Ein Auswandererschiff

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Ein Auswandererschiff
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aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 448–452
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ein Auswandererschiff.
Warnung für Auswanderer. – Die Einschiffungspunkte Hamburg und Bremen. – Auswanderungsschenken. – Bremerhaven und das Treiben daselbst. – Auf’s Schiff! – Deck, Zwischendeck und Schiffsraum. – Das Leben im Zwischendeck während der Fahrt. – Die Beköstigung. – Krankheiten und kein Arzt. – Die Medizinkiste des Capitäns. – Zeitvertreib während der Fahrt.

Zu keinem Vorhaben wohl bedarf es ein größeres Maß nüchternen Verstandes und vorurtheilsloser Ueberlegung der einschlagenden Verhältnisse als zu dem der Auswanderung. Wenige Unternehmen sind von Anfang bis zu Ende so sehr den Manipulationen gewinnsüchtiger Spekulanten unterworfen, wenige werden trotz mannigfacher Aufklärungen und Warnungen in der Regel mit so kläglichem Ungeschick und so unverantwortlichem Leichtsinn angegriffen, wenige schließen so häufig mit schmerzlichster Enttäuschung. Nun ist es nicht unsere Absicht, im Folgenden von der Auswanderung überhaupt abzureden und etwa die ganze Litanei von Gründen herzubeten, welche von Wohlmeinenden aber Befangenen gegen diese Erscheinung im neuern Völkerleben bisher mit keinem andern Erfolge geltend gemacht worden ist, als dem, welchem der Wunderliche begegnen würde, der den Rheinstrom mit der flachen Hand aufhalten wollte. Es ist nicht blos die Noth und nicht blos das Mißvergnügen an den politischen Zuständen der alten Welt, welche das heutige Geschlecht treiben, seine Geschicke und seine Hoffnungen vom Boden des Vaterlandes zu lösen und drüben über’m Meere in ein anderes Feld zu verpflanzen; es ist zugleich einer jener geheimnißvollen Triebe, welche sich von Zeit zu Zeit im Leben der Menschheit geltend machen und, indem sie Theile derselben in andere Bahnen drängen, neue Perioden der Geschichte vorbereiten. Dafür spricht schon die Thatsache, daß der Hauptzug der Auswanderung, vielfältiger Empfehlungen anderer Länder ungeachtet, noch fortwährend nach Amerika und hier wieder vor Allem nach den Gegenden geht, welche das Sternenbanner der großen anglosächsischen Republik beschattet. Thöricht also, wir wiederholen es, ist, wer dem wehren, wer davon abmahnen will. Wohl aber kann die Warnung vor leichtfertiger Auffassung eines derartigen Vorhabens dem Einzelnen nicht oft genug wiederholt werden, und wohl soll die Presse unablässig darauf hinweisen, daß der Weg zu den Früchten der transatlantischen Freiheit ein beschwerlicher und gefährlicher ist, daß auf diesem Wege ein heller Kopf, ein scharfes Auge und eine rasche Hand weiter helfen als ein voller Beutel, und daß namentlich der Deutsche weise thut, wenn er alles rosenfarbene Phantasiren von den Annehmlichkeiten dieses Weges und alle seine nationale Gemüthlichkeit einstweilen in die Herzenstruhe verschließt, und sich dafür ein gutes Theil praktischen Sinn, möglichst viel Sachkenntniß und – die beste Waffe zum Schutze gegen den Schwindelgeist, der drüben mit dem Scheine von uneigennütziger Theilnahme Wucher treibt – einen großen Vorrath von Vorsicht oder wenn man will Mißtrauen anschafft.[1] Diese Regeln sollten das Abend- und Morgengebet jedes Auswanderers, ihre Befolgung sein stetes Dichten und Trachten sein, und zwar von dem Tage an, wo er seinen Entschluß zur Uebersiedelung faßt, bis zu der Zeit, wd er, hindurchgeschifft durch die Scylla und Charybdis der Reise, die Gründung eines neuen Herdes beginnen kann, an welchem er dann die verschlossene Gemüthlichkeit, die an sich ein schätzenswerthes Kleinod, den Mäklern und Emigrantenwirthen cis- und transatlantischer Hafenstädte gegenüber jedoch von Uebel ist, ohne Gefährdung seiner Interessen nach Herzenslust wieder pflegen mag.

