem Accent und den üblichen Sprachfehlern eines des fremden Idioms nicht recht Kundigen; „Herr Schaumlöffel, erlauben Sie, daß ich Ihnen meine Anerkennung ausspreche. Sie sind ein großer Mann – ein Genius!“

Abermalige stumme Verbeugung.

„Ich habe Ihren ‚Hofbräukeller‘ in Amerika gesehen – prachtvolles Bild! Ihr Vaterland kann stolz sein, auf den Hofbräukeller und auf Sie! Ich bin hierhergekommen, um ein ähnliches Meisterwerk von Ihnen zu erwerben. Meine Tochter hat mich begleitet, um bei Ihnen ein paar Lektionen zu nehmen.“

Die Bilderbestellung kommt Paul natürlich sehr gelegen, nicht so der Unterricht. Er hält, wie die meisten Maler, nicht gerade viel vom weiblichen Genie. Und ein fremdes Frauenzimmer jetzt an seiner Seite haben und mit Aufmerksamkeit behandeln, während er an die Mietze denkt – unerträglich! Dazu hat die Schilderung, die er seinem Vetter soeben von demselben blonden Mietzchen entwarf, wie Champagner auf ihn gewirkt. Der Schalk, der bei ihm nie ganz schläft, ist plötzlich sehr mobil geworden. Ein Gedanke durchblitzt ihn: Oskar hat ja auch seine Lehrjahre auf der Akademie durchgemacht! Er wird dem Amerikaner Oskar an seine Stelle pflanzen. Und ohne nur die Folgen recht zu überlegen, läßt er seinem Uebermuth auch schon die Zügel schießen.

„Sie verkennen mich,“ sagt er ernst.

„Wieso? Ich bin doch im Atelier von Herrn Schaumlöffel?“

„Ja – Sie verwechseln mich aber mit meinem Vetter, der mich gebeten hat, Sie hier zu empfangen.“

„Ihr Herr Vetter ist doch nicht krank?“

„Nur eben etwas erschöpft von einer Reise zurückgekehrt. Er ist überarbeitet und wird unter einer Woche keinen Pinsel anrühren.“

„Wenn er meine Tochter nicht zur Schülerin annimmt, ist sie außer sich! Wir bleiben ohnedies nur kurze Zeit …“

„Ich kann hier leider nicht entscheiden,“ sagt Paul und zwingt sich, seine Fassung zu wahren; „was ich thun kann, meinen Vetter zur Uebernahme des Unterrichts zu bewegen, wird geschehen. Soll ich Ihnen rathen, so sprechen Sie mit ihm im Augenblick überhaupt uicht vom Malen. Er fällt, wie alle Künstler, leicht von einem Extrem ins andere und bildet sich mitunter ein, daß er gar nichts leiste.“

„Aber bei seinen Erfolgen!“

„Trotz der Erfolge. Wenn Sie viel mit Malern verkehrten, würde Ihnen das nicht auffallen. Es sind eben wunderliche [824] Käuze. Da haben wir hier einen unserer besten Landschafter, der zugleich recht hübsch walzt. Können Sie sich vorstellen, daß ihm viel mehr daran liegt, für den flottesten Tänzer gehalten zu werden, als für den besten Landschafter?“

„Nein – unmöglich!“

„Ein Anderer lehrt jetzt seinen Affen Skat spielen und vergißt die Malerei.“

„Von so Etwas hat man bei uns doch keine Ahnung!“

„Ja – Amerikaner sind zu praktisch … bei uns ist es aber so. Mein Vetter hat keinen Affen, aber dafür eine starke Liebhaberei für die Chemie. Eben bildet er sich ein, das Mittel gegen die Phylloxera gefunden zu haben … das ist jetzt ein Steckenpferd, von dem er nicht herunter zu bringen ist. Sprechen Sie ihm von Gemälden – so wird er Phylloxera antworten und schwören, er hätte noch kein anständiges Bild zu Stande gebracht.“ Paul wendet sich ab, um sein Lachen zu verbergen.

„Es muß doch etwas Ungesundes in der Kunst stecken,“ bemerkt der Amerikaner und fixirt die Gruppen von der Auer Dult. „Und dabei dieses Talent! Charming! … Das kauf’ ich ihm sofort ab … Charming!“

„Es ist bereits verkauft.“

„Schade – schade, daß so ein Mensch sich mit Affen abgiebt …“

„Mein Vetter hat, wie ich Ihnen schon sagte, keinen Affen; er beschäftigt sich dagegen zeitweis mit chemischen Experimenten.’ (Paul findet sich äußerst witzig und amüsirt sich innerlich himmlisch über den tollen Einfall.) „Haben Sie hier Bekannte?“ fragt er der Vorsicht halber.

„Nein! Ich werde unsern Konsul aufsuchen, bei dem ich accreditirt bin, sonst Niemand. Ich bin mit meiner Frau und Tochter hier.“

„Mein Vetter muß Sie jedenfalls in München herumführen, da ich leider für einige Tage verreisen muß. Ich bin froh, wenn er einen zwingenden Grund hat, sich aus seinen Grübeleien etwas herauszureißen … Aber wenn Sie mir gestatten, so will ich doch sehen, ob er nicht selbst …“

Paul stürmt zur Thür hinaus – er kann sich nicht länger halten. Wie alle Verliebte beschäftigt ihn die Vorstellung am meisten, was die Mietze dazu sagen wird, wenn er die Geschichte in Tutzing erzählt. Paul versteht es, solche Geschichten prächtig vorzutragen. Er sieht sie im Gedanken schon lachen und wieder alle ihre Grübchen zeigen. Selbst die gelangweilte, blasirte Tante wird lachen! Wie lange die Mystifikation dauern wird? – doch sicher ein paar Tage … Schließlich – einen Proceß kann ihm der Amerikaner nicht machen. „Und meiner Künstlerehre – kann es der was schaden, die ein unsterblich Ding ist?“ fragt er wie Hamlet und entscheidet zu Gunsten des Scherzes. Fritz muß ins Geheimniß gezogen werden; was Oskar betrifft, so muß er an dessen Gutmüthigkeit appelliren.

„Denke Dir, Schatz!“ ruft er, nachdem er eine Weile vor der Thür gestanden, immer fürchtend, er werde beim Eintritt ausplatzen … „denke, ich habe eine Bestellung auf ein Pendant zum ‚Sommerabend‘! Ja, weißt Du, das sind ungefähr zwanzigtausend Mark, mein Lieber!“

„Gratulire von Herzen!“

„Schade, daß der Amerikaner nicht acht Tage später eintraf, wo ich von Tutzing zurück zu sein gedenke. Du mußt ihn mir unterdeß hübsch warm halten.“

„Ich – um Gotteswillen – verschone mich damit!“

„Im Gegentheil! Wenn er die Woche hier von einem Atelier zum andern unbewacht herumflanirt, sieht er vielleicht Etwas, was ihm besser gefällt als der ‚Sommerabend‘, und dann ist die Geschichte futsch. Ich rechne auf Deine Freundschaft.“

„Aber, Lieber – wenn die Freundschaft etwas ausrichten könnte, wärest Du sicher!“ sagt der gute Oskar mit so warmem Ton, daß der Schelm fast gerührt wird, „aber ich bin ein unbehilflicher Mensch …“

„Thut nichts. Ich habe versprochen, Du würdest Dich seiner – vielmehr ihrer etwas annehmen …“

„Zwei Amerikaner gar?“

„Nein, aber es scheint, er hat Familie mitgebracht.“

„O – du meine Güte!“

„Vielleicht ist die Sache nicht so schlimm. Denke nur immer, daß sie mir zwanzigtausend Mark einbringt.“

„Was muß ich thun?“

„Weiter nichts, als die Leute ein wenig herumführen, sie im Auge behalten. Erzähle lieber nicht, daß Du in Amerika warst und Englisch sprichst!“

„Warum?“

„Weil … weil … genug, es ist mir lieber.“

„Wie Du willst.“

„Ich habe durchblicken lassen, Du wärst auch so ein Stück von einem Maler …“

„Aber Paul!“

„Es ist ja die Wahrheit, und Du kannst es vielleicht verwerthen.“

„Nimmermehr!“

„So – jetzt schnell hinüber: in einer Stunde muß ich auf und davon sein. Zu Gegendiensten gern bereit …“ und damit hat er das Opfer unter den Arm gefaßt, um es dem Amerikaner auszuliefern.

Dieser hat, während er allein blieb, seine Augen in alle Ecken geworfen und versucht, die seltenen Möbel, Gobelins und Waffen nebst anderen Alterthümlichkeiten sowie das Talent und die Narrheit des berühmten deutschen Künstlers auf Dollar- und Centswerth hin zu taxiren. Paul hat ihm sehr gut gefallen. Schade, denkt er, daß dieser nette Mensch nicht der richtige Schaumlöffel ist! Lucie wird unglücklich sein, wenn sie einen verdrehten Zwickel unter die Hände bekommt; sie wird aber schon durchsetzen, daß er sie unterrichtet … wird es schon durchsetzen!

Die Vettern treten ein, Paul stellt vor. Mister Dunby schüttelt Oskar’s Hand nicht ganz so kräftig, als er vorhin die seines Vetters geschüttelt hat.

„Ich möchte Ihnen den Vorschlag machen,“ sagte Paul, „meinen Vetter heute als Begleiter nach dem Löwenbräu anzunehmen. Ihre Damen …“

Damen! Oskar wirft Paul einen Blick zu, den dieser ignorirt.

„… werden dort eine angenehme Unterhaltung finden; Koncertmeister Bilse von Berlin ist hier, und das Programm ist ein sehr gewähltes …“

„Ich werde mich freuen, wenn Sie mit unserer Gesellschaft vorlieb nehmen,“ sagt der Amerikaner zu Oskar, „Miß Dunby, meine Tochter, ganz besonders. Sie zeichnet und malt selbst mit Vorliebe, und es ist möglich“ – er lächelt schlau – „daß sie einen Versuch machen wird, ein paar Lektionen von Ihnen zu erhalten.“

„Aber Paul, wie konntest Du!“ ruft Oskar, welcher meint, eine gütige Absicht seines Vetters zu entdecken.

„Ihr Herr Vetter hat mir durchaus keine Hoffnung gemacht,“ versichert Mister Dunby der Wahrheit gemäß, „im Gegentheil.“

„Aber halten Sie ihn fest!“ ruft Paul, sehr amüsirt, „lassen Sie nicht locker – als Lehrer ist er groß!“

„Betrachten Sie Ihre Bedingungen, wie sie auch sind, im Voraus als angenommen,“ versichert der Amerikaner und wiegt sich wohlgefällig in den Hüften. „Wie Ihr Herr Vetter mir vertraut, sind Sie ja in verschiedenen Sätteln gerecht?“ fügt er dann hinzu; denn er erinnert sich, daß Paul ihn gebeten, der augenblicklichen Laune des Künstlers nachzugeben und vom Malen nicht zu reden.

„Wenn man auf dem einen nicht recht fest sitzt, muß man es wohl auch mit einem andern versuchen …“

Der Amerikaner wirft Paul einen Blick des Einverständnisses zu: „Wenn man’s im Leben aus eigener Anstrengnng schon zu etwas Erklecklichem gebracht hat, mein’ ich, so sollte man sich des wohlverdienten Erfolges auch freuen! Sehen Sie, ich kann da ein Wort aus eigener Erfahrung sprechen. Jeder Zoll breit Boden, auf dem drüben, was ich mein Home nenne, gebaut, ist mit meinem Schweiße gedüngt, und ich bin stolz darauf. Ich bin kein Grübler und Kopfhänger, Herr Schaumlöffel – ich weiß, was ich werth bin, und freue mich, wenn man’s anerkennt. Ich habe große Hopfenpflanzungen,“ setzt er erläuternd hinzu, „und braue selbst … daher auch mein Verständniß für den ‚Sommerabend im Hofbräu‘ …“

Es ist ausgemacht worden, als Herr Dunby sich bald darauf von den Vettern empfiehlt, daß er mit seinen Damen um acht [826] Uhr Herrn Schaumlöffel abholen solle. Die Amerikaner sind im „Bayrischen Hof“ abgestiegen und müssen des Malers Wohnung auf dem Weg nach dem Löwenbräu passiren.

„Da hast Du mir etwas Schönes eingebrockt!“ klagt Oskar.

„Wenn Du sie los sein willst, so wirfst Du sie über Bord, aber mit Grazie, damit ich sie bei der Rückkehr wiederfinde,“ sagt Paul, während er des Vetters Anzug einer sorgfältigen Prüfung unterwirft. Im Koffer hat sich ein leidlicher Rock und außer ihm das Unentbehrlichste gefunden. Alles Andere, was äußerlich den Gentleman vervollständigt, muß Oskar sich gefallen lassen, aus seines Vetters Garderobe ergänzt zu sehen.

„Bilde Dir nur nicht ein, mein lieber Junge,“ ruft dieser ein über das andere Mal bei Oskar’s Weigerungen, „daß ich in Deinem Interesse handle! Du vertrittst mich – das sagt Alles!“

Nachdem er dann dem gewandten Diener unter vier Augen so viel von seines Vetters Beruf zum Malen anvertraut, als er für gut findet – Fritz ergänzt aus eigenem Scharfsinne das Fehlende – und ihm klar gemacht, daß für die Zukunft viel von dem Zeugniß abhängen werde, das Oskar bei seiner Rückkehr ausstellen würde, nimmt er Abschied. Er war ohnedies mit seinem bessern Theil bereits in Tutzing.

[837] Ein gewisses Gefühl des Wohlbehagens, das selbst das Gespenst der Amerikaner nicht zu unterdrücken vermag, bemächtigt sich Oskar’s, als er nach der Unruhe der letzten Stunde sich wieder allein findet. Er streckt sich auf dem bequemen Divan, den eine Palmengruppe überragt, und läßt das Wiedersehen mit seinem Freunde noch einmal in der Erinnerung an sich vorüberziehen. Sein Gemüth ist besonders für solchen Hochgenuß geschaffen, während das Geräuschvolle der Wirklichkeit ihn mitunter verletzt. Er gesteht sich reumüthig, daß er nicht geglaubt, Paul so wiederzufinden; er fürchtete, der Erfolg würde den Künstler übermüthig gemacht haben – und wie treu, wie rücksichtsvoll und hilfreich war er geblieben! Nun er diesen einflußreichen Freund in der Vaterstadt neben sich hatte, faßte er wieder Hoffnung, daß noch etwas zu erreichen, und schämte sich fast, daß er so kleinmüthig gewesen. Wenn er Paul nur wenigstens bei den Amerikanern dienen könnte! So viel in seinen Kräften stand, wollte er schon versuchen, aber diese reichten ja nicht weit. Der gütige Paul, der trotz der Liebe zu dem blonden Mädchen und der neuen Bilderbestellung sein Interesse wahrgenommen und ihn diesen Menschen als Lehrer angepriesen hatte …

Ein Wagen rollt vor … kaum halb acht Uhr! Oskar greift nach seiner – vielmehr Paul’s neuester Kopfbedeckung. Er will hinaus, da reißt Fritz die Thür auf.

„Miß Dunby,“ sagt der eintretende Amerikaner, seine Tochter vorstellend, „hatte den Wunsch, heute schon einen Blick in das Atelier eines berühmten deutschen Künstlers zu werfen. Wir sind deßhalb etwas vor der verabredeten Stunde erschienen! Meine Frau fühlte sich angegriffen und hat uns daher nicht begleitet.“

Miß Dunby streckt ihm ihre kleine, schmalgefingerte Hand enthusiastisch entgegen. Ein bewundernder Blick ihrer klaren blauen Augen – die Begeisterung einer Siebzehnjährigen – trifft ihn. Sie ist über und über roth geworden aus Vergnügen, sich im Atelier des berühmten Schaumlöffel zu befinden. Es fehlt nicht viel, so erröthete Oskar auch; er ist der schüchternste Mensch Frauen gegenüber.

Lucie Dunby ist, wenn Bewunderung sie nicht stumm macht, ein etwas vorlautes, eigenwilliges, sehr verwöhntes, aber trotzdem sympathisches junges Mädchen. Sie ist noch ziemlich zart, in den Bewegungen mitunter noch etwas linkisch. Wenn Erregung ihr aber Farbe giebt, wie eben jetzt, sieht sie reizend aus.

Sie trägt ein Kostüm von sandfarbenem Wollstoff mit Seide in einer etwas dunkleren Nüance vermischt. Von der Schulter nach der Taille zu fällt ein Bouquett von Kornblumen. Der runde Strohhut ist ebenfalls mit Kornblumen garnirt und links etwas aufgeschlagen.

„Nun, Lucie, da sind wir, wo Du so sehr zu sein wünschtest – he? Sieh’ Dich um. Wie ist Dir zu Muthe?“

„Ich bin selig, Papa!“ entgegnet Lucie und wirft dem vermeintlichen Maler abermals einen strahlenden Blick zu.

