Die wahren Blutsauger

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Autor: Brehm
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Titel: Die wahren Blutsauger
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aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 176–179
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die wahren Blutsauger.


Von Brehm.


Die Vampirsage, welche, Dank der fortdauernden Pflege des Aberglaubens, trotz ihrer Wahnwitzigkeit und Abscheulichkeit noch in unseren Zeiten und selbst von sogenannten Gebildeten für wahr gehalten wird, findet auch in der Naturgeschichte der Thiere nicht die geringste Begründung. Wohl hat man einigen Fledermäusen den Namen Vampire gegeben, dies aber ist erst in Folge des Vampirglaubens geschehen; denn die Kenntniß blutsaugender Fledermäuse ist nicht so alt wie jener Aberglaube. Mich kümmert es herzlich wenig, wie viel Antheil die griechischen Pfaffen an der Befestigung und Verallgemeinerung des, wie man sagt, von ihnen ausgehenden Afterglaubens haben; ich will nur die Fledermäuse von dem Verdachte freigesprochen wissen, daß sie es gewesen seien, welche einem so hirnlosen Wahne Vorschub geleistet haben könnten.

Unter den Fledermäusen, welche bekanntlich über die ganze Erde sich verbreiten, giebt es thatsächlich einige, welche mit der Gier eines Raubthieres an dem Blute anderer Säugethiere und verschiedener Vögel sich erlaben. Obschon die meisten Mitglieder dieser arten- und gestaltenreichen Ordnung durch ihre eifrigen Kerbthierjagden zu wahren Wohlthätern der Pflanzenwelt und dadurch für uns zu überaus nützlichen Geschöpfen werden, lassen sich andere doch Eingriffe in das Besitzthum des Menschen zu schulden [177] kommen, indem sie in Obst- und Weingärten einfallen und hier unter Umständen beträchtlichen Schaden verursachen, und ebenso werden andere dadurch wenigstens lästig, daß sie die Hausthiere anzapfen und unter Umständen selbst Menschen angreifen. Von den letztgenannten Fledermäusen will ich hier sprechen.

Während bei den übrigen Flatterthieren meist nur das Ohr und damit das Gehör eine hohe Entwickelung erlangt hat, bemerkt man bei den Blattnasen, welche ziemlich allgemein im Verdachte des Vampirthums stehen und theilweise als Blutsauger erkannt worden sind, eigenthümliche Wucherungen auf der Nase in Form häutiger Aufsätze, deren Gestalt mannigfachem Wechsel unterworfen ist, im Wesentlichen aber aus einem mehr oder minder entwickelten Hautblatte besteht. Wenn dasselbe vollständig ist, wird es zusammengesetzt durch das sogenannte Hufeisen, den Längskamm und die Lanzette, wogegen es in seiner einfachsten Form als eine quer über die Nasenspitze gehende Hautfalte sich zeigt. Hinter den Nasenlöchern kommen außerdem vielfach eigenthümliche Vertiefungen und Löcher und um die Nasenfalten auf Lippen und Wangen Fleischwarzen vor, welche eine bestimmte Rolle spielen müssen, da sie erfahrungsmäßig den Thieren wichtiger als die Augen sind. Höchst wahrscheinlich schärfen sie den Geruchs- und Gefühlssinn; doch liegt hierüber ein Schleier, welcher bis jetzt noch nicht gelüftet werden konnte. Zur Verschönerung des ohnehin nicht ansprechenden Fledermausgesichts tragen weder die Hautblätter noch die Warzen bei, verhäßlichen im Gegentheil das Thier auf das Höchste. Wer sonst Lust hat, sich mit unfruchtbaren Deuteleien abzugeben, mag annehmen, daß der Ausdruck des Vampirgesichts bereits auf sein unheimliches Treiben hindeute; wer ruhiger und vernünftiger urtheilt, wird in den Hautblättern Organe von außerordentlich feinem Bau, also bewunderungswürdige Gebilde erkennen müssen.