Derartige Rathschläge aber sind, so allgemein gehalten, leichter ertheilt als befolgt. Sie haften nicht im Gedächtnisse und sie lassen ihre Tragweite nicht erkennen, wenn sie nicht durch Bilder aus dem Leben veranschaulicht sind, und so möge denn im Folgenden ein Gemälde aus eigner Erinnerung geschöpft dem Rathe und der Warnung zur Seite treten. Es ist zunächst der Auswanderer auf der See, den wir zum Gegenstande unserer Darstellung machen. Später findet sich wohl auch Gelegenheit, den Auswanderer in der neuen Heimath zu schildern, deutsche Handwerker in amerikanischen Werkstätten und deutsche Bauern in den Blockhütten des Hinterwaldes zu zeichnen.

Für den deutschen Auswanderer nach Amerika giebt es allen Erfahrungen zufolge nur zwei empfehlenswerthe Einschiffungspunkte und diese sind Hamburg und Bremen. Selbst der Baier und der Schwabe sollte diese den französischen, niederländischen und englischen Häfen vorziehen, da abgesehen von den vielfachen und wohlbegründeten Klagen, die über letztere laut geworden sind, in ersteren die Sprache, die Gesetze und die Verhältnisse, die hier [449] gelten, ihn wesentlich begünstigen. Er hat Muth und Vertrauen auf sich selbst nöthig, und schwer ist’s, die zu bewahren, wo der noch Heimathlose schon beim ersten Tritte in Verlegenheiten hineintappt. Hätten wir aber zwischen den beiden Hansestädten der Nordsee zu wählen, so könnten wir zweifelhaft sein. Dem der Verhältnisse Kundigen allerdings verschlägt es nichts, ob er auf einem Slomann’schen Schiffe die Elbe hinabfährt oder ob er auf einer Barke oder Brigg der bremer Kauffahrteiflotte seine Ueberfahrt bewerkstelligt. Als der sichrere Weg für den Unerfahrenen dagegen kann unbedenklich der über Bremen bezeichnet werden. Namentlich gilt dies für den weniger Bemittelten, der sich auch vor geringen Uebervortheilungen zu hüten hat, und den die hamburger Gesetzgebung nicht in dem Grade gegen die Praktiker und Kniffe der Logierwirthe schützt, wie sie sollte.

Kommt ein Trupp solcher unerfahrenen Emigranten, an seiner wunderlichen Tracht, seinen halb blöden, halb übermüthigen Geberden und seinem in der Regel ungeheuerlichen Gepäck leicht erkannt, im Hamburger Bahnhofe an, so stürzt sich sofort, einem Rudel hungriger Wölfe vergleichbar, ein Haufe von Mäklern und Gastwirthen auf sie, faßt sie am Arme, dringt ihnen dies oder jenes Haus mit lockendem Namen als Absteigequartier auf, schafft die, welche sich den Unvermeidlichen fügen, als gute Beute in eine Droschke, setzt sich auf den Bock und bringt die mit dem ersten Tritte auf den Boden der Handelsstadt zur Waare Gewordenen, ehe sie sich besinnen, wie ihnen geschehen, in ihren Emigrantenspeicher in Sicherheit. Hier werden die Eingefangenen gewöhnlich in einer Weise verköstigt und untergebracht, die dem dafür geforderten Preise nicht entspricht. Dann geht der gefällige Wirth, immer gut gelaunt und zuvorkommend mit den Gästen zum Einkauf der Reisegeräthschaften, die er, der Vermittler, jederzeit, der Käufer aber selten wohlfeil findet. Schließlich stellen sich gute Freunde des Hausherrn ein, um den Auswanderern Passagierscheine für dieses oder jenes Schiff anzubieten, wobei ebenfalls Erkleckliche an der Waare verdient wird. Merkt letztere, daß man ihr zu übel mitgespielt, so ist es gewöhnlich zu spät oder zu weitläufig, um Schadloshaltung zu erlangen. Wer denkt, wenn das Schiff die Anker zu lichten im Begriffe ist, an Advokaten und Gerichte! Wer an die Presse! Und so geschieht es, daß wir zwar häufig Anpreisungen solcher Auswandererschenken in den Blättern lesen, selten aber oder nie das Gegentheil. Die Leute sind eben gemeiniglich zu vergnügt, den ersten Schritt in ihre Zukunft hinter sich zu haben, als daß sie nicht geneigt sein sollten, über einen nicht allzu groben Griff in ihre Tasche ein Auge zuzudrücken.