„Aber wo sind die Bilder?“ fragt sie dann. „Man sieht so viel Porcellan, Vorhänge und alte Waffen, aber keine Bilder.“

[838] „Liebes Kind,“ erklärt Mister Dunby, „wie kannst Du erwarten, daß das Atelier eines berühmten Malers eine Bildersammlung ist! Kaum sind sie fertig gemalt, so reißt man sich um Schaumlöffel’s Gemälde … Selbst das dort aus der Staffelei wird heute noch abgeholt.“

Lucie hat indeß die Skizze von der blonden Mietze entdeckt.

„Hier ist noch Etwas, und das scheint nicht verkauft, nach dem Rahmen von altem Zeug zu urtheilen. Ist das ein Portrait, das Sie für sich selbst gemalt haben?“ sagte sie, sich an Oskar wendend, mit einem leisen, ihr kaum selbst bewußten Gefühl der Eifersucht.

„Ich habe es gar nicht gemalt,“ antwortete Oskar etwas erstannt; er meint nicht richtig gehört zu haben.

„Das kannst Du Dir doch denken,“ flüstert der Vater ihr zu, „hätte er es gemalt, wäre es sicher nicht hier.“

„Ist es eine Schwester oder eine – Verwandte?“

„Ich kenne die junge Dame nicht.“

Die Antwort befriedigt Lucie; sie ist so vertrauend, wie sie selbst wahrheitsliebend ist. Während die Männer sich zu unterhalten beginnen, hat sie sich aus einem Tigerfelle niedergelassen, welches über ein paar niedrige, orientalische Kissen geworfen ist, und sieht sich neugierig um. Diese Sammlung bizarrer, exotischer, ausfallender und doch in ihrer Zusammenstellung dem Auge schmeichelnder Gegenstände gefällt ihr. Die Harmonie von Farbe und Linie beginnt zum ersten Male wie eine angenehme Melodie auf ihre Sinne zu wirken.

Denn dieses junge Mädchen hat trotz der nüchternen Atmosphäre eines self-made man, in der sie geboren und erzogen ist, einen idealen Zug, ein Behagen am Schönen. Berühmt zu werden, ist ihr Ehrgeiz; es ist so langweilig angebetet zu werden, weil man eine Erbin ist. Während der Papa Bilder kauft, weil das zu den Verpflichtungen eines Millionärs gehört, hat Lucie sich vorgenommen, einen großen Künstler zum Freund zu gewinnen und auch eine Künstlerin zu werden. Mister Flat, welcher der Malklasse vorstand, die sie in New-York besuchte, hat ihr versichert, daß sie ein „eminentes“ Talent habe; sie ist selbst davon überzeugt. Für dieses Talent hofft sie den großen Schaumlöffel zu interessieren, dessen Namen sie seit drei Jahren mit Bewunderung nennen hört. Sie kennt Amerikanerinnen, die mit ähnlichen Wünschen einst nach Europa gingen und durchsetzten, was sie sich vornahmen. Alle amerikanischen Blätter sprechen jetzt voll Anerkennung von ihnen. Und Lucie weiß, daß sie einen ebenso starken Willen hat wie jene Amerikanerinnen. Sie wird Herrn Schaumlöffel schon dazu bringen, ihr zu sagen: das sind die Studien, die ich selbst gemacht habe; so viel Stunden habe ich jeden Tag gezeichnet, so viel Stunden gemalt; meine Farben habe ich von diesem Fabrikanten genommen, meine Leinwand von jenem. Ich fasse meinen Pinsel so an, trage die Farbe so auf und mische nach dem und dem Princip – das ist der Weg, der mich zum „Sommerabend im Hofbräu“ geführt hat!

Und wenn er ihr so den Weg gezeigt hat, so wird sie Schritt für Schritt in seine Fußtapfen treten und auch beim Ziel anlangen. Sie weiß, daß der Weg sehr mühsam ist und große Anstrengungen erfordert – eine Amerikanerin läßt sich dadurch nicht abschrecken. Papa wird Schaumlöffel’s Lektionen bezahlen, welchen Preis er auch fordert; Papa kauft ihr Alles, was sie haben will, und für sehr viel Geld kann man ja auch Alles haben.

Diese Gedanken beschäftigen Lucie so, daß sie ein paar recht zerstreute Antworten giebt, als man endlich nach dem Löwenbräu unterwegs ist. Auch dort, als sie mit Papa und dem großen Meister an einem der kleinen Tische auf der Terrasse sitzt, kann sie an nichts Anderes denken. Sie will nichts übereilen – den Maler heute nur sondiren; aber er wird ja nachgeben, und im Geist sieht sie sich schon als berühmte Malerin … Und darum lächelt sie auch manchmal so still selig in den lauen Frühlingsabend hinein zur Begleitung Straußischer Walzer und Wagner’scher Märsche.

Verschiedene Lorgnetten haben sich auf das reizende Mädchen gerichtet, deren jugendlicher Teint nicht verliert beim grellen Schein der elektrischen Beleuchtung. Sie bemerkt kaum, daß man sie ansieht.

Er ist nicht schon, dieser Künstler – denkt sie – aber wie seine Augen leuchten! Das ist das echte heilige Feuer!

Und wenn sie so andächtig zu ihm aufblickt, wie es sich für die Zukunftsschülerin schickt, ist es ihr sogar, als ob sie schon einem gewissen Verstehen begegne.

Sehr viel ist gewonnen, daß er mit Papa so prächtig auskommt. Sie hatte wahrhaftig Furcht, der große Maler werde auf ihren klugen, treuherzigen, aber dabei bürgerlich einfachen Papa vielleicht herabsehen – bewahre! Beide sind in eine sehr lebhafte Unterhaltung verwickelt, zu der Jeder das Seinige beiträgt. Freilich hört sie sonderbare Sätze, die mit der Kunst nichts zu schaffen haben, wie: rationelle Hygiene der Felder, Schwefel und Soda, die richtige Arznei … die Phylloxera ist eine der wichtigsten modernen Fragen etc.

Aber diese Vielseitigkeit ihres Ideals trägt nur dazu bei, es in der Schätzung zu erhöhen.

Auch Oskar ist ganz in seinem Element. Mister Dunby hat mit dem praktischen Sinn des Amerikaners das, was Oskar nur gegen die Reblaus aufgestellt, als ein Princip erfaßt, das auch in einem allgemeinen Sinn zu verwerthen sei.

„Die Hygiene des Feldes,“ ruft er, „ist eine großartige Idee, mein verehrter Schaumlöffel, von deren Bedeutung Sie wahrscheinlich selbst noch keine Ahnung haben. Die Sache ist wichtig für Jeden, ob er Hopfen oder Reben baut – ob er in Amerika oder Europa lebt!“

Und so ist es wohl natürlich, daß Straußische und Wagner’sche Melodien auch Oskar in einen Zukunftstraum wiegen! Wenn der Amerikaner sich für die Sache wirklich interessirte, den praktischen Theil vielleicht in die Hand nähme! Was das hübsche Mädchen nur will! Oskar ist frei von jeder faden Einbildung Frauen gegenüber, aber das muß er ja bemerken, daß die Augen der Amerikanerin mit einem ganz besonderen Interesse auf ihm verweilen. Zum ersten Male empfindet er einen geheimnißvollen Reiz in der Nähe eines jungen Mädchens; denn es kann Einer zehnmal Chemiker sein und den elektrischen Strom zu kennen meinen, aus welchem Liebe zusammengesetzt ist – kommt er einmal in die Kette, wird er auch mit fortgerissen.

Er hat ein unbestimmtes Gefühl, als wäre es besser gewesen, wenn er sich rasirt hätte, ehe die Amerikaner ihn abholten – er muß wirklich anfangen, mehr an sein Aeußeres zu denken … Was für ein anziehendes Geschöpf … wie unverschämt der Officier sie anstarrt!

Lucie, die gerade so scharfsinnig ist wie andere junge Mädchen auch, wenn es gilt, solche und ähnliche Gedanken aus der Physiognomie eines Mannes abzulesen, frohlockt schon. Sie meint, der Augenblick sei gekommen, einen kleinen Schritt nach der Ruhmeslaufbahn hin zu thun.

„Papa – ich bin sehr lange geduldig gewesen, aber jetzt wollen wir von anderen Dingen reden!“

„Das sind höchst wichtige Dinge, Liebling!“

„Aber man reist nicht von New-York nach München, um darüber zu sprechen. Jetzt kommt endlich die Malerei dran.“

Dunby stößt seine Tochter heimlich an.

„Ich fürchte, mein Vetter hat sehr übertrieben, als er Ihnen …“

„Durchaus nicht!“ fällt ihm der Amerikaner ins Wort. „Er hat mir gesagt, daß Sie über Hals und Kopf in der Chemie steckten, und soll ich es Ihnen ehrlich gestehen – das ist gerade auch mein Fall…“

„Jetzt fängst Du schon wieder an, Papa!“

„Lucie, sei doch vernünftig!“

„Nein, ich habe keine Lust länger vernünftig zu sein.“

„Ihr Fräulein Tochter hat ganz Recht, sich zu beklagen,“ pflichtet Oskar bei.

„Da hast Du’s! Sehen Sie einmal, Herr Schaumlöffel, die hübsche Gruppe dort. Der alte, bärtige Hausirer und das kleine Mädchen neben ihm mit dem Korb voll Blumen. Malen Sie da nicht gleich in Gedanken?“

Dunby stößt Lucie abermals an.

„Laß doch, Papa,“ ruft diese ungeduldig.

„Wo? – Was meinten Sie eben?“ fragt Oskar zerstreut, der mit seinen Gedanken ganz wo anders war.

„Eines wird nie genug beachtet,“ fährt der Amerikaner in seinem früheren Satze fort, „der Boden nimmt nichts von der Pflanze an, während die Pflanze sich stets nach dem Boden verändert …“

Aergerlich steht das verwöhnte Kind auf.

[839] „Es ist Zeit nach Hause zu gehen, und morgen früh,“ sprach sie mit absichtlicher Betonung, „wenn ich Herrn Schaumlöffel meine Zeichnungen zeige, nehme ich Dich zur Strafe nicht mit, weil Du Dich nicht über den ‚Boden‘ erheben kannst. Hörst Du das, alter Papa?“

Dunby fühlt sich schuldig und streichelt Lucie’s Hand. Auch Oskar stammelt ein paar höfliche Worte zu demselben Zweck. Lucie meint, daß der Künstler sich nur aus Rücksicht für ihren Vater in dieses Gespräch eingelassen hat, und ist ihm dankbar. Sie ist trotz allen Muthwillens eine zärtliche Tochter und freut sich, wenn man Papa respektirt.

Oskar fühlt sich, nachdem er die beiden Fremden verlassen hat, etwas beklommen, ohne indeß zu muthmaßen, worauf das Interesse beruht, das er Lucie eingeflößt hat. Der einfache, ehrliche Mensch würde schaudern, wenn er ahnte, was Paul sich erlaubt hat. Paul, denkt er, mag schön von meinem Lehrtalent aufgeschnitten haben, daß das arme Kind so darauf besteht, mir Zeichnungen vorzulegen! Aber ich will ihr morgen reinen Wein über mich einschenken! Hätte ich es nur heut schon gethan!

Er mag sich’s nicht gestehen, daß der Gedanke, sie werde ihn morgen besuchen, ihm gar so angenehm war. Wenn er nur die dumme Schüchternheit ablegen könnte!

Es ist bereits eine Karte von Paul angelangt. Ein Kamerad, den Paul in Tutzing traf, hat sie nach München mitgenommen. Es versteht sich, daß Fritz sie dreimal überlesen, ehe er sie abgiebt. Sie enthält die folgenden Worte:

„Stellung genommen – es läßt sich gut an. Erhalte Verbindung mit Amerika auf erwünschtem Fuß. Ziehe Fritz an den Ohren, wenn er nicht parirt.“

Oskar antwortete:

„Gelesen und begriffen. Amerika nach Vorschrift in Beschlag genommen. Fritz macht Deiner Erziehung noch Ehre.“

*  *  *

Die Amerikaner bewohnen ein paar hübsche, nach dem Promenadenplatz gelegene Zimmer in der zweiten Etage des „Bayerischen Hofs“.

In einfacher, aber eleganter Toilette, zwischen zwei Fauteuils ausgestreckt, ruht Frau Dunby und bewegt ihren riesigen Fächer langsam hin und her. Zuweilen greift sie in eine neben ihr stehende Bonbonnière, die mit überzuckerten Veilchen angefüllt ist, um eins zwischen die Lippen zu stecken.

Mrs. Dunby ist eine vortreffliche, etwas originelle und noch recht wohlkonservirte Frau von ungefähr vierzig Jahren. Sie ist groß, hat klare Augen, eine etwas gebogene Nase, einen stolzen Mund und hübsche Zähne, die ihr noch nichts gekostet haben. Das etwas graue Haar paßt zu ihrer blühenden Gesichtsfarbe. Manchmal, wenn sie en beauté sein will (obgleich sie eben so wenig kokett ist wie ihre Tochter), streut sie etwas Puder darauf. Sie ist nicht gerade mißtrauisch, aber mitunter etwas skeptisch; vielleicht in Folge einer starken Dosis gesunden Menschenverstandes. Auf ihren Gatten, den sie mit Vorliebe auch im engern Kreis mit: Mister Dunby anredet, hält sie große Stücke, obwohl sie bemüht ist, ihm dies nicht zu zeigen. An Lucie hat sie Manches auszusetzen, besonders, daß sie nicht „respektvoll“ genug ist. Da der Vater sie „unsinnig verwöhnt“, hält sie es für ihre Pflicht, das „Kind“ mitunter strenger als nothwendig zu tadeln.

Die kleine Lucie ist eben beschäftigt, auf einem Spiritusapparat ein Brenneisen zu hitzen und ihre Haare zu kräuseln. Der Papa erscheint von Zeit zu Zeit an der offnen Thür, um an der Unterhaltung teilzunehmen, die ihn mehr zu interessiren scheint, als der „New-York-Herald“, den er in der Hand hält!

Die Unterhaltung dreht sich um den berühmten Schaumlöffel. Frau Dunby war gestern bereits eingeschlafen, als ihr Gatte und Lucie vom Löwenbräu zurückkehrten, und so holen sie das Versäumte nach.

„Ich bin enttäuscht,“ ruft Mrs. Dunby, „ich hatte ihn mir anders vorgestellt!“

„Aber Mama, Du hast ihn noch nicht einmal gesehen!“

„Es ist aber leicht, ihn nach Eurer Beschreibung zu beurtheilen: er ist nicht elegant, nicht extravagant, nicht einmal arrogant – also ein ganz gewöhnlicher Mensch und kein Künstler!“

„Er ist aber kein gewöhnlicher Mensch!“ ruft Lucie sehr erregt, indem sie die Flamme heraufschraubt.

„Du wirst ungewöhnliche Locken haben, wenn Du auf das Eisen nicht Acht giebst!“

„Stelle Dir vor, Karolinchen,“ berichtet Dunby, indem er mit dem zusammengerollten „Herald“ spielt, „daß dieser Schaumlöffel mich die ganze Zeit von einer neuen Diät des Bodens unterhalten hat. Ich sage Dir, der Mensch hat Kenntnisse – Kenntnisse!“

„Dann ist er kein Maler.“

„Ach, liebes Kind, diese Deutschen machen eben Alles möglich!“

„Das bildest Du Dir ein! Wo wird denn Einer, der solche Bilder malt, sich mit Dünger abgeben! Oder wo wird denn Einer, der sich mit Dünger abgiebt, diese Bilder malen!“

„Bitte, Mama, mache mich nicht nervös! Die Bilder sind doch da!“

„Vielleicht hat er sie von seinen Schülern malen lassen.“

„Aber um Schüler zu haben, muß man doch erst berühmt sein!“

„Das besorgen die Zeitungen, wenn man sie bezahlt – Du wirst Dich entschieden verbrennen, wenn Du nicht aufpaßt.“

„Man braucht nur seine Augen anzusehen, so weiß man, daß er ein Künstler ist!“ ruft Lucie, während sie das Eisen in einiger Entfernung von der Backe probirt, ehe sie es an die Haare bringt.

Frau Dunby, die Lucie jetzt ganz mit ihrer Frisur beschäftigt glaubt, winkt ihren Gatten neben sich:

„Wie findest Du das?“ flüstert sie.

„Schaumlöffel ist kein Kourmacher,“ beruhigt er.

„Sobald er ihre Mitgift kennt, kann er’s werden!“

Lucie hat selbstverständlich Alles gehört.

„Bist Du wenigstens sicher, Dunby, Dein Bild von ihm zu erhalten,“ fragt Frau Dunby jetzt laut, „oder wirst Du Dich mit Anweisungen begnügen, wie Du düngen mußt?“

„Ich sagte Dir doch, Karolinchen, daß ich vom Malen noch gar nicht mit ihm gesprochen habe. Sein Vetter machte mich glücklicher Weise vorher aufmerksam, daß er im Augenblick vom Malen nichts wissen wolle – eine Künstlerlaune.“

„Kennt man. Wahrscheinlich ein Manöver, um den Preis zu verdoppeln, wenn er sich doch dazu herbeiläßt. Du wirst mit diesem Schaumlöffel hereinfallen, Mr. Dunby!“

„Mama, bitte, willst Du mir den Gefallen thun, nichts mehr gegen Herrn Schaumlöffel zu sagen, bis Du ihn gesehen hast? Willst Du?“

„Da ich ihn in einer halben Stunde sehen werde …“

Lucie ist trotz der Abschweifung mit ihrer Frisur zu Stande gekommen; ihr Papa hat den „Herald“ fallen lassen, den Klemmer eingesteckt und betrachtet sie mit Bewunderung. Sie eilt auf ihn zu und umarmt ihn, um ihn als Verbündeten sich zu sichern, da sie im voraus weiß, daß die Wahl ihres Anzugs bei der Mama auf Widerspruch stoßen wird. Dann ruft sie durch eine kleine silberne Klingel ihre Jungfer herbei.

