Die formellen Gesetze

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Autor: Paul Schoen
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Titel: Die formellen Gesetze
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aus: Handbuch der Politik Erster Band, Viertes Hauptstück: Die Gesetzgebung, Abschnitt 21. S. 293−301
Herausgeber: Paul Laban, Adolf Wach, Adolf Wagner, Georg Jellinek, Karl Lamprecht, Franz von Liszt, Georg von Schanz, Fritz Berolzheimer
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Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Dr. Walther Rothschild
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Erscheinungsort: Berlin und Leipzig
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[293]
21. Abschnitt.


Die formellen Gesetze.
Von
Dr. Paul Schoen,
o. Professor der Rechte an der Universität Göttingen.


Literatur:[Bearbeiten]

Jellinek, Gesetz und Verordnung (1887);
G. Meyer, Anteil der Reichsorgane an der Reichsgesetzgebung (1889);
v. Martitz, Über den konstitut. Begriff d. Gesetzes (Ztschr. f. d. ges. Staatswiss. XXXVI., 1880, S. 241 ff);
Haenel, Studien II (1880);
Anschütz, Begriff der gesetzgebenden Gewalt (2. Auflg. 1901);
Derselbe, Grundzüge des deutschen Staatsrechtes, i. Köhlers Enzyklop. d. Rechtswissenschaften (7. Auflg. 1913) IV;
v. Seydel, Komm. z. R.-Verf. (2. Auflg. 1897) S. 41 ff. 171 ff;

die Lehrbücher des Staats- und Verwaltungsrechtes bes.

Laband St. R. (4. Auflg. 1901) II S. 1 ff;
G. Meyer St. R. (6. Auflg., bearb. von Anschütz 1905), S. 549 ff;
Haenel St. R. I (1892) S. 238 ff,
Zorn St. R. I (2. Aufig. 1893) S. 392 ff, 407 ff;
Arndt St. R. (1901) S. 156 ff;
Schulze, Preuss. St. R. (2. Aufl. 1890) II S. 1 ff;
v. Seydel, Bayer. St. R. (2. Auflg. 1896) II S. 306 ff;
Loening, Verw. R. (1884) S. 225 ff;
O. Mayer, Verw. R. I (1895) S. 67 ff.

I. Unter einem formellen Gesetze versteht die herrschende Theorie[1] des konstitutionellen Staatsrechtes, der auch die Praxis der höchsten Gerichtshöfe sich angeschlossen hat, jede durch ein verfassungsmässig geordnetes Zusammenwirken des Trägers der Staatsgewalt und der Volksvertretung zustande gekommene staatliche Willenserklärung. Dieser formelle Gesetzesbegriff ist im konstitutionellen Staate neben den alten materiellen Gesetzesbegriff getreten, der identisch ist mit [294] dem Begriffe der Rechtsnorm, also, ohne Rücksicht auf ihr formelles Zustandekommen, jede Norm umfasst, die gebietend oder verbietend eingreift in den Rechtsstand der Regierten. Ein formelles Gesetz ist überall da gegeben, wo eine staatliche Willenserklärung in der bezeichneten Weise (näheres unten zu IV) zustande gekommen ist. Auf den Inhalt der Norm, auf den allein der materielle Gesetzesbegriff abgestellt ist, kommt es für den formellen garnicht an. Ein formelles Gesetz kann eine Rechtsnorm enthalten und ist dann auch im materiellen Sinne Gesetz, es kann aber auch eine nicht als Rechtsnorm anzusprechende Norm enthalten, wie wenn es eine Veräusserung von Staatsgütern oder eine Aufnahme einer Anleihe anordnet, und ist dann im materiellen Sinne nicht Gesetz, sondern Verordnung oder Verfügung (s. unten S. 292 f). Die Wirkung des formellen Gesetzes ist zunächst dieselbe wie die des materiellen: es bindet jeden, den es nach Massgabe seines Inhaltes angeht. Sodann aber noch eine weitere, dem formellen Gesetze spezifisch eigentümliche, die zusammenhängt mit seiner besonderen Entstehungsart: es wirkt vermöge der ihm innewohnenden sog. formellen Gesetzeskraft, dass die Bestimmungen, die es trifft, nur auf dem Wege, auf dem sie entstanden sind, also nur durch ein neues formelles Gesetz abgeändert oder aufgehoben werden können. Die Erklärung des Staatswillens in Form des Gesetzes ist die wirksamste und autoritativste. Daher kann, was in dieser Form angeordnet ist, nicht durch eine in einfacherer Form (im Wege der Verordnung s. unten 293) abgegebene staatliche Willenserklärung geändert werden. Wohl aber können alle Normen, die nicht im Wege der Gesetzgebung emaniert sind, durch das formelle Gesetz geändert und aufgehoben werden.

In welchem Sinne der Ausdruck Gesetz im einzelnen Falle in einer im konstitutionellen Staate ergangenen Vorschrift gebraucht ist, kann, sofern sich nicht, um Zweifel auszuschliessen, der Gesetzgeber hierüber ausdrücklich erklärt hat[2] nur aus dem Zusammenhange entnommen werden.[3] In der modernen Literatur wird das Wort Gesetz meistens im formellen Sinne gebraucht.

