Eherne Maiglocken
Wir fordern nicht bloß den Achtstundentag,
der kommen wird, wann er auch kommen mag,
ob willig nun, ob murrend nur beschieden:
Von Millionen rollt am Ersten Mai
nach Völkerfreiheit und nach Völkerfrieden.
Ein Bild des Wahnsinns bietet sich uns jetzt:
Ein Volk aufs andere rücksichtslos gehetzt,
Erdteil auf Erdteil, Rasse wider Rasse.
Und an der Wende des Jahrhunderts frönt
der Herrschsucht man, der Habgier und dem Hasse.
Und dabei rufen sie – es klingt wie Spott! –
Allah und Wischnu und den Christengott
daß er entsende seiner Engel Schwarm,
daß er den starken, den Zerschmettrerarm
dem blutgen Siege und der Plündrung leihe!
Solang sich diesem grauenhaften Bann
sind wir ein Haufe von Verbrechergilden,
von zügellosen Räuberbanden nur;
wir haben keinen Anspruch auf Kultur,
und besser sind und höher stehn die Wilden.
die Hilfe einst, die Rettung, die uns frommt,
wer bricht den Bann der Habgier und des Bösen?
das Volk allein, das blutet, darbt und ringt,
Wenn erst das Volk, das ihr so lange zwangt,
zum Vollbewußtsein seiner Kraft gelangt
und seiner Sendung – wer will widerstehen?
Laut wird die Tiefe, die so lange schwieg,
im voraus schon am Ersten Mai begehen!
Anmerkungen (Wikisource)
Ebenfalls abgedruckt in:
- Der Wahre Jacob 1898 Nr.307 Seite 2711
- Der wahre Jacob: Lyrik und Prosa 1884 - 1905. Ausgewählt und eingeleitet von Manfred Häckel. -- Berlin: Rütten & Loening, 1959. S. 109