In Bremen ist es wenigstens einigermaßen anders. Wiewohl natürlich das Streben, an den Abziehenden zu verdienen, hier nicht geringer ist, so ist doch durch eine Art Commission achtbarer Bürger dafür gesorgt, daß dieses Bestreben sich innerhalb gewisser Grenzen hält und daß Diejenigen, welche den Rath, der ihnen schon am Bahnhofe gedruckt ertheilt wird, nicht verschmähen, in einer für Wirth und Gast zufriedenstellenden Weise bis zur Abreise nach Bremerhaven, wo die eigentliche Einschiffung stattfindet, Unterkommen finden. Indeß ist auch hier eine fleißige Anwendung des Sprüchworts: „Traue, schaue, wem!“ nicht von Ueberfluß, und nicht selten erweist sich die Gefälligkeit, womit der oder jener gut gekleidete junge oder alte Herr dem guten dummen Bauerknaben ungefragter und unbekannter Weise unter die Arme greift, hinterher durchaus nicht als das, was in Grimm’s Wörterbuch unter dem Artikel „Gefälligkeit“ definirt wird.

Verlassen wir aber nun die Auswanderergasthöfe und ihr Gewimmel von süd- und norddeutschen Trachten, Mundarten, Manieren und Münzen und begeben wir uns mit dem Dampfboote (wenn irgend die Kasse nicht zu knapp bemessen ist, bei Leibe nicht mit den schneckenlangsamen, zum Ersticken und Erdrücken überfüllten schwimmenden Dunsthöhlen, auf denen die Rheder ihre Passagiere gratis flußabwärts schaffen lassen) die Weser hinunter nach Bremerhaven, wo das Auswandrerschiff die Europamüden erwartet, oder, wenn dieses noch nicht segelfertig ist, das große burgartig gebaute, den Anforderungen nach, die man für die geforderten Preise stellen darf, trefflich eingerichtete Emigrantenhaus einstweilen Unterkunft gewährt. Hier drängt sich Alles zusammen, was auf die Auswanderung Bezug hat. Hier eilen geschäftig Rheder und Mäkler, Brieftasche und Bleistift in der Hand hin und her. Hier suchen amerikanische Sendlinge Seelen für den Methodismus zu kapern. Hier füllen durch lange Schläuche Matrosen die Wasserfässer der Fahrzeuge, die mit ihren schwarzen Rümpfen, ihren Masten und Raaen, ihren Klüverbäumen und ihrem Tau- und Segelwerk unbeweglich und doch so voll ameisenhaft wimmelnde Bewegung an den Quais liegen. Hier schaffen Auswanderer ihre Siebensachen, ihre unförmlichen bunten Truhen, ihre Betten und Geräthe an Bord. Hier untersucht die zu diesem Zwecke bestellte Commission, die ohne Zweifel gewissenhaft, aber freilich nicht unfehlbar und noch weniger untäuschbar ist, die vom Rheder für die Passagiere gelieferten Lebensmittel, und sieht nach, ob das Pökelfleisch nicht durch zu viele Reisen über den Ocean zu viel Hautgout angenommen hat, ob die Butter genießbar ist und ob von Allem die gehörige Quantität, wie sie das Gesetz vorschreibt, besorgt wurde. Hier tummeln sich, angeheitert von zu eifrigem Abschiedtrinken in den Schenken des Städtchens, wo man beiläufig unter andern guten Dingen auch sehr wohlfeilen vaterländischen Madeira bekommt (der leider etwas nach Syrup und Kartoffelschnaps schmeckt) zukünftige Bürger und Bürgerinnen der Yankeerepublik, denen man eher alles Andere als Heimweh ansieht. Dort wieder bringen Familienväter die Strohsäcke und Decken, die sie für die Meerfahrt gekauft, während Frau und Kinder mit dem blechernen Speisenapfe, dem Waschbecken, den Trinkbechern, der langhalsigen, dickbäuchigen Wasserflasche, dem Geschirre, welches die Seekrankheit zur Nothwendigkeit macht, und dem lieben Rumfäßchen, womit sie sich über die Leiden derselben trösten oder die Gunst des allezeit durstigen Kochs erkaufen werden, klirrend und klappernd hinterhertraben. Dort endlich erscheint, nach armen Teufeln spürend, die einen Paß für überflüssig oder den Rock des Königs von Preußen für unkleidsam gehalten, mitunter aber auch nach gefährlicheren Gesellen forschend, umgeben von behelmten, uniformirten, säbelschleppenden Gensd’armen, hervorschauend aus dem Halsgeschmeide hoher würdevoller Vatermörder, unsere alte gute Freundin – die deutsche Polizei.

