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Die magnetische und elektrische Ablenkbarkeit der Bequerelstrahlen und die scheinbare Masse der Elektronen

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Textdaten
Autor: Walter Kaufmann
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Titel: Die magnetische und elektrische Ablenkbarkeit der Bequerelstrahlen und die scheinbare Masse der Elektronen
Untertitel:
aus: Göttinger Nachrichten, Math.-phys. Klasse, Jg. 1901, S. 143–155
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1901
Erscheinungsdatum: 1902
Verlag: Dieterich (in Kommission)
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Erscheinungsort: Göttingen
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Quelle: Commons
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[143]
Die magnetische und elektrische[WS 1] Ablenkbarkeit der Bequerelstrahlen und die scheinbare Masse der Elektronen.
Von
W. Kaufmann.
Vorgelegt in der Sitzung vom 8. November 1901.

1) Die Frage, ob die aus Versuchen an Kathodenstrahlen oder aus dem Zeemann’effekt berechnete „Masse“ der Elektronen „wirkliche“, oder „scheinbare“ Masse sei, ist in letzter Zeit vielfach discutirt worden, doch scheinen experimentelle Untersuchungen in dieser Richtung bisher noch nicht vorzuliegen. Nun haben die Untersuchungen an Bequerelstrahlen bekanntlich ergeben, daß dieselben magnetisch[1] und elektrisch[2] ablenkbar seien und eine wenn auch noch ziemlich rohe Messung[3] ergab der Größenordnung nach sowohl für (-Ladung, -Masse) als auch für die Geschwindigkeit Werte, die den bei Kathodenstrahlen gefundenen nahe lagen. Um so mehr mußte es auffallen, daß doch in quantitativer Beziehung die Bequerelstrahlen sich so sehr von den Kathodenstrahlen unterschieden. Die magnetische Ablenkbarkeit der Ersteren ist viel geringer, ihre Fähigkeit, feste Körper zu durchdringen, viel größer als die der Letzteren. Da nun die bisherigen Untersuchungen an Kathodenstrahlen ergeben haben, daß mit wachsender Geschwindigkeit die Ablenkbarkeit ab- und die Durchdringungsfähigkeit zunehme, so lag von vornherein die Vermutung nahe, daß die Bequerelstrahlen sich von den Kathodenstrahlen durch bedeutend größere Geschwindigkeit unterschieden. [144] War nun schon bei den Kathodenstrahlen die Geschwindigkeit etwa 1/5 bis 1/3 der Lichtgeschwindigkeit, so mußte man bei den Bequerelstrahlen Geschwindigkeiten erwarten, die nur noch wenig von der Lichtgeschwindigkeit abweichen. Eine Ueberschreitung der Lichtgeschwindigkeit, wenigstens für eine Bahnstrecke, die groß ist gegen die Dimensionen der „Elektronen“ (so seien dem jetzt ziemlich allgemeinen Brauch entsprechend, die Strahlteilchen genannt) ist unmöglich, weil bei einer derartigen Bewegung so lange Energie ausgestrahlt wird, bis die Geschwindigkeit wieder auf den Wert der Lichtgeschwindigkeit gesunken ist.

2) Zweck der im Folgenden mitgeteilten experimentellen Untersuchung ist es, die Geschwindigkeit sowie das Verhältniß für Bequerelstrahlen möglichst genau zu bestimmen und gleichzeitig aus dem Grade der Abhängigkeit zwischen und Aufschluß über das Verhältniß von „wirklicher“ und „scheinbarer“ Masse zu erhalten. Die Untersuchung wurde im Göttinger Physikalischem Institut unter gütiger Unterstützung der Gesellschaft der Wissenschaften ausgeführt. Außer dieser bin ich noch Herrn Dr. Giesel in Braunschweig zu Dank verpflichtet, der mir in zuvorkommendster Weise die nötige Quantität seines wirksamsten aktiven Präparates zur Verfügung stellte, sowie Herrn Prof. des Coudres für Ueberlassung der zur elektrotechnischen Abteilung des Instituts gehörigen Hochspannungsbatterie.

