Ein Bild deutscher Volkslust

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Friedrich Hofmann
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein Bild deutscher Volkslust
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 75–78
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[75]
Ein Bild deutscher Volkslust.

Keine schöneren Volksfeste, als die, deren Mutter die Freude ist. Ihnen verdankt man überall die schönsten Bilder der Volkslust, denen das Auge zu jeder Jahreszeit gern begegnet. Daher nehmen wir keinen Anstand, unsere Leser hinter den Winterfenstern auf ein deutsches Herbstfest blicken zu lassen, dessen Freudennachhall den Glücklichen ja ohnedies bis in den Winter nachklingt.

Noch allgemeiner übt kein Freudenfest sein frohes Regiment über die ganze cultivirte Welt, als das Erntefest. Geerntet wird überall, wo der Mensch durch die Sorge für sein Dasein auf die ersten Stufen menschlicher Gesittung erhoben ist; wo aber geerntet wird, hat auch die Freude ein Fest geschaffen, dem der Volkshumor die Gestalt und der Glaube seine Weihe ertheilt.

Die oft unerklärlichen Verschiedenheiten des örtlichen Ausschmuckes gerade dieses allgemeinen Volksfestes finden zum Theil ihre Erklärung darin, daß sie ursprünglich wirklich als Jahresfeste der Einweihung der einzelnen Kirchen und demnach in allen Jahreszeiten begangen und erst später in den Herbst verlegt und mit dem Erntefest verbunden worden sind. Jedes dieser Localfeste behielt auch in der neuen Zeit und Verbindung seine alten Formen bei, mochten sie dem Winter, Frühling oder Sommer ihre Entstehung zu verdanken haben. In manchen Ländern, wie am Rhein und in den Niederlanden, sind noch die Kirchweihen durch das ganze Jahr zerstreut; sehr klug waren die Oesterreicher, denn als Kaiser Joseph im ganzen Reiche alle Kirchweihen auf den dritten Sonntag des October verlegte, feierten sie gehorsamlich an diesem Tage die Kaiser-Kirmeß, vernachlässigten aber auch die alten Kirchweihtage nicht und erfreuen sich daher einer doppelten Kirmeß.

Weil Geld zum Fröhlichsein gehört, so versteigern in der Eifel die Burschen vier bis fünf Wochen vor der Kirmeß ihre Mädchen und stellen einen besondern Hüter an, der darüber wacht, daß bis zum Nachmittagsgottesdienst des ersten Kirmeßtages jede Versteigerte nur mit ihrem Ansteigerer verkehre.

Was die Kirchweih in der Pfalz zu bedeuten hat, spüren dort die Hühnerhöfe, Speisekammern und Weinkeller am meisten; die Gasterei blüht dort so üppig, daß sogar der geputzte „Kerwabaam“ darüber vergessen worden ist. Desto lustiger flattern am Kirmeß- oder Plans- oder Platzbaum in Franken die langen bunten Bänder der Tannenkrone, welche die hohe Stange desselben schmückt. Das „Putzen“ und Ausrichten des Planbaums geschieht in der dem Fest vorhergehenden „Kirwewoche“, und am Fest selbst wird um diesen Bann, der feierliche Umzug und der Tanz abgehalten. In vielen fränkischen Dörfern werden zu diesem Zweck Lindenbäume gepflegt und diese „Dorflinden“ sind oft gar kunstreich und wunderlich verschnitten und verschnörkelt. Der ehemalige Hauptanspruch an eine „richtige“ Kirchweih im bairischen Franken [76] daß sie mit einer so handfesten Schlägerei ende, daß wenigstens ein Paar Bursche in Backtrögen heimgetragen werden müssen, wird jetzt nicht mehr so entschieden erhoben.