II. Ist nach dem Vorangehenden jedes formelle Gesetz eine Schranke der Bewegungsfreiheit der Regierung, die sie allein (d. h. ohne Mitwirkung der Volksvertretung) nicht mehr beseitigen kann, so ist es eine der wichtigsten Fragen des praktischen Staatslebens, wann eine staatliche Willenserklärung in Form des Gesetzes abgegeben werden muss und wann die zur Disposition der Regierung stehende Verordnung genügt. Aus dem Wesen des formellen Gesetzes lässt diese Frage sich nicht beantworten. Die in Betracht kommenden Verfassungsvorschriften aber sind nicht überall auf den ersten Blick klar und eindeutig, und so ist die Frage nach dem Vorbehaltsgebiete des formellen Gesetzes eine sehr umstrittene. Die heute zweifellos herrschende Meinung, die schon um deswillen die annehmbarste ist, weil sie die Entstehungsgeschichte der umstrittenen Verfassungsvorschriften für sich hat,[4] geht dahin, dass Rechtsvorschriften stets im Wege der Gesetzgebung erlassen werden müssen; wobei dann unter Rechtsvorschriften solche Vorschriften verstanden werden, die in den Rechtsstand der Regierten eingreifen oder, wie dieses eine in mehreren Verfassungsurkunden sich findende Formel ausdrückt, „die Freiheit der Personen und das Eigentum der Staatsangehörigen betreffen“. Staatliche Willenserklärungen, die nicht neue Rechtsvorschriften enthalten, müssen nur dann in die Form des Gesetzes gekleidet werden, wenn diese gesetzlich ausdrücklich vorgeschrieben ist – wie z. B. für den Etat, für die Aufnahme von Anleihen, Übernahme von Garantien (R. Verf. Art. 69, 73; preuss. Verf. Art. 99, 103) und andere Verwaltungshandlungen, oder für die Urteilssprüche, welche der Bundesrat auf Grund des Art. 76 Abs. 2 der R. Verf. zu fällen hat – , oder wenn sie [295] Normen abändern wollen, die ein formelles Gesetz aufgestellt hat; im übrigen genügt für sie die Form der Verordnung. Der Staat kann natürlich auch Willenserklärungen, die keine Rechtsvorschriften enthalten, im formellen Gesetze abgeben, denn in der Form des Gesetzes kann eben jede staatliche Willenserklärung abgegeben werden, die etwas ordnen und regeln will. Zum Erlasse von Rechtsvorschriften im Wege der Verordnung ist die Regierung nur befugt, wenn ein formelles Gesetz sie dazu ermächtigt.

III. In dem deutschen Reiche als einem Bundesstaate können sowohl die Einzelstaaten wie der Gesamtstaat Gesetze erlassen, und daraus entsteht eine zweite Kompetenzfrage, die Frage: wann ein Reichsgesetz und wann ein Landesgesetz d. h. ein Gesetz des Einzelstaates erlassen werden muss bezw. kann; sie deckt sich mit der Frage, wieweit das Reich und wieweit die Einzelstaaten überhaupt zur Rechtssetzung kompetent sind, denn soweit die beiderseitige Gesetzgebungsbefugnis reicht, reicht auch sachlich das beiderseitige Verordnungsrecht. Die Antwort auf diese Frage ist zu entnehmen aus Art. 2 der R. Verf., welcher sagt: „Innerhalb dieses Bundesgebietes übt das Reich das Recht der Gesetzgebung nach Massgabe des Inhalts dieser Verfassung und mit der Wirkung aus, dass die Reichsgesetze den Landesgesetzen vorgehen.“ Danach ist das Reich befugt, gegenständlich Gesetze zu erlassen, soweit nach dem Inhalte der Verf. seine Kompetenz reicht, also nicht nur soweit ihm durch Bestimmungen dieser, wie besonders durch Art. 4, eine Gesetzgebungskompetenz ausdrücklich beigelegt ist, sondern darüber hinaus, soweit nach dem ganzen Inhalte der R. Verf . eine Angelegenheit als Reichs- und nicht als Landessache erscheint; das Reich kann daher die Organisation, die Amtsbefugnisse und Pflichten seiner Behörden, die rechtliche Stellung seiner Beamten, die Verwaltung der Reichsanstalten, die Rechtslage der Schutzgebiete und anderes durch Reichsgesetze ordnen, ohne dass eine Verfassungsklausel es zu dieser Gesetzgebung ermächtigt. Nun folgt aber daraus, dass eine Angelegenheit in die Gesetzgebungskompetenz des Reiches fällt, an sich noch nicht, dass sie der der Einzelstaaten entzogen ist. Eine ausschliessliche ist die Gesetzgebungskompetenz des Reiches nur: a) da, wo die Verfassung sie ausdrücklich für eine solche erklärt hat, wie z. B. bezüglich des gesamten Zollwesens und der Besteuerung gewisser im Bundesgebiete gewonnener Produkte (Art. 35, 40), gewisser Teile der Post- und Telegraphengesetzgebung (Art. 52 Abs. 2, 3), der Militärgesetzgebung (Art. 61), und b) hinsichtlich der Gegenstände, die ihrer Natur nach nicht der Machtsphäre eines Einzelstaates unterstehen, wie das Konsulatswesen (Art. 56), die Kriegsmarine (Art. 53), die Reichspost und Telegraphie, soweit sie eine Reichsanstalt ist (Art. 48–52, vgl. 52 Abs. 1), das Reichsland, die Schutzgebiete u. a. Über diese der Reichsgesetzgebung ausschliesslich vorbehaltenen Angelegenheiten hinaus besteht, soweit die Gesetzgebungskompetenz des Reiches reicht, neben dieser die der Einzelstaaten, jedoch nur solange, als das Reich die betreffende Angelegenheit nicht reichsgesetzlich geordnet hat. Sobald das Reich von seiner Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch macht, zessiert die Gesetzgebungsbefugnis der Einzelstaaten, und zwar in dem Umfange, in welchem der Reichsgesetzgeber sie beseitigen will. Geht seine Absicht dahin, mit dem von ihm erlassenen Gesetze eine Materie erschöpfend zu regeln, so ist in dieser Materie für eine Landesgesetzgebung überhaupt kein Raum mehr, selbst wenn die reichsgesetzliche Regelung sich als eine lückenhafte erweist. Hat dagegen der Reichsgesetzgeber erweislich nicht diese Absicht gehabt, so können noch Landesgesetze zur Ergänzung des Reichsgesetzes erlassen werden. Bestehende Landesgesetze, die einem neu erlassenen Reichsgesetze widersprechen oder sich inhaltlich mit ihm decken, treten mit dessen Erlass ohne weiteres ausser Kraft. Zeitlich nach einem Reichsgesetze erlassene Landesgesetze, die ihm widersprechen oder es wiederholen, sind von Anfang an nichtig. Dasselbe gilt von Landesgesetzen, die Reichsgesetze auslegen oder erläutern wollen.

