Die zwei naturwissenschaftlichen Vexir-Fragen

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Autor: R. H.
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Titel: Die zwei naturwissenschaftlichen Vexir-Fragen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 521-523, 534-536
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[528] Die zwei naturwissenschaftlichen Vexir-Fragen, welche wir in einigen frühern Nummern der Gartenlaube brachten, haben ebenfalls eine vielfache theils richtige, theils falsche Beantwortung gefunden. Die richtigen sind allerdings vorwiegend und dies gereiche dem naturforschenden Theile unseres Leserkreises zur Genugthuung; aber es sind auch Beantwortungen eingegangen, welche wir uns vorher nicht haben träumen lassen. Wenden wir uns zuerst zur Glas-Wasser-Frage. Die richtige, auch leicht durch den Versuch zu bestätigende Antwort lautet: „Die Wagschale mit dem Glase Wasser senkt sich, selbst wenn man noch so behutsam den Finger in das Wasser taucht.“ Sie bleibt weder im Gleichgewicht, noch hebt sie sich – das letztere wird in dreien der eingegangenen Zuschriften behauptet. Auf diese Beantwortung waren wir, offen gestanden, nicht gefaßt, und wir können es uns deswegen nicht versagen, die Gründe dieser etwas zu tief denkenden Naturforscher anzuführen. Der eine sagt: „Wenn man in das auf der einen Wagschale stehende Glas Wasser den Finger steckt, so wird es leichter werden, sich also heben, weil ein Theil des Wassers vermöge seines Adhäsionsbestrebens sich an den Finger hängt und so von demselben getragen wird; das Wasser im Glase wird also um so viel leichter, als der Finger trägt.“ Die andern beiden Einsender führen für dieselbe Behauptung genau denselben Grund an.

Hingegen läßt sich zuvörderst sagen, daß der Finger der menschlichen Hand, selbst wenn er eben erst recht tüchtig mit Seife gewaschen worden ist, immer noch so viel Fettigkeit auf seiner Oberfläche besitzt, daß von einer Adhäsionswirkung überhaupt nicht die Rede sein kann, sondern vom Gegentheil. Mag aber die Oberfläche des Fingers auf die ihn umgebenden Wassertheilchen entweder eine anziehende, oder eine abstoßende Wirkung ausüben, jedenfalls ist der Einfluß dieser Art so überaus gering, daß wir geglaubt haben, ihn von vornherein bei der Besprechung unserer Glas-Wasser-Frage unberücksichtigt lassen zu können. Es handelt sich in unserm Falle vornehmlich um Druckkräfte und Gewichte, durch welche man sich ja die Druckkräfte darstellt. Der triftige, nicht anzufechtende Grund dafür, daß die Wagschale mit dem Glase Wasser sich senkt, ist, daß der eingetauchte Finger einen wirklichen Druck auf das Wasser und somit auf die Wagschale ausübt, wie jeder Körper, welcher in eine Flüssigkeit getaucht wird. Diesen Druck, den der eingetauchte Körper ausübt, in Gewichten ausgedrückt, verliert dieser Körper wirklich an seinem Eigengewicht. Beides, daß wir beim Eintauchen des Fingers einen Druck ausüben und daß wir dabei an Körpergewicht verlieren, merken wir freilich nicht; beides läßt sich aber recht gut merklich machen. Tauchen wir nämlich statt unseres Fingers ein etwas großes Stück Holz ziemlich tief in das Wassergefäß, so fühlen wir recht gut, daß wir einen Druck ausüben und eine Kraftanstrengung machen müssen. Stellen wir uns aber selbst auf die eine Schale einer Wage, welche durch Gewichte auf der Gegenschale in Gleichgewicht gebracht worden ist, und tauchen nun die Hand in ein neben der Wage stehendes Wassergefäß, so werden wir sicherlich, wenn auch nur wenig, mit unserer Wagschale steigen, und wir haben also an Gewicht verloren. Hiermit ist wohl unsere erste Scherz-Frage erledigt.