„Meinen Anzug von weißem Peking, Julie!“

„Lucie, was fällt Dir ein!“

„Du hast selbst gesagt, daß er mir am besten steht!“

„Aber doch nicht, um am Morgen durch die Stadt zu gehen!“

„Ich kann ja fahren.“

„Was wird der Maler denken, wenn er Dich so sieht!“

„Wahrscheinlich, daß ich mich mit Geschmack zu kleiden verstehe … Du weißt doch, daß ich ihm gefallen will, daß ich ihn gern erobern möchte.“

„Ich will aber nicht, daß Du mit ihm kokettirst!“

„Mama!“ ruft Lucie streng.

Julie breitet unterdeß den fraglichen Anzug auf dem Bett aus; sie weiß, wessen Wille schließlich durchgesetzt wird.

„Du machst mich wirklich ärgerlich, Lucie – ich will nicht.“

Die Ungehorsame stürzt auf ihre Mama zu und verschließt den zürnenden Mund mit einem Kuß.

„Du sollst Dich nicht aufregen, Mama!“ predigt sie. „Du weißt, es schadet Deinem Teint, und ich will heut Staat mit Dir machen! Auch den weißen Hut, Julie!“

„Nie hätte ich in Deinem Alter gewagt, meiner Mutter so entgegen zu handeln!“

„Ja, Mama, ich weiß, Du warst immer eine Heilige; ich bin leider mehr nach Papa gerathen.“ [840] „Hörst Du das, Dunby?“ ruft Mrs. Dunby in das nächste Zimmer.

„Ja,“ flüstert dieser leise; er fühlt sich fast geschmeichelt.

Lucie aber wirft ihr Morgenkleid ab und schlüpft in ihr „Taubenkostüm“, wie sie den Anzug von weißem Peking getauft hat.

Und man muß gestehen, daß der kostbare weiße Stoff vortrefflich zu ihrem Teint und dem kastanienbraunen Haar paßt, Papa Dunby, der wiederum an der offenen Thür erschienen ist, verschlingt sie fast mit seinen Blicken, als sie jetzt das kleine weiße Kapothütchen aus demselben Stoff aufsetzt. In der Mitte, ganz nach vorn, so daß der Kopf Luciens Haar berührt, ruht ein kleiner weißer Vogel, welcher Flügel und Schwanz zierlich nach oben hebt.

„Nehmen Sie dort meine Mappe und sehen Sie, daß der Wagen unten bereit ist,“ ruft Lucie ihrer Jungfer zu. Dann, ehe sie ihre Handschuhe anzieht, küßt sie der Mama noch mit demüthiger Gebärde die Hand …

„Pünktlich in einer Stunde erwarten wir Dich mit Herrn Schaumlöffel im Vestibül der Pinakothek, wie verabredet.“

„Es kommt darauf an, ob er sich bis dahin ergeben hat … still … bitte, denke an Deinen Teint, Mama!“

Sie wirft dem Papa noch eine Kußhand zu und fliegt zur Thür hinaus.

„Du solltest Lucie Deine Würde wirklich etwas mehr fühlen lassen, Mr. Dunby!“ ruft seine Gattin und bemüht sich, eine strenge Miene aufzusetzen.

„Sage, Karoline, möchtest Du sie denn anders haben, als sie ist? Das Bischen Uebermuth vergeht schnell genug, und können wir nicht, trotz des Uebermuths, vollkommen sicher sein, daß sie sich nichts vergiebt?“

*  *  *

Es versteht sich, daß Oskar nicht vergessen hat, sich zu rasiren, als er am folgenden Morgen Miß Dunby erwartet. Auch seine „Mähne“ (Paul’s Bezeichnung!) ist durch sorgfältige Behandlung in Haar verwandelt worden. Fritz, der ihm mit neugierigem Eifer zur Hand geht, leistet anerkennenswerthe Dienste bei der Auswahl von Shlips, Manschetten und Knöpfen.

Fritz hat leider das Unglück gehabt, eine japanische Fayence – einen durchbrochen gearbeiteten, blühenden Pfirsichzweig, auf den sein Herr große Stücke hielt – zu zerbrechen. Er umgiebt deßhalb Oskar mit raffinirter Aufmerksamkeit, um ihn als Fürsprecher zu gewinnen.

Das Frühstück erinnert an ein Stillleben im Arrangement, auch eins von Fritzens ausgebildeten Talenten. Es ist vortrefflich, oder vielmehr, es würde Oskar vortrefflich schmecken, wenn dieser Appetit hätte. Die Amerikaner haben ihn um den Appetit gebracht. Er sieht Miß Dunby heut in einem andern Licht als gestern.

… „Ich muß diese Amerikaner um Paul’s willen sehr artig behandeln“ – sagt er sich – „der Vater ist ja auch ganz charmant … Ich muß auch dem jungen Mädchen gegenüber die nöthigen Rücksichten nehmen … das ist mir peinlich. … Ach, wer weiß, sie wird vielleicht gar nicht kommen! Ich wette, daß sie eine rechte kleine Kokette ist! Sie langweilt sich wie alle Menschen, die nicht wissen, was sie mit ihrer Zeit und mit ihrem Gelde anfangen sollen … Ja – das ist es! sie langweilt sich, und da ist ihr die Idee gekommen, so einen armen Teufel, wie mich, in sich verliebt zu machen … nur um zu sehen, wie er sich dabei anstellt! Aber ich werde mich hüten, in die Falle zu gehen!“

Mit solchen Gedanken hat Oskar von seinem Stillleben gekostet, mit solchen Gedanken hat er sich erhoben, um im Atelier auf- und abzugehen. Zuweilen wirft er einen Blick in einen venetianischen Spiegel, fährt sich durch die Haare oder zupft an seiner Kravatte. Er ist sichtlich aufgeregt, was er übrigens Jedem bestreiten würde, der ihn darauf aufmerksam machen wollte.

„Sie kommt ja nicht! Das wäre gar schön, wollte ich um ihretwillen den Vormittag mit Warten todtschlagen!“

Diesmal bespiegelt er sich nicht im Venetianer, als er, das Atelier verlassend, an dem Spiegel vorübergeht. Er läuft ungeduldig die Treppe hinauf und nimmt eine Broschüre: „Vom Aufschwung der Runkelrüben-Zuckerfabrikation oder das billige Leben für Alle,“ die er unterwegs gekauft, aus seinem Koffer, um damit wieder ins Atelier zurückzukehren. Kaum hat er zwei Seiten überflogen, springt er wieder auf und fahndet nach Fritz. Er ist noch nicht gewöhnt, einen Diener durch die Klingel herbei zu rufen. Endlich findet er ihn in der Speisekammer.

„Fritz, ich finde die Luft im Atelier etwas drückend – hat mein Vetter etwas dagegen, wenn ein Fenster geöffnet wird?“

Fritz, der Oskar ins Atelier gefolgt ist, hat mittlerweile die Fähigkeit wieder erlangt zu sprechen. Er zeigt auf ein Drahtgitter, das Oskar nicht bemerkt hatte.

„Wir haben stets frische Luft hier! Sehen Sie nicht, dort oben? Fortwährender Zug, keine Sonne und kein Staub!“

„Gut, Fritz, Sie können zu Ihrer Beschäftigung zurückkehren.“

Fritz entfernt sich höhnisch lächelnd. Seine Beschäftigung, als der arglose Oskar ihn überraschte, bestand darin, eine angebrochene Büchse mit schottischer Marmelade vollends zu leeren.

„Beinah’ elf Uhr! Sie kommt nicht …“ fährt Oskar in seinen Gedanken fort, in die das „billige Leben für Alle“ noch nicht eingedrungen. „Es ist auch am besten so! Was für eine unglückliche Figur ich als Lehrer neben ihr spielen würde! Freilich würde Mancher nach den Studien, die ich durchgemacht habe, sich für recht fähig halten, zu unterrichten –“

Fritz stürzt ungerufen herein. Er weiß besser, wie es mit Oskar steht, als dieser selbst.

„Sie kommt! Sie kommt! Sie kommt!“

„Wer kommt?“ heuchelt Oskar.

„Nun, die amerikanische Miß von gestern! Ich sah den Wagen um die Ecke –“

Wie ein Pfeil schießt er wieder fort, die Hausthür zu öffnen. Mister Dunby hat ihn gestern mit einem Zehnmarkstück begrüßt. Dieser amerikanische Gruß hat ihn sehr mobil gemacht.

Oskar macht kleine ängstliche Schritte nach der Thür und wünscht, daß seine Arme etwas kürzer und beim Verkehr mit Frauen etwas weniger im Wege wären.

„Sie können hier warten, Julie,“ sagt Lucie im Flur zu ihrer Jungfer, während sie ihr die Mappe abnimmt.

Auch Lucie fühlt sich diesen Morgen nicht ganz so sicher wie gestern. Gestern Abend während der Musik sah sie den Ruhmestempel offen vor sich liegen. Jetzt aber, wo sie mit den gesammelten Leistungen ihres Genies vor den großen Schaumlöffel treten soll, überkommen sie Zweifel, ob er die Ansicht Flat’s darüber auch theilen werde.

Oskar steht vor ihr. Als sie seinem verwunderten, fast erschreckten Blick begegnet, sinkt ihr vollends der Muth. Man merkt dem ehrlichen Oskar an, daß der auffallende Anzug ihn verletzt; er bestätigt ja seine Ansicht, daß das junge Mädchen nur ihr Spiel mit ihm treiben will. Das giebt ihm seine Fassung wieder. Er richtet sich auf und blickt sie fast streng an. Ein Kostüm, das Jemand, welcher Aufsehen machen will, für den ersten Rang eines Hoftheaters anlegt, eine Art Hochzeitstoilette – um mit einem Zeichenlehrer über den Unterricht zu verhandeln! Der Blick des Künstlers, auf den Lucie rechnete, auf den sie bei Paul auch, hätte rechnen können, geht Oskar ab.

Bei der schnellen Auffassung, die Lucie eigen, hat sie ihren Fehlgriff sofort erkannt. Sie möchte unter die Erde sinken! Mit einer heftigen Bewegung entfernt sie wenigstens ihren Hut, das Auffallendste ihres Putzes.

„Sie erlauben,“ sagt sie schüchtern, fast demüthig, „es ist mir so heiß geworden – die Wahrheit ist, ich ängstige mich vor Ihnen … Es ist ja auch natürlich … Sie sehen so streng aus und … und es hängt von dieser Stunde so viel für mich ab …“

„Mein Fräulein,“ sagt Oskar ruhig und bestimmt, „ich muß Ihnen vor Allem einen großen Irrthum benehmen. Mein Vetter, welcher Ihren Herrn Vater gestern hier empfing, hat aus parteiischer Freundschaft für mich jedenfalls meine Fähigkeiten sehr übertrieben … Sie halten mich für … sehr geschickt, fürchte ich.“

„Nicht ich allein, Herr Schaumlöffel!“ Sie sagt das mit einem reizenden Lächeln.

„Also vielleicht auch Ihr Herr Vater? Aber Sie finden in Amerika Lehrer wie mich in Hülle und Fülle; ich will von München gar nicht reden, und ich rathe Ihnen ernstlich, sich hier an einen bessern zu wenden.“

[842] „Sie wollen mir keinen Unterricht geben! – Sagen Sie es doch gleich heraus!“ ruft Lucie nun wirklich verletzt. „Wenn es Ihnen so unangenehm ist, so werde ich mich nicht aufdringen. Sie brauchen sich deßhalb wahrlich nicht herabzusetzen!“

Lucie hat dabei eine Thräne im Auge; sie sieht ja ihren Ruhmestempel versinken.

„Wünschen Sie es denn wirklich so sehr?“ fragt der erstaunte Oskar, der von der Verwechslung trotzdem keine Ahnung hat.

„Ich wünsche fast nichts so sehr!“ sagt Lucie mit einem Blick, der Oskar gar keinen Zweifel läßt, und dabei reicht sie ihm mit rührender Vertraulichkeit wieder ihre schmalen Händchen entgegen.

Er nimmt sie in die seinen und hält sie da einen Augenblick. Der Athem steht ihm still; ein sonderbares Gefühl ergreift ihn. Es ist ihm, als müsse er die kleine Hand an seine Lippen pressen.

Nein, er darf von einer augenblicklichen Erregung dieses naiven, warmherzigen Geschöpfs keinen Vortheil ziehen! Er hat die Kraft, sich zu fassen und sie mit leidlicher Ruhe zum Sitzen zu nöthigen. Sie läßt sich auf dem kleinen, von Palmen überragten Divan nieder. Er nimmt vor ihr auf einem niedern Tabouret Platz, die Mappe, die er ihr abgenommen, auf den Knieen haltend, ohne sie zu öffnen.

„Sie haben sich in Amerika also schon mit Malen abgegeben? Ein ganz artiger Zeitvertreib für eine junge Dame.“

„Ein artiger Zeitvertreib,“ spottet sie ihm etwas verletzt nach, „wenn man entschlossen ist, sich ganz der Kunst zu widmen!“

„Ist das auch der Wunsch Ihrer Eltern?“

„Natürlich nicht. Sie würden ebenfalls vorziehen, daß ich das Malen nur als angenehmen Zeitvertreib ansähe.“

„Trotzdem wollen Sie Ihren Entschluß ausführen?“

„Haben Sie nie etwas Verbotenes gethan?“ fragt sie, ihn scharf fixirend.

„O, ich … das ist etwas ganz Anderes!“

„Natürlich! Ich habe diese Antwort erwartet. Deutsche Männer denken ja, Frauen seien nur erschaffen, damit man sich in sie verliebt.“

Betroffen sieht Oskar sie an. Er hat auch in Amerika so wenig Verkehr mit jungen Mädchen gehabt, daß ihm der ungenirte Ton auffällt, in dem sie von solchen Dingen spricht.

„Verstehen Sie mich recht,“ sagt er mit leiser Verstimmung, die ihr nicht entgeht, „der Mann – das werden Sie mir zugeben – muß einem bestimmten Beruf nachgehen. Daß er diesen Beruf nach seiner Neigung und seinen Fähigkeiten wählt, selbst gegen den Willen seiner Eltern, ist natürlich. Für den Mann ist der Beruf, wenn er ihm wirklich anhängt, wie eine Art Religion; er muß ihm Alles opfern: Anerkennung, Bequemlichkeit, Wohlleben; er muß zum Märtyrer an ihm werden können!“ Oskar’s Augen leuchten.

„Die Frau nicht?“

„Nur selten. Da, wo die Naturanlage ein solches Opfer bei der Frau auch rechtfertigt.“

„Und Sie,“ sprach Lucie, während sie einen Blick nach der Mappe warf, „ohne nur von meinen ‚Naturanlagen‘ Kenntniß genommen zu haben, sind überzeugt, daß mir diese … Rechtfertigung abgeht.“

„Mein Fräulein!“

„Reden Sie nur! Ich sehe Ihnen ohnedies an, was Sie denken …“

„Ich meine, daß, wenn ein solches Opfer kein Verlornes sein soll, dazu mehr gehört als Talent – vor allem ein strenger Sinn, Selbstverleugnung! Ja, ich möchte sagen, eine starke Leidenschaft, die den Beruf auch um seiner selbst willen und nicht um des Erfolgs willen liebt.“

„Und dieser … starken Leidenschaft halten Sie mich nicht für fähig?“

„Kaum,“ sagt Oskar aufrichtig.

„Wollen Sie mir wenigstens erklären,“ Lucie’s Stimme bebt, „weßhalb Sie diese wenig vortheilhafte Meinung von mir gefaßt haben?“

Er schweigt.

„Ich denke doch, daß ich ein Recht habe, diese Frage zu stellen …“

Lucie’s Augen funkeln im Zorn; er hat sie beleidigt. „Sprechen Sie nur aus – ich vertrage Wahrheit!“

„Gerade an die glaubte ich Sie nicht gewöhnt.“

„Ich will sie hören …“

„Gut, wenn Sie befehlen. Ich meine, die ganze Art Ihres Auftretens verräth eine stärkere Vorliebe für den äußern Erfolg, als sie sich mit der echten Liebe für einen Beruf verträgt …“

Ihr Anzug! Sie glüht vor verlegener Scham.

„Sie halten mich für eitel, für kokett?“ Die Stimme klingt etwas weniger selbstbewußt.

Er zögert.