3) Ueber die angewandte Methode habe ich bereits vor einiger Zeit[4] berichtet. Die bisher meist als Uebelstand empfundene Inhomogenität der Bequerelstrahlen, in Folge deren ein scharfes Strahlenbündel bei der Ablenkung in ein Spektrum auseinandergezogen erscheint, wurde hier unschädlich gemacht und geradezu in einen Vorteil verwandelt durch eine der Kundt’schen Methode der gekreuzten Spektra analoge Anordnung: Durch Anwendung eines möglichst kleinen Körnchens aktiver Substanz als Stahlenquelle und eines feinen Loches als Diaphragma wurde ein enges Strahlenbündel abgeblendet, das sich auf einer zur Stahlenrichtung senkrecht stehenden photographischen Platte als Punkt abbildete. Magnetische Ablenkung verwandelte das Bild in einen geraden Strich; gleichzeitige elektrische Ablenkung in zur magnetischen senkrechter Richtung bewirkte als Bild eine Kurve, von der jeder Punkt einem ganz bestimmten und einem ganz bestimmten entsprach. Man erhielt so an einer einzigen Platte [145] eine ganze Reihe von Beobachtungen, aus denen man die Abhängigkeit zwischen und direkt ablesen konnte[5].

4) Apparate: Da die Strahlen die Luft leitend machen, so mußte behufs Erzielung eines homogenen elektrischen Feldes der Apparat evakuirt werden; hierdurch wurde zugleich die Absorption und Diffusion der Strahlen im Gase vermieden. Da nun der zur Erzeugung des magnetischen Feldes nötige Elektromagnet nicht gut mit in das Vakuum hineingebracht werden konnte, und außerdem durch einen zu großen Strahlenweg die Intensität zu sehr geschwächt worden wäre, so mußten die Dimensionen des Apparates möglichst klein gewählt werden. Fig. 1 zeigt den Apparat in etwa 1/2 der natürlichen Größe:

Ein Messingkästchen A von etwa 2 × 3 × 4,5 cm Seitenlänge ist mittels des Rohres O auf dem Glasstiel Q eines Vakuumgefäßes L befestigt, das aus 2, durch einen Quecksilberschliff M verbundenen Teilen besteht. Auf dem Boden des Kästchens, bei C befindet sich ein etwa 1 mm langes (Längsrichtung senkrecht zur Zeichnungsebene) und 0,3 mm dickes Körnchen Radiumbromid. Aus den von diesem ausgehenden Strahlen wird durch das Diaphragma D ein Bündel von ca 1/2 mm Durchmesser ausgeblendet, das im unabgelenkten Zustand einen kleinen Fleck auf der in Aluminiumfolie eingewickelten Photographischen Platte E erzeugt. Das Diaphragma besteht in seinem mittleren Teile aus Platin, seitlich aus Blei.

Zur Erzeugung des Magnetfeldes diente ein Elektromagnet dessen Pole N und S auf der Figur im Querschnitt angedeutet sind. Da die Exposition der Platte 3 bis 4 Tage dauerte, so war die Wicklung so bemessen, daß der Magnet unter Vorschaltung einiger Glühlampen an die städtische Lichtleitung (220 Volt) angeschlossen werden konnte. Wegen der nicht unbeträchtlichen Spannungsschwankungen war jedoch bei Benutzung dieser Stromquelle eine genaue Messung des Magnetfeldes unmöglich; es wurde deshalb die Lichtleitung nur bei den Vorversuchen benutzt, für die definitive Messung dagegen der Strom einer Sammlerbatterie von 70 Volt. Da die Batterie eine Capacität von etwa 100 Ampèrestunden besitzt, so blieb der nur etwa 0,3 Ampère betragende Erregungsstrom während der 4-tägigen Expositionszeit, wie durch fortlaufende Controlle festgestellt wurde, völlig konstant.