Soweit nach dem Vorangehenden eine Gesetzgebungskompetenz des Reiches nicht begründet ist, besteht die ausschliessliche Gesetzgebungskompetenz der Einzelstaaten.

Entstehen Meinungsverschiedenheiten zwischen der Reichsregierung und einer Landesregierung über den Fortbestand oder die Zulässigkeit einer landesgesetzlichen Bestimmung, so hat der Bundesrat auf Grund des Art. 7 Ziff. 3 R. Verf. darüber zu beschliessen. Im einzelnen Anwendungsfalle hat der Richter zu prüfen, ob ein Landesgesetz mit Reichsgesetzen im Widerspruche steht, und bejahenden Falles jenem die Anwendung zu versagen.

[296] Zu den Reichsgesetzen gehören auch die sog. Landesgesetze für Elsass-Lothringen. Diese sind ihrem inneren Wesen nach Reichsgesetze und nicht Landesgesetze wie die Gesetze der deutschen Einzelstaaten. Sie werden erlassen von der Reichsgewalt und nicht von einer von dieser verschiedenen Landesstaatsgewalt, wie eine solche über Elsass-Lothringen überhaupt nicht besteht. Als Landesgesetze erscheinen sie nur äusserlich insofern, als sie nur in dem Reichslande Geltung haben, gegenständlich sich auf diejenigen Angelegenheiten beziehen, die im übrigen Reichsgebiete den Bereich der Landesgesetzgebung ausmachen und auch, nicht wie die gewöhnlichen Reichsgesetze, sondern in einem durchaus dem Wege der Landesgesetzgebung nachgebildeten Prozesse zustande kommen (vgl. unten S. 291).

IV. Das Zustandekommen des formellen Gesetzes vollzieht sich in bestimmten aufeinander folgenden Akten, die zusammenfassend der „Weg der Gesetzgebung“ genannt werden. Die Zahl und die Reihenfolge dieser Akte ist in den monarchischen Einzelstaaten und im Reiche dieselbe, nur ihre Ausgestaltung im einzelnen ist hier und dort eine mehrfach verschiedene; in den freien Städten dagegen vereinfacht sich der Gesetzgebungsprozess durch den Wegfall des Sanktionsaktes.

1. Der Weg der Gesetzgebung in den monarchischen Einzelstaaten.

a) Er beginnt für die juristische Betrachtung mit der Einbringung des Gesetzentwurfes bei der Volksvertretung. Alles was dieser vorangeht, insbesondere die Ausarbeitung des Entwurfes, die durch ein staatliches Organ wie auch von privater Seite stattfinden kann, entzieht sich der rechtlichen Erörterung. Das Recht, einen Gesetzentwurf einzubringen, die sog. Initiative, hatte nach dem älteren Verfassungsrechte regelmässig allein der Landesherr, heute steht es nach den meisten Verfassungen wie diesem so auch der Volksvertretung zu. Wo das Zweikammersystem besteht, hat jede der Kammern das Recht der Initiative, und in jeder Kammer kann wieder jedes Mitglied, wenn es die geschäftsordnungsmässige Unterstützung findet, die Beratung eines Gesetzentwurfes beantragen. Die Regierung kann in Staaten mit dem Zweikammersysteme ihre Gesetzesvorschläge nach Belieben entweder der ersten oder der zweiten Kammer zuerst vorlegen, wie auch sie in beiden zugleich einbringen. Nur den Staatshaushaltsetat und andere die Finanzen betreffende Gesetzentwürfe ist die Regierung verpflichtet, zuerst der zweiten Kammer vorzulegen, und soweit dieses der Fall ist, kann auch ein Recht der Initiative der ersten Kammer auf dem Gebiete der Finanzgesetzgebung nicht angenommen werden.[5]

