Ein Blick hinter die Coulissen I
Noch vor wenig Jahrzehnten gehörte es zum guten Ton, mitleidig oder sogar geringschätzend auf den Schauspielerstand herabzusehen. Jetzt thut dies wohl nur noch der Ungebildete. Das Theater greift mehr und mehr in unser sociales, zum Theil auch in unser politisches Leben so wirkungsvoll ein, daß wir es nicht mehr wie ein Aschenbrödel im staatlichen Haushalt betrachten dürfen; ja es bildet einen Staat im Staate, denn es hat seinen Regenten, seine Minister, seine Ober- und Unterbeamten, seine Bürger wie seine Schutzverwandten. Natürlich leben die Menschen hier gedrängter an-, beständiger miteinander, und so treten durch diese Reibungen, die demnach auch stätiger und entzündlicher sein müssen, die Leidenschaften schärfer hervor.
Die Schauspieler sind exaltirter als wir, aber nicht schlimmer und wer heute einen Tyrannen spielt und morgen einen Millionär und beides in Wirklichkeit niemals ist, muß nothwendig darüber ein Bischen verrückt werden. Künstler haben alle ihren Sparren, zumal die dramatischen, und wehe, wenn sie ihn nicht haben. Nicht allein beim Schauspieler, in allen Ständen ist genau derselbe collegialische Neid zu Hause, genau dieselbe Eitelkeit, Selbstüberhebung und Gereiztheit beim geringsten Tadel, genau dieselbe Sucht, sich um jeden Preis bemerkbar zu machen. Hierher gehört jene schändliche Aeußerung: lieber als Dieb in der Zeitung stehen, als gar nicht. Hingegen treffen wir beim Schauspieler auf eine Gutherzigkeit, wie sie schwer in den Häusern unserer Geldbarone und Parvenus zu finden sein dürfte. Niemand unterstützt den armen heruntergekommenen Collegen bereitwilliger und großmüthiger als er, wenige sorgen aufopfernder für eine oft überzählige Verwandtschaft, und ich erinnere mich hierbei jenes Schauspielers, der auf seinen vielen Reisen, bei oft kargen Mitteln, sein altes gebrechliches Elternpaar mit sich führte, weil es sich zu Hause zu vereinsamt fühlte; trotz aller Pietät, hier und da doch eine recht unbequeme Reisebegleitung.
Der Schauspieler von heute unterscheidet sich wesentlich von dem der sogenannten „guten alten Schule“, eine Kaste, die so ziemlich ausgestorben ist, da sie sich an die Periode eines Schröder und Iffland lehnt. Was die Brüdergemeinde dieser guten alten Schule vielleicht zu weit trieb in orientalischen Künsteleien, Kunstpausen, Mienen-, Geberden- und Dosenspiel etc., das treiben unsere heutigen Mimen zu wenig und verfallen in eine Nonchalance, daß wir es nächstens erleben können: der Marquis Posa steht vor König Philipp mit den Händen in den Taschen. Man pflegt dies die realistische Richtung zu nennen, und sie erinnert in der That stark an Wirthshausmanieren, die ganz geeignet sind, das letzte Restchen einer stylvollen Spielweise von der Bühne auszuschließen. Den in jener Zeit nicht wegzuleugnenden hohen Ernst für seine Kunst, der den Novizen wie den fertigen Schauspieler beseelte, suchen wir bei unserem modernen Kunstjünger vergebens. Es wird ihm schon von Haus aus zu leicht, zu bequem gemacht, als daß er für seinen Beruf den nöthigen Feuereifer, die nöthige Begeisterung mit sich bringen könnte. Er besucht in der Regel ein, zwei Jahre eine Theaterschule oder läßt sich von einem renommirten Schauspieler sechs Paraderollen einstudiren, richtiger einpauken, geht dann zum Theater-Agenten, dem er sich auf zehn Jahre verkauft, wofür ihm dieser für’s Erste ein Engagement von sechshundert bis tausend Thaler verschafft, und der Künstler ist fertig.