„O, bitte, vollenden Sie! Es scheint, für Zeichenstunden bin ich Ihnen zu gering – (von Neuem ereifert sie sich bei seinem ernsten Blick) – Sie ziehen es vor, mir eine andere Lektion zu geben … Ja, sprechen Sie es nur gleich aus, daß ich Ihnen zu nichts tauglich scheine, als einen einfältigen Mann glücklich zu machen – mit einem Wort, zu nichts gut, als zum Heirathen!“

„Ich glaube,“ sagt er, den ihre Erregung immer ruhiger macht, „daß es eben so verdienstlich ist, Andere glücklich zu machen, wie ein gutes Bild zu malen – vielleicht ist es auch eben so schwer, denn es erfordert eben so viel Selbstverleugnung.“

Glaubte er denn, sie ungestraft beleidigen zu können, weil er der große Künstler war?

„Es giebt Männer,“ ruft sie, in ihrer Erregung kaum wissend, was sie sagt, „die mich für sehr fähig hielten, sie glücklich zu machen, was Sie vielleicht auch bezweifeln? Wie diese Männer mich langweilten, wenn sie mir immer dasselbe vorsagten – wie elend ich mich dabei fühlte …“

Er sieht sie theilnahmsvoll an – er begreift das.

„Sie aber,“ fährt sie fort, „Sie dachten: da ist auch so ein unbedeutendes, eitles Ding, das glücklich ist, weil es viel Geld zum Fenster hinauswerfen kann, um sich zu putzen!“

„Nein – ich glaube Ihnen gern, daß Ueberfluß manchmal recht schwer zu tragen ist!“

„Aber das Glück, das Arbeit gewährt, das wollen Sie mir absprechen; selbst einen Andern glücklich zu machen, trauen Sie mir nicht zu!“

Ist er nicht doch zu streng mit ihr gewesen? Er greift nach der Mappe, die er neben sich gestellt, um sie zu öffnen.

„Nein, lassen Sie!“ ruft sie eifrig. „Die Lektion hat genügt. Ich bin nicht im Stande noch mehr zu hören …“

Und als ob sie fürchte, er werde die Mappe doch noch öffnen, hält sie mit ihren Händen die seinen fest.

Wieder empfindet er diese eigenthümliche Aufregung. Er sieht sie an. Es spiegelt sich ein Ausdruck tiefer Niedergeschlagenheit, etwas weiblich Demüthiges in ihrem lieblichen Gesichtchen.

„Sie zürnen mir?“

Lucie schüttelt den Kopf, blickt verwirrt nieder, will etwas erwidern und bringt keine Silbe hervor. Der Ruhmestempel ist versunken, aber daran denkt sie nicht einmal. Er hat ihr deutlich zu verstehen gegeben, daß sie nichts sei, als ein eitles, kindisches Ding, selbst nicht glücklich, und nicht einmal fähig, einen Mann glücklich zu machen. Ein Gefühl, wie sie es nie gekannt, bewegt sie … Plötzlich schlägt sie die Hände vors Gesicht. Ein Paar Thränen werden zwischen den Fingern sichtbar.

„Um Gotteswillen – Sie weinen!“

„O nein!“ ruft sie schnell; wie hat sie sich nur hinreißen lassen, ihm ihre Schwäche zu zeigen! „Daß Sie mir keine Stunden geben wollen, hat mich natürlich gekränkt. Aber ich finde schon einen andern Lehrer. Es giebt ja genug Künstler in München,“ sagt sie möglichst ruhig. „Uebrigens,“ fügt sie hinzu, „Papa und Mama warten in der alten Pinakothek. Ist das weit?“

„Kaum zehn Minuten. Ich darf doch …“

„Sie werden mich natürlich nicht begleiten wollen, meines Anzugs wegen …“

„Wohin Sie nur wollen!“ ruft Oskar fast leidenschaftlich.

Sie bemerkt es nicht; sie setzt ihren Hut auf und findet nun auch, daß er sich für den Besuch einer Bildergalerie nicht recht eigne.

„Was für ein sonderbares Mädchen! Was für ein sonderbares Mädchen!“ muß Oskar immerfort bei sich wiederholen mit einem unbestimmten Empfinden, daß diese Worte ein süßes Räthsel enthielten, dessen Lösung ihn von nun an sehr viel beschäftigen werde. Als Lucie ihn bittet, der Jungfer ihre Mappe zu geben, [843] schließt er diese sofort – sehr zum Erstaunen der Eigenthümerin – in einem Wandschrank ein und steckt den Schlüssel zu sich. Im Augenblick, als er nach Hut und Handschuhen greifen will, steht Fritz diensteifrig mit diesen Gegenständen neben ihm. Er nimmt sie ihm mechanisch ab, verwechselt die Handschuhe, ohne es zu bemerken, verliert sogar einen, gelangt aber glücklicher Weise richtig an der alten Pinakothek mit Lucie an. Herr und Frau Dunby erscheinen bald nach ihnen. Nachdem Oskar Luciens Mutter vorgestellt worden ist, und diese ihm eben in ihrer Art etwas auf den Zahn fühlen will, macht Lucie den Vorschlag, man möchte doch einen Wagen nehmen und spazieren fahren, anstatt die Bilder anzusehen.

„Aber Herr Schaumlöffel, der uns auf alles Schöne aufmerksam gemacht hätte?“

„Verstelle Dich nicht, Papa! Du bist froh, wenn Dir der Spaziergang durch den Kunsttempel erspart bleibt,“ ruft Lucie, deren Uebermuth neben den Eltern schon wieder ein bischen zu erwachen anfängt, „und ich bin etwas angegriffen.“

„Von der ersten Lektion?“

„Schlagen Sie einen hübschen Ausflug vor, Herr Schaumlöffel,“ bittet Lucie, ohne die Frage der Mama zu beantworten.

„Ja,“ bekräftigt Herr Dunby, gut gelaunt, daß der Kelch, die Pinakothek absehen zu müssen, heut noch an ihm vorübergeht, „dieser Tag ist so recht geeignet, im Walde genossen zu werden, gute Verpflegung und Hofbräu natürlich vorausgesetzt! Schlagen Sie vor!“

Oskar ist verlegen; er ist in seiner Vaterstadt während der langen Abwesenheit fast fremd geworden.

„Großhesselohe,“ meint er, „oder auch Nymphenburg!“ Die Namen vergißt selbstverständlich kein Münchener Kind.

Man entscheidet sich für den ersten Ort. Lucie besteht darauf, vorher im Hôtel ihren Anzug zu wechseln.

„Ich will einen andern Hut aufsetzen,“ rechtfertigt sie sich vor der Mama, „in dem ich weniger von der Sonne geblendet werde. Du hättest mich darauf aufmerksam machen können, daß dieser für den hellen Tag nicht geeignet ist.“

Mama ist vollkommen sprachlos. Noch unerklärlicher wird ihr Lucie, als diese, nachdem man in den „Bayerischen Hof“ zurückgekehrt, ihr einfaches graues Reisekleid anlegt. Lucie findet natürlich nicht für nothwendig, der Mutter die nöthige Aufklärung zu geben, und wirft nur verstohlen einen Blick nach Oskar. Dieser hat die Veränderung in der Toilette zu seiner nicht geringen Befriedigung bemerkt. Sollte er wirklich Einfluß auf dieses sonderbare Mädchen haben? Er vergißt fast die Phylloxera bei diesem Gedanken … „welch sonderbares Mädchen!“

[853] Man ist eben von Großhesselohe nach Haus gekommen. Statt wie gewöhnlich voranzutänzeln, steigt Lucie langsam und träumerisch die Stufen hinter ihren Eltern hinan.

„Du willst doch nicht schon zu Bett gehen, Kind? Es ist ja kaum zehn Uhr!“ fragt Frau Dunby, als Lucie ihr die Wange für den üblichen Gutenachtkuß bietet.

„Ich bin sehr müde, Mama!“

„Ueberanstrengung, Liebling!“ klagt der besorgte Papa. „Ich habe es Dir gleich heut früh angemerkt, daß Dein Kopf nicht dafür taugt. Du sollst ja Bilder haben, Goldkind, ohne daß Du Dich damit abquälst, sie zu malen! Daß Du mir nicht krank wirst!“

Um die besorgte Miene Papa Dunby’s zu zerstreuen, dreht Lucie sich ein paarmal auf dem Absatz ihrer Stiefelchen herum, tanzt dann auf ihn zu, nimmt seinen Kopf zwischen ihre beiden Hände und küßt ihn herzhaft ab … so herzhaft, wie sie ihn lange nicht geküßt hat.

„Quäle Dich nicht, alter Papa! Du siehst ja, ich kann noch tanzen!“

„Eben sagst Du, Du könntest Dich nicht mehr rühren – darauf springst Du wie eine Wilde in der Stube herum!“ bemerkt Mama. „Was soll denn das heißen?“

Lucie merkt, daß sie sich auf einem Widerspruch ertappen ließ.

„Meine letzte Anstrengung, um Papa zu beweisen, daß ich nicht krank bin. Nun kann ich nicht mehr. Gute Nacht!“

„Du hast auch nichts gegessen – fast nichts!“ ruft der Vater. „Laß mich klingeln, daß sie Dir ein kaltes Hühnerflügelchen bringen! Oder hast Du Lust, ein Glas Eislimonade zu trinken, oder etwas Sherry-Cobbler? Kannst Du Sherry-Cobbler widerstehen, Liebling?“

Aber Lucie widersteht. Sie kehrt noch einmal zu Papa zurück, um sich auf die geschlossenen Augen küssen zu lassen. Dann ist sie verschwunden.

[854] Julie hat sie beim Auskleiden noch nie so geduldig, aber auch noch nie so gleichgültig und still gefunden.

Sie ist heut wahrhaftig wie ausgewechselt – denkt die Jungfer – das wahre Gotteslamm! Ob da etwa der Maler dahintersteckt?

„Ein recht netter Mensch,“ fängt sie an, während sie Lucie kämmt, „dieser Diener von Herrn Schaumlöffel … Und was Ihnen der Alles zu erzählen wußte!“ (Die Dunby’s hatten eine Deutschamerikanerin für die Reise mitgenommen.) „Was so ein Maler aber auch belagert wird!“

„Wenn Einer so berühmt ist wie Herr Schaumlöffel, reißt man sich selbstverständlich um seine Bilder!“ sagt Lucie, die nicht ohne eine gewisse Genugthuung Schaumlöffel preisen hört.

„Ach, gnädiges Fräulein – nicht bloß von Leuten, die Bilder kaufen! Da hätten Sie den jungen Menschen nur hören sollen! Sein Herr wird Ihnen von Frauen doch gar zu sehr verwöhnt! Man sollte es gar nicht denken, wenn man ihn so sieht … aber eine wahre Belagerung!“ (Fritz hatte, auch einem seiner Talente nachgebend, seines Herrn kleine Abenteuer in wahrem Jägerlatein vorgetragen und dann den ganzen übrigen Tag beim Kitten des Pfirsichzweigs vor sich hingelacht über die Verwirrung, die er damit wahrscheinlich anrichtete.) „Und er – ich meine Herr Schaumlöffel – immer ganz kalt … kalt wie Eis. Noch nicht die Rechte, wahrscheinlich! Nichts rührt ihn! Keine Pantoffelstickerei, keine Theewärmer oder Schlummerpolster – nichts! Es muß ihm ja auch wohl zuwider werden, wenn sich ihm Alles so zu Füßen wirft … bis einmal die Rechte kommt, natürlich!“

„Erzählen Sie nur der Mama nicht erst die dummen Geschichten!“

„Ach werd’ ich! Da kennen mich gnädig Fräulein aber schlecht!“

„Der alberne Mensch hat Ihnen etwas weisgemacht. Wenn sein Herr das wüßte, er schickte ihn fort! … Das Uebrige besorge ich selbst. Gute Nacht!“

„Wohl zu schlafen, gnädiges Fräulein!“ sagt Julie laut und denkt für sich: Also so steht’s! Hm – hm! Nun, mir könnte er nicht gefallen – bis auf die Augen, heißt das … Also so steht’s!

Lucie glüht vor Aufregung. Daß ein Mann von allen andern Frauen verwöhnt und angebetet wird, schadet ihm natürlich in der Schätzung derjenigen nicht, welche angefangen hat, sich für ihn zu interessiren.

„Also weil ihm Alles zu Füßen liegt, als ob er ein Prinz wäre – darum ist man so von oben herunter abgekanzelt worden! Darum muß man hören, daß man zu nichts tauge, nicht einmal einen Mann glücklich zu machen!“

Unter solchen Gedanken zieht Lucie ihr weißes Nachtkleid über und wirft sich in einen niedrigen Lehnstuhl. Die Arme über dem Kopf zusammengeschlagen, zwei winzige Füßchen, auf die sie ein Bischen und Papa sehr eitel ist, weit ausgestreckt und nachlässig gekreuzt, sitzt sie tief nachdenklich da.

Das wäre gerade ein Mann, um eine Frau recht zu tyrannisiren! Nein, ehe ich mich von einem Manne tyrannisiren lasse, werde ich eine alte Jungfer! Sich verheirathen und dann nichts sein, als so ein Gegenstand, auf den ein einfältiger Mann ein Recht hat! Wenn man gewöhnt ist, seinen eignen Willen zu haben! … Wenn ich einmal heirathe, werde ich sehr vorsichtig sein. Dann mache ich mir aus, über mein Leben ganz allein zu bestimmen … auszugeben, was ich will – mich zu kleiden, wie ich will – und wenn ich nur weiße Pekingkleider anziehen und nur Weiße Hüte mit weißen Vögeln aufsetzen wollte! – Ganz wie ich will! Ausgehen, ohne gefragt zu werden, wohin! Ueberhaupt Alles, was ich will! Mich würde er nicht tyrannisiren, dieser Herr Schaumlöffel! … Da ist Papa anders! Der liebe alte Papa! Manchmal freilich ein Bischen zu … Er kann doch bei andern Menschen herzhaft seinen Willen durchsetzen, warum er mir nur immer nachgiebt! Ach – mein langweiliges Leben! Was habe ich eigentlich auf der Welt? Anzüge ausdenken und dann anprobiren, mich zu langweiligen Mahlzeiten niedersetzen und nachher manchmal von Mama gezankt werden … Etwas malen! … natürlich nur zum „angenehmen Zeitvertreib“! … Ob es überhaupt Frauen giebt, denen dieser Schaumlöffel etwas zutraut? Ich möchte nur wissen, wie er sich die Frau eigentlich vorstellt, die einen Mann glücklich macht!

Eine Weile, nachdem Lucie sich zurückgezogen, sitzen beide Eltern schweigend am offnen Fenster einander gegenüber.

„Recht schwüler Abend,“ sagt endlich Mr. Dunby, langsam eine Rauchwolke aus seiner kurzen Pfeife ziehend. Seine Gattin erlaubte ihm nur ausnahmsweise, in ihrer Gegenwart zu rauchen. „Ich dachte, das Wetter würde heraufkommen, aber der Himmel hat sich nur bewölkt. Recht schwül, nicht wahr?“

„Ich bitte Dich, Mr. Dunby, wie kannst Du jetzt vom Wetter reden! Du denkst ja gar nicht ans Wetter!“

Selbstverständlich haben beide Eltern nur einen Gedanken: Lucie.

Er seufzt tief.

„Und so mit einem Male wie ausgewechselt, das arme Kind! Meinst Du, daß er sie heut früh beleidigt hat?“

Er weiß, daß er keinen Namen zu nennen braucht.

„Wer weiß, was er ihr in den Kopf gesetzt hat? Diese unglückselige Reise!“

„Glaubst Du, Karoline, daß es mit ihrer Passion fürs Malen zusammenhängt?“

„Ach – Malen! Ich glaube, daß sie auf dem besten Wege ist, in eine Passion für den Maler zu fallen!“

Er schüttelt den Kopf. „Ich bitte Dich! Lucie, ein halbes Kind!“

„Dieses ‚halbe Kind’ wird Dich recht bald in Erstaunen setzen! Das halbe Kind ist von der Art, die sich ins Wasser stürzt, zum Fenster hinausspringt oder nach Gift greift, wenn man ihr nicht den Willen thut! Aber das kommt davon, weil Du sie unsinnig verwöhnt hast, Mr. Dunby!“

„Sie hat Schaumlöffel gestern zum ersten Mal gesehen, heut gar nicht viel mit ihm geredet … sie war außergewöhnlich still …“

„Gieb bei ihr nichts auf die Außenseite! Je ruhiger von außen, je stärker brennt’s inwendig.“

Es läuft dem Amerikaner eiskalt über den Rücken.