[146] Das elektrische Feld wurde zwischen zwei rechtwinkligen eben geschliffenen Messingplatten P1 P2 erzeugt. Drei Schrauben F (in der Figur bloß eine gezeichnet) mit isolirender Elfenbeinspitze dienten zur Regulirung des Plattenabstandes. Von den Platten war die eine P1 an einem in der Hartgummibüchse J1 verschiebbaren Stiel gelenkig befestigt und wurde durch die Spiralfeder G1 gegen die Spitzen der Schrauben F gepreßt. Die zweite, P2 war in ähnlicher Weise am Deckel B des Kästchens befestigt; eine außen angebrachte Spiralfeder G2 drückte die Platte gegen 3 ebenfalls mit Elfenbeinspitzen versehene Schrauben H, durch die die Stellung des ganzen Plattensystems relativ zum Apparat regulirt wurde. Zur Erzeugung des elektrischen Feldes, das ja auch 4 Tage lang völlig konstant bleiben mußte, stand mir eine Hochspannungsbatterie von 2000 Volt zur Verfügung. Durch Vorversuche überzeugte ich mich, daß diese Spannung noch zu schwach war, um die Ablenkung der schnellsten noch deutlich beobachtbaren Strahlen zu messen. Einer freundlichen Anregung Herrn Prof. Wiechert’s folgend konstruirte ich deshalb einen Potentialmultiplikator, mittels dessen eine mehrmals höhere Spannung völlig konstant beliebige Zeit hindurch erzeugt werden konnte[6]. Der Apparat bestand aus einem durch einen Elektromotor angetriebenen rotirenden Umschalter durch den abwechselnd folgende Schaltungen vorgenommen wurden: 1) 4 (wenn nötig auch noch mehr) Leydnerflaschen werden durch die Batterie in Parallelschaltung geladen; 2) die Flaschen werden hintereinander geschaltet, also die Spannung vervierfacht; 3) die Flaschen werden mit einer 5-ten Flasche verbunden, die auf diese Weise bei steter Wiederholung des Vorganges allmählich auf das 4-fache Potential der angewandten Batterie geladen wurde[7]. Es genügte eine 2-malige Umdrehung der Kontaktwalze pro Sekunde um eine absolut ruhige Einstellung des mit der 5-ten Flasche verbundenen Elektrometers zu erzielen. Letztere war direkt mit einer der beiden Platten P verbunden, während die Andere sowie das Gehäuse zur Erde abgeleitet war. Die Zuleitung geschah durch die eingeschmolzenen Platindrähte R R.

Zur Evakuation diente eine automatische Pumpe Sprengel’schen Systems die durch eine weite Glasfeder mit dem Apparat verbunden [147] war. Außer dem an der Pumpe befindlichen Trockengefäß befanden sich im Innern des Apparates noch zwei (in der Figur nicht gezeichnete) kleine Gefäße mit .

5) Ausführung der Versuche: Die Schrauben F wurden zuerst so regulirt, daß ein Abstand der Platten von ca 0,15 cm entstand (die genaue Messung geschah am Schluß des Versuchs). Die photographische Platte wurde mit ihrer Umhüllung aus 0,0002 cm dicker Aluminiumfolie eingebracht und durch Einschiebung von etwas zusammengefaltetem Stanniol in den oberhalb der Platte vorhandenen Zwischenraum zwischen Kästchen und Platte gegen die sie tragenden Vorsprünge gepreßt. Dann wurde der Deckel aufgesetzt, die Verbindung mit den Zuleitungen hergestellt und der Apparat von unten her in den schon zwischen den Magnetpolen befindlichen oberen Teil des Vakuumgefäßes gebracht. Nach etwa 1/2-stündigem Pumpen war das Vakuum genügend hoch, um eine elektrische Potentialdifferenz von ca 7000 Volt auszuhalten; da sich jedoch anfangs stets viel okkludirte Gase loslösten und auch eine absolute Dichtigkeit des Apparates nicht zu erreichen war, so blieb während der ersten 15–20 Stunden die Pumpe dauernd in Betrieb; später wurde nur nachts dauernd, wenn auch langsam gepumpt; bei Tage genügte ein zwei bis dreimaliges Pumpen während etwa 10 Minuten. Es kam gleichwohl während des Betriebes häufig vor, daß einmal eine Entladung durch den Apparat ging; da zwischen der Sammelflasche und dem Apparat stets ein Wasserwiderstand eingeschaltet war, so entlud sich immer nur ein geringer Bruchteil der Flaschenladung und im Verlauf von etwa 2 Sekunden war das Anfangspotential wieder hergestellt. Das Licht der Entladungen war durch die Aluminiumhülle der Platte unschädlich gemacht. Von Schwankungen in der Umdrehungszahl des rotirenden Umformers war bei der guten Isolation sämtlicher Teile die Potentialdifferenz der Platten gänzlich unabhängig. Zugleich mit dem elektrischen wurde auch das magnetische Feld angelegt. Die Konstanz des Erregungsstromes wurde von Zeit zu Zeit mittels eines Torsionsgalvanometers geprüft; anfangs nötigte die allmähliche Erwärmung und damit verbundene Widerstandsvermehrung der Magnetwicklung zu häufigem Nachreguliren. Nach Verlauf von einigen Stunden wurde jedoch der Strom völlig stationär.