b) Das zweite Stadium ist das der Feststellung des Gesetzesinhaltes, d. h. aller Bestimmungen, die Gesetz werden sollen. Diese erfolgt durch Vereinbarung der Regierung mit dem Landtage,[6] und zwar so, dass dabei die beiden, oder, wo das Zweikammersystem besteht, die drei gesetzgebenden Faktoren völlig gleichberechtigt sind. Jeder von ihnen kann den Entwurf nicht nur annehmen oder ablehnen, sondern auch Abänderungen und Zusätze („Amendements“) zu ihm beschliessen und von deren Annahme seitens der anderen Faktoren seine Zustimmung zum Ganzen abhängig machen. Nur die erste Kammer, und auch sie nur in Preussen und Hessen, ist in ihrer Beschlussfassung beschränkt, wenn es sich um den von der zweiten Kammer an sie gelangenden Staatshaushaltsetat handelt, indem sie diesen nur im ganzen annehmen oder ablehnen, nicht aber Änderungen zu einzelnen seiner Positionen beschliessen darf.[7] Kommt eine Vereinbarung der gesetzgebenden [297] Faktoren über den Gesetzentwurf nicht zustande, so ist die Vorlage gescheitert und sie kommt nicht mehr in die weiteren Stadien der Gesetzgebung. Eine Vereinbarung über sie liegt aber nur vor, wenn sie in allen Einzelheiten von der Regierung wie von dem Landtage angenommen ist; wo das Zweikammersystem besteht, sind übereinstimmende Annahmebeschlüsse beider Kammern erforderlich, sofern nicht wie in Sachsen, Württemberg, Baden und Hessen die Verfassung ein besonderes Verfahren vorsieht, in dem etwaige zwischen den Kammern gebliebene Differenzen ausgeglichen werden können, und dieses mit Erfolg angewandt ist. Die Kammern beschliessen über die Gesetzesvorlagen nach einfacher Mehrheit der Stimmen der in beschlussfähiger Anzahl anwesenden Mitglieder. Erschwerende Formen der Beschlussfassung sind gewöhnlich vorgesehen für verfassungsändernde Gesetze. Über sie kann die Kammer meistens (z. B. in Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Sachsen-Weimar) nur mit qualifizierter (zwei Drittel oder drei Viertel) Majorität beschliessen; mehrere Verfassungen (z.B. die bayerische, sächsische, badische, weimarische) verlangen überdies noch Anwesenheit einer grösseren Anzahl von Mitgliedern, als sie zur Gültigkeit anderer Beschlussfassungen erforderlich ist, und schreiben (wie z. B. die bayerische, sächsische) ausserdem noch eine wiederholte Beschlussfassung vor; am wenigsten erschwert sind, wenn man von einzelnen Kleinstaaten absieht, die Verfassungsänderungen in Preussen, wo zu ihnen lediglich zwei Abstimmungen in jeder Kammer nötig sind, zwischen denen ein Zeitraum von mindestens 21 Tagen liegen muss. – Ist nach dem Vorangehenden eine Vereinbarung der zwei oder drei beteiligten Faktoren über das, was als Gesetz erklärt werden soll, zustande gekommen, so ist der Gesetzentwurf weiter in der Form, die er nach dieser Vereinbarung hat, an das Organ zu bringen, dem die Sanktion d. h. der Erlass des Befehles zusteht, dass die vereinbarten Normen gelten sollen für jeden, den sie angehen.

c) Die Sanktion ist Ausübung der staatlichen Herrschaftsgewalt. Sie kann daher nur zustehen dem Träger der Staatsgewalt, in den deutschen Monarchien dem Landesherrn. Da sie eine festgestellte Norm voraussetzt, kann sie immer erst erfolgen, nachdem die Feststellung dieser durch alle zu ihr berufenen Faktoren beendet ist, also auch bei von der Regierung ausgehendem Gesetzesvorschlage nie schon mit dessen Vorlage an den Landtag. Der Landesherr steht dem ihm zur Sanktion vorgelegten Gesetzentwurfe völlig ungebunden gegenüber. Er hat frei darüber zu entscheiden, ob das zwischen ihm und dem Landtage vereinbarte Gesetz werden soll oder nicht, auch dann, wenn der Entwurf von ihm ausgegangen und von dem Landtage unverändert angenommen ist. Er darf aber zum Gesetze erheben nur einen verfassungsmässig behandelten Entwurf und hat daher vor Erteilung der Sanktion besonders zu prüfen, ob die verfassungsmässige Zustimmung der Kammern vorliegt. Eine zeitliche Grenze ist dem Landesherrn für diese Entschliessung nur vereinzelt gezogen, wie in Bayern, wo er nach dem Gesetz v. 19. Jan. 1872 Art. 40 die Sanktion spätestens beim Schlusse des Landtages im Landtags-Abschiede zu erteilen oder zu verweigern hat; fehlt es an solcher ausdrücklichen Bestimmung, so kann der Landesherr seine Entschliessung beliebig hinausschieben.[8] Was die Form der Sanktion anlangt, so kommt in Betracht, dass sie eine Regierungshandlung des Landesherrn ist, also einer Gegenzeichnung eines Ministers bedarf und daher schriftlich erklärt werden muss. In den deutschen Monarchien erscheint sie nun aber äusserlich überhaupt nicht als ein selbständiger Akt, sie fliesst tatsächlich zusammen mit einer anderen dem Landesherrn obliegenden Verrichtung, der Ausfertigung des Gesetzes. Indem der Landesherr diese vollzieht, erklärt er gleichzeitig seinen Sanktionswillen. In dem Gesetze selbst aber kommt der erklärte Sanktionswille in den das Gesetz eröffnenden Worten : „Wir . . . verordnen, mit Zustimmung der beiden Häuser des Landtages [298] (oder ähnlich), was folgt“ zum deutlichen Ausdrucke. Die Ausfertigung ist Ausstellung einer öffentlichen Urkunde über das Gesetz, die eine Bescheinigung über das Vorhandensein des Gesetzesbefehles, das ordnungsmässige Zustandegekommensein des Gesetzes und den richtigen Wortlaut des Gesetzestextes darstellt. Sie erfolgt dadurch, dass der Landesherr das mit dem Landtage vereinbarte, ihm in Schriftform vorgelegte Gesetz unter ministerieller Gegenzeichnung unterzeichnet. Das Datum dieser Urkunde ist das Datum des Gesetzes. Die Zurücknahme der Sanktion wie des in ihrem Gefolge erlassenen Publikationsbefehles (s. unter d) seitens des Landesherrn ist zulässig, solange diese Anordnungen noch nicht aus dem Regierungsorganismus herausgetreten sind, d. h. bis zur Verkündigung des Gesetzes,[9] die den letzten Akt des Gesetzgebungsprozesses ausmacht.