Vordem war es anders. Man kannte keine derartigen Eselsbrücken, man studirte langsam und mühselig, oft unter den bittersten Sorgen, den herbsten Schicksalsschlägen, reiste meilenweit, um diesen oder jenen großen Schauspieler zu sehen und zum Vorbild zu nehmen, und so bildete sich durch dieses anhaltende Ringen und Kämpfen neben dem Kunstmenschen auch der Charaktermensch vortheilhaft heraus, wovon schon die Portraits jener alten Schauspieler ein untrügliches Zeugniß geben. Die jetzige Generation erzeugt Dutzendmenschen mit Dutzendgesichtern, die, um auf der Bühne nur zu einiger Bedeutung zu gelangen, ihre Zuflucht zur Fettschminke nehmen müssen, die ja jede Schwäche deckt und selbst der nichtssagendsten Physiognomie ein genialisches Ansehen verleihen soll. Nach diesen allgemeinen Bemerkungen sei es uns gestattet, zu den Detailstudien überzugehen; wobei die nebenstehenden Skizzen als Folie dienen mögen.
Nothwendig beginnen wir mit dem Chef der Anstalt, den wir im Bilde absichtlich übergangen haben, um nicht persönlich zu werden, was ja hätte so leicht kommen können. Der Leiter eines Stadttheaters wird schlechthin Director genannt, der einer Hofbühne Intendant oder General-Director. Dieser ist gewöhnlich ein Hofcavalier und seine Ernennung bestimmt allein der regierende Fürst, jener ein Bürgerlicher, und ihn ernennt der Stadtrath. Man ist in letzter Zeit den Hoftheater-Intendanten gegenüber den Privatunternehmern besonders scharf zu Leibe gegangen, und oft mit einer Animosität, die der Parteilose durchaus nicht billigen konnte. Die Wahrheit liegt auch hier in der Mitte: nicht jeder Hoftheater-Director gleicht dem Hofmarschall in „Cabale und Liebe“, eben so wenig wie jeder Stadttheater-Director ein Ausbund von Fähigkeit, ein Muster von Noblesse der Gesinnung ist. Die angeborenen feinen Umgangsformen des wahren Cavaliers regieren, man mag sagen was man will, das Völkchen der Schauspieler leichter und besser, als die Brutalität, die auf den Geldsack schlägt; und ist dazu noch der Cavalier ein wahrhaft gebildeter Mann, der über dem „Blenden der Erscheinung“ steht, so läßt sich kein wünschenswertherer Chef für ein derartiges Kunstinstitut denken. Wir kennen einen, vielleicht der Einzige, der diese schönen Eigenschaften glänzend in sich vereinigt, obschon er nicht ein Edelmann von Geburt ist – Eduard Devrient.
Dem Director zunächst spielt der Regisseur die erste Violine, denn er ist sowohl vortragender Rath beim Chef, als auch artistischer Leiter der Bühne. Er liest alle eingesandten Novitäten (eine wahre Herculesarbeit), schlägt die besten zur Aufführung vor, setzt alle Stücke in Scene und corrigirt und rectificirt die Schauspieler bei Auffassung ihrer Rollen, genug, er ist das Perpetuum mobile, ohne dessen Triebkraft die Maschine bald still stehen würde. Wie überall, so giebt es auch hier Ausnahmen, und wir haben allerdings auch Regisseure zu verzeichnen, die schon genug gethan zu haben glauben, wenn sie die aufgezogene Uhr auf den Tisch legen und hinter den Coulissen Witze reißen, während es auf der Bühne drüber und drunter geht, was sie dann „eine Probe abhalten“ nennen. Unser Regisseur mit Dose, Stock und stets bereitem Taschentuch gehört jener guten, pflichtgetreuen Classe an, die ihrem Berufe lebt und stirbt, sechs Stunden auf einem Flecke sitzen und ein und dasselbe Stück mit gleicher Andacht zum zwanzigsten Male insceniren kann, und über die Schauspieler wacht, wie ein Vater über seine Kinder. Er ist Wittwer, und eine betagte Haushälterin führt das Regiment und zwar, wie man wissen will, mit einem Holzpantoffel.
Der alte Herr trinkt täglich sein sehr gutes Glas Wein in der gesuchtesten Weinstube, wo er am Stammtisch präsidirt. Jener alten Schule angehörend, spricht er gern von Beck, Beil und Iffland, und hört es nicht ungern, so bescheiden er es auch ablehnt, wenn dabei seiner gedacht und an die Zeit erinnert wird, da er noch den Ferdinand in „Cabale und Liebe“ spielte und Alles entzückte. Den alten dicken Regisseur mit den verschwommenen Zügen [444] auch nur für den möglichen Schatten des idealen Ferdinand halten zu müssen, fällt uns schwer und giebt uns, bei allem Respect vor der guten alten Schule, einen sonderbaren Begriff von der Geschmacksrichtung unserer Väter. Wenn auch unser Freund keine Schulden hat, so hinterläßt er doch auch Nichts, wie er selbst eingesteht. Das Mobiliar bekommt die Haushälterin, und in einem
geheimen Fache seines Pultes, über dem eine unkenntliche Stickerei seiner ersten Liebe hängt, liegen dreihundert Thaler, um „anständig“ begraben zu werden. Seine Errungenschaft in staatsbürgerlicher Hinsicht ist ein kleiner Orden, daher er nur im Frack erscheint und sein Extra-Ruhm, daß er Mitglied einer Montagsgesellschaft ist und die Auszeichnung genießt, neben einem Gerichtsrath zu sitzen.
