Die vier Stationen der Grausamkeit. Drittes Blatt – Vollendete Grausamkeit

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Die vier Stationen der Grausamkeit. Zweites Blatt – Zweite Stufe der Grausamkeit W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Zweite Abtheilung (1840) von Franz Kottenkamp
Die vier Stationen der Grausamkeit. Drittes Blatt – Vollendete Grausamkeit
Die vier Stationen der Grausamkeit. Viertes Blatt – Lohn der Grausamkeit
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Die


vier Stationen der Grausamkeit.


Drittes Blatt.
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DIE VIER STATIONEN DER GRAUSAMKEIT.
THE FOUR STAGES OF CRUELTY.
III.
Vollendete Grausamkeit.  Cruelty in perfection.

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Die vier Stationen der Grausamkeit.
(The four stages of cruelty.)




Drittes Blatt.
Vollendete Grausamkeit.
(Cruelty in perfection.)

Jene Anlage zur rohen Grausamkeit, welche sich anfangs nur an Thieren äußerte, hat ihre vollkommene Entwicklung erlangt, und endet mit einem Mord von der scheuslichsten Art. Tom Nero hat sein Geschäft aufgegeben, und ist Straßenräuber (Highwayman) geworden, wie man aus der Pistole im Oberrock sieht. Er folgt hierin seiner ausgebildeten Neigung. Das Verbrechen eines gewöhnlichen Diebes ist ihm nicht genügend; er hat sich jener Gilde von Straßenräubern angeschlossen, worin das Vergießen von Blut ein Erforderniß des Gewerbes bildet.

Er hat seine Geliebte durch eine Menge Wunden getödtet, und wird unmittelbar nach der That ergriffen. Ort und Zeit erhöhen das [758] Grauenvolle der That; der Schauplatz des Mordes ist nämlich ein Kirchhof, nach Ireland der von Marylebone; man erkennt dies aus zwei sichtbaren Gräbern, wovon das eine die Inschrift hat: Hier liegt der Leib u. s. w. (Here lieth the body). Die Zeit ist Mitternacht; diese wird durch die Uhr am Kirchthurm angedeutet, deren Zeiger auf Eins weist, so wie durch die Stellung des Mondes am Himmel, und durch die Nachtvögel, welche den Verbrecher umflattern. Der Zusammenhang der Handlung ergibt sich aus folgendem Brief, der dem Mörder bei seiner Verhaftung genommen wurde, und der mit der Adresse: An Thomas Nero zu Pahn...[1] (To Ths. Nero at Pahn...) am Boden liegt:

 Lieber Tommy!

Meine Gebieterin ist gegen mich die gütigste Frau gewesen, und mein Gewissen treibt mir das Blut in’s Gesicht, so oft ich daran denke, ihr ein Unrecht zu erweisen. Dennoch bin ich entschlossen, Leib und Seele zu wagen, um Deinen Willen zu thun. Deßhalb unterlaß nicht, mich zu treffen, wie Du gesagt hast, denn ich werde alle Dinge mit mir nehmen, die ich mir verschaffen kann. Für jetzt Nichts weiter, aber ich vorbleibe Dein bis in den Tod.
Ann Gill.     


(Dear Tommy! – My mistress has been the best of women, to men and my conscience flies into my face as often as I think to wrong her; yet I am resolved to venture body and soul to do as you would have me, so do not fail to meet me, as you said you would; for I shall bring along with me all the things I can lay my hands on. So no more at present, but I remain yours till death. Ann Gill.)

Tom Nero hat also eine Magd aus dem im Hintergrunde sichtbaren Hause zuerst verführt, alsdann zum Diebstahl verleitet, und dieselbe endlich ermordet, wahrscheinlich, damit ihm das Mädchen, von ihm [759] schwanger, nicht weiter zur Last fiele, zugleich auch, um seinen Antheil am Diebstahl zu verheimlichen. Einige Erklärer führen auch noch als Beweggrund einen Aberglauben des niederen Volkes in England an, nach welchem ein Mord unentdeckt bleiben sollte, so bald der Mörder das Herz eines Kindes gefressen habe. 1744, also einige Jahre vor Herausgabe dieser Blätter, soll ein Mörder in Leicestershire hingerichtet worden sein, welcher jenen Aberglauben als Beweggrund seines Verbrechens angab.

Auf dem Boden liegen die geraubten Gegenstände, Silbergeschirr und Schmuck, zerstreut umher, ferner auch ein Kistchen, welches der Gemordeten gehörte, woraus eine Bandschleife, ein Band, (vielleicht Geschenke ihres Verführers), und ein Gebetbuch (Common prayer) hervorragt. Daneben liegt ein anderes Gebetbuch aufgeschlagen; die Seite zeigt ein Gebet gegen Mörder in den Worten: Gott schütze vor Mord (God Beware against murder).

Offenbar wurde das Mädchen nur langsam getödtet. Ihr Handgelenk ist durchschnitten worden, während sie, um ihr Leben zu retten, mit ihrem Verführer rang. Ihr Geschrei hat die Bewohner des benachbarten Hauses herbeigezogen, welche freilich erst anlangen, nachdem das Mädchen getödtet ist, allein noch früh genug, um den Mörder anzuhalten. Jener hat wahrscheinlich Widerstand leisten wollen, denn die eine Pistole liegt mit abgedrücktem Schloß am Boden; seine Hand hat aber beim Schuß gezittert. Jetzt hat er allen Widerstand aufgegeben, der übrigens wegen der Menge von Anwesenden, die zum Theil bewaffnet sind, vergeblich sein würde. Die andere Pistole steckt somit unbenutzt in seiner Tasche; er ist selbst voll Schauder über seine That, und läßt sich die Arme zusammenbinden. Unter den Anwesenden fällt der weinende Vater des Mädchens in die Augen.




  1. Dieser Ortsname ist auf den Originalblättern nicht ausgeschrieben.