Blattnasen giebt es in allen Erdtheilen und ebensowohl in heißen wie in gemäßigten Gegenden. Auch unser Vaterland besitzt in den Hufeisennasen zwei Arten der Gruppe, zu denen sich in Süd-Europa noch mehrere gesellen; doch erlangt die Familie erst in dem heißen Gürtel der Erde ihre volle Entwickelung. Insbesondere scheint Süd-Amerika alle Bedingungen zu erfüllen, welche das Leben einer Blattnase angenehm machen können; hier leben mindestens die größten und die blutgierigsten Arten. Gleichwohl darf man nicht wähnen, daß das Vampirthum nur in Süd-Amerika üblich sei; neuere Beobachtungen haben im Gegentheile festgestellt, daß auch asiatische Blattnasen Blutsauger sind, ja daß selbst unsere deutschen Arten dann und wann, vielleicht öfter als wir vermeinen, ein lebendes Wesen anzapfen. Zur Beruhigung meiner Leserinnen, unter deren Mißfallen die Fledermäuse ohnehin schwer zu leiden haben, darf ich versichern, daß, bis jetzt wenigstens, noch kein einziger Fall eines rücksichtslosen Angriffes unserer einheimischen Blutsauger auf Menschen bekannt geworden ist, diese vielmehr die üble Gewohnheit ihrer Zunft nur an andern Mitgliedern ihrer Ordnung und höchstens ausnahmsweise noch an einer schlafenden Taube oder einem träumenden Huhne bethätigen. Minder rücksichtsvoll gegen den Gebieter der Erde zeigen sich die Blutsauger Süd-Amerikas, und wahrscheinlich sind es gerade die an Größe die unserigen nicht übertreffenden Arten, denen man die Hauptschuld aufzubürden hat. Wenigstens verzehren die größeren Arten, diejenigen, denen man den Namen Vampire gegeben hat, nach neueren Beobachtungen erwiesenermaßen Kerbthiere und Früchte und sind bis jetzt beim Blutsaugen noch nicht ertappt worden.

Die Berichte und Klagen über das Blutsaugen der Fledermäuse gehören zu den ältesten Nachrichten, welche wir über Amerika haben. Früher weiß man nichts von Vampir- und Fledermausgeschichten; denn die Angaben Herodot’s von großen Fledermäusen in Arabien, welche „auf der in Sümpfen wachsenden Pflanze Casia sich aufhalten, sehr stark sind und fürchterlich schwirren, so daß die Leute, welche die Casia sammeln, ihren ganzen Leib und das Gesicht bis auf die Augen mit Leder bedecken müssen, um sie von ihrem Leibe abzuhalten“, tragen den Stempel der Unwahrheit an der Stirn und beziehen sich vielleicht auch nur auf Flederhunde, welche ihrer Größe halber den Leuten aufgefallen sein können. Dagegen weiß Geßner bereits von Blutsaugern zu erzählen.

„In Darienen der Landschafft des newen Lands,“ sagt er, „worden die Hispanier in der Nacht von den Flädermäußen geplaget, welche, so sie einen schlaffenden vnversehens gebissen hatten, blutet er sich zu todt, dann man hat etliche von diesem Schaden todt gefunden. So dieses Thier einen Hanen oder Henne vnder offenem Himmel gefunden, hefftet es ihm den Angel in seinen Kamm vnd bringt ihn vmb, als Petrus Martyr schreibet. In mehrertheils Orten Parie oder Indie haben die Hispanier Flädermäuß, so nicht kleiner dann die Turteltauben gewesen, gefunden, welche angehends der Nacht auf sie schossen vnd sie mit irem vergifften Bisß taub machten also, daß sie da hinweg zu fliehen gezwungen worden, als obgenannter ausweiset. Solche Flädermäuß sollen auch in Vraba, der grösten Insel deß newen Lands in einem Maß gefunden werden, nicht kleiner dann die obgenannten, thun auch gleichen schaden, als etliche Hispanier erfahren haben. Ancisus der Vogt oder Feldtherr, so dann ausgeworffen war, als ich ihn fraget von diesem vergifften Bisß, sagt er mir, daß er Sommerszeit, als er von Hitz wegen den Schenkel entdeckt, von einer Flädermauß in eine Versen gebissen war, welches jm nicht mehr Schaden gebracht hab, dann wenn er von einem andern vnvergifften Thier verletzt worden. Andere sagen, der Bisß sei gantz vergifft, aber mit Meerwasser bestrichen, werde er von stund an heil, als der obgenannte lehret.“