Seine rechte Hand ist der Inspicient, gewöhnlich ein verdorbener Schauspieler und somit ein nagendes Gift im Busen nährend, den man nie anders sieht, als mit der Contente und der Klingel; mit einem Bleistift hinter’m Ohr oder zwischen die Lippen geklemmt, will er recht wichtig thun. Er überwacht und leitet das pünktliche Auf- und Abtreten der Schauspieler, klingelt, wenn der Vorhang auf- und niedergehen soll, marquirt und excontirt die nöthigen Schüsse, Donnerschläge, Regengüsse und Hülferufe hinter der Scene, und notirt mit unnachsichtiger Strenge die säumigen Künstler, sobald sie nicht mit dem fallenden Stichwort auftreten. In seinem Wesen liegt etwas vom Militär und Polizisten; die Contenta, worin sich das Scenarium des aufzuführenden Stücks von ihm verzeichnet befindet, ist sein Hauptbuch, worauf er schwört, seine Pünktlichkeit unerhört, und seine Uhr die richtigste in der Stadt. Dem
Schall seiner Klingel gehorcht der Maschinist, der den Vorhang aufzieht oder die Scene verwandelt, wie die vergöttertste Künstlerin, die halbgeschminkt aus der Garderobe auf die Bühne stürzt; ja selbst der Herr Generaldirector muß auf ihre Mahnung mit einem Satze
die Bühne verlassen, was von einem schallenden Gelächter seitens des Publicums accompagnirt zu werden pflegt, wenn ein böser Dämon will, daß der Vorhang bereits aufgezogen, und so gerade noch Zeit gegeben ist, eines der abspringenden Beine nebst Frackschoß bewundern zu können.
Wer bei einer Probe oder Vorstellung zu spät kommt, wer sein Stichwort überhört, ja, wer selbst zu zeitig auftritt, was [445] namentlich jungen Schauspielern infolge heftigen Coulissenfiebers passirt, wird schonungslos notirt und am Gagetag gestraft durch Abzug gewisser Procente. Daher zittern selbst die Verwegensten vor dem Griffel des Inspicienten, wie vor seinen Pathenbriefen, indem er als umsichtiger Mann möglichstes Capital aus seiner starken Familie zu schlagen sucht.
Wir gehen nun zu den darstellenden Mitgliedern über. Die sentimentale Liebhaberin, der designirte Abgott aller Lieutenants, unbesoldeten Assessoren und Procuristen, muß auf der Bühne wie im Leben und auf der Photographie wehmüthig lächeln, sich in schwarze Spitzen hüllen und im Haar eine Camelie tragen, denn so verlangt es das Rollenfach, oder richtiger das Metier. Sie wird nie heiter scheinen oder laut lachen, selbst wenn sie es innerlich vor Vergnügen kaum aushalten kann, denn es würde unbedingt den Gesammteindruck des sentimentalen Gebäudes ruiniren. Ihr Schritt wird stets langsam und gemessen sein, selbst wenn es zwei Ellen hinter ihr brennte, ihr Blick stets seelenvoll, und wenn sie auf eine Kupfernatter träte. Um Shakespeare, schon um Goethe kümmert sie sich in der Regel nicht viel, hingegen hat sie die „Louisen-Charaktere“ dermaßen mit der Muttermilch eingesogen, daß sie in gewissen Rollen wirkliche Thränen vergießen kann. Ihr Studium ist mäßig, und nicht mit Unrecht betrachtet sie ein richtiges Gefühl und ein treues Gedächtniß als das Fundament der Schauspielkunst. Alles Uebrige bewerkstelligen dann Schminke, Hängelocken, Lampenlicht und das Costüm, welches selten richtig ist, weil es trotz der Anordnungen des Costümzeichners durch eine höchst abgeschmackte Zuthat von Schleifen, Puffen, Bändern und falschen Schmuckgegenständen gründlich verunstaltet wird. Das Privatleben der sentimentalen Liebhaberin ist immer sehr zurückgezogen und tadellos; auch erreicht sie nie das dreißigste Lebensjahr, indem sie laut Contract immer nur neunundzwanzig bleiben muß. Sie cultivirt im Publicum oder an einem sehr entfernten Hoftheater ein ganz geheimes Verhältniß mit einem Herrn in gesetzten Jahren, das endlich durch eine ebenfalls sehr geheime Vermählung in einer Dorfkirche seinen Abschluß findet und hauptsächlich dazu dient, die Zukunft der Dame sicher zu stellen.