Nachahmenswerth ist die Kirchweihsitte zu St. Peter im Schwarzwald. Dort muß jeder Hofbauer mit seiner Frau sein sämmtliches Gesinde drei Tage lang eigenhändig bewirthen. Sitzen sie nicht da, wie an fürstlicher Tafel die Herren und Damen? Vom Großknecht bis zum Kuhjungen und von der Altmagd bis zum Gänsemädchen behaupten sie in zwei Reihen am Tisch ihren Platz und ihr Recht. „Buwr, i bring der’s zue!“ schreit’s bald da, bald dort, und der Bauer muß Bescheid thun und die „Buwri“ auch. Nur das Tanzen unterbricht von Zeit zu Zeit die herzhafte Arbeit am immer gedeckten Tisch.

Wo es die Wohlhäbigkeit der Landwirthschaft hergiebt, geschehen die festlichen Umzüge der Planburschen zu Pferde, wie im Niederhessischen; dort stolzirt der Zugführer sogar in Husarenuniform mit dem Säbel in der Faust einher.

Unter den mancherlei Kirchweihspielen (wie Hahnenschlag, Wettlaufen, Huttänze, Klettern nach Taschentüchern an hohen, glatten Stangen und dergl.) nimmt der Fuldaische Hammelkrieg keine schlechte Stelle ein. Unter die Dorflinde führt man in festlichem Aufzuge und mit Musik einen Hammel, welcher mit Bändern und Tüchern reich aufgeputzt ist. Dann bilden die Eheleute und die Ledigen des Dorfes zwei feindliche Heerhaufen, die beide nach dem unglücklichen Hammel hindrängen, um sich in dessen Besitz zu setzen. Die Sieger haben den Vortheil, daß die Besiegten Hammel und Zeche bezahlen müssen, denn zum gemeinschaftlichen Hammelschmauß gehört auch ein entsprechender Trunk.

In vielen Gegenden ist man so vorsichtig, alljährlich die Kirchweihe zu begraben, denn man freut sich dabei schon im Voraus ihrer Wiederauferstehung im nächsten Jahr. Wie ehedem überall in der Pfalz, versenkt man noch heute in Lahr mit allen Zeichen ganz beweglicher Trauer eine wohlverschlossene Flasche Wein in die Erde, und zwar auf einem Hofe mitten im Dorfe, der lieben Sicherheit wegen. Im Remsthale geschieht dies außerhalb des Dorfes und man fügt dort dem Wein, den man leichtsinnigerweise in’s Loch schüttet, noch ein Viertel Kuchen, einige bunte Bänder und ein Häufchen alte Lumpen hinzu. Die tiefe Bedeutung von letzterer Zugabe ist noch zu ermitteln. Umgekehrt wie bei einer Soldatenleiche zieht man hier singend, schäkernd und lachend zur Stätte, wo „die Kirwe vergrabe“ wird, und kehrt dafür unter lautem Jammern und Wehklagen zum Tanzboden, daselbst aber vom Trauermarsch sofort zum Walzer zurück. Am Niederrhein vergrub man in älterer Zeit als Kirmeßbild einen Pferdekopf, jetzt widerfährt dem Conterfei des heiligen Zachäus diese Ehre. Hoch zu Roß wird der aus Holz geschnitzte Patron am Ende der Kirmeß zu seiner Ruhestätte gebracht, und ebenso stattlich ist der Zug, der ihn am Vorabend des Festes wieder ausgräbt und, auf eine hohe Stange gesteckt und mit Bändern, Blumen und der Kirmeßkrone geschmückt, zur Tanzbühne befördert.

Auch in Thüringen verstehen sie’s, eine gute Kirmeß zu halten. Für Ordnung hat in den meisten Dorfschaften der „Platzmeister“ mit seiner langen Pritsche zu sorgen, und ein „Platzknecht“ ist sein Adjutant. Er schafft vor Allem Proviant. Sehen wir ihn nicht, ein hohes Paßglas voll Bier in der Rechten und einen Rosmarinstengel in der Linken, an der Spitze der Musik von Haus zu Haus ziehen? Und in jedem Hause hält er ein Ehrentänzchen mit Frau oder Tochter, und wird mit einem Kuchen beschenkt, zu dessen Weiterbeförderung ein Bursche mit einem Schiebkarren hinter dem Zuge herfährt.