Genauere Berichte giebt der Spanier Azara, welcher die Blutsauger „Beißer“ nennt. „Zuweilen,“ bemerkt er, „beißen sie sich in dem Kamm und in den Kinnlappen der schlafenden Hühner ein, um ihnen Blut auszusaugen, und die Hühner sterben daran gewöhnlich, zumal wenn die Wunden, wie fast immer geschieht, sich entzünden. Ebenso beißen sie Pferde, Esel, Maulthiere und Kühe und zwar regelmäßig in die Seiten, die Schultern oder in den Hals, weil sie dort mit Leichtigkeit sich festhalten können. Dasselbe thun sie mit den Menschen, wie ich bezeugen kann, weil ich selbst viermal in die Zehen gebissen worden bin, während ich unter freiem Himmel oder in Feldhäusern schlief. Die Wunde, welche sie mir beibrachten, ohne daß ich es fühlte, war rund oder länglich rund und hatte eine Linie im Durchmesser, aber so geringe Tiefe, daß sie kaum die ganze Haut durchdrang. Man erkannte sie an den aufgetriebenen Rändern. Meiner Schätzung nach betrug das Blut, welches nach dem Bisse floß, etwa dritthalb Unzen. Allein bei Pferden und anderen Thieren mag die Menge gegen drei Unzen betragen, und ich glaube, daß sie schon wegen des dicken Felles größere und tiefere Wunden an ihm hervorbringen. Das Blut kommt weder aus den Hohl- noch aus den Schlagadern, denn bis dahin dringt die Wunde nicht ein, sondern blos aus den Haargefäßen der Haut, aus denen sie unzweifelhaft es schlürfen und herausziehen. Obgleich die mir beigebrachten Bisse einige Tage ein wenig schmerzten, waren sie doch von so geringer Bedeutung, daß ich weder ein Mittel dagegen anzuwenden brauchte, noch am Gehen verhindert wurde. Weil diese Fledermäuse aber keine Gefahr bringen, blos in jenen Nächten Blut saugen, in denen ihnen andere Nahrung fehlt, fürchtet und verwahrt sich Niemand vor ihnen.“

Man sieht, daß Geßner’s Gewährsleute, ebensowohl wie Azara, das Blutsaugen noch wahrheitsgemäß schildern und sich kaum Uebertreibungen zu Schulden kommen lassen. Solche finden sich erst später in verschiedenen Berichten, und zwar, wie ich bemerken will, auch in solchen der neuesten Zeit. Verschiedene Reisende erzählen mit ersichtlichem Behagen wahre Schauergeschichten von Vampiren, unzweifelhaft einzig und allein in der Absicht, ihren gutwilligen und gläubigen Lesern gelindes Gruseln zu verursachen. Ich will nur einen dieser Berichte hier folgen lassen, uns zu beweisen, wie unverantwortlich auch sogenannte Naturforscher sich über das Blutsaugen der Fledermäuse auslassen.

„Am unangenehmsten,“ so will Appun seine Leser glauben machen, „wurden die in leerstehenden Hütten zugebrachten Nächte, wo alle Bewohner derselben beschäftigt waren, meine Anwesenheit zur Erhaltung ihres kostbaren Lebens zu benutzen. Die Vampire beschränkten sich nicht auf eine oberflächliche Kenntnißnahme meiner Person, sondern waren so rücksichtsvoll und vorsorglich in ihrer eigenthümlichen Weise, nach meinem Puls zu fühlen und eine Untersuchung meines Blutes anzustellen. Es gehört lange Gewohnheit dazu, unter so erschwerenden Umständen in Schlaf zu fallen. Ich hatte es jedoch bald so weit gebracht, mich durch dergleichen harmlose Vorkommnisse nicht stören zu lassen, woraus mir nur der einzige Nachtheil entsprang, daß ich meist, nach einer [178] in einer einsamen Hütte auf diese Weise verlebten Nacht, Morgens beim Erwachen meine Kleider und Hängematten voller Blut fand, das aus kleinen an meinen Fingern und Zehen befindlichen Wunden, weiche von Vampiren verursacht waren, hervorströmte. Ich wurde einst in einer solchen Hütte an sieben Stellen, an Fingern und Zehen während der Nacht gebissen und verlor dabei eine solche Menge Blut, daß dasselbe eine förmliche Lache unter meiner Hängematte bildete, wodurch ich mich so schwach fühlte, daß ich mich ungesäumt von meinen Leuten eine Entfernung von zwanzig Stunden zurücklassen mußte, wo ich in Folge des großen Blutverlustes mehrere Tage lang darnieder lag.“