d) Die Verkündigung (Publikation) ist die amtliche Bekanntmachung der sanktionierten Normen nach der landesherrlich vollzogenen Gesetzesurkunde, an die das Recht die Wirkung knüpft, dass mit ihr das Gesetz als allgemein bekannt gilt und für jeden, den es angeht, verbindlich ist. Erst mit dieser Verkündigung ist das Gesetz als solches vorhanden, erst mit ihr liegt vor die notwendige Erklärung des Gesetzgebungswillens nach aussen hin. Sie hat zu erfolgen in dem gesetzlich dazu bestimmten Blatte (Gesetzsammlung, Gesetz- und Verordnungsblatt, Regierungsblatt u. a. genannt). Den Befehl zu dieser Verkündigung erteilt der Landesherr, er liegt in der Rückgabe der von ihm vollzogenen Gesetzesurkunde an den Minister zur weiteren Veranlassung. Das publizierte Gesetz tritt, sofern es nicht selbst einen Termin für sein Inkrafttreten bestimmt, in Kraft an dem Tage, an dem eine allgemeine landesgesetzliche Bestimmung die Landesgesetze in Kraft treten lässt (in Preussen z. B. nach dem Ges. vom 16. Februar 1874 mit dem vierzehnten Tage nach Ablauf desjenigen Tages, an welchem das betr. Stück der Gesetzsammlung in Berlin ausgegeben ist.) oder, wo es an solcher fehlt, sofort mit der Publikation.

2. Im Reiche wird nach Art. 5 der R. Verf. die Gesetzgebung „ausgeübt durch den Bundesrat und den Reichstag“. Und zwar ist die Stellung des Reichstages dabei die gleiche wie die der Landtage, die des Bundesrates die gleiche wie die der Monarchen in den Einzelstaaten, nur mit der Massgabe, dass die Tätigkeit des Bundesrates abschliesst mit der Sanktion. Die nach der Sanktion liegende, mehr formale Behandlung des Gesetzes, seine Ausfertigung und Verkündigung ist durch Art. 17 der R. Verf. dem Kaiser zugewiesen. Ausser dem Träger der Staatsgewalt und der Volksvertretung tritt hier also noch ein anderes Staatsorgan im Gesetzgebungsprozesse auf, der Kaiser, und Sanktion und Ausfertigung des Gesetzes fallen hier dadurch, dass sie verschiedenen Organen zugewiesen sind, auseinander – das sind die Momente, die dem Werdegange des Reichsgesetzes besonders charakterisch sind im Gegensatze zu dem des Landesgesetzes. Im einzelnen ist zu jenem noch folgendes zu bemerken:

a) Die Initiative zu einem Reichsgesetze hat der Bundesrat wie der Reichstag,[10] nicht aber der Kaiser; dieser kann nur, wie jeder andere Bundesfürst, im Bundesrate d. h. also als König von Preussen – denn als Kaiser ist er hier garnicht vertreten − einen Antrag auf Beratung eines Gesetzesvorschlages stellen (Art. 7 Abs. 2), ein Gesetzesvorschlag liegt dann aber erst vor, wenn der Bundesrat den preussischen Antrag angenommen hat.

b) Der Gesetzesinhalt wird vereinbart zwischen dem Bundesrate und dem Reichstage. Er ist festgestellt, wenn übereinstimmende Annahmebeschlüsse beider Körperschaften vorliegen. Im Reichstage genügt zur Annahme jedes Gesetzentwurfes ein einfacher Mehrheitsbeschluss (Art. 28). Im Bundesrate ist ein solcher hinreichend (Art. 7 Abs. 3), sofern es sich nicht um einen der folgenden vier Fälle handelt: 1. ein Gesetzentwurf, der eine Verfassungsänderung bezweckt, ist im Bundesrate schon abgelehnt, wenn er 14 Stimmen gegen sich hat (Art. 78 Abs. 1); [299] 2. greift ein solcher Gesetzentwurf in ein in der Reichsverfassung anerkanntes Sonderrecht ein, so ist er überdies stets abgelehnt, wenn der Staat, dessen Sonderrecht abgeändert werden soll, gegen ihn ist (Art. 78 Abs. 2); 3. Gesetzesvorschläge über das Militärwesen, die Kriegsmarine und die im Art. 35. bezeichneten Abgaben sind abgelehnt, wenn Preussen sich für die Aufrechthaltung der bestehenden Einrichtungen ausspricht (Art. 5 Abs. 2); 4. bei Abstimmungen über Gesetzesvorschläge, die Gegenstände betreffen, hinsichtlich deren einzelne Staaten auf Grund ihrer Reservatrechte von der Kompetenz des Reiches eximiert sind, werden nur die Stimmen derjenigen Staaten gezählt, für die das betreffende Gesetz zur Anwendung kommt (R. Verf. Art. 7 Abs. 4).