Lassen wir sie bei ihrer Jagd und wünschen wir ihr einen guten Fang, namentlich wo es sich um solche Vögel handelt, die in anderer Leute Schotenfeldern und Kirschbäumen ihr Wesen getrieben haben, und denen darum ein tüchtiger Käfig mit schmaler Kost, nicht aber die Freiheit Amerika’s gebührt. Lassen wir sie, die Matrosen haben den Anker aufgewunden, Capitain und Lootse sind an Bord, schon öffnet sich das Hafenthor, und wenn wir die Reise mitmachen wollen, ist’s hohe Zeit, sich ebenfalls auf’s Schiff zu verfügen. So – ein flotter Sprung – und holla, da sind wir auf dem Rücken des alten, gelassenen, mit seiner Menschen- und Güterfracht langsam dahingleitenden Meerungeheuers, dessen Bauch nun auf lange Wochen unsere Wohnung sein wird.

Wir schwimmen in die gelbgraue Weser hinein. Die Segel werden aufgehißt. Sie blähen sich und schwellen, raschen Laufes durchschneidet der Kiel die trübe Fluth, die letzten Häuser Bremerhavens verschwinden, allmälig verläuft sich auch das flacher und flacher werdende Ufer mit seinen Wiesen, seinen Rinderheerden und seinen fernen Kirchtürmen, der Lootse verläßt uns, der Capitain übernimmt das Commando und wir sind auf der Nordsee, aus der wir, wenn der Windgott den rechten Schlauch geöffnet läßt, an Helgolands rothen Felsen vorüber in achtundvierzig Stunden in den Canal, der Englands Kreideküsten von Frankreichs dunklem Gestade trennt, einlaufen werden, um, wenn Aeolus uns ferner wohlwill, in abermals achtundvierzig Stunden in den atlantischen Ocean – oder wie die Matrosen sagen, in die „spanische See,“ mit ihren Meilen langen dunkelblauen Wogen hinauszusegeln, wo bis zur Ankunft am Ziele kein Land uns wieder begegnet.