Man braucht nicht in Südamerika gewesen zu sein, um diese Erzählung zum Mindesten für höchst übertrieben zu erklären. Außer Appun haben auch noch andere und jedenfalls glaubwürdigere Reisende jahrelang in Südamerika sich aufgehalten, sorgfältig Blutsauger beobachtet und ähnliche Erfahrungen nicht gesammelt. Gerade diejenigen Reisenden, welche nicht allein den erforderlichen Willen, sondern auch die nöthigen Kenntnisse besaßen, um Fledermäuse beobachten zu können, versichern übereinstimmend, daß nur äußerst selten ein Blutsauger auch an Menschen sich wagt. „Obgleich wir,“ bemerkt Humboldt, „in den Ländern, wo die vampirähnlichen Fledermausarten häufig sind, so manche Nacht unter freiem Himmel geschlafen haben, sind wir noch nie von ihnen gebissen worden.“ Auch Rengger, welcher viele Jahre lang in Paraguay lebte, kennt nur das von Azara angeführte Beispiel, daß Menschen von Blattnasen angezapft worden sind und ebenso wenig haben Burmeister und Hensel etwas Aehnliches in Erfahrung gebracht. Gleichwohl läßt sich die Thatsache, daß die Blattnasen schlafenden Menschen Blut aussaugen, nicht bezweifeln; die Anzahl der Leute, welche von ihnen geschröpft worden sind, ist jedoch sehr gering, und Jeder, welcher durch die Thiere einen kleinen Aderlaß erhielt, verfehlt nicht, seine gerechte Entrüstung an den Tag zu legen. Bates verlebte elf Jahre in Brasilien und wurde von Fledermäusen oft behelligt, auch von Vampiren gebissen. Während seines Aufenthaltes in Caripe wohnte er in einem Zimmer, welches seit mehreren Monaten nicht gebraucht und an verschiedenen Stellen offen war. In der ersten Nacht bemerkte er nichts Ungewöhnliches, in der zweiten dagegen wurde er durch das Rauschen erweckt, welches ein im Innern des Raumes hin- und herfliegender, zahlreicher Schwarm von Fledermäusen verursachte. Als unser Forscher die von den Thieren ausgelöschte Lampe wieder angezündet hatte, fand er das Zimmer von ihnen erfüllt. Sie flüchteten, weil er mit einem Stocke nach ihnen schlug, kehrten aber bald wieder zurück und umgaukelten das Licht in dichtem Gedränge. In der folgenden Nacht fanden sich mehrere in der Hängematte ein, Bates griff einige von ihnen, welche auf ihm herumkrabbelten, und warf sie gegen die Mauer des Zimmers. Bei Tagesanbruch fand er an sich eine unzweifelhaft von Blutsaugern herrührende Wunde und ließ nunmehr von den Negern das Dach untersuchen, welches jenen zur Zufluchtsstätte gedient hatte. Die Schwarzen fingen mehrere Hundert ein und brachten die meisten von ihnen um.

Aus allen Angaben dieser glaubwürdigeren Reisenden geht also mit nicht anzuzweifelnder Bestimmtheit hervor, daß der Mensch selbst dann keine Gefahr läuft, wenn die Blutsauger sich mit ihnen zu schaffen machen, und daß alle die schauderhaften Berichte kaum mehr als ein Körnlein Wahrheit enthalten. Ein nicht näher bezeichneter Reisender ließ sich mit vollster Absicht schröpfen, um die Vampire dabei beobachten zu können. Einer von diesen erschien um Mitternacht in seinem offenen Schlafzimmer, segelte geräuschlosen Zuges von einem Ende des Raumes zum andern, nahete sich sodann dem Ruhenden, flatterte anfänglich unter dem Betthimmel hin und her, verkürzte nach und nach seine Windungen, schwebte mehr und mehr hernieder, kam dicht über ihn und bewegte seine Fittiche außerordentlich schnell, jedoch ohne jedes Geräusch, dem erwähnten Opfer eine höchst angenehme Kühlung zufächelnd, hierauf senkte er sich vollends herab. Der Erzähler versichert, daß er den Augenblick, in welchem der Vampir biß, nicht bestimmen konnte, so schmerzlos war der Biß und so angenehm das Fächeln mit den Schwingen. Nach und nach fühlte er doch ein leises Schmerzgefühl, wie wenn ein Blutegel sich angesaugt hätte, griff zu und erwürgte den Blutsauger. Diese Erzählung scheint glaublich, weil andere Beobachter, wenn auch nicht an sich selbst, so doch an Thieren Aehnliches beobachtet haben. Doch bemerkt Rengger ausdrücklich, daß er das Fächeln für unmöglich erachte, weil Fledermäuse nicht zu gleicher Zeit saugen und ihre Fittiche bewegen können, er auch stets gesehen habe, daß sie, wenn sie auf die Pferde sich niedersetzen, die Flügel einziehen.