Nach Verlauf von 11/2–2 Tagen wurde die Richtung des elektrischen Feldes umgekehrt und nochmals ebenso lange exponirt. Man erhielt auf diese Weise zwei symmetrisch zur magnetischen Ablenkungsrichtung gelegene Kurvenäste, sodaß der halbe Abstand [148] zweier entsprechender Kurvenpunkte der elektrischen Ablenkung entsprach.

Die[WS 2] Entwicklung der Platten (Schleussner’sche Momentplatten) erfolgte mit sehr verdünntem (1 : 50) Rodinalentwickler mit viel Bromkalium und dauerte etwa 1/2 Stunde. Die Anwendung stark verdünnten Entwicklers war nötig, weil die Bequerelstrahlen, namentlich die am schwächsten ablenkbaren nur wenig absorbirt werden und deshalb fast durch die ganze Schicht hindurch gleichmäßig wirken; der Entwickler muß also Zeit haben, bis in die tieferen Teile der Schicht hinein zu diffundiren, ohne die Oberfläche bereits zu verschleiern. Die erhaltenen Bilder waren zwar ziemlich schwach aber[WS 3] doch deutlich genug, um eine Ausmessung der Abstände auf etwa 1/200 cm genau zu gestatten (s. w. u.). Verstärkung mittels Sublimat und Ammoniak vermehrte zwar die Contraste, doch wurden die Einstellungen dadurch nicht genauer.

6) Messungen:

a) Dimensionen des Apparates: Für die nachherigen theoretischen Berechnungen war die Kenntniß folgender Größen notwendig: Die Strecke von der Strahlenquelle bis zum Diaphragma, vom Diaphragma zur Platte, die Höhe und der Abstand der Condensatorplatten; und wurden mittels Zirkel und Maßstab bestimmt. Zur Messung von wurde der Deckel B mit der daran befindlichen Platte P2 horizontal auf den Tisch eines Mikroskopes gelegt und eine planparallele Glasplatte auf die Elfenbeinspitzen der Schrauben F gelegt. Sodann wurde mittels Mikrometerbewegung das Mikroskop zuerst auf die Unterseite der Glasplatte, dann auf P2 eingestellt und durch Multiplikation der Schraubenumdrehungen mit der vorher bestimmten Ganghöhe der Schraube die Entfernung ermittelt.

b) Potentialmessung: Das Potential der Batterie wurde an einem von 0–3000 Volt zeigendem Braun’schen Elektrometer abgelesen, dessen Skala kurz vorher dadurch geaicht worden war, daß die einzelnen Gruppen der Hochspannungsbatterie mittels eines Siemens’schen Präcisionsvoltmeters gemessen und sodann in Hintereinanderschaltung zum Laden des Elektrometers benutzt wurden. Multiplikation der so bestimmten Batteriespannung mit 4 (da 4 Leydnerflaschen benutzt wurden) ergaben die von dem Multiplikator erzeugte Apparatspannung. Zur Kontrolle des Multiplikators wurde letztere auch noch an einem bis 10000 Volt zeigenden Braun’schen Elektrometer abgelesen, wobei sich Abweichungen von 50 bis 100 Volt gegenüber der berechneten [149] Spannung ergaben, die wahrscheinlich auf Aichfehlern des zweiten Elektrometers beruhen. Für die Berechnung der Resultate kamen natürlich nur die Angaben des ersten geaichten Elektrometers in Betracht.

c) Messung des Magnetfeldes: Ein kurzes Stück Hartgummirohr von 1,7 cm Durchmesser war mit 20 Windungen isolirten Kupferdrahts umwickelt und an einem 40 cm langen Messingdraht von 0,04 mm Durchmesser aufgehängt, der gleichzeitig zur Stromzuführung diente. Die Ableitung erfolgte durch eine nach unten führende cylindrische Spirale aus demselben Drahte. Das Ganze befand sich in einem Glasrohr, das mit einem Fenster zur Beobachtung des am schwingenden System befestigenden Spiegels versehn und zum Schutze gegen elektrostatische Störungen mit einer abgeleiteten Stanniolhülle umgeben war. Die schwingende Spule wurde in den zu messenden Teil des Feldes gebracht und ein Strom von geeigneter Stärke hindurchgeschickt. Der durch Commutiren des Spulenstromes erhaltene Gesamtausschlag ergab ein Maaß für die Feldintensität. Es wurde das Feld längs der Strahlenbahn an mehreren Punkten bestimmt wobei sich nur geringe Abweichungen von der Homogenität ergaben (s. w. u.). Sodann wurde der Elektromagnet durch einen Kreisstrom von genau bekannten Dimensionen ersetzt und der in dem bekannten Felde des Kreisstroms erhaltene Ausschlag bestimmt.