„Wahrscheinlich,“ sagt er, „hat Schaumlöffel sich in sie verliebt, und sie merkt es.“

„Gefallen wird sie ihm schon, aber das bedeutet ja noch nichts bei einem Künstler. Auf diese Menschen ist eben kein Verlaß!“

„Nein, Karoline, in Schaumlöffel irrst Du Dich! Mit dem läßt sich schon reden. Das ist Dir ein ganz ausgezeichneter Kopf und voll von gesunden Kenntnissen.“

„Das eben beunruhigt mich. Man wird aus ihm nicht klug.“

„Er hat mir heut wieder Pläne entwickelt …“

„Warum spricht er nicht von seinen Bildern? Ein Künstler, welcher weiß: da sitzt ein reicher Amerikaner neben mir, dem gefallen meine Bilder – er will auch eins oder zwei gemalt haben – nun, der greift doch zu und macht die Sache endlich sicher, wenn’s ein richtiger Maler ist! Zwanzigtausend Mark sind für den kein Pappenstiel. Sieh ihn Dir nur an!“

„Die Vielseitigkeit spricht doch für ihn …“

„Das hat Dir Lucie weisgemacht. Und wenn er nun auch so vielseitig in Bezug auf Frauen wäre? Setzt dem Mädchen erst etwas in den Kopf! Romantisch ist sie – die Malerei ihr Steckenpferd … sie fängt Feuer und dann er – holla!“

„Glaubst Du wahrhaftig, daß er sie ernsthaft interessirt? Ich fand sie gestern freundlicher – heut sogar manchmal gereizt, wenn sie mit ihm sprach …“

„Selbstverständlich. So stolz ist sie doch auch, um sich nicht einem Manne zu Füßen zu werfen! Eine Amerikanerin!“

Mr. Dunby läßt nur drei kleine Ranchwölkchen schnell hinter einander aufsteigen und sagt nichts.

„Weißt Du, was ich thun werde?“ fängt er nach einer Weile an.

„Nein, Mr. Dunby! Wie soll ich Deine Gedanken errathen?“

„Ich werde morgen früh offen mit ihm reden …“

„Nimm Dich in Acht, daß er nicht etwa denkt, wir wüßten nicht, was wir mit Lucie anfangen sollen, und trügen sie ihm auf einem Präsentirteller an!“

„Ich bitte Dich, Karoline! Lucie ist siebzehn Jahr, hübsch und unverdorben und unser einziges Kind!“

„Diese Künstler von Europa, mein lieber Mr. Dunby, haben große Rosinen im Kopfe, von denen man sich bei uns gar keine [855] Vorstellung macht! Darüber hat mir Mrs. Colver, die in Paris gelebt hat, schon eine Kerze aufgesteckt“

„Sei unbesorgt! Ich weiß, was Lucie werth ist und was ich ihrer Ehre schuldig bin! Aber ehe ich … sie vielleicht unglücklich sehe … nein – eher reisen wir ab, bis es so weit kommt. Jetzt wird sie es noch verschmerzen. Man konnte mit ihr nach Spanien gehen oder …“

„Warum nicht gar nach der Wüste Sahara! Jetzt nach Spanien, wo man in Deutschland schon schmilzt!“

„Wie Du denkst, Karoline, nach Norwegen meinetwegen! Ach, mir ist Alles Eins! Ich wollte, ich wäre erst im Klaren über den Maler, und was zu thun …“

„Die Nacht wird Rath bringen – übereilen darf man nichts!“

*  *  *

Die Nacht hat sich gleich einer schweren Wolke herabgesenkt, in der die Baumgruppen wie unbestimmte, schwärzliche Schatten ruhen. Dann und wann fährt ein Windstoß dazwischen, daß sie mit leisem Stöhnen durch einander zu fließen scheinen. In einem Nachbarhause schlägt ein schlecht verwahrter Fensterladen auf und zu; der ferne Pfiff einer Lokomotive klingt manchmal dazwischen – sonst Alles still.

Oskar hatte sich angezogen aufs Bett geworfen und eine Weile vor sich hingebrütet. Dann ist er aufgesprungen und ans offene Feuster getreten. Die Arme verschränkt, starrt er hinaus, ohne nur zu versuchen, einen Gegenstand vom andern zu unterscheiden. In seinem Innern wirbeln sonderbare Bilder durch einander, bald verworren, bald klarer – immer aber sieht er Lucie an seiner Seite.

„Es darf nicht sein,“ stöhnt er leise, „es darf nicht sein!“ Und als ob er fliehen müsse, stürzt er noch einmal zum Hause hinaus; weiter und immer weiter durch die stillen Straßen. Erst gegen Morgen kehrt er zurück und sucht sein Lager auf. Aber lange noch kann er kein Auge schließen. – Beim Erwachen fühlt er sich matt, beinahe krank. So kann das nicht fortgehen!

Er kommt zu dem Entschluß, ein oder zwei Tage zu verreisen, eine Fußwanderung zu machen, gleichviel wohin, und sich brieflich von den Amerikanern zu verabschieden. Er ist Paul sehr verpflichtet, aber er kann ihm seinen inneren Frieden nicht zum Opfer bringen und durch weiteren Verkehr mit den Amerikanern sich zum Sklaven einer thörichten Leidenschaft machen.

Fritz, der sich gestern Abend überzeugt hat, daß sein Kitt nichts taugt und daß der kostbare Pfirsichzweig dahin sei, hat das böse Gewissen nicht schlafen lassen. Sobald Oskar das Haus, verließ, ist er aufgesprungen, sich zu versichern, ob die Thür auch verschlossen sei: einmal aus Dienertreue, dann weil er sich vor Einbrechern fürchtet. Fritz ist kein Held. Darauf ist er in Oskar’s Zimmer geschlichen, hat die Unordnung, welche unglückliche Liebe angerichtet, mit verständnißvoller Gewandtheit beseitigt und dabei Betrachtungen über die Verschiedenheit seiner zwei Herren – des echten und des unechten – angestellt.

„Geriethe mein wirklicher Herr jedesmal in einen solchen Zustand, wenn ein hübsches Mädchen ihm gefällt, so hätten wir ihn längst auf den Kirchhof legen müssen!“ argumentirt er. „Und das wäre schade, denn wir malen wirklich charmant und werden auch charmant bezahlt. Wie der Andere sich nur anstellt! Da wollte ich zehntausendmal lieber (hier seufzt Fritz) – ich hätte mich verschossen, als daß mir der Unglücksfall mit dem Pfirsichzweig passiren mußte! Das Malheur kann mich die sichere Lebensstellung kosten. Aber ich ertrage es mit Ergebung … Vor allen Dingen muß ich diesen unechten Maler mir als Freund erhalten, damit er sich meiner annimmt, wenn’s bei meinem echten Maler losgeht!“

Nach dieser Schlußbetrachtung richtet Fritz sein Betragen ein. Er nimmt sich vor, Oskar den Tag über mit angenehmen Nachrichten über die junge Amerikanerin zu „verwöhnen“. Die Jungfer konnte ihm ja anvertraut haben, was das gnädige Fräulein über ihn geäußert hätte.

In Anbetracht, daß Oskar heute noch weniger als gestern zur Bewunderung eines Stilllebens aufgelegt sein würde, herrscht auf dem Frühstückstisch eine bequeme Behaglichkeit vor. Alles ist leicht erreichbar und mundrecht: etwas ausgeschälte Hühnerbrust steht ein paar Spiegeleiern mit gehacktem Schinken gegen über. Eine Art Rekonvalescententisch, wie eine liebende Mutter ihn dem Sohne zurecht gestellt haben würde. Fritz beobachtet hinter einer Portiere den Eindruck. Oskar sieht ernst vor sich hin, fängt aber doch, angeregt durch das bequeme Arrangement, allmählich zu essen an.

Es wird sich Alles machen! Er kommt schon wieder zur Vernunft! Wahrscheinlich noch nicht viel Uebung auf dieser Linie.

Der Brief an den Amerikaner, den er beim Decken erspäht hat, beunruhigt ihn. Was hat Oskar an Mister Dunby zu schreiben? Zum Anhalten kommt’s hier kaum! Wenigstens hat das noch gute Weile … Wenn der Brief an die kleine Miß gerichtet wäre?

Es klingelt.

Leise schleicht Fritz rückwärts aus seinem Versteck. Es hat zweimal – das zweite Mal etwas heftig – geklingelt, ehe er geht, um zu öffnen.

Der Amerikaner steht vor der Thür. Heiliger Antoni – was hat das zu bedeuten!

Mister Dunby grüßt Fritz in ähnlicher Weise wie das erste Mal.

„Wenn Herr Schaumlöffel jetzt noch nicht auf ist oder mich noch nicht empfangen will, wollen Sie fragen, um welche Zeit ich meinen Besuch wiederholen darf?“

Fritz würde Oskar sofort wecken, wenn dieser sich einfallen ließe, noch zu schlafen. Glücklicherweise ist das nicht nöthig.

„Es wird Herrn Schaumlöffel gewiß sehr angenehm sein,“ sagt Fritz laut genug, daß Oskar es hört. „Er ist hier im Speisezimmer.“

Oskar hat sich erhoben. Er hat die Stimme erkannt.

„Kein Rückfall,“ denkt er, „nur kein Rückfall!“ – aber er zittert dabei wie ein Knabe.

Fritz öffnet die Thür.

„Ich komme zu früher Stunde –“

Oskar verbeugt sich.

„Und ohne Vorwissen meiner Damen. Notiren Sie das Wohl, ich bitte!“

Auch der Amerikaner kann eine gewisse Unruhe nicht verbergen, welche ihn die Aufregung Oskar’s nicht bemerken läßt.

„Wollen Sie nicht Platz nehmen?“

„Danke!“

Beide setzen sich.

„Auf die Gefahr hin, von Ihnen falsch beurtheilt zu werden … Es hört uns doch Niemand?“ Er hat eine Bewegung hinter der Thür gehört.

Fritz ist bei diesen Worten von der nur angelehnten Thür pfeilschnell verschwunden. Oskar verschließt sie und zieht noch einen schweren Vorhang sorgfältig darüber, ehe er sich dem Amerikaner gegenüber setzt. Dann macht er eine Bewegung mit der Hand, um anzudeuten, daß er bereit sei zu hören.

„Ich halte Sie für einen Ehrenmann, Herr Schanmlöffel. Trotzdem … glauben Sie mir … ist es mir peinlich … Nehmen Sie an, daß ich ein sehr vorsichtiger Mann bin … vor Allem, daß mir nichts mehr auf der Seele liegt, als das Schicksal meiner einzigen Tochter … Sie begreifen –“

„Ja – o ja!“

„Gesetzt den Fall – ich bin kein Diplomat, mein bester Herr Schaumlöffel – gesetzt, Lucie gefiele Ihnen bei näherer Bekanntschaft – sagen Sie mir ehrlich – läge irgend ein Hinderniß auf Ihrer Seite vor?“

Oskar ist noch bleicher geworden.

„Weiß Ihre Tochter –?“

„Selbstverständlich keine Silbe! Aber ich bin ein vorsichtiger Mann … sie ist etwas enthusiastisch – da wäre es nicht unmöglich. Sie werden etwa zehn Jahre älter sein als Lucie – Ihr Charakter scheint mir verträglich und – ich setze nur den Fall, daß mein Kind Ihnen ein tieferes Interesse einflößte – aber um Gotteswillen – was ist Ihnen – lieben Sie Lucie?“

Oskar ist aufgesprungen. Er hat an seine Stirn gegriffen. Das ist zu viel!

„Sie spotten meiner, Mister Dunby. Nicht weiter, ich –“

„Natürlich ist das Liebe! und welche tiefe Liebe – ach, diese deutschen Künstler!“ denkt der erstaunte Amerikaner nicht ohne Befriedigung.

„Ihr Charakter hat mir, so weit ich Sie bis jetzt kennen lernte, zugesagt. Sie haben einen Beruf, der Sie ernährt –“ [858] „Nein,“ ruft Oskar, „was ich verdiene, kommt hier gar nicht in Betracht. Ich habe mich wohl ehrlich gequält; erreicht habe ich nichts.“

„Das ist nun doch, wie mir scheint, eine starke Uebertreibung, mein werther Herr Schaumlöffel. Ihr Vetter sagte mir schon … na, lassen wir das. Wenn ich auch zugebe, daß meine Finanzen etwas sicherer gegründet sind … indeß bei diesen Fragen stehen wir ja vorläufig noch nicht. Es ist bis jetzt – wie gesagt, von einem Gefallen von Seiten Luciens nicht die Rede; doch, ehe wir so weit – vielleicht! – kommen: sagen Sie mir ehrlich, haben Sie irgend welche Verbindung, die meinem lieben Kinde später Thränen kosten könnte?“

Mit seinen ernsten offenen Augen sieht Oskar zu ihm auf. Der Himmel wird ihm aufgeschlossen. Warum soll er nicht hineinspazieren?

„Ich versichere Ihnen, Mister Dunby, so wahr ich vor Ihnen stehe, bis jetzt hat noch keine Frau mir ein wirkliches Interesse eingeflößt – ich habe noch nie geliebt –“

„Tatata … so sprechen Alle!“

„Mister Dunby – Sie haben mein Wort.“

„Gut – gut! Es ist nur merkwürdig, wenn man sich überlegt. Sie sind jetzt beinahe dreißig Jahre … Gut, gut, ich will glauben, da Sie mir Ihr Wort verpfändet haben, daß Sie kein ehrliches Mädchen betrügen.“

„Mister Dunby!“

„Ueber diesen Punkt also wären wir im Klaren. – Haben Sie Schulden?“

„Ich hatte bis jetzt so wenig Aussicht, Schulden zu bezahlen, und da … wäre es mir nicht leicht geworden, Schulden zu machen.“

Der Amerikaner sieht ihn scharf an.

„Auch hier ist Offenheit Alles, was ich verlange. Ich bitte, setzen Sie sich in meine Lage. Ich bin hier vollkommen fremd, und das Glück meines Kindes liegt mir sehr am Herzen. Ich werde deßhalb – auf die Gefahr hin, Ihre Gefüble zu beleidigen, so viel ich kann, Erkundigungen über Sie einziehen.“

„Es wird Jhnen schwer genug werden! Sie sollten wenigstens die Rückkehr meines Vetters abwarten.“

„Lassen Sie das meine Sache sein. Ob Ihr Vetter gerade der unparteiische Richter wäre? Wir sehen uns doch heute?“

Oskar reicht ihm nur mit einer eigenthümlichen Bewegung die Hand; er hatte den Absagebrief, ehe der Amerikaner eintrat, in seine Brusttasche gesteckt. Er begleitet Mister Dunby hinaus: er fühlt den Boden kaum noch unter seinen Füßen.

*  *  *

„Das ist Dir ein ganz erstaunlicher Mensch, dieser Schaumlöffel,“ sagt Dunby, als er von dem Besuch zurückkehrt, zu seiner Frau, die er in seine Stube gewinkt hat. „Daß er Lucie leidenschaftlich liebt, darüber kann gar kein Zweifel sein.“

„Er wird wohl Uebung haben!“

„Nein, Karoline, er schwört, daß sie die Erste sei.“

„Und Du hast ihm geglaubt? Einem Künstler? Mister Dunby, ich bewundere Dich!“

„Thu’ mir den Gefallen, Karoline, und mach’ mir keine Geschichten! Du hättest es mit beschworen, wenn Du dabei gewesen wärst.“

„Du warst vorher im Hofbräu?“

„Karoline!“

„Nein – Dunby! Ein Maler, der seit zehn Jahren die hübschesten bayerischen Frauen abmalt – und wäre nie ernstlich verliebt gewesen? O Mister Dunby – dieser Schaumlöffel ist Dir überlegen!“

Er hatte sich ärgerlich abgewandt; er war überzeugt, ja! Aber was seine Frau sagte, machte ihn trotzdem nachdenklich. Sie hatte eine so zuversichtliche, sarkastische Art.

„Man muß ihn scharf im Auge behalten. Künstler, das sind eben Menschen, auf die kein rechter Verlaß ist,“ sagt sie einlenkend.

„Wenn ich die Wahl hätte, wäre mir ein tüchtiger Nationalökonom auch lieber. Und wenn er sich auf die Chemie werfen wollte, könnte er steinreich werden.“

„Komme Du ihm mit solcher Arbeit! Wenn Einer einmal an das amüsante Nichtsthun gewöhnt ist – denn das Bischen Gepinsel ist ja doch keine eigentliche Anstrengung – so ist er auch für jede ernste Beschäftigung verloren … Heute Nachmittag laß ich ihn aber Luciens Profil ins Album zeichnen. Wir nehmen es mit nach Nymphenburg.“

„Und sein Vetter, der mich gewarnt hat, von der Malerei zu sprechen?“

„Ein paar Striche! Das ist ja nichts für ihn – das ist, wie wenn der Rubinstein eine Tonleiter spielt.“

*  *  *

Oskar hat eine zweite Karte von Paul erhalten: „Das Portrait ist beinah beendet – Resultat zweifellos! Was macht Amerika? Sorgt Fritz, daß Du zunimmst?“

Obgleich Oskar nicht in der Stimmung ist, auch nur drei Worte zu schreiben, will er seinen Vetter doch nicht vernachlässigen. Er antwortet: „Zum Ersten meinen Händedruck. Das Zweite scheint von Deinem Namen bestochen. Das Dritte verdient Lob, obgleich ich nicht zunehme.“

Der Gedanke an Lucie übte seit der Unterhaltung mit ihrem Vater eine magische Wirkung auf Oskar. Er konnte sich nicht erklären, warum das reizende junge Mädchen sich für ihn interessire. Aber die Wahrnehmnng fing an zur Gewißheit für ihn zu werden. Das Herz fragt nicht nach Gründen, wo es überzeugt sein will – und waren hier nicht zum Ueberfluß sogar Gründe vorhanden? Hatte nicht Lucie schon an jenem ersten Abend im Löwenbräu ihm eine ganz besondere Aufmerksamkeit gewidmet? Drückte ihr Auge nicht noch etwas mehr als den Wunsch nach Zeichenstunden aus, als sie am nächsten Morgen mit ihrer Mappe bei ihm eintrat? Und vor Allem: würde der einfache Biedermann, ihr Vater, ihm ein so umfassendes Geständniß gemacht, ja ihm die Tochter gewissermaßen angetragen haben, wenn er nicht selbst Zeichen einer erwachenden Neigung bei Lucie wahrgenommen hätte?