Bis hierher glaubten wir es noch nicht am Orte, die Frage auszuwerfen, was denn so eigentlich ein Auswandererschiff sei. Jetzt ist die Zeit dazu gekommen. Ein Engländer hat das Leben an Bord überhaupt als „eingekerkert sein und dabei Gelegenheit zum Ertrinken haben“ charakterisirt. Bei einem Auswandererschiffe trifft der erste Theil der Definition doppelt zu. Sehen wir uns um – die beistehende Zeichnung des Innern eines der größten Fahrzeuge dieser Art wird das, was unsere Federzeichnung nicht deutlich genug geben sollte, für das Verständniß nachholen. Im Wesentlichen sind alle Schiffe dieser Gattung sich gleich. Sie zerfallen, ihrem Rumpfe nach betrachtet, in drei Abtheilungen, welche durch Treppen mit einander verbunden sind und das Deck, das Zwischendeck und der Schiffsraum genannt werden. Auf dem Deck befindet sich hinter dem Bugspriet, an welchem die Gallion oder das Namensbild des Fahrzeuges prangt, und über dem, der Waffe des [450] Einhorns vergleichbar, der Klüverbaum in die See hinausragt, zuvörderst die Wohnung der Matrosen, die das Logis heißt. Hinter diesem stößt man auf die mächtige Winde, mit welcher die zu beiden Seiten des Vordertheils herabhängenden Anker gelichtet werden. Dahinter wieder erhebt sich mit seinen Raaen, Segeln, Tauen und Strickleitern der Fockmast, und hart daneben bereitet der Koch in der mit eisernen Kesseln versehenen Kombüse oder Küche, neben welcher in der Regel Ställe für Schweine und Geflügel angebracht sind, das Essen, den Thee und Kaffee für die Mannschaft und die Passagiere. Wofern das Schiff eine zweite Kajüte hat, stößt diese gewöhnlich an die Küche. Hinter ihr dann ragt der große oder Hauptmast empor, bei welchem sich auf den meisten Schiffen die Pumpen befinden, durch welche das in den untersten Raum hineinsickernde Seewasser entfernt wird. Alsdann gelangt man zu einer zweiten Winde, welche den Namen Gangspill führt. Hierauf kommt, wenn nicht wie auf dem „Guttenberg“ eine Fortsetzung der Räume für Kajütenpassagiere nöthig geworden

Ein Auswandererschiff.

ist, die erste Kajüte, welche an dem sogenannten Besahnmast angebaut, gemeiniglich mit eleganten Möbeln, bequemen Divans und Mahagonitischen ausgestattet und auf dem Dache mit kleinen Fenstern oder Skylights versehen ist. Sie dient den wohlhabenden Passagieren und dem Kapitän, so wie dem ersten Steuermann zum Aufenthalt und gewährt den Vortheil einer guten Tafel (gut natürlich nur in Betracht der Umstände), so wie das hier allerdings nicht zu verachtende Vorrecht, den Spaziergang, den das mit einem Eisengeländer versehene Dach gewährt, abgesondert von den übrigen Bewohnern des Schiffes benutzen zu können. Hinter der ersten Kajüte, bei andern Fahrzeugen, wo der Stewart oder Proviantmeister ein eigenes Stübchen inne hat, auch über derselben, beschließt endlich das Häuschen, vor welchem, den Blick auf den Compaß gerichtet, der Steurer durch ein Rad den Gang des Kieles regulirt, die vielfach getheilten und gegliederten Räumlichkeiten des obern Decks.

Und nun hinab auf der Treppe, die auf unserer Zeichnung zwischen dem großen Maste und der zweiten Kajüte in den eigentlichen, von den Schiffsrippen umschlossenen Bauch des Fahrzeugs hinunterführt. Hinab durch die mit einer Art Schilderhäuschen überbauten Luke in das Zwischendeck, in den Raum, in welchem mehr als neun Zehntheile der jährlichen Auswanderung der ersehnten neuen Heimath im Westen zuschwimmen. Ein widerlicher Dunst, der sich selbst durch geschickt angebrachte Luftsegel und Abzugsröhren nicht völlig entfernen läßt, und der, wo diese Anstalten der Reinigung fehlen, zum abscheulichsten Brodem wird, qualmt uns entgegen. Ein Gewirr murmelnder, quiekender, singender und zankender Stimmen läßt sich vernehmen. Endlich, nachdem sich unser Auge an das hier allezeit herrschende Halbdunkel gewöhnt hat, welches, wenn stürmisches Wetter die Luken schließen heißt, sich in ägyptische Finsterniß verwandelt, erblicken wir vor uns einen 60 bis 80 Fuß langen, 20 bis 2[6] Fuß breiten und etwa 8 Fuß hohen Raum, der am obern und untern Ende durch Bretterverschläge von den Vorratskammern des Schiffes geschieden wird, und den man in seiner Totalität mit einem in den Keller getragenen Hausboden oder, wenn das angenehmer klingt, mit hausbodenartig eingerichteten Keller vergleichen kann. Ein Haufen übereinander geschichteter Koffer und Kisten nimmt die Mitte ein und scheidet das Ganze in zwei lange schmale Gänge. Neben diesen erheben sich, hüben rechts, drüben links unter den Schiffsrippen, von unbehobelten Brettern zusammengezimmert, in zwei Etagen die Kojen oder Schlafstätten der Passagiere, in denen letztere je vier und vier zusammenliegen – eine Vertheilung, welche für den Mann einen Raum von nicht mehr als etwa 6 Fuß Länge und 2 Fuß Breite läßt und darin nicht geringe Ähnlichkeit mit dem Verpacken von Heringen hat, aber durch ihre Unbequemlichkeit eine recht geeignete Vorbereitung auf ein Blockhüttenleben im Hinterwalde ist.