c) Sind die übereinstimmenden Mehrheitsbeschlüsse des Reichstages und Bundesrates in der Reihenfolge zustande gekommen, dass der Bundesrat sich zuletzt mit dem Entwurf beschäftigt und ihn in der vom Reichstage beschlossenen Form angenommen hat, so tritt die Sanktion überhaupt nicht als ein besonderer Akt in Erscheinung: sie liegt in dem den Entwurf annehmenden Beschlusse des Bundesrates. Anders, wenn die Übereinstimmung der beiden Körperschaften abschliessend durch einen Beschluss des Reichstages hergestellt wird, der die Vorlage in der vom Bundesrate beschlossenen Form annimmt; hier muss der Bundesrat über die Sanktion einen besonderen Beschluss fassen, da er sie erst aussprechen kann, nachdem zwischen ihm und dem Reichstage die Vereinbarung stattgefunden hat. Bei dieser Beschlussfassung ist er durch seine frühere Annahme des Entwurfes nicht gebunden; er kann ihm nach freiem Ermessen jetzt die Sanktion ebenso versagen wie erteilen. Dieses Sanktionsrecht des Bundesrates ist in der Reichsverfassung allerdings nirgend ausdrücklich anerkannt, es folgt aber aus der allgemeinen verfassungsrechtlichen Stellung des Bundesrates als Repräsentant des Trägers der Reichsgewalt (der verbündeten Regierungen) und ist überdem auch stillschweigend bestätigt durch Art. 7 Abs. 1 der R. Verf., nach dem der Bundesrat zu beschliessen hat über alle von dem Reichstage gefassten Beschlüsse, also auch über die Gesetzentwürfe, die der Reichstag nach ihm angenommen hat.[11] Den einmal gefassten Sanktionsbeschluss kann der Bundesrat wieder aufheben, solange das Gesetz noch nicht an den Kaiser (vgl. unten zu d) weitergegeben ist.

d) Das vom Bundesrate sanktionierte Gesetz ist gemäss Art. 17 R. Verf. vom Kaiser auszufertigen und zu verkündigen. Die Ausfertigung erfolgt dadurch, dass der Kaiser das in einer Urkunde aufgenommene Gesetz unter Gegenzeichnung des Reichskanzlers unterzeichnet. Er beurkundet damit, dass dieses das vom Bundesrate und Reichstage vereinbarte und von jenem sanktionierte Gesetz ist, und der Reichskanzler ist für die Richtigkeit dieser Erklärung verantwortlich. Ein Sanktions- oder Vetorecht ist dem Kaiser als solchem mit der Zuweisung dieser Ausfertigungskompetenz nicht beigelegt.[12] Er ist verpflichtet, die vom Bundesrate sanktionierten Gesetze auszufertigen [300] und zu publizieren und kann nie aus politischen Gründen einem Gesetze die Ausfertigung verweigern. Allein er hat doch nicht kritiklos alles auszufertigen und zu verkündigen, was ihm vom Bundesrate als Gesetz übermittelt ist,[13] sondern nur was wirklich ein Gesetz ist. Daher hat er, unbeschadet des Umstandes, dass der Bundesrat das verfassungsmässige Zustandekommen des Gesetzes vor Erteilung der Sanktion bereits geprüft und bejaht hat, zu untersuchen, ob das Gesetz formell den Verfassungsvorschriften entsprechend entstanden ist, und er muss dem Gesetze die Ausfertigung verweigern, wenn er, abweichend vom Bundesrate, zu einer Verneinung dieser Frage gelangt. Da nun aber in solchem Falle die zwischen dem Bundesrate und dem Kaiser vorliegende Meinungsverschiedenheit nicht durch Entscheidung einer höheren Instanz beseitigt werden kann, so bleibt das sanktionierte Gesetz unausgefertigt und kann demzufolge auch nicht verkündigt werden, solange nicht die nach Ansicht des Kaisers bestehenden formellen Mängel gehoben sind. Und so ist tatsächlich die Möglichkeit gegeben, dass der Kaiser, indem er einem Gesetze aus formellen Gründen die Ausfertigung versagt, ein Veto ausübt. – Die herkömmliche Eingangsformel der Reichsgesetze: „Wir Wilhelm . . . . verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags, was folgt“ bringt weder die Kompetenz, die der Kaiser, noch die, die der Bundesrat bei der Gesetzgebung hat, zum richtigen Ausdrucke, indem es nach ihr scheint, als ob der Kaiser die Sanktion erteilt, der Bundesrat dagegen nur wie eine neben dem Reichstage stehende zweite Kammer an der Feststellung des Gesetzesinhaltes beteiligt ist. Sie erklärt sich daraus, dass die Praxis sich einfach an die preussische Formel angelehnt hat.

e) Die Verkündigung der Reichsgesetze erfolgt auf Befehl des Kaisers in einem Reichsgesetzblatte, das unter Verantwortlichkeit des Reichskanzlers erscheint. Das so verkündete Reichsgesetz tritt in Kraft, sofern es nicht selbst einen anderen Anfangstermin seiner Verbindlichkeit bestimmt, mit dem vierzehnten Tage nach Ablauf desjenigen Tages, an dem das betreffende Stück des Reichsgesetzblattes in Berlin ausgegeben worden ist (R. Verf. Art. 2).

Die lediglich eine besondere Kategorie der formellen Reichsgesetze bildenden Landesgesetze für Elsass-Lothringen kommen nach dem Verf. Ges. vom 31. Mai 1911 Art. II §§ 5, 16 genau in derselben Weise zustande wie die Landesgesetze der deutschen Einzelstaaten, in denen das Zweikammersystem besteht. An die Stelle des Landesherrn tritt der Kaiser. Die Verkündigung dieser Gesetze hat in einem besonderen Gesetzblatte für Elsass-Lothringen zu erfolgen.