Gewiß – Liebe, wie das ja dann und wann vorkommt, mußte hier ein süßes Wunder bewirkt haben. Er nahm sich vor, recht vernünftig zu sein und noch keine weitern Hoffnungen daran zu knüpfen, merkte aber bald, daß er mit der Vernunft jetzt nichts mehr ausrichte. Die ganze Nacht hatte er mit festem Mannesmuth sein Herz gegen eine thörichte Leidenschaft vertheidigt. Jetzt zog die Liebe siegreich ein; sie hatte alle Schranken gebrochen. Ja es war doch etwas Elementares in dieser Gewalt! Mit süßem Schauder gestand er es sich ein. Jetzt wäre es ihm nicht mehr möglich gewesen, seine Gedanken durch ein wissenschaftliches Problem zu fesseln. Er trug die Karte an Paul durch die ganze Stadt zur Post. Eine unwiderstehliche Neigung trieb ihn, sich zu bewegen, stark zu athmen. Als er heimkehrte, überkam ihn eine Versuchung, Luciens Mappe zu öffnen; aber er widerstand. Würde ihr lebhafter Wunsch, Talent zu besitzen, ihn nicht vielleicht beim Durchblättern parteiisch machen, sodaß er ihr auf alle Fälle Talent zuerkennte? Nein – hier sollte Paul entscheiden! Hat sie Talent, so soll ein Meister wie Paul sie leiten … Und er freute sich schon, was sie wohl dazu sagen würde, von einem solchen Lehrer zu lernen!

Eine Veränderung sprach sich in seinem ganzen Wesen aus. Von einem so reizenden, begehrten Mädchen ausgezeichuet zu werden, mußte ja auch dem Schüchternen Sicherheit geben. Er fühlte sich, Frauen gegenüber, zum ersten Mal als Mann.

*  *  *

Eine volle Stunde hat’s am Vormittag „Bindfaden“ geregnet; der Staub um München ist vollkommen gelöscht. Jetzt lacht die Sonne durch die alten Eichen, welche zu beiden Seiten die Nymphenburger Chaussee einfassen.

Lucie sitzt neben der Mama in einem stattlichen Zweispänner des „Bayerischen Hofs“. Ihnen gegenüber Papa Dunby und Oskar.

Frau Dunby macht Vergleiche – (die Unterhaltung hat bis jetzt merkwürdig gestockt) – zwischen der Beschaffenheit der Fahrstraßen in den Vereinigten Staaten und in Bayern. Oskar, sonst ein guter Patriot, zeigt sich etwas lau. Er schweigt.

Der Amerikaner ist ebenfalls nicht zum Reden aufgelegt. Er fühlt sich sehr ungemüthlich, Es sind ihm eben Zweifel gekommen, ob er sich in Lucie nicht geirrt habe. Der arme junge Mann! denkt er, da habe ich ihn, gewissermaßen Hoffnungen gemacht! Man ist nie vorsichtig genug – und doch redete ich [859] mit ihm nur aus Vorsicht! So alt geworden – verliebt sich zum ersten Male ernstlich, und da sitzt das Mädel wie ein Eiszapfen vor ihm! Diese Frauenzimmer! Ob unser Einer sie wohl auslernt! Wenn er sich nur kein Leid anthut – exaltirter Mensch wahrscheinlich; vielleicht bringt ihn das wieder auf die Malerei – ich muß nun endlich mit ihm davon anfangen. Ist es nichts mit Lucie, bestell’ ich gleich drei Bilder. Da wird er sich trösten. Er kommt mir wahrhaftig niedergeschlagen vor!

Sicher ist der arme Oskar niedergeschlagen! Das Luftschloß baute sich so schnell diesen Morgen. Nun er der Prinzessin gegenüber sitzt, die es bewohnen soll, scheint’s ihm dem Einsturz nah. Sie vermeidet es ja fast, ihn anzusehen … geschweige, daß sie ihm einen auch nur halb so ermuthigenden Blick zuwendet wie am ersten Abend. Eine Kokette ist sie! denkt er. O, wäre ich meinem Entschluß, sie nicht wiederzusehen, treu geblieben! Wer weiß, wie oft der „vorsichtige Papa“ schon ähnliche Gänge gemacht, wie heute Morgen. Aber ahnen soll sie nicht, daß ich um sie leide! …

Lucie aber denkt darüber nach, was sie wohl eben sagen könnte – es ist recht still … etwas Ausgelassenes? Nein! Etwas das ihm zeigt, ich gehöre nicht zu Denen, die zu seiner Gnaden Füßen liegen. Ich kann ja keinen Mann glücklich machen! Wenn nur Charly hier wäre, oder Mister Bacon, oder Nils Evans … die würden ihn schon belehren! Wie ernst er aussieht! Vielleicht giebt es Jemand, der ihn nicht glücklich machen will? Wenn Einer auch gar so anspruchsvoll ist! Er sieht schon eine ganze Weile nach mir hin – aber ich werde ihm den Gefallen nicht thun, ihm noch einmal zu zeigen, wie ich mir gewünscht, ihn kennen zu lernen … das hat ein Ende! Wahrhaftig! Er sieht mich schon wieder an – er denkt wohl, ich bemerke es nicht!

„Wissen Sie, Herr Schaumlöffel,“ fängt Frau Dunby jetzt an, welche sich berufen fühlt, das stockende Gespräch auf einen andern Gegenstand zu leiten, „daß ich mein Album mitgenommen habe. Sie haben doch einen Bleistift bei sich?“

„Zu dienen,“ ruft Oskar und greift in die Tasche.

„O – jetzt nicht, später! Im Wagen inkommodire ich nicht. Da kann man ja keinen Strich machen, ohne auszufahren.“

„Zeichnen Sie auch?“ fragt Oskar erstaunt.

„Ich? Wenn man mit einem berühmten Maler eine Partie macht und erzählt ihm, daß man sein Album mitgenommen hat, so …“ sie sieht ihn dabei bedeutungsvoll an.

„Mama will Sie bitten, Herr Schaumlöffel, ihr etwas ins Album zu zeichnen,“ sagt Lucie schnell, der diese Anspielung höchst unangenehm ist. „Aber Sie brauchen es deßhalb noch nicht zu thun. Wie die Patti in Amerika war, hat sie in Gesellschaften auch nicht gesungen, wenn man sie aufforderte.“

„Sie sind sehr gütig, mich mit ihr zu vergleichen!“

„Nehmen Sie es ihr nicht übel!“ begütigt die Mama. „So eine verwöhnte Theaterprinzessin, das ist natürlich etwas Anderes… Ja, Herr Schaumlöffel, ich möchte gern von Ihnen eine kleine Zeichnung im Album haben! Ich verlange es ja nicht umsonst.“

Oskar erröthet fast. „Ich bitte,“ ruft er schnell, „davon kein Wort! Mit dem größten Vergnügen, was Sie wünschen. Ich bin im Augenblick etwas außer Uebung – indeß …“

Dunby lacht gerade aus, während er ihn auf die Schulter klopft: „Für uns reicht’s – ich denke! – Sagen Sie ’mal, Herr Schaumlöffel, sind die Münchener Künstler immer so … bescheiden?“

„Wenn sie in einer so bescheidenen Haut stecken – immer!“ antwortet Oskar – Gott, muß Paul aufgeschnitten haben!

„Ich wollte Sie bitten,“ erörtert Frau Dunby, ihrer Tochter dabei einen triumphirenden Blick zuwerfend, „mir das Profil von Lucie ins Album zu zeichnen – mit nur ein paar Strichen, wissen Sie …“

„Paul muß mich geradezu für einen Maler von Beruf ausgegeben haben – das soll er aber hören!“ denkt Oskar. „Ich werde es versuchen – sehr gern – sehr gern!“ sagt er laut.

„Sie können doch im Freien zeichnen?“

Oskar zuckt die Achseln. „Ebenso gut oder so schlecht wie im Atelier.“

„Wie sollte er’s nicht können!“ ruft Mister Dunby, „alle anderen modernen Maler arbeiten im Freien! Lächerlich!“

Lucie ist roth geworden; diese „Bettelei“, wie sie meint, ist ihr höchst peinlich.

Man ist unterdeß in dem nur eine halbe Meile von München entfernteu Nymphenburg angekommen. Selbstverständlich steigt man beim „Kalkulator“ ab und stärkt sich durch eine „Halbe“, ehe man den Schloßpark besucht. Lucie und Oskar gehen in einer der schönen Alleen den Eltern voran, ziemlich unempfänglich Allem gegenüber, was Kunst und Natur hier zur Erquickung anderer Sterblicher geschaffen.

„Es scheint mir jetzt selbst, daß sie ihm nicht gleichgültig ist,“ sagte Frau Dunby zu ihrem Gatten.

„Nun? Und heute früh thatest Du, als ob ich mein Bischen gesunden Menschenverstand in New-York gelassen hätte, als ich es behauptete.“

„Nur, weil Du Dir weismachen ließest, sie sei die Erste! Ein wirklicher Künstler ist das auch nicht, darauf will ich wetten.“

„Was denn sonst? Unsinn!“

„Ja – ich kann Dir das nicht recht erklären – aber den wirklichen Maler erkennt man eben! Da ist ein gewisser Lirum-Larum … das sieht sich anders um; das kneift die Augen zusammen; das trägt sich anders; das agirt anders mit den Händen und spaziert anders einher … es ist, als ob die Malerei auf den ganzen Menschen abfärbte. Den gewissen Chic hat der Schaumlöffel aber nicht. Da hatte unser kleiner Flat drüben noch mehr davon. Sieh’ doch nur einmal hin – nur wie er den Kopf hält!“

„Du willst immer das Gras wachsen hören, Karoline, das ist eine alte Geschichte.“

„Was das anbelangt, meine Ohren sind auch scharf genug!“

„Weißt Du, daß ich Lucie gar nicht recht aufgethaut finde, und daß es mich fast reut, heut früh bei ihm gewesen zu sein? Was er eigentlich denken muß?“

„Du hast ihm ja gesagt, daß Du Dich nur aus Vorsicht erkundigt hättest. Du hast Dich ja zu nichts verpflichtet. Wenn er sich da gleich mehr einbildet, ist es seine Schuld.“

„Der nimmt so Etwas ernst – verlaß Dich drauf!“

„Freilich, wenn sie die Erste ist, vielleicht die Einzige …“

„Spotte nicht! Das ist ein Mensch, dem ich nicht gern weh gethan oder falsche Hoffnungen erregt haben möchte … Wenn mir schon sein ‚Sommerabend‘ gefiel – der Mensch ist mir fast noch lieber als sein Bild!“

„Ich kenne Dich kaum noch, Mr. Dunby, Du wirst sentimental! … Von was die Beiden sich jetzt wohl unterhalten? – sie scheint nun aufzuthauen.“

[869] Lucie und Oskar sind wieder bei dem Gespräch angelangt, das sie gestern im Atelier so hart an einander brachte.

„Wie ich Ihnen schon sagte,“ meint Lucie mit einem Anflug von Melancholie, „ist mein Leben sehr alltäglich. Was man so eigentlich ‚Glück‘ nennt, das kenne ich gar nicht. Zuweilen amüsire ich mich, das ist eben Alles! Hoffentlich finden Sie es nicht lächerlich, wenn man sich amüsirt?“

„Aber mein gnädiges Fräulein, wenn man sich mit siebzehn Jahren nicht einmal amüsiren wollte!“

(Er hat Recht – ich sage eigentlich, was ich gar nicht sagen will – er wird mich für recht albern halten!) „Sie langweilen sich natürlich nie, Herr Schaumlöffel … nie!“

„Ich habe keine Zeit dazu.“

„Und auch keine Ursache bei der reizenden Existenz, die Sie führen …“

„Ich? Diese Existenz würde Ihnen kaum neidenswerth erscheinen, sie ist sehr einförmig.“

Lucie erwidert darauf, ihn aufmerksam fixirend, mit leisem Vorwurf: „Trotz der ‚Blumen‘, mit denen sie durchflochten ist?“

„Blumen? …“

„Da ein Veilchen, dort eine Rose … oder eine von den schönen japanischen Nelken, die jetzt Mode sind und an denen man stolz vorübergeht …“

Oskar, der sie nicht versteht, sieht sie fragend an: „Was meinen Sie eigentlich?“

Sie senkt den Blick mit dem Gefühl, daß sie wieder zu weit gegangen ist.

„Ich meinte, daß Ihr Beruf … daß er Sie doch nicht ausschließlich beschäftigen kann.“

„Er hat mich fast ausschließlich erfüllt, bis vor wenigen Tagen …“

„Und jetzt – nicht mehr?“

„Ich will ganz offen sein – ja, jetzt erst ist mir klar geworden, daß …“

Lucie sieht ihn forschend an.

„Sie will mir ein Geständniß ablocken, um mich zu demüthigen!“ denkt er und sucht sich zu fassen. „Es ist mir klar geworden, daß, wer nur seinen eigenen Interessen – das ist, seinem Beruf [870] nachgeht, in der Welt zu leben verlernt, ein Egoist wird und unfähig …“

„Andere glücklich zu machen,“ fällt sie schnell und etwas muthwillig ein, denn sie hat begriffen, weßhalb er stockt, „was, wie Sie gestern behaupteten, noch schwerer ist, als ein Bild malen oder gelehrte Dinge studiren. Darum schlägt ein solcher Egoist armen kleinen Ausländerinnen auch ab, ihnen Unterricht zu geben – darum er hält ihnen Strafpredigten, ehe er noch weiß, ob sie verdient sind! Darum ist er grausam!“

Halb muthwillig, halb vorwurfsvoll sieht sie ihn dabei von unten herauf an. Der Blick verwirrt ihn … wäre es doch möglich? Sein Herz pocht zum Zerspringen.

„Ich grausam gegen Sie … gegen Sie! …“

Lucie findet nicht nöthig, ihm noch eine weitere Aufklärung zu geben. „Ich gefalle ihm sicher!“ denkt sie – „ich merke es ja, wenn er mich ansieht. Warum er nur so zurückhaltend ist? Ich habe doch immer gehört, daß Künstler gar nicht schüchtern wären. Ich wollte, Mama forderte ihn nicht auf, mich zu zeichnen. Ich bin sicher, ich werde roth dabei, und das ist peinlich … Mama – Ihr kommt ja gar nicht nach!“ ruft sie, sich umwendend. „Sieh doch diese reizende Partie hier am Wasser … dort der Tempel, wie schön beleuchtet! Wollen wir nicht etwas Kahn fahren?“

„Dieser Ort ist angenehm, um auszuruhen,“ entgegnet Frau Dunby, sich auf einer Bank niederlassend, welche einen dicken Lindenstamm umschließt. „Wie wäre es, Herr Schaumlöffel, wenn Sie hier das Album öffneten? … Sie sollen es nicht umsonst getragen haben.“

„Lieber Kahn fahren, Mama!“

„Nein, Du bist viel zu erhitzt, um auf dem Wasser zu fahren. Still sitzen wird Dir gut thun.“

„Da sind Leute; sie werden zusehen, wenn ich gezeichnet werde!“ ruft Lucie abwehrend.

Aber Oskar will sich den Vortheil nicht entgehen lassen; zum ersten Mal ist ihm der wahre Nutzen seiner Zeichenstudien klar geworden. Er spitzt bereits den Bleistift mit sichtbarem Eifer. Mama Dunby zupft an Luciens ganzem Anzug herum, als sollte sie en pied gemalt werden. Diese setzt sich auf eine gegenüberstehende Bank, steif, verstimmt.

„So geht das nicht – so habe ich die Sonne im Gesicht!“ ruft Oskar, der sich in einer kleinen Entfernung von ihr auf der Erde niedergelassen hat.

„Warum gehen Sie nicht auf die andere Seite?“ bemerkt das Modell.

„Richtig!“ Oskar, dem jetzt doch zu Muthe ist, als sollte er hingerichtet werden, verändert seinen Platz.

Papa und Mama Dunby haben sich unmittelbar hinter ihm aufgestellt. Lucie ist außer sich, daß sie als „Profilmodell“ keine Gelegenheit hat zu sehen, wie ein großer Künstler eine kleine Bleistiftzeichnung beginnt.

„Da sollte doch … wenn ich für diese Amerikaner nicht ein kleines Profil zu Stande brächte, wie jeder andere zeichnende Dilettant!“ sagt Oskar sich vor. „Es muß gehen! Ich will an das reizende Modell nicht denken – nur zeichnen … zeichnen, als hätte mich mein Lebtag nichts Anderes interessirt … Kein Gummi! – Da muß ich doppelt aufpassen!“

„Wie so ein Künstler das gleich anfängt! Der erste Strich und es scheint mir, ich sehe schon die Ähnlichkeit …“ lobt Dunby.