Der Enge dieser schwimmenden vorläufigen Heimath des Auswanderers entspricht ihre Einfachheit. Diese rohen Bretterverschläge, welche (man sehe die Abbildung an) fast auf’s Haar ungeheuren [451] Kommoden gleichen, aus denen man die Schubfächer herausgezogen hat, sind Alles, was dem Zwischendeckspassagiere geboten ist. Die Kojen sind Schlafkammer, Empfangszimmer, Speisesaal, Ankleidegemach und für den, der’s bedarf, Studirstube, Alles in Einem. Strohsäcke und Decken bilden die Flur. Die schwarzen Schiffsrippen und das Gebälk des Decks, woran blecherne Speisegeschirre einträglich neben Gefäßen mit unnennbarem Zwecke und Inhalte, Waschbecken als getreue Nachbarn neben Butterdosen, endlich Hutschachteln und wohlgeschmierte Stiefelpaare mit der phlegmatischen Duldsamkeit, welche Hutschachteln und Stiefeln eigen ist, neben Mettwürsten und Hosenbeinen, angeschnittenen Schinken und flatternden Rockschößen hängen, geben den Plafond ab. Die Kisten und Kasten unten auf der Gasse vor den Kojen werden als Tische und Stühle benutzt. Wer ein Freund von Musik ist, findet reichliche Gelegenheit, seinen Trieb zu befriedigen, wenn er dem Concert der unaufhörlich quäkenden Säuglingskehlen sein Ohr leihen und des Nachts den Ständchen lauschen will, welche die aus dem Schiffsraume zu Besuch kommenden Rattenchöre den Passagieren bringen. Am Besten aber ist für den Liebhaber von Gemälden gesorgt, und zwar namentlich dann, wenn er seine Neigung der niederländischen Schule zugewendet hat. Er kann in den Bretterrahmen der verschiedenen Kojen die Urbilder der Murillo’schen Betteljungen, im dämmernden Hintergrunde der Schlafstätten kostbare Jagdscenen, von den Fingern sorgsamer Mütter auf den Köpfen ihrer Kleinen aufgeführt, Breughel’sche Koboldgruppen, die einen mit ihrem Aussehen harmonirenden Spektakel machen, und kolossale Nudidäten bewundern, die durch ihr derbes Fleisch an Meister Rubens’ saftigen Pinsel erinnern. Vor der einen Koje sitzt auf ihrer buntblumigen Truhe eine alte Bäuerin und studirt mit der Brille auf der Nase den Magister Benjamin Schmolke gottseligen Angedenkens. Daneben spielen auf dem Buche liegend unter fortwährendem Gezänk etliche Judenbuben auf dem Deckel eines Hutes mit Würfeln, während in der Koje unter ihnen vier Andere sich angelegentlich mit der Karte, des Teufels Gebetbuch, beschäftigen. Aus einer vierten Schlafstelle bringt, durch das Schwanken des Schiffs plötzlich an seine Schuldigkeit gemahnt, ein wackerer Schuster oder Schneider der Seekrankheit sein Opfer mit solchem Geräusch und in so weiten Bogen dar, daß die ganze Nachbarschaft, sofern sie nicht mit gleichen Libationen zu thun hat, in lautes Beifalljauchzen ausbricht. Aus einer fünften Koje baumeln über dem zornrothen Antlitze einer Mutter, die das Hintertheil ihres Sprößlings bearbeitet, weil er das Mittagsessen der Familie verschüttet hat, an langen, dünnen Beinen ein paar gigantische Füße mit dickbesohlten nägelbeschlagenen Schuhen, einem hinterlistigen Bäuerlein angehörig, welches, auf dem Rücken hingestreckt, aus diesem Hinterhalte ein wohlgezieltes Bombardement mit Brocken von Brotzwieback unterhält. In einer sechsten Schlafschublade macht ein munterer Matrose einer drallen Schwäbin das Begehr seines Herzens im besten Plattdeutsch verständlich – ein Wunder, aber doch wahr! Zu einer siebenten – nein, hier im Finstern ist’s nicht geheuer mehr, und wir haben gerade genug gesehen, um die Natur der Gespenster, die hier hausen, und den Spuk, den sie treiben, errathen zu können.