In Gegenden, wo Blutsauger häufig sind, verrathen sie ihre Anwesenheit vornehmlich an Reit- und Lastthieren, und namentlich in der kalten Jahreszeit, in welcher ihnen die Kerbthiere fehlen, bemerkt man die Bisse sehr regelmäßig. Zum Ansaugen wählen sie stets bestimmte Stellen, vor allen solche, wo die Haare des Thieres einen Wirbel bilden und sie nicht bis auf die nackte Haut kommen können. Burmeister fand die meisten Bißwunden am Widerrist, besonders bei solchen Thieren, welche daselbst nackte blutrünstige Stellen hatten. Ein zweiter Lieblingsplatz ist die Schenkelfuge am Becken, wo die Haare auseinanderstehen, doch auch unten am Beine beißen sie gern, seltener dagegen am Halse und nur ausnahmsweise am Kopfe, an der Nase und an den Lippen. So lange der Gaul oder Esel wach ist, läßt er die Fledermäuse nicht heran, wird bei ihrem Kommen unruhig, stampft, schüttelt sich und verscheucht den Feind, welcher ihn umschwirrt. Schlafende Thiere aber lassen sich ruhig besaugen. Wie Vampire beißen, läßt sich nicht mit völliger Sicherheit angeben. Man weiß nur, daß sie sich mit halbgeöffneten Flügeln niedersetzen, die Haare etwas auseinander schieben, das warzige Kinn niederdrücken und nun zu saugen beginnen. Die Wunde ist ein kleines, flaches Grübchen, welches wie eine scharfe Stichwunde aussieht. Man bemerkt an ihr keinen Eindruck von Zähnen wie bei Bißwunden, der Rand dagegen ist immer sehr aufgelockert und angeschwollen. Je nach dem Theile des Körpers hat sie eine Tiefe von ein bis zu zwei Linien, reicht aber niemals bis auf die Haut hindurch und auf die Muskeln. Die Schnittfläche ist nicht senkrecht gegen die Oberfläche der gebissenen Stelle gerichtet, wie sie bei Wunden durch Eckzähne der Fall sein würde, sondern geht im Ganzen parallel.

„Man könnte,“ bemerkt Hensel, „ähnliche Wunden hervorbringen, wenn man die Haut etwas mit einer Kneifzange in die Höhe ziehen und nun mit einem Messer, das wie beim Rasiren etwas über die Haut führe, die Stelle wegschneiden würde. Durch einen solchen Schnitt oder Biß, mit welchem immer ein Stoffverlust verbunden ist, wird eine große Anzahl feiner Hautgefäße durchschnitten, und es tritt sofort eine reichliche und lange dauernde Blutung ein.“ Nach Beschaffenheit der Wunde glaubt Hensel, daß sie nur durch die Schneidezähne gewisser Arten hervorgebracht werden könne, und scheint deshalb geneigt, die meisten Blattnasen von dem Verdachte des Vampirthums freizusprechen.

Rengger glaubt nicht, daß die Blutsauger sogleich vermittelst eines Bisses den Saumthieren die Wunde beibringen, vermuthet vielmehr, daß sie vorher durch Saugen mit den Lippen die Haut unempfindlich machen, wie dies durch Aufsetzen von Schröpfköpfen geschieht, und dann erst mit den Zähnen eine kleine Oeffnung zu Stande bringen, durch welche sie ihre ausdehnbare Zunge bohren. Hierdurch erzeugen sie die trichterförmige Einhöhlung. Die Wunde hat an und für sich nichts Gefährliches; da jedoch zuweilen vier, fünf, sechs und noch mehr Fledermäuse in der nämlichen Nacht ein Saumthier ansaugen und dies sich oft mehrere Nächte hinter einander wiederholt, werden die Thiere durch den Blutverlust, welchen jene unmittelbar und mittelbar verursachen, sehr geschwächt und haben außerdem daran zu leiden, daß die Schmeißfliegen gern in solche Wunden ihre Eier ablegen und dann sehr bösartige Geschwüre hervorrufen.