Im entgegengesetzten Zustande befindet sich die Soubrette, oder auch muntere Liebhaberin geheißen, Hier ist Alles Feuer und Leben, ewiges Lächeln, Honig auf den Lippen und Perlen von Zähnen, die officiell gezeigt werden müssen, Das Gehen ist ein stetes Springen und Hüpfen, die Lustigkeit in Permanenz erklärt, Quecksilber in Händen und Füßen, ein wahres „Teufelsbölzchen“ auf der Bühne, wie im Leben. Ihre Toilette ist meist gewählt, oft verschwenderisch, daher Schulden wie ein Major, ihre Verehrer sind in der höheren Militär- und Beamtenwelt zu suchen, und nebenher schwärmt sie für eingemachte Früchte und süße Ungarweine. Tritt die Soubrette vom Schauplatze zurück, so finden wir sie als Vorsteherin eines eleganten Putz- und Modegeschäfts, als Gasthofsbesitzerin oder als Photographin wieder, und erfreuen uns immer noch des nie versiechenden Humors der kleinen runden Frau.
Die „zärtliche Mutter“, in früheren Jahren nicht selten eine Schönheit, hat sich dennoch ziemlich ergeben in das unvermeidliche Alter gefügt und symbolisirt es durch eine Spitzenhaube, die nur in den äußersten Fällen ihr Haupt verläßt. Sie vertritt Mutterstelle bei der jungen Theaterwelt, hat nie einen Zwist mit der Direction, nimmt vom Souffleur eine Prise, was sie ihrer Popularität schuldig zu sein glaubt, und kümmert sich wenig um eiteln Künstlerruhm, denn sie hat einen lebenslänglichen Contract in der Tasche. Bei ihrem so wohl conservirten Wesen und der stets rosigen Laune sollte man nicht glauben, daß sie einen kranken oder unnützen Mann zu Hause hat, der als ehemaliger Mime sich nicht entblödet, die Stellung der eigenen Frau zu beneiden, die ihn obendrein erhält und füttert.
Der „zärtliche Vater“ ist hier sogleich anzureihen. Die nothwendigen Requisiten eines solchen bestehen in einer Schnupftabaksdose, einem großblumigen Schlafrock, mehreren Taschentüchern und sehr bequemen Hausschuhen. Er lernt nie seine Rolle und schlägt sich mit Kunstpausen durch, die er mit Zitterstimme, Rührblicken, Taschentuchziehen, Umarmungen, Segenspenden, stummem Spiel und Kopfschütteln so trefflich auszustatten weiß, daß diese Kunstfreveleien bei dem Gründling im Parterre stets als baare Münze acceptirt werden. Die Schauspieler haben einen technischen Ausdruck für solches Manöver und nennen es „schwimmen“. Mit dem Souffleur steht er folgerecht auf dem besten Fuße, ja, hat selbst, trotz der Achtung, die er sich als ausübender dramatischer Künstler schuldet, unter vier Augen Brüderschaft mit ihm getrunken. Als Mensch und Bürger erfreut er sich eines ausgezeichneten Rufes, arbeitet in Pappe oder angelt, auch sieht man ihn an heißen Sommernachmittagen mit einer grünlackirten Botanisirtrommel durch die Haide streichen, ein Beweis, daß er Gemüth hat.