3. In den freien Städten hat sowohl der Senat wie die Bürgerschaft das Recht der Initiative. Zum Zustandekommen eines Gesetzes ist ein übereinstimmender Beschluss beider Körperschaften erforderlich. Die Ausfertigung und Verkündigung des Gesetzes steht dem Senate zu. Die Sanktion als ein besonderer Akt fehlt. Und dieses hängt damit zusammen, dass hier keiner der beiden an der Gesetzgebung beteiligten Faktoren dem anderen gegenüber die überragende Stellung des alleinigen Trägers der Staatsgewalt hat. Die Staatsgewalt steht gemeinschaftlich dem Senate und der Bürgerschaft zu. Beide zusammen geben die Gesetze und erteilen den Gesetzesbefehl. Die Erklärung dieses aber braucht nicht besonders zu erfolgen, sie liegt in der beiderseitigen Zustimmung zu dem Gesetzentwurfe.

V. Die formellen Gesetze unterliegen wie alles Recht einer richterlichen Kontrolle, die ausgeübt wird gelegentlich ihrer Anwendung im einzelnen Falle. Zweifellos hat der Richter jedes Gesetz anzuwenden, aber doch nur das wahre Gesetz, nicht auch das Scheingesetz; diesem hat er vielmehr die Anwendung zu versagen. Daraus folgt jedoch, dass der nur dem Gesetze unterstellte Richter, den niemand wie nur wieder das Gesetz anweisen kann, eine Norm als Gesetz anzusehen, die Befugnis haben muss zu prüfen, ob eine Norm, die sich als Gesetz ausgibt, auch wirklich ein Gesetz ist, d. h. unter Beteiligung der verfassungsmässig erforderlichen Organe und in den verfassungsmässig [301] bestimmten Formen zustande gekommen ist. In der neueren staatsrechtlichen Literatur geht allerdings eine starke Strömung dahin, dem Richter nur die Prüfung der formellen Erfordernisse der Publikation, nicht aber auch die der vorangehenden Akte einzuräumen[14]; allein diese Ansicht beruht auf der hier nicht geteilten, weil für das deutsche Staatsrecht nicht als zutreffend bewiesenen Auffassung, als ob die Gesetzesausfertigung in unanfechtbarer Weise das verfassungsmässige Zustandegekommensein des Gesetzes konstatiere. Nur da, wo das richterliche Prüfungsrecht durch positive Verfassungsbestimmungen in weiterem Umfange ausgeschlossen ist, wie in Preussen (Art. 106), Oldenburg (Art. 141 § 2), Braunschweig (§ 100) und einigen anderen Kleinstaaten, ist es beschränkt auf die Formalien der Publikation. Über die Pflicht des Richters, die Gültigkeit der Landesgesetze im Verhältnisse zu dem Reichsrechte zu prüfen, vgl. oben S. 286; ihr gegenüber kommen landesgesetzliche Beschränkungen des richterlichen Prüfungsrechtes nicht in Betracht.