Sei der Ausschlag im Felde des Elektromagneten beim Spulenstrom ebenso der Ausschlag im Felde des Kreisstromes beim Spulenstrom so ist:

1)

Durch geeignete Wahl von , und wurde dafür gesorgt[WS 4] daß und nicht allzuverschieden waren.

d) Ausmessung der Platte:

Die photographische Platte wurde auf dem Schlitten einer Teilmaschine von 0,5 mm Schraubenganghöhe in vertikaler Stellung befestigt, so daß die Richtung der magnetischen Ablenkung nach oben zeigte. Zur Beobachtung diente ein ganz schwach vergrößerndes Mikroskop, in dessen Brennebene sich ein vertikal mikrometrisch verschiebbares Fadenkreuz befand. Da sich in dem Strahlenbündel stets auch ein Anteil von gänzlich unablenkbaren Strahlen befindet (vielleicht Röntgenstrahlen, die von den Elektronen im Radiumsalze selbst erzeugt werden) so markirte sich der Coordinatennullpunkt auf der Platte von selbst. Nachdem [150] mittels des Okularmikrometers die Höhe dieses Nullpunktes bestimmt war, wurde das Fadenkreuz um eine bestimmte Strecke gehoben und dann mittels der Schlittenverschiebung der Horizontalabstand (die doppelte elektrische Ablenkung) bestimmt. Da die Kurven eine gewisse Breite haben, so fallen sie natürlich in der Nähe des Nullpunktes, d. h. für die am schwächsten ablenkbaren Strahlen zum Teil übereinander. Eine Messung ist deshalb erst von dem Punkt an möglich, wo beide Kurven getrennt erscheinen. Das Okularmikrometer wurde durch Einstellung auf einen Maßstab geaicht. Die in den Resultaten (s. w. u.) unter mitgeteilten Werte der elektrischen Ablenkung sind jedesmal die Mittelwerte aus je 10 Messungen die untereinander im Maximum um etwa 0,005 cm differiren[8].

7) Theoretisches:

Sei (Fig. 2) ein Punkt der photographischen Kurve, seine Projektion auf die Richtung der magnetischen Ablenkung , die magnetische, die elektrische Ablenkung. sei die Strahlungsquelle, das Diaphragma, eine der Kondensatorplatten. Die -Richtung sei diejenige des unabgelenkten Strahlenbündels. Wir betrachten die Projektion der Strahlenbahn auf die --Ebene. Ist die Projektion der Geschwindigkeit auf diese Ebene, der Krümmungsradius der Bahnprojektion in dem als konstant angenommenen Magnetfeld , so ist

2) oder

wobei die Ladung, die Masse des Elektrons bedeutet.

Ist ferner die elektrische Feldintensität und liegen die Condensatorplatten symmetrisch zu und , so treten die Strahlen aus unter einem Winkel zur --Ebene aus, dessen Tangente sich folgendermaßen bestimmt: Es ist im Punkte

3) ,

[151] wenn die Zeit bedeutet, während der sich das Teilchen im elektrischen Felde befand. Nun ist und , unter die Projektion des halben im elektrischen Felde zurückgelegten Weges verstanden; folglich

4)

Ist die Wegprojektion von bis , so ist die elektrische Ablenkung:

5)

Zwischen und der magnetischen Ablenkung läßt sich, wenn und (s. p. 6.) bekannt sind, leicht die angenäherte Beziehung aufstellen:

6)

oder, da cm und cm:

7)

ferner ist die Höhe der Condensatorplatten cm, also

8)

Aus 2) und 5) ergiebt sich:

9)
10)

Endlich ist wie leicht zu sehen die wirkliche Bahngeschwindigkeit, die in wieder genau so groß ist, wie in :

11) ;

bei der Kleinheit von kann jedoch gesetzt werden.