„Ein bloßer Strich – und ähnlich? Dann muß ich wie ein Stock aussehen!“

„Still – bewege Dich nicht! Mehr links … nein, das ist zu viel!“ ermähnt Frau Dunby, welche die Sitzung überwacht, als sollte sie ein Protokoll darüber aufnehmen.

„Ganz die Nase – der kleine Bug – akkurat!“ ruft der gefällige Papa. „Aber finden Sie nicht, Herr Schaumlöffel, daß Luciens Oberlippe ein klein wenig kürzer ist? Ich finde, ihr Mund ist die hübscheste Partie in ihrem Gesicht.“

„Ganz recht – sehr wahr!“ pflichtet Oskar träumerisch bei; es sind ihm bei der Betrachtung dieses reizenden Mundes eben Gedanken gekommen, die mit der Zeichnung nichts zu thun haben; er bemüht sich sie zu verscheuchen, drückt dabei den Bleistift zu hart auf und bricht die Spitze ab.

„Zieh die Achseln nicht in die Höhe – Herr Schaumlöffel macht Dir sonst einen Buckel!“

Lucie zieht sie noch etwas höher. Papa Dunby lacht: Oskar attackirt mit der neuen Spitze die langgeschwungenen Augenwimpern; er giebt an der Länge noch etwas zu.

„Es ist ein charmantes Bildchen! Wir werden es einrahmen lassen!“ ruft der entzückte Vater.

Oskar ist selbst erstaunt; die Aufregung hat ihm einen gewissen Schwung verliehen; es ist nicht gerade die Lucie, wie sein Vetter sie koncipirt hätte, aber immerhin eine niedliche Zeichnung, geeignet in einem Salon-Album zu paradiren.

„Jetzt hältst Du Dich ganz schief …“

„Wenn Ihr mich Alle anseht, so sitze ich nicht länger! Geh’ doch mit Papa spazieren!“ ruft Lucie aufspringend und auf Oskar zueilend, „ich will die Zeichnung jetzt ansehen.“

Oskar hat nach Dilettantenart das Buch schnell zugeklappt: „Erst wenn ich sie beendet habe, mein Fräulein!“ Er fürchtet Luciens Urtheil, die ihn verwundert anblickt.

„Wie wäre es, Karoline,“ sagt Mr. Dunby, seiner Frau den Arm bietend, „wenn wir unterdeß das Rokokoschlößchen in Augenschein nähmen, das sich hier ganz in der Nähe befinden muß?“ Er hat in seinem Handbuch kurz vorher den Plan studirt.

Frau Dunby ist nicht sehr geneigt, aber der Wunsch, die Zeichnung zu besitzen, macht sie nachgiebig. „Ich will nur Lucie vorher wieder in ihrer Stellung sehen …“ ruft sie; Lucie ist schon auf ihren Platz zurückgekehrt.

„Sieh’ nur – wie er sie ordentlich mit den Augen verschlingt!“ flüstert Frau Dunby ihrem Gatteu zu; sie hat sich in einer kleinen Entfernung noch einmal nach Maler und Modell umgedreht.

„Wie kann er sie denn zeichnen, wenn er sie nicht ansieht!“ entgegnet er, die Frau mit sich fortziehend.

Lucie bereut jetzt fast, die Eltern fortgeschickt zu haben; die Stille beängstet sie nun. Auch die Fremden, welche vorhin auf einer der benachbarten Bänke ausruhten, sind weiter gegangen. Es ist ihr auf einmal, als ob sie des Zeichnenden Auge auf sich ruhen fühle.

„Woran arbeiten Sie jetzt?“ fragte sie, ihre Verlegenheit zu verbergen.

„An den Haaren,“ antwortet der arme Künstler, der es nicht mehr wagt, die Profillinie zu berühren, aus Furcht, sie zu verderben.

„Werden Sie schattiren?“

„Nein. Aber wenn Sie mir ein ander Mal … im Atelier … etwas mehr Zeit geben wollten …“

„Wie lange etwa?“ Dabei hat sie sich umgewandt und ist seinem sehnsüchtigen Auge begegnet. Sie ist tief erröthet. Er muß es bemerkt haben – die Situation wird unerträglich.

„Sie sind müde!“ ruft er, um sie zu erlösen, „es ist auch nicht anders möglich! Der Hals muß Ihnen ja weh thun …“

„Kann ich die Zeichnung jetzt sehen?“

„Gewiß!“

Es ist ihm gleichgültig, was sie darüber denkt; er ist ja kein Maler. Er ist aufgesprungen und hat sich neben sie auf die Bank gesetzt. Ihre Brust fängt an sich schneller zu heben und zu senken …

„Ich konnte auch nicht länger zeichnen,“ ruft er mit halberstickter Stimme und reicht ihr das Album. Sie nimmt es mit zitternder Hand und schaut schweigend auf den einfachen Schattenriß nieder. Wie muß er mich lieben, denkt sie, daß er es nicht besser gemacht hat! …

Er aber ist nur von ihrer Nähe erfüllt. Schweigend legt er seine Hand auf die kleinen bebenden Finger, welche das Buch halten. Sie wendet sich etwas ab … „Dort setzen sich eben zwei Herren auf die nächste Bank und sehen herüber …“ flüstert sie.

„Meinetwegen,“ ruft Oskar. Er möchte ihr so gern sagen: ich habe Dich lieb – über Alles lieb! Aber das starke Gefühl benimmt ihm fast den Athem – die Worte wollen ihm nicht gehorchen … er ist so ungeübt in den landläufigen Ausdrücken der Liebe – ihn macht sie stumm.

Lucie aber sitzt neben ihm, halb selig, halb schmerzbeklommen. Warum spricht er nicht? denkt sie. Er muß es doch merken, daß ich ihn gern habe! Und daß er mich lieb hat, das fühle ich doch auch … Die Stille wird ihr unerträglich … „Da kommt die Mama!“ ruft sie wie erleichtert, sobald sie diese erblickt, und [871] springt auf. Halb unbewußt hat sie dabei den Druck seiner Hand leicht erwidert.

Ich muß mich sehr zusammennehmen – Mama wird ohnedies an der Zeichnung merken, wie die Sache steht! denkt Lucie, während sie den Eltern entgegenläuft. Etwas langsamer folgt Oskar.

„Nun – wie ist das Portrait ausgefallen?“ fragt der Papa.

„Ich habe schlecht gesessen,“ berichtet Lucie und bemüht sich, so unbefangen wie möglich zu scheinen. „Die Herren dort haben mich durch die Lorgnette betrachtet, da wollte ich nicht länger still sitzen und habe mich bewegt … Herr Schaumlöffel wird die Zeichnung im Atelier fertig machen.“

Papa ist trotzdem entzückt. Mama, Kunstwerken gegenüber von Natur etwas skeptisch, zeigt sich mäßiger im Lobe, obwohl sie – entgegen der Befürchtung Luciens – aus den Mängeln des Machwerks nicht auf die Liebe des Malers schließt.

Man promenirt noch etwas und nimmt dann das vorherbestellte Abendbrot beim „Kalkulator“ ein, ehe man zur Heimfahrt in den Wagen steigt.

Oskar ist sehr niedergeschlagen Das Glück ist heut dicht an ihm vorübergegangen, und er hat nicht verstanden, es festzuhalten. Es giebt solche Ungeschickte! Es wird nicht wiederkehren! Er hat die einzige Gelegenheit versäumt, Lucie zu gestehen, daß er sie liebt … Ach, diese Aussprache schon wäre für seine starke Leidenschaft eine Erleichterung geworden. Sie sieht, daß ich sie liebe, merkt es an jedem Athemzuge – und ich bleibe stumm! … Was muß sie denken? Sie kann doch nicht anfangen!

Bei dieser Gemüthsverfassung ist er natürlich als Gesellschafter wenig interessant, und selbst die Phylloxera und Hygiene des Feldes vermögen ihn nicht fortzureißen.

Lucie dagegen wird immer ruhiger, immer zuversichtlicher. Sie ist seiner tiefen Liebe diesen Nachmittag sicher geworden, wenn er auch die Worte nicht gefunden, sie auszusprechen, die langweiligen Worte, von denen die Lippen der unbedeutenden Anbeter, die sie zu Dutzenden kennen gelernt hat, so schnell überflossen. Die Ahnung von einem großen Glück, das in der Hingabe des eigenen Selbst an einen Andern besteht, fängt an ihr klar zu werden. Es ist ihr auf einmal ganz fromm zu Muthe, als jetzt der Mond aufgeht, und es stört sie, daß Vater und Mutter so laut von gleichgültigen Dingen mit dem Maler reden, der ihr gehört … ja ihr! Denn er wird sich doch endlich überzeugen, daß man nicht nur ohne Worte liebt! Er wird doch endlich einsehen, daß ich ihn glücklich machen möchte … und daß, wenn ich’s auch noch nicht verstehe, ich’s doch lernen kann, wenn er mich unterweist!

*  *  *

Den nächsten Morgen hat Mr. Dunby zu einem Besuch beim amerikanischen Konsul bestimmt. Lucie soll bei der Mutter im Hôtel bleiben, welche Briefe zu schreiben hat. Sie, Lucie, hätte gern, wie Schaumlöffel vorschlug, mit diesem und der Mutter einen Gang durch die Kirchen Münchens gemacht. Diesmal aber hat Mr. Dunby, unterstützt von seiner Frau, Luciens Wunsch nicht nachgegeben. Er fand, daß das junge Ding vor Allem sich auch sammeln müsse. Sie sollte den Maler nicht jeden Tag sehen, sondern dazwischen Athem schöpfen. Unterdeß wollte er weitere Erkundigungen über ihn einziehen: man konnte wirklich nicht bedachtsam genug in der Sache vorgehen.

Der Konsul, von dem er über Schaumlöffel nur Gutes hört und daß er auf Freiersfüßen gehe (was tausend denkt Dunby, sind die Spürnasen auch schon hinterher!) – ladet ihn und seine Damen für den Nachmittag in seine reizende Besitzung in der Vorstadt ein. Einmal in der Woche sammelt sich während der schönen Jahreszeit die amerikanische Kolonie, in seinen Parkanlagen zum Lawn-Tennis-Spiel. Es trifft sich, daß Dunby seinen Besuch gerade an diesem Tage gemacht hat. Mr. Dunby nimmt die Einladung für Frau und Tochter an, lehnt aber für sich selber ab. Er hat am Morgen im Hôtel unerwartet einen Bekannten aus New-York getroffen, mit dem er sich vorgenommen, die Münchener Bierkeller – namentlich den des Schaumlöffel’schen Bildes – in Augenschein zu nehmen.

Lucie fügt sich allen Anordnungen recht geduldig. Sie kommt der Mama – unerhört! – bei der Wahl des Anzugs entgegen. Mama muß ihn bestimmen. Sie hat auch ein paar Briefe an unliebsame Verwandte geschrieben, was sie vorgestern noch verweigerte.

„Das Kind ist überhaupt ein Engel, wenn man sie richtig zu nehmen weiß! Und vielleicht ist Schaumlöffel gerade der Mann, der das versteht!“ ruft der entzückte Papa.

„Sie hat sich in ihn verliebt, weil er ihr keine Artigkeiten sagt, wie die Andern, was sie langweilt,“ bemerkt Mama. „Wer weiß, ob er sie nicht sitzen läßt! Ehe der einmal zum Aussprechen kommt, hat’s gute Weile … Er wird sich auf den Anfang besinnen, bis wir uns wieder eingeschifft haben!“

„Was doch nur ein Beweis für die Ehrenhaftigkeit seines Charakters ist.“

„Was mir nur ein Beweis ist, daß er sich vielleicht für zu vornehm hält, Lucie zur Frau zu nehmen … Still! Hier giebt’s nichts zu entschuldigen! Ich meine, einem Mädchen wie Lucie gegenüber braucht man nicht den Herablassenden zu spielen. Bei Lucie kann’s Einer wohl darauf ankommen lassen, ob sie ihn will, und nicht umgekehrt thun, als sei es eine besondere Gnade, wenn er sie auserwählt.“

Mr. Dunby greift nach seinem Hut; er hatte in dieser Sache gethan, was er für seine Pflicht hielt – er wollte sie heut ruhen lassen; morgen war wieder ein Tag, wo man zusehen konnte.

Die Inspicirung der Keller von München erfordert – bei den Männern wenigstens – meist mehr Zeit, als der Besuch der Münchener Kirchen. Dunby kam ziemlich spät vom Hofbräu zurück und war erstaunt, seine Frau noch auf zu finden, was bei ähnlichen Gelegenheiten sonst nicht der Fall war. Sie schien in einem Zustand höchster Erregung. Seine erste Frage war deßhalb nach Lucie. Was konnte Vater oder Mutter Dunby auf dieser Welt auch aus dem gewohnten Geleise bringen, außer einer Sorge, die mit diesem lieben Kinde zusammenhing!

„Lucie ist auf ihrem Zimmer.“

„Leidend?“

„Wahrscheinlich – obwohl …“

„Um Himmelswillen, hast Du nach dem Arzt geschickt? Du bist nicht bei ihr? …“ Er wollte nach der Thür …

„Geh’ nicht! Sie hat kein Fieber …“

„So sprich nur endlich, Karoline! Es ist um rasend zu werden! – Was giebt’s denn, Du hast ja eine Jammermiene?“

„Schaumlöffel hat sich verlobt …“

„Mit Lucie? heimlich …“

„Mit einem Fräulein – was weiß ich oder wird sich morgen verloben … diese Schmach!“

Dunby sinkt auf einen Stuhl. „Und Lucie?“ stöhnte er – „Lucie?“

„Sie glaubt es einfach nicht! Sobald wir nach Hause kamen, nahm ich sie natürlich vor: hat er sich gegen Dich erklärt? – Nein! – Nun, so kann er sich gegen die Andere ja erklärt haben … Nein! – Ach, diese unselige Reise – es ist um schwarz zu werden!“

„Karoline – wenn Lucie nun aber Recht hätte …“

„Bringe mich nicht noch mehr auf! Du hast Dich ja auch hinters Licht führen lassen. Schöne ‚erste Liebe‘! Wahrscheinlich ist er ein Don Juan wie alle Maler. Um Eine hält er an, während er der Zweiten die Kour macht – wer weiß, was mit der Dritten passirt!“

„Unmöglich! Er hing ja gestern nur an ihren Blicken …“

„Vielleicht that’s ihm gestern leid, wo Lucie so besonders hübsch aussah, daß er sich mit der Andern schon so weit eingelassen hatte. Aus den Augen, aus dem Sinn!“

„Verzeih, Karoline – Du bist sehr klug, aber Du bist doch nicht unfehlbar … Wenn es nun bloßes Geschwätz wäre? Man hat vielleicht gehört, Lucie gefiele ihm. Nun will man sie eifersüchtig machen – Neid. vielleicht.“

„Liebes Kind – Mrs. Cartwright, welche die Geschichte erzählte, hat keine Tochter; also war sie nicht interessirt. Sie sprach ganz positiv. ‚Wenn Schaumlöffel nicht schon früher nach‘ … ich vergesse, wie der Ort heißt, in der Nähe hier … ‚gegangen ist,‘ sagte sie, ‚so geht er sicher heut hin. Dort ist die Betreffende bei Verwandten; da wird die Verlobung gefeiert.‘ Natürlich ließ ich mir nichts merken und fragte dann nur so unter der Hand, ob’s außer dem berühmten Schaumlöffel vielleicht noch einen andern Schaumlöffel gebe – einen Bruder? – Nein.“

[872] „Und gestern schlug er noch vor, die Kirchen heut mit Euch anzusehen!“

„Spiegelfechterei!“

Dunby blickte finster vor sich hin. Die gemüthliche Stimmung, die er aus dem Hofbräu mitgebracht, war ins Gegentheil umgeschlagen.

Selbstverständlich waren beide Eltern höchst gespannt, wie sie Lucie am nächsten Morgen finden würden. Merkwürdig – sie hatte keine verweinten Augen. Sie sah wohl ein Bischen blaß aus, aber durchaus nicht verzweifelt – eher verklärt.

„Geliebtes Kind,“ sagt die Mama (etwas feierlich, was bei Lucie stets die Wirkung verfehlt), „es ist natürlich, daß Du bei Deiner Jugend und Unerfahrenheit Dir den schönen Glauben an die Menschheit noch bewahrt hast … Ich will ihn Dir im Allgemeinen auch nicht zerstören, aber es giebt Ausnahmen – unter den Künstlern namentlich! – wo man nicht für bare Münze nehmen darf, was versichert wird.“

Lucie, welche ihrer Mutter gegenübersteht, faltet die Hände und sieht ruhig zu ihr auf, was diese etwas aus der Fassung bringt.

„Deine Leichtgläubigkeit wird Dir noch schmerzliche Erfahrungen bereiten … Papa und ich haben uns schon Vorwürfe gemacht, in einer Sache … in einer sehr delikaten Sache …“

Um Luciens Mund zuckt’s; ihr Ausdruck wird etwas muthwillig.