Hensel nimmt an, daß die Blutsauger Südamerikas, da das Pferd hier nicht einheimisch ist, ursprünglich auf einen andern Nahrungszweig angewiesen sein müssen. Die größeren Thiere des Waldes sind durch ihre Lebensweise, zum Theil auch durch ihre Geschicklichkeit vor den Bissen der Blutsauger geschützt; es bleibt daher nur die Annahme übrig, daß letztere kleine warmblütige Thiere, Mäuse, Vögel und dergleichen fangen, um ihnen das Blut auszusaugen, und daß sie blos in Ausnahmefällen auf Pferde und Maulthiere gehen. Diese Annahme ist unzweifelhaft richtig, wie auch daraus hervorgeht, daß man Blutsauger beobachtet hat, welche andere Arten ihrer Ordnung anzapften.

Kolenati brachte aus einer Höhle Mährens mehrere Hufeisennasen und Ohrenfledermäuse mit sich heim, ließ die ganze Gesellschaft in seinem Arbeitszimmer umherfliegen und sich selbst [179] eine Ruhestätte suchen, übernachtete sodann mit den Fledermäusen, um sie genauer beobachten zu können, und fand, daß die Beiden zu sehr verschiedenen Zeiten flatterten, die Hufeisennasen seinem Gesichte auch fast bis zum Berühren sich näherten. Als er wenige Tage später die Gefangenen einem Freunde vorführen wollte, bemerkte er zu seiner nicht geringen Ueberraschung, daß mehrere Hufeisennasen bis auf die Flügelspitzen und Flügel aufgefressen und eine von ihnen am Kopfe furchtbar verstümmelt war. Blutige Nasen und angeschwollene Bäuche verdächtigten die noch vollzählig versammelten Ohrenfledermäuse als Mörder der Verschwundenen, und Untersuchung des Magens einer Getödteten beseitigten jeden etwa noch bestehenden Zweifel. Eine weitere Nachforschung ergab aber, daß auch die Ohrenfledermäuse gelitten hatten; denn Kolenati bemerkte auf ihren Flatterhäuten frische Wunden mit schwammig aufgetriebenen Rändern. Hier mußte also folgender Fall eingetreten sein: Die Ohrenfledermäuse waren, während sie ruhten, von den Hufeisennasen angefallen und angezapft worden, hatten sich aber der Blutsauger bemächtigt und sie einfach aufgefressen.

Günstiger für die Blutsauger gestaltet sich die Sache, wenn sie sich kleiner Fledermäuse bemächtigen können. Hierbei lassen sie es dann nicht einmal beim Blutsaugen bewenden, sondern verzehren nachträglich auch das gepackte Opfer. Dies hat neuerdings Blyth in Erfahrung gebracht. In der Vorhalle seines Wohnhauses in Indien bemerkte dieser Forscher eine ziemlich große Fledermaus und beschloß, sie zu fangen. Während der Jagd ließ die Fledermaus eine andere, nach Blyth’s Vermuthung ihr Junges, fallen. Dasselbe wurde also zunächst ergriffen und einstweilen in einem Taschentuche untergebracht. Bald darauf glückte es auch, die größere Fledermaus, eine Leiernase, zu erlangen, und nunmehr ergab der erste Blick auf die beiden Gefangenen, daß man es mit zwei gänzlich verschiedenen Arten zu thun hatte. Das vermeintliche Junge wies sich als eine andere Fledermaus aus, und eine genauere Untersuchung zeigte, daß sie am Halse verwundet und geschröpft, auch durch den Blutverlust bis zum Aeußersten geschwächt worden war. Als Blyth am nächsten Tage beide Fledermäuse in einem Käfige wieder zusammenbrachte, stürzte sich die blutsaugende Leiernase mit der Raubgier eines Tigers auf ihr Opfer, packte dieses wieder hinterm Ohre, versuchte wiederholt mit ihm davon zu fliegen und hing sich endlich, als sie die Flucht nicht bewerkstelligen konnte, an den Hinterbeinen auf, sog von Neuem Blut, so lange solches floß, und fraß sodann die Verwundete bis auf den Kopf und einige Theile der Glieder auf.

Nach diesen Beobachtungen hätten wir es also in den Blutsaugern einfach mit Raubthieren zu thun, welche ihre Beute mehr oder weniger ebenso behandeln wie ein Tiger oder Puma die seinige und nur in Ermangelung kleiner Beutethiere größeren für sie unbezwinglichen Geschöpfen Blut abzapfen. Das unheimliche Gebahren der Vampire verliert somit durch die Aufklärung dieser Thatsache sehr viel von seinem Abschreckenden und Entsetzlichen.