[152] 8) Resultat: Zur Ausmessung geeignet erwiesen sich zwei Platten, von denen jedoch nur eine bei völlig konstantem elektrischen Felde aufgenommen ist. Ich führe deshalb nur die Resultate dieser Platte an; die Resultate der anderen, weniger genauen, weichen von der ersten um 3 bis 5% ab, sind also qualitativ identisch.

Die Versuchsdaten sind folgende:

Expositionszeit zweimal 48 Stunden,
Abstand der Condensatorplatten cm
Potentialdifferenz Volt C. G. S E.
Folglich
Ferner der Mittelwert des Magnetfeldes:
Tabelle I (Alle Zahlen in absolutem Maaße)
[WS 5]
resp.
0.271 0.0621 15.1 0.888 2.02 2.83 0.630
0.348 0.0839 11.7 0.888 2.03 2.72 0.770
0.461 0.1175 8.9 0.889 2.06 2.59 0.975
0.576 0.1565 7.1 0.889 2.09 2.48 1.170
0.688 0.1980 6.0 0.890 2.13 2.36 1.310

Eine graphische Darstellung der Resultate giebt Fig. 3 und 4. [Ueber die „berechnete“ Kurve in Fig. 4 s. w. u.].

Was die Genauigkeit der Resultate anbetrifft, so ist jedenfalls die relative Genauigkeit der einzelnen Zahlen viel größer als die absolute, da bei letzterer eine viel größere Reihe von Einzelbestimmungen mit eingeht. Immerhin dürften die erhaltenen Absolut-Werte auf etwa 5% sicher sein[9].

[153] 9) Wahre und scheinbare Masse:

Man sieht aus den mitgeteilten Zahlen, daß die Geschwindigkeit der schnellsten noch meßbaren Strahlen nur noch wenig hinter der Lichtgeschwindigkeit zurückbleibt. Aus der Kurve für in Fig. 3 scheint hervorzugehen daß die Geschwindigkeit für die noch schwächer ablenkbaren Strahlen gegen die Lichtgeschwindigkeit hin konvergiert. variirt in dem beobachteten Intervall sehr stark; mit wachsendem nimmt stark ab, woraus ein nicht unbeträchtlicher Anteil von „scheinbarer“ Masse folgen würde, welch letztere ja bei Annäherung an die Lichtgeschwindigkeit zunehmen muß, um bei Erreichung derselben unendlich groß zu werden.

Eine strenge Formel für die Feldenergie schnell bewegter Elektronen ist von Searle[10] abgeleitet worden, u. zw. unter der Annahme, daß ein Elektron einer geladenen unendlich dünnen Kugelschale äquivalent sei. Ist der Radius der Kugel, die Lichtgeschwindigkeit, die Geschwindigkeit des Elektrons, seine Ladung in elektromagnetischem Maaße, so ist die Feldenergie (elektrostatische + elektromagnetische Energie)

12) wobei .

Hieraus folgt für die scheinbare Masse:

13)

oder in Reihenentwicklung:

14)

für sehr kleines wird

15)

so daß man erhält:

16)

[Für nahezu gleich 1 konvergiert die Reihe äußerst langsam, so daß sehr viele Glieder zu berücksichtigen sind.]

[154] Sei nun die wahre Masse des Elektrons, die gesammte Masse sodaß

17)

und

18) .

Ist bekannt, so ist auch bekannt, es läßt sich somit nach der Methode der kleinsten Quadrate der wahrscheinlichste Wert von und berechnen.

[Es sei , , ].

Die Berechnung ergiebt unter Auslassung der in der ersten Zeile von Tabelle 7 stehenden Zahlen (die wegen der Kleinheit der beobachteten Ablenkung zu unsicher sind) als wahrscheinlichste Werte:

19)

folglich für sehr langsame Strahlen

20) ,

ein Wert der mit dem für Kathodenstrahlen gefundenen ()[11] hinreichend übereinstimmt.