Der Einfachheit der Wohnungen in diesen meerdurchfurchenden Emigrantenherbergen gleicht die Einfachheit der Beköstigung. Erbsen, Linsen, weiße Bohnen, grobe Graupen, Reissuppe, zuweilen ein Hering, schwarzer Zwieback, gepökeltes Rind- und Schweinefleisch, manchmal nicht von der besten Beschaffenheit, wenn auch immer reichlich, als Getränk eine schwarze Brühe, die man Kaffee, und eine grünliche, welche man Thee nennt, sowie etwas Bieressig bilden die Tafelfreuden des Zwischendecks. Sie könnten unverwöhnten Gaumen genügen, wenn die wackern Köche dieser Herbergen, die freilich hundert Hände und zehn Köpfe haben möchten, nicht bisweilen bei der Zubereitung der Speisen allzu wunderseltsamen Launen huldigten und mitunter – wir reden aus eigner Erfahrung – den Hafer, der für die Hühner bestimmt ist, unter die Erbsen, den Kautaback, der in ihre eignen Backentaschen gehört, unter den Reis mischten, anderer bisweilen in den Speisekesseln [452] schwimmender, zur Würze des Ackerfelds, aber nicht zur Würze menschlicher Nahrung tauglicher Dinge gar nicht zu gedenken.

Alle diese Mängel lassen sich mit mehr Humor erzählen als ertragen. Sie mögen sich vielleicht nicht ganz beseitigen, sie werden sich aber sicherlich mildern lassen. Auf alle Fälle wird ein tüchtiger Capitän es zu bewirken und nöthigenfalls zu erzwingen wissen, daß Zucht und Ordnung im Zwischendecke herrscht, daß die Bewohner desselben Anstand und Einsamkeit nicht über die Grenzen der Menschlichkeit aus den Augen setzen, und daß sie sich und ihre vorläufigen Wohnstätten möglichst rein halten. Leider jedoch trifft man auch auf deutschen Auswandererschiffen – obwohl nirgends in dem Grade, wie auf englischen – nicht selten das Gegentheil dieser Erfordernisse. Die Folgen liegen in grauenvollen Beispielen zu Tage. Die üble Luft, welche sich aus den Dünsten des im Schiffsraume stehenden faulen Wassers, verschütteten und nicht weggefegten Speiseresten, und aus den Ausdünstungen so vieler in enge Räume gepferchten Menschen entwickelt, ruft zumal dann, wenn stürmisches Wetter den Aufenthalt auf dem Deck verleidet, Krankheiten hervor, von denen besonders das Schiffsfieber, eine Art von Typhus, häufig entsetzliche Verheerungen anrichtet. Die große Unreinlichkeit aber, welche unter solchen vielfach zusammengewürfelten Menschen sich nur mit äußerster Strenge verbannen läßt, bedeckt die Schiffe mit Ungeziefer, denen bei der Enge der Verhältnisse auch der Reinliche nicht entgeht.