Nach einem festlichen Zug zum Tanzplatz unter den Dorflinden holt jeder Kirmeßbursch sein Mädchen zum Kirmsentanz ab. Da gehört es denn, trotz der längst abgemachten Sache, zum Dorfceremoniell, daß der Bursche in aller Form und mit wohlgesetztem Gruß bei den Eltern die Tochter sich zur Planjungfer erbittet und daß letztere nicht etwa schon in vollem Putz auf ihn wartet, sondern sich, wie sehr überrascht, erst gar fertig machen muß. Es ist, als ob in den vielen Thüringer Fürstenhöfen doch das Volk sich ein wenig habe spiegeln müssen; weiter geht aber eines Hofmarschalls heimliche Freude nicht, denn nachdem das Mädchen dem Burschen das Kirmstuch, ein buntes, seidenes Halstuch, auf die linke Schulter befestigt hat, geht sie hemdärmelig hinter ihm her bis zum Schenktisch am Kirmsplatz, wo sie auf das Wohl aller Festcameraden aus einem großen Bierglas trinkt. Indeß wimmelt längst der Platz von Alt und Jung, und sobald die Kirmeßpaare vollständig sind, beginnt ein Schleifer, dieser deutsche Urtanz, das eigentliche Kirchweihvergnügen für zwei Tage und Nächte lang. Den dritten Kirmeßtag verherrlicht der „Hammelritt“. Auf bunt ausgeputzten Pferden und selbst den Hut und Rock mit Bändern und Blumen geschmückt und mit Degen und Pistolen bewaffnet reiten die Bursche, voran die Spielleute und der Platzknecht, der allerlei seidene Bänder und Tücher als Fahne an einer Stange trägt, auf das Feld zur Heerde. Hier wird ein Hammel ausgewählt, ebenfalls mit Bändern behängt und einem Fleischer auf das Pferd gehoben, und nun kehrt der Zug zur Plan- oder Mahlstätte zurück, wo auf einem großen Stein unter den Linden der Hammel geschlachtet und dann zum Abendschmauß zugerichtet wird. Ein harmloses Spiel um Aepfel und Nüsse beschließt friedlich die Schmaußerei und das Fest.

Aber wie untergegangene Dörfer giebt es auch verlorene Kirmsen. Nach O. von Reinsberg-Düringsfeld („Das festliche Jahr“), dem wir mehrere der obigen Kirmeßnotizen verdanken, haben einige schwäbische Ortschaften keine Kirchweihe, weil sie entweder einen Bettelmann hätten verhungern lassen, wie die Betzinger, oder weil sie schuld daran gewesen, daß zwei Bettler sich gegenseitig todtgeschlagen, wie die Weilheimer bei Tübingen. Von Bietigheim erzählt er, es habe das Recht der Kirchweihe verloren, weil einst zwei Weiber während des Kirchweihkuchenbackens sich mit den Kuchenschüsseln erschlagen, und die Leute von Hepsisau werden Guckigaug gescholten, weil sie ihre Kirchweih in alten Zeiten für einen Kukuk verkauft haben sollen.

Und welch ehrwürdiges Alter haben die meisten unserer Kirmsen! Sie gehen bis in unsere Heidenzeit zurück, denn das Hammelschlachten auf dem Stein unter der Linde, Hammelritt, Hahnenschlag und Begraben der Kirmeß deuten darauf hin, daß auf dem Grund alter heidnischer Opferfeste die christliche Kirchweihe erstanden ist. Ist doch auch manche fromme Kirche weiland ein Götzentempel gewesen, wie die Belsener Capelle auf einem Vorhügel des Farrenberges, von dem aus man nicht nur hinab in das Steinlachthal blickt, das bei Tübingen in das Neckarthal mündet, sondern auch auf den benachbarten Roßberg, den höchsten Berg der schwäbischen Alb, auf welchem einst die Sonnenpferde, wie auf dem Farrenberg die Opferfarren, geweidet worden sein sollen.