Tabelle II giebt eine Zusammenstellung der beobachteten und nach Gl. 16), 18) u. 19) berechneten Werte:

Tabelle II.
beob. ber Diff%
[2.83] [0.945] [12.5] [1.59] [1.91]
2.72 0.907 7.41 1.30 1.29 +0.8
2.59 0.864 4.88 1.025 0.99 +3.5
2.48 0.827 3.85 0.855 0.86 −0.6
2.36 0.787 3.13 0.765 0.77 −0.6

Mit Ausnahme des ersten, wie oben erwähnt zu unsicheren Wertes stellt die Formel die Beobachtungen ziemlich gut dar, wie besonders aus der in Fig. 4 dargestellten berechneten Kurve [155] für hervorgeht. Das Verhältniß von scheinbarer zu wirklicher Masse beträgt also für Geschwindigkeiten die klein sind gegen die Lichtgeschwindigkeit:

21) oder angenähert 1/3

Wenn auch die letztere Zahl noch mit erheblicher Unsicherheit behaftet ist (ein Fehler von 10% in den für die magnetische Ablenkung maßgebenden Konstanten würde die wirkliche Masse verschwindend klein machen) so kann man doch auf Grund obiger Resultate schon soviel behaupten, daß die scheinbare Masse von derselben Größenordnung ist wie die wirkliche und bei den schnellsten Bequerelstrahlen die letztere sogar bedeutend übertrifft.

Es sei zum Schluß noch ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Voraussetzung bei der obigen Betrachtung in der angenommenen Verteilung der Ladung des Elektrons auf einer unendlich dünnen Kugelschale besteht. Da wir über die Konstitution des Elektrons gar nichts wissen und a priori nicht berechtigt sind, die elektrostatischen Gesetze, die ja mit Hülfe der Elektronen erst erklärt werden sollen, auf Letztere selbst anzuwenden, so ist es natürlich ebensogut möglich, daß die Energieverhältnisse des Elektrons durch andere Ladungsverteilungen darstellbar sind, und daß es darunter auch solche giebt, die, auf obige Beobachtungen angewandt, die wirkliche Masse ganz zum Verschwinden bringen. Es wäre sehr wünschenswert, wenn die Berechnung der Feldenergie für andere Ladungsverteilungen, etwa für eine geladene Vollkugel, einmal durchgeführt würde. Die interessanten Berechnungen von C. H. Wind[12] beziehen sich leider nur auf langsame Geschwindigkeiten.




  1. F. Giesel, Wied. Ann. 69, 91 u. 834; 1899.
  2. E. Dorn, Abh. naturf. Ges. Halle 22. 1900 Bequerel C. N. 130, 809. 1900.
  3. Dorn, l. c. Bequerel l. c.
  4. Physik. Z. S. 2, S. 602; 1901
  5. Diese Methode ist selbstverständlich auch für Kathodenstrahlen brauchbar. Man umgeht durch ihre Anwendung sofort sämtliche Schwierigkeiten, die aus der Inkonstanz des Vakuums und der Inhomogenität der Strahlen resultiren.
  6. Von Herrn Prof. Hallwachs wurde ich, bereits nach Abschluß meiner Versuche, auf einen von ihm konstruirten und in Wied. Ann. 29. 300. 1886 beschriebenen Potentialmutiplikator aufmerksam gemacht.
  7. Der Apparat ist nichts Anderes, als eine verbesserte Form der Planté’schen „Rheostatischen Maschine“.
  8. Da bei der Einstellung auf zwei nicht parallele verwaschene Kurven subjektive konstante Urteilsfehler moglich erschienen, so ließ ich einige Messungen auch von 2 Praktikanten des Instituts (Hr. stud. Hartmann und Hr. stud. Kuntze, denen ich hiermit meinen besten Dank ausspreche) ausführen. Ihre Zahlen weichen nur innerhalb der oben genannten Fehlergrenze von den meinigen ab, so daß etwaige Urteilsfehler jedenfalls bei verschiedenen Individuen gleich groß sind. Ihr Einfluß müßte sich natürlich bei den schwächsten Ablenkungen am stärksten geltend machen.
  9. Auf der Platte sind auch noch schwächere Ablenkungen als die in der ersten Zeile von Tab. I verzeichneten konstatirbar, doch fallen die Kurven hier schon teilweise übereinander so daß nicht mehr meßbar. Das letzte Kurvenstück scheint fast geradlinig, so daß jedenfalls nicht mehr viel zunimmt, dagegen noch stark abnimmt.
  10. Phil. Mag. (5) 44, 340. 1897.
  11. S. Simon Wied. Ann. 69, 589. 1899.
  12. C. H. Wind. Arch. Néerl. 1900 (Lorenzjubelband) 609.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: electrische
  2. Vorlage: Eie
  3. Vorlage: ober
  4. Vorlage: dafür wurde gesorgt
  5. Vorlage: s.