Mindestens ebenso wichtig jedoch als jene pia desideria ist die oft schon angeregte Frage, weshalb die Herren Rheder, die an ihrer Menschenfracht doch wahrlich genug verdienen, sich durchaus nicht herbeilassen mögen, ihren Schiffen zur Ueberwachung des Gesundheitszustandes der zwei- bis dreihundert Passagiere, welche darin verstaut sind, Aerzte beizugeben. Ihre Antwort würde, wenn sie aufrichtig zu sein den Muth hätten, einfach lauten: Wozu bedarf’s für Frachtgut eines Doctors? In Wahrheit aber ist es schmählicher, himmelschreiender Geiz, und die Presse, die dem Auswandererwesen schon manche Wohlthat zugewendet und manche seiner Leiden gemildert hat, sollte ohne Unterlaß auf Erfüllung dieser Pflicht dringen, so lange darauf dringen, bis es in Bremen und in Hamburg zum Gesetz erhoben würde, daß kein Auswandererschiff ohne Arzt den Hafen verlassen dürfe. Die Medizinkiste, welche jedem Schiffe beigegeben wird, ist – wir selbst haben auf einem bremer Schiffe eine solche verwalten müssen – lediglich Matrosenbedürfnissen angepaßt, selten in Ordnung, häufig sogar aus den Büchsen und Düten mit falschen Bezeichnungen versehen, und die Capitäne wissen in der Regel so wenig von der Kunst Aesculap’s, daß sie alle Krankheiten mit lothweise verabreichten Dosen von Ricinusöl oder Epsomsalz curiren. Welche Resultate damit erreicht werden, wenn eine ernste Krankheit ausbricht, mag man aus einem Beispiele abnehmen, daß auf dem Schiffe „Johann Hermann“ (Capitän Dieckmann) während der Ueberfahrt nach New-York, zu der es die Zeit vom 1. November 1853 bis zum 17. Januar 1854 brauchte, 41 Menschen starben, von denen ohne Zweifel viele hätten gerettet werden können, falls ein Arzt sich an Bord befunden hätte. Von einer Familie blieben vier Kinder übrig, die nebst ihrem Vermögen der deutschen Gesellschaft in New-York übergeben wurden. Für Erhaltung eines älternlosen Säuglings bot der Capitän fünf Dollars. Er starb jedoch ebenfalls vor der Ankunft des Hermann im Hafen.

Rechnet man zu allen diesen Mängeln und Mißständen noch die ungewohnte Lebensweise, die Langeweile bei Windstille, die Furcht vor Riffen, Sandbänken und Eisbergen, welche letztere im Sommer oft tief nach Süden herabtreiben, das furchtbare Schauspiel von Stürmen und Gewittern, so liefert das ein Facit, welches durchaus nicht wie eine Lustreise aussieht. Dennoch giebt es auch hier, wie allerwärts, einige Freuden und Unterhaltungen, zumal wenn der Capitän kein zu strenger Patron ist. Die Einen fischen, Andere tanzen auf dem Deck nach einer Ziehharmonika, wieder Andere erzählen sich Geschichten, bilden Singekränzchen, schneidern, schustern oder helfen den Matrosen, erkundigen sich am Compaß oder Steuer, in welcher Richtung und wie viel Knoten das Schiff segelt. Noch Andere studiren die Landkarte oder die Sprache ihres zukünftigen Vaterlandes, Andere beobachten die Erscheinungen des Himmels. Wolken, Morgen- und Abendroth, den Sturmbaum, der starken Wind verkündigt, oder die Gewitter, die namentlich in der Nähe des Golfstroms häufig mit schrecklicher Gewalt wüthen. Andere endlich betrachten das Leben der See und ihrer Thierwelt, bis denn – oft erst nach acht- und zehnwöchentlichem Harren, selten in der Hälfte dieser Zeit – das Gestade Amerika’s am Horizonte auftaucht, und der Lootse an Bord steigt, der die meermüden Wanderer in den Hafen von New-York oder Boston, Baltimore, New-Orleans oder Galveston führt.


  1. Dieses Frühjahr kamen sogar fünf Familien in Hamburg an, denen man in ihrer Heimath (Böhmen) vorgelogen, von Hamburg aus brauchten sie keinen Pfennig Geld mehr und könnten sich hinüber nach Amerika betteln.