  1. In den Hauptpunkten im wesentlichen übereinstimmend, vertreten besonders von Laband, G. Meyer, Jellinek, v. Seydel, Schulze, Anschütz, O. Mayer. Gegner dieser Theorie und der ganzen Unterscheidung von formellem und materiellem Gesetz besonders v. Martitz, Zorn, Haenel. Über den gegenwärtigen Stand der Lehre wie auch der Praxis eingehende Nachweisungen bei G. Meyer St. R bes. S. 549 f., Anm. 1 u. S. 560 f.
  2. wie z. B. in Art. 2 des Einf. Ges. z. B. G. B. „Gesetz im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches und dieses Gesetzes ist jede Rechtsnorm“, d. h. das Wort Gesetz ist hier stets gebraucht im materiellen Sinne. Ebenso Einf. Ges. z. Zivilprozessordnung Art. 12, z. Strafprozessordnung Art. 7, z. Konkursordnung Art. 2.
  3. Aus ihm ergibt sich z. B., dass in den Verf.-Urkunden das Wort Gesetz stets da im formellen Sinne gebraucht ist, wo die Regelung einer Angelegenheit durch Gesetz vorgeschrieben ist, indem es sich hier darum handelt, der Volksvertretung eine Beteiligung an dieser Regelung zu sichern. Vergl. z. B. preus. Verf. Urk. Art. 2, 5, 8, 9, 13 usw. (anders dagegen Art. 4: „Alle Preussen sind vor dem Gesetze gleich“, wo Gesetz zweifellos im materiellen Sinne gebraucht ist) oder Reichsverf. Art. 41, 69.
  4. Vgl. die bei G. Meyer St. R. S. 562 f., Anm. 6 u. 7 gegebenen, durch Anschütz ergänzten Nachweisungen.
  5. Die Frage ist allerdings bestritten; vgl. G. Meyer St. R. S. 5667, Arndt, Komm. z. Preuss. Verf., Anm. 2 zu Art. 64.
  6. Die Frage, ob auch die Eingangsworte des Gesetzes „Wir . . .“, die auch Bestimmungen von materieller Bedeutung z. B. über den örtlichen Geltungsbereich oder die Geltungsdauer des Gesetzes enthalten können, der Zustimmung der Volksvertretung bedürfen, ist mit Schulze a. a. O. S. 21 u. G. Meyer, Anteil, S. 57 zu bejahen, wie denn auch in der Praxis die Zustimmung der Volksvertretung auf sie ausgedehnt wird. And. Ans. Laband a. a. O. S. 32 f.
  7. In Baden und Württemberg, wo nach den Verf. Urk. § 60 und § 181 die erste Kammer eine ähnliche Stellung gegenüber allen von der zweiten Kammer beschlossenen Finanz- bezw. Abgabenbewilligungsgesetzentwürfen hatte, ist ihr durch die verfassungsändernden Gesetze 24. Aug. 1904 und 10. Juli 1906 auch diesen Gesetzentwürfen gegenüber das Amendierungsrecht eingeräumt, bei Staatshaushaltsetats allerdings nicht mit der gewöhnlichen Wirkung, indem diese bei wiederholt abweichender Beschlussfassung der zweiten Kammer doch in der von dieser beschlossenen Form für angenommen gelten.
  8. Bestritten! Einzelne Schriftsteller, bes. v. Roenne, Preuss. St. R. I § 94 S. 393, nehmen an, dass die Sanktion, auch wo dieses nicht bestimmt ist, spätestens bis zum Beginne der nächsten Sitzungsperiode des Landtages, andere, z. B. G. Meyer St. R. S. 570, Schulze, Pr. St. R. II S. 231 dass sie spätestens bis zum Ende der Legislaturperiode erfolgt sein müsse. Allein beide Ansichten, gezeitigt durch politische Erwägungen, entbehren einer rechtlichen Grundlage und sind daher von der heute herrschenden Ansicht verworfen. Nähere Nachweisungen bei G. Meyer a. a. O. S. 56918, 57019.
  9. Anders nur, wo, wie in Bayern, der Landesherr zu bestimmter Zeit dem Landtage über die Sanktion Mitteilung zu machen hat, und mit dieser Erklärung an das von ihm unabhängige Staatsorgan die Disposition über seine Anordnung verliert.
  10. Insbesondere kann der Reichstag, von dem es in Art. 23 der R. Verf. heisst, er „hat das Recht, innerhalb der Kompetenz des Reiches Gesetze vorzuschlagen“, auch verfassungsändernde Gesetze vorschlagen, da nach Art. 78 der R. Verf. auch Änderungen der Verf. in die Kompetenz des Reiches fallen.
  11. So auch die herrschende Ansicht, vertreten bes. von Laband St. R. S. 26 ff; v. Seydel Komm. S. 117; Zorn St. R. I S. 413; Meyer St. R. S. 581; Haenel. Studien II S. 52; Anschütz, i. d. Enzykl. S. 158. Die vereinzelt vertretene Ansicht (Nachweisungen bei Meyer a. a. O. Anm. 4), dass Reichsgesetze einfach durch Vereinbarung zwischen Bundesrat und Reichstag zustande kommen und einer Sanktion überhaupt nicht bedürfen, welche ihren Stützpunkt besonders in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 R. Verf. zu finden glaubt – ist unhaltbar. Wenn es hier heisst: „Die Übereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse beider Versammlungen ist zu einem Reichsgesetze erforderlich und ausreichend“, so sollte damit zweifellos nicht gesagt werden, dass das Reichsgesetz immer schon fertig ist, wenn Bundesrat und Reichstag sich über seinen Inhalt geeinigt haben. Dieser Auslegung steht schon Art. 7 Abs. 1 entgegen. Der Satz 2 des Art. 5 Abs. 1 hatte, wie sich aus seiner historischen Entstehung ergibt, lediglich den Zweck, im Gegensatze zum Erfordernisse der Einstimmigkeit, welches die deutsche Bundesakte für die Bundesversammlung anerkannt hatte, das prinzipielle Genügen der Mehrheitsbeschlüsse für Bundesrat und Reichstag ausdrücklich zu konstatieren. Laband a. a. O. S. 9; Haenel a. a. O. S. 51. Auch aus Art. 78 Abs. 1, der für gewisse Bundesratsbeschlüsse qualifizierte Mehrheit fordert, folgt, dass Satz 2 des Art. 5 Abs. 1 nur die Absicht gehabt haben kann, das eben gedachte Prinzip aufzustellen, nicht aber die, die Erfordernisse des Reichsgesetzes abschliessend zu bestimmen.
  12. So auch die herrschende Ansicht. Dass für den Kaiser aus Art. 17 kein Veto- oder Sanktionsrecht abgeleitet werden kann, folgt schon aus Satz 1 des Art. 5, der in seiner strikten Fassung: „Die Reichsgesetzgebung wird ausgeübt durch den Bundesrat und den Reichstag“ den Kaiser als selbständigen Faktor der Gesetzgebung schlechthin ausschliesst. Eingehendere Widerlegung anderer Meinungen besonders bei Laband a. a. O. S. 26 ff. und v. Seydel Komm. S. 172 f.
  13. So die herrschende Ansicht, vertreten vornehmlich durch Laband a. a. O. S. 38, Haenel a. a. O. S. 50 f., Zorn a. a. O. S. 410 f.; Anschütz a. a. O. S. 158. Anders besonders v. Seydel Komm. S. 173 f., Bayer. St. R. II S. 344.
  14. So Laband a. a. O. S. 39 ff. und ihm folgend Jellinek a. a. O. S. 402 ff., Zorn a. a. O. S. 418, Anschütz Enzykl. S. 157, 158, 166 u. a. Eingehende Literaturnachweisungen bei G. Meyer, St. R. S. 631 ff., Anm. 4, 5, 6.