Uebrigens sind der würtembergische Weiler Belsen und das liebliche Steinlachthal eigentlich daran schuld, daß wir diesen Wandelgang durch die deutsche Kirmeß- und Erntefestlust angetreten haben, denn dort findet sich ein so urwüchsiger Beitrag dazu, daß sich ein Künstler veranlaßt fühlte, den Hauptvorgang derselben für unsere Leser bildlich darzustellen.

Wenn nämlich im Steinlachthale die Ernte glücklich geborgen ist, so rüstet man sich zur Begehung des Erntefestes der Sichelhänget, die in Südwestdeutschland, namentlich in Schwaben und Oberbaiern, das von Alt und Jung ersehnteste Volksfest ist. Es wird stets an einem Sonn- oder Feiertag gehalten und beginnt mit einem Vormittagsgottesdienst, der dem Dank gegen Gott für das Glück der Ernte ganz allein geweihet ist. Mit desto leichterem Herzen giebt man sich am Nachmittag der weltlichen Freude hin. Alles Volk zieht hinaus auf die Wiese, wo eine Art Galgen errichtet ist, dessen sonst so verhängnißvoller Querbalken hier einen doppelten Beruf hat. Auf der Galgensäule steht ein Korb, in welchem ein mit allerlei Seidenbändern gar bunt herausstaffirter Hahn steckt. Vorne am Querbalken ist ein Bret so angebracht, daß es mit dem auf ihm stehenden Kübel voll Wasser leicht umkippt. Auch die Musik ist bereit und aus einer Clarinette, einer Baßgeige und einem Waldhorn zusammengesetzt. Erstere hat allein die Ehre, den Festmarsch zu führen, welchem die Paare mit hellem Jauchzen drei Mal um den Galgen folgen. Sobald aber der Marsch in einen Walzer übergeht, fallen auch die beiden anderen Instrumente ein und Paar um Paar schwebt nun im Kreise dahin um die wunderlich aufragende Vorrichtung. Bald jedoch wird „das Warum uns offenbar“. Sobald ein Paar in die Nähe des Querbalkens kommt, packt das Mädchen den Burschen beim Knie an der Hose und sucht ihn so hoch emporzuschnellen, daß er mit dem Kopf an den Kübel stoßen muß, dann walzen Beide eiligst davon, ohne den Erfolg des kühnen Aufschwungs abzuwarten. Dieses Spiel ist außerordentlich ergötzlich und giebt zu vielfachem Aufjubeln Gelegenheit; es ist deshalb auch immer den Leuten noch zu bald, wenn endlich die Preisrichter auftreten, um den „Hahnentanz“

[77]

Sichelhänget und Hahnentanzen im Steinlachthal in Schwaben.
Nach der Natur gezeichnet von Friedrich Ortlieb.

[78] zu enden und die Sieger zu belohnen, d. h. dasjenige Pärchen, welchem es gelungen ist, das meiste Wasser aus dem Kübel herausbefördert zu haben und dennoch am wenigsten begossen worden zu sein. Das Mädchen dieses Paars wird vom Aeltesten der Preisrichter zur Leiter am Galgen geführt, um sich den Hahn im Korb herunter zu holen. Der Tänzer aber erhält aus der Hand seiner Schönen besagten Hahn und damit die Ehre, bis zum nächsten Hahnentanz der erste Bursch im Orte zu sein. Mit dem „Hahn im Korbe“ voran, zieht Volk und Musik in’s Wirthshaus, wo die Sichelhänget in Tanz, Gesang und Trunk das Ende aller Volksfeste findet.

Jedes Fest, das dem Volke zur Erfrischung seines Wesens dient, gehört zu den Nationalschätzen, die man wahren muß. Es ist viel gegen Volksfeste und Volkssitten gesündigt worden, am meisten von Zeloten der Kanzel und Aufklärern in Actenstuben. Manchen Festen hat das Volk mit Thränen Lebewohl gesagt und sie sind noch heute nicht vergessen; andere sind selbst verwelkt und abgefallen, weil ihre Zeit vorbei war. Gerechtigkeit wird auch den Volksfesten erst werden, wenn es in des Volkes Willen und Einsicht allein gestellt ist, über seine Herzensangelegenheiten zu verfügen.

Fr. Hofmann.