„Lucie, ist es denn unmöglich, über eine so wichtige Angelegenheit ernst mit Dir zu reden?“

„Du hältst mir eine kleine Predigt, Mama, und ich höre zu.“

Mama schweigt entrüstet. Papa bewundert Lucie und bemüht sich, es nicht zu zeigen.

Nach einer Pause fängt Mama noch einmal an:

„Sage einmal, Lucie – denn schließlich müssen wir es doch erfahren – liebst Du den Maler?“

Jetzt wird Lucie sehr roth und sieht ernsthaft zu Boden.

„Du weißt, daß er sich mit einer Andern verlobt hat!“

Lucie schüttelt energisch den Kopf.

„Du hast es doch selbst gehört!“

„Ich glaube es nicht!“

„Weil er Dich gestern schmachtend angesehen hat?“

„Mama! …“

„Quäle sie doch nicht, Karoline!“

„Ist es nicht meine Pflicht, sie zu warnen? Lucie – es ist mir leid, es sagen zu müssen: Künstler sind eben Menschen, die man nicht ernsthaft nehmen darf … Man überschätzt sie heutigen Tages sehr. Das hat sie übermüthig gemacht und frivol …“

„Mama,“ sagt Lucie sehr ernst und fest, „thu’ mir den einzigen Gefallen und sage nichts gegen diesen Maler, bis Du es auch beweisen kannst … Ich halte zu ihm, es wird sich schon zeigen, daß er …“ hier ist ihre Fassung zu Ende; sie läuft in ihr Zimmer und schließt die Thür hinter sich ab.

Beide Eltern stehen sich eine Weile sprachlos gegenüber.

„Sie liebt ihn! Das ist ja klar … diese Energie!“ sagt bewundernd der Vater.

„Wir werden noch hübsche Tänze mit ihr haben! Das kommt von Deiner Verwöhnung!“ sagt die Mutter, welche nicht bewundert.

„So halt’ ich’s nicht länger aus! Ich gehe zu Schaumlöffel – in die Wohnung wenigstens. Weißt Du – mir kommt eine Idee – vielleicht hat sich sein Vetter verlobt, der junge Mann, den ich zuerst dort traf.“

„Nein! Der Maler ist’s, der heirathet; der Maler vom ,Sommerabend‘ und all dem Zeug!“

Dunby ist plötzlich ein anderer Gedanke gekommen – ohne weitere Erörterungen ist er fortgestürzt.

*  *  *

Oskar hat das Album mit nach Hause genommen und die kleine Zeichnung von Lucie vollends verdorben. Es war vorauszusehen, daß er sie nicht in Ruhe lassen würde, da sie dem Original wenig entsprach. Ebenso war vorauszusehen, daß er sie in seiner Gemüthsstimmnng und bei geringer Begabung nicht verbessern würde. Heute hat er nichts gefrühstückt. Fritz ist mit seiner Bemühung, ihm Angenehmes von der kleinen „Miß“ zu erzählen, gestern so schlecht angekommen, daß er sich heute nicht getraut, sie nur zu erwähnen. Fritz fängt jetzt an, die Rückkehr seines Herrn sehr zu wünschen.

„Als frischgebackener Bräutigam,“ denkt er, „wird mein Herr das Malheur mit der Fayence sich vielleicht gar nicht so zu Gemüth nehmen!“ Selbstverständlich ist für Fritz die Verlobungsgeschichte keine Neuigkeit. Er kennt ja längst das Bild von dem blonden Mädchen, und die „Abgötterei“, die Paul damit trieb, war ihm nicht verborgen.

„Heiliger Antoni – das muß schon wieder der Amerikaner sein! – Das ist sein Gebimmel!“ fährt er plötzlich auf; die Klingel wirbelt ordentlich.

„Ist Ihr Herr verreist?“

„Ja – das heißt: nein – er ist oben!“

Diesmal fragt Dunby nicht erst, ob man ihn auch annehmen wolle. Er folgt dem Diener auf dem Fuß.

Ja – da steht der Maler …

„Sind also nicht zu Ihrer Braut gereist,“ stößt Dunby etwas heftig hervor. „Ich hörte gestern als gewiß, Sie wollten sich verloben …“

„Ich? … O mein Gott!“ schreit Oskar plötzlich auf. „Sie haben mich für den Maler gehalten!“ – Mit einem Male ist ihm die ganze höllische Verwechslung klar geworden. Wie vernichtet bricht er zusammen.

„Sie … sind … nicht … der Maler Schaumlöffel?“

Selbst Dunby hat die Farbe gewechselt.

„Das ist Luciens Tod!“ denkt er, und das macht ihn ungerecht. „Sie haben uns betrogen!“ stöhnt er. „Mein Kind liebt Sie … natürlich Sie – das heißt, den großen Mann, für den das arme Geschöpf Sie hielt!“

„Ich habe mich nie für einen Andern ausgegeben … und wenn mein Vetter, der Maler, in so schändlicher Weise sein Spiel mit mir getrieben, so soll er’s büßen! … Darum also! Darum hatte sie mich gern! Und ohne den ungeheuren Betrug auch nur zu ahnen, habe ich ihn mit durchführen helfen!“

„Verzeihen Sie!“ ruft der Amerikaner, dieser aufrichtigen Verzweiflung gegenüber selbst erschüttert. „Daß Sie unschuldig sind, das sehe ich ja! So sind Sie eigentlich gar kein Maler?“ (Hat Karoline nicht einen Blick für Alles! Erstaunlich!)

Oskar zuckt die Achseln.

„Natürlich – ich hätte bei Ihren Kenntnissen in den Naturwissenschaften nicht in Zweifel sein dürfen – aber Ihr Vetter stellte Alles so natürlich dar … und von einer falschen Voraussetzung einmal ausgehend, die durchaus glaubwürdig war, ließ man sich bethören. Ihr Vetter sagte, die Chemie sei nur ein augenblickliches Steckenpferd … Sie wären der Malerei jetzt etwas müde … Wir sollten mit Ihnen nicht davon reden.“

„Mein Vetter muß sofort zurück, um mir Rechenschaft zu geben!“

„Aber er verlobt sich ja heut?“

„Gleichviel – er ist das meiner Ehre schuldig!“

„Ihre Ehre ist rein, mein werther Herr Schaumlöffel – und wenn Lucie dächte wie ich … Hier, meine Hand – ich schätze Sie nicht weniger, wenn Sie auch kein Maler sind!“

Oskar’s Gram wird freilich dadurch nicht sehr gemindert. Die Achtung ihres Vaters ist eine schöne Sache, aber kein Ersatz für Luciens Liebe – er ringt in bitterer Pein die Hände. War das Schicksal nicht zu grausam mit ihm umgegangen? Nun hat das Auge eines reizenden Mädchens einmal mit Interesse auf ihm geruht, aber das Interesse galt einem falschen Namen, einer Maske, die sein boshafter Vetter ihm übergeworfen!

„Ich gebe die Hoffnung noch nicht auf, daß Lucie denkt wie ich,“ fängt der gutmüthige Amerikaner wieder an, welcher den Schwergebeugten gern etwas aufrichten möchte. „Es ist auf Frauen nur leider kein rechter Verlaß –“

Oskar hat auch nicht die geringste Hoffnung. Er will seinen Vetter nur herbeirufen, damit dieser seine Ehre bei Lucie wieder herstellt. Ohne diese wiederzusehen, will er dann fort. Gleichviel wohin! Sein Leben ist nun wirklich gebrochen.

Er sendet Fritz – keine Ursache, diesem etwas zu verbergen, der in dem widrigen Spiel selbst eine Rolle übernommen hatte – mit ein paar Worten an die nächste Telegraphenstation:

„Komm sofort und verantworte Dich!“

„Mein Vetter wird in höchstens drei Stunden hier sein,“ sagt er, nach der Uhr sehend, dem Amerikaner.

[874] „Wie wäre es,“ meint dieser, „wenn Sie mich bis dahin nach irgend einem Keller begleiteten?“

„Wie können Sie daran denken!“ ruft Oskar. „Ihre Tochter wird mich verachten – und ich soll mich zerstreuen! Sie wird ja nicht begreifen, daß ich die Sache nicht von Anfang an durchschaute! Vom ersten Abend an hätte ich ja darauf kommen müssen, daß Miß Dunby mich für einen Andern hielt!“

„Nicht für einen Bessern in meiner Schätzung, mein verehrter junger Freund! Die Sache war so listig von Ihrem Vetter ersonnen … Sie malen auch; wir sind hier fremd; es kam Alles zusammen!“

„Er soll mir’s büßen! Deßhalb sollte ich Ihnen auch verschweigen, daß ich in Amerika gewesen bin …“

„Sie waren drüben?“

„Jahrelang.“

Dunby schüttelte ihm herzlich die Hand. „Gehen Sie mit mir wieder zurück. Geben Sie Acht – Sie bringen’s in Amerika mit ein Bischen Nachhilfe gerade so weit auf einem andern Felde, wie Ihr Vetter hier zu Lande! … (Armer Mensch, wie ihn das mitnimmt! denkt er, wenn er in das gramgebeugte Gesicht Oskar’s blickt, der wie in großer Angst die Hände manchmal in einander preßt.) Wissen Sie, diese Geschichte muß Ihr Vetter meinen Damen selbst erzählen. Offen gestanden, ich getraue mich kaum. Wenn Sie mich nicht hinauswerfen, denke ich, es ist am besten, wir bleiben zusammen, bis der Maler kommt.“

Oskar drückt ihm stillschweigend die Hand.

„Netter Mensch sonst, so durchtrieben er ist, dieser Maler,“ sagt Dunby, der es für seine Pflicht hält, von Zeit zu Zeit eine Bemerkung zu machen. „Soll mich wundern, wie er sich anstellen wird, wenn er sieht, was aus dem Scherz geworden ist.“

Natürlich erfährt Oskar auch durch Dunby, was man gestern beim amerikanischen Konsul erzählte. Was ihn allein interessirt, ist Luciens Auffassung von der Sache.

Die drei Stunden sind noch nicht abgelaufen, als der Maler hereinstürzt – der echte diesmal.

„Was hab’ ich – ach, was hab’ ich da angerichtet!“ ruft er schuldbewußt, als er seinen Vetter sieht, und will auf ihn zu. Dieser stößt ihn heftig von sich:

„Du hast nicht allein Gram, Du hast Schande auf mich gehäuft! Du hast mich zu einem Betrüger gemacht!“

„Du armer, lieber Junge!“ ruft Paul in seinem alten herzlichen Ton, „alle Schuld trifft ja nur mich! Ich sagte es Ihnen ja neulich schon,“ fuhr er, zu dem Amerikaner gewendet, fort, „was für lose Bursche unter uns Malern stecken – da haben Sie einen vor sich! Häufen Sie all Ihren Zorn auf mich, wenn Sie welchen haben! Dieser da ist der edelste, beste und klügste Mensch unter der Sonne! Es versteht sich, daß ich zu jeder Satisfaktion bereit bin, obgleich ich nicht leugnen kann, daß es mir sehr unangenehm wäre, todtgeschossen oder -gestochen zu werden! Ein kleines blondes Mädchen würde die Sache nicht leicht nehmen!“

Der Amerikaner läßt sich nicht lange bitten, seine Rechte in die von Paul zu legen, der sie herzlich schüttelt.

„Die Sache ist nur die,“ sagt Dunby, „es muß ja doch heraus, daß meine Tochter und der vermeintliche Maler dort unter der Zeit gut Freund geworden sind … Frauen, sehen Sie, da kann Einer alt werden und lernt sie nicht aus – und so kann ich eben nicht dafür stehen, wie meine Tochter die Sache auffassen wird, wenn sie von dem Irrthum erfährt.“

„Mein lieber Mister Dunby,“ entgegnet Paul, diesmal ziemlich ernst, „für eine richtige Frau kann man allemal einstehen – die hängt am Mann und nicht am Namen. Wenn Ihre Tochter meinen Vetter liebt, der zehnmal mehr werth ist als ich, so wird sie ihn weiter lieb haben. Hat sie sich aber nur in einen Malpinsel verschossen, so lassen wir sie laufen – dann ist sie meines Oskar’s gar nicht Werth, und er muß froh sein, daß er sie wieder los wird! Aber wir wollen nichts Uebles von ihr reden, eh’ wir sie gefragt haben. Wo steckt sie denn?“

Also entschied Paul in seiner freimüthigen Art, und nun bemächtigte er sich, trotz allen Widerstrebens, einer von Oskar’s Händen, die er mit einer Innigkeit drückte, als ob’s der Mietze Hand wäre. Nein, noch etwas mehr, denn der Mietze kleine Patschhand hätte das gar nicht ausgehalten.

„Und jetzt zu Ihrer Tochter! Nur nicht den Kopf hängen lassen, eh’s nothwendig ist, mein lieber, alter Junge! – Sie stellen mich doch Ihren Damen vor, Mister Dunby?“ sagt er, diesen unter den Arm fassend. –

Mutter und Tochter sind Beide im Zimmer, als der Amerikaner mit Paul eintritt.

„Da … hier, das ist der echte Schaumlöffel … welcher –“ beginnt Dunby etwas stockend.

„Erlauben Sie, daß ich mich selbst einführe,“ unterbricht Paul, auf Lucie zugehend, die ihm, trotz der Mietze, gleich sehr gut gefällt – „nicht als der echte, denn wenn in einem der beiden Schaumlöffel etwas Unechtes steckt, dann wahrlich eher in mir, als in dem andern! – Mein Fräulein, als ich neulich in meinem Atelier die Bekanntschaft Ihres Herrn Vaters machte, da hatte der Gedanke an ein liebes und schönes Mädchen, mit dem Sie zweifellos bald Freundschaft schließen werden, mich etwas toll gemacht. Die Liebe wirkt auf Künstler mitunter noch berauschender als auf andere Menschen. Als Ihr Herr Vater mir damals anvertraute, seine Tochter wünsche Unterricht bei mir zu nehmen, da erschrak ich – ich kannte Sie ja nicht! … Eine schlimme Idee kam mir plötzlich, meinen Vetter, der ja auch Studien auf der Akademie gemacht hat, an meine Stelle zu schieben … Wenn ich damit meines Vetters Lebensglück – der Sie liebt, wie ein echter, tüchtiger Mann eine Frau nur zu lieben vermag, vernichtet habe – so giebt’s, trotz meiner Braut, auch für mich keine Lebensfreude mehr. Denn dann wird ein loser Streich, den ich verübt, zur schweren Schuld. Wenn aber, was Gott fügen möge, für meinen Oskar Glück daraus erblüht …“ er faßt nach Luciens Hand, seine Stimme klingt bewegt.

„Nun, Lucie – was willst Du thun?“ fragt der Vater.

„Ich – ich möchte Oskar glücklich machen … aber er wird ja gar nicht glauben, daß ich’s kann …“ flüstert sie ganz leise mit gesenkten Augen.

Aber sie hat die Worte noch kaum zu Ende gesprochen, als Paul sie ans Herz zieht und zum Erstaunen der Eltern lange und herzhaft küßt. Er ist in dem Augenblick so selig, daß er Jemand umarmen muß.

Möglich, daß er sogar die alte Dunby geküßt, wenn sie ihn, am nächsten gestanden Hütte; was freilich nun unentschieden bleibt.

Der hat den gewissen Lirum Larum – das ist ein echter Maler!“ ruft Mrs. Dunby ihrem Gatten zu. „Na, mich hat man ja auch nicht hinters Licht geführt!“

Es versteht sich, daß Paul nun keine Ruhe läßt, bis man zu Oskar ins Atelier fährt. Er hatte vorgeschlagen, mit Lucie voran zu eilen, falls die Eltern nicht bereit wären, denn seine „Kousine“ könne man ihm schon anvertrauen. Aber die Eltern waren bereit.

*  *  *

Oskar’s Glück kann sich Jeder selbst ausmalen, und so bleibt nur Eins noch zu erwähnen. Paul hat nämlich, als er Luciens Mappe durchsah, wirkliches Talent fürs Malen bei ihr zu entdecken gemeint. Und Paul ist hier durchaus nicht leicht zu bestechen. Eine Amerikanerin aber giebt ohnedies – trotz glücklicher Liebe – nicht so leicht auf, was sie sich einmal in den Kopf gesetzt hat, und Lucie ist darum auch fest entschlossen, wieder einmal den Beweis zu liefern: daß eine Frau einen Mann glücklich machen könne, auch wenn sie nebenbei noch etwas Tüchtiges lernt. Wie sie den Beweis durchführen wird, darüber kann freilich erst die Zukunft entscheiden. Jedenfalls wird man nach Paul’s Dafürhalten – der sie ein Jahr lang in München unterrichten will, wo sie mit den Eltern bis zur Hochzeit bleibt – in einem, spätestens anderthalb Jahren, schon etwas von ihren Arbeiten im Münchener Kunstverein zu sehen bekommen.

Es wäre indiskret, ihren wahren Namen zu verrathen, aber da die Charaktereigenthümlichkeit des Menschen sich stets in seiner geistigen Arbeit zu erkennen giebt, so ist es ja nicht unmöglich, daß einer oder der andere Leser das intelligente Wesen aus ihren Arbeiten erräth und sich auch darum für ihre Bilder interessirt.


  1. Dult – Jahrmarkt