Wir wenden uns nun zur Mond-Frage. Unsere Antwort lautet hier: „Der Mond hat sich, wenn er sich einmal um die Erde herumbewegt hat, auch einmal um sich selbst gedreht.“ Und die Gründe für diese Antwort sollen sogleich folgen. Denken wir uns einmal die Erde ganz fort, so haben wir nur die Bewegung eines einzigen Körpers im Raume zu betrachten. Wenn sich aber ein fester Körper im Raume bewegt, so kann man seine Bewegung in jedem bestimmten Zeitraum als aus einer rein fortschreitenden und aus einer rein drehenden Bewegung zusammengesetzt denken. Denken wir uns den Mond in einer anfänglichen Stellung und er beschreibe dann ein kleines Stück seiner Bahn um die Erde und zwar ein so kleines Stück, daß es als eine gerade Linie angesehen werden kann. Diese kleine gerade Bahnstrecke beschreibe der Mond, indem wir annehmen, daß sämmtliche Punkte des Mondes eine genau ebenso lange und dieser Strecke parallele Strecke durchlaufen. Ist der Mond nun an seinem nahen Ziel auf diese Weise angelangt, so werden wir bemerken, daß er nicht mehr genau dieselbe Seite nach dem Punkte hinwendet, wo die Erde ihren Platz hat. Gleichwohl hat der Mond nur eine rein fortschreitende Bewegung gemacht, denn unter einer fortschreitenden Bewegung eines festen Körpers verstehen wir eben eine solche, bei welcher alle Punkte des Körpers gleich lange und untereinander parallele Bahnen beschreiben. Der Mond kann nur in seine wirkliche Lage gelangen, wenn er nach der fortschreitenden Bewegung auch noch eine Drehung ausführt und zwar um eine durch seinen Mittelpunkt gehende Axe. Denken wir uns nun weiter die ganze Mondbahn in lauter solche kurze Strecken zerlegt und halten wir immerfort die fortschreitende und Drehbewegung auseinander, so finden wir, daß nach Vollendung der Mondbahn alle die kleinen Drehbewegungen zusammenaddirt gerade eine volle Drehung des Mondes um eine Axe ergeben, welche durch seinen eigenen Mittelpunkt geht.

Nun ist allerdings nicht zu leugnen, daß man bei jeder Bewegung eines festen Körpers, also auch bei der Mondbewegung, die Zerlegung der fortschreitenden und Drehbewegung in unendlich vielen verschiedenen Arten vornehmen kann; immer aber wird sich finden, daß der Mond sich nach Vollendung seiner Bahn auch einmal um eine fest mit ihm verbunden gedachte Axe gedreht hat; wo man diese Axe annehmen will, bleibt ganz dem Belieben überlassen. Bei der obigen einfachsten Art der Zerlegung beider Bewegungen hatten wir die Axe durch den Mittelpunkt des Mondes selbst angenommen. Es ist festzuhalten, daß die Drehungsaxe, wo sie auch liegen mag, immer nur eine mit dem sich drehenden Körper fest verbunden gedachte Linie ist, keineswegs aber selbst ein fester Körper. Daher kann auch jede Drehungsaxe, mag sie nun in dem Körper selbst liegen oder außerhalb seiner, als des Körpers „eigene Drehungsaxe“ angesehen werden. Das rechtfertigt auch der Sprachgebrauch vollkommen, denn wir sprechen von einem Wagenrade, welches sich um seine eigene Axe dreht, obgleich diese Axe in einer Oeffnung des Rades beweglich steckt, jedenfalls also mit dem Rade nicht einmal fest verbunden ist. Uebrigens ist es bei unserer Frage nur nebensächlich, ob man sagen müsse, der Mond drehe sich um seine eigene Axe oder er drehe sich um sich selbst; die Hauptsache ist der Begriff der in beiden Ausdrucksweisen liegenden Drehung.

R. H.