Schnallen wir nun den Kothurn an, werfen die Toga über und gürten die Lenden mit dem Schwerte, denn es gilt, die „tragische Liebhaberin und Heldin“ zu empfangen. Dieselbe hat nie ein leichtes Verhältniß, sondern ein sehr ernstes mit einem schwerreichen Banquier, welches vollkommen der Gediegenheit ihres Charakters, ihrer Spielweise, namentlich ihres Schmuckes entspricht. Sie stammt meist aus einer sehr achtbaren Handwerkerfamilie, welchem Ursprung sie wohl auch die Stärke ihrer Gliedmaßen verdanken mag, was Kunstenthusiasten und Kritik mit „classische Formen“ bezeichnen. Da uns Deutschen eine große Leidenschaftlichkeit nicht eigen, gehört auch die Wiedergabe großer, erhebender, furchtbarer Leidenschaften auf unserer Bühne zu den Seltenheiten, und wir nennen schon die eine große Tragödin, welche uns durchs ungewöhnliche Körperlänge imponirt, kühn einherschreitet, sich in den möglichsten Attituden präsentirt [446] und ihr Sprachorgan in allen Tonleitern spielen läßt. – Sophie Schröder war wohl die letzte große tragische Schauspielerin. Sie war es aber auch, die (nach den Memoiren von Caroline Bauer) noch als zweiundsechszigjährige Frau allen Ernstes und zornfunkelnden Auges erklärte: daß sie erst vor zwei Jahren der Liebe, „dieser niederträchtigsten aller Leidenschaften“, entsagt habe!
Von dem jugendlichen Liebhaber und Naturburschen ist wenig mehr zu sagen, als daß er sich jeden Abend die Haare wickelt und am Tage eine feuerfarbene Cravatte trägt. Lächelnde Selbstgefälligkeit ist über den ganzen Jüngling gegossen, der seinen Stammbaum aus einem Friseurladen oder einem Schnittwaarengeschäft leitet.
Der „erste Liebhaber und Held“ ist unbedingt der schönste Mann am Theater, selbst wenn er es nicht ist. Er ist nie verliebt, sondern läßt sich nur anbeten, und das meist auf Distance, woraus man schließt, daß er Fischblut in den Adern haben und in Folge dessen ein sehr hohes Alter erreichen soll. Er wohnt nur Bel-Etage, zeigt sich, selbst wenn er Gatte und Vater ist, nie mit Weib und Kind auf der Straße, um seinen Bühnencredit als „ewiger Jüngling“ nicht leichtsinnig auf’s Spiel zu setzen, und nimmt beim Grüßen den Hut sehr vorsichtig ab, aus Gründen, die später einleuchten werden. Sein Salon ist mit seinen Triumph- und Siegeszeichen geschmückt, wie der Wigwam des Indianers mit Schädeln und Skalps. Alte und neue Lorbeerkränze mit ellenlangen Atlasbändern, mehr als dreißig Exemplare von des Künstlers „eignem Bildniß“, Souvenirs in Wolle, Atlas, Perlen und Seide, Orden und Ehrendiploms unter Glaskästen füllen, bis an die Decke gespeichert, diese Ruhmeshalle. Er raucht niemals, außer bei einem Theateragenten oder Kritiker, wo er es aus höheren Rücksichten über sich gewinnen kann, mehrere Stunden im dichtesten Tabaksqualm auszuhalten. Er geht Punkt zehn Uhr zu Bett, nachdem er zuvor zwei Teller Hafergrützschleim zu sich genommen hat, ein Opfer, das er der Conservirung seines herrlichen Organs schuldig ist. Er bewegt sich stets im träumerischen Hamletschritt und trägt eine sehr feine Perrücke, die junge Damen der Pension und sonst starkgläubige Gemüther für echtes Haar halten.
Der „Intriguant und Charakterspieler“ ist gewöhnlich ein sehr guter Mensch, der sich aber a conto seines Rollenfaches ein heimtückisches Ansehen geben zu müssen glaubt. Hat er Talent, so ist er das interessanteste und amüsanteste Mitglied der Bühne; hat er keins, so schlägt er gern zum „denkenden Schauspieler“ um, eine bedenkliche Sorte, die hinter sogenanntem Maßhalten ihre ganze Armseligkeit versteckt, die immer will, aber niemals kann, und ihre Mittelmäßigkeit in Schriftstellervereine und gelehrte Gesellschaften einschmuggelt, um dort zu katzbuckeln oder, was zwar auf dasselbe hinausläuft, die Werke neuerer, vor Allem anwesender Dichter vorzutragen.
Sonderbar, daß der „Komiker“, der schon bei mäßigem Witz Aller Herzen erfreut und der gute Kerl der ganzen Menschheit ist, in seinem Hauswesen selten die Quelle findet, aus der er seine gute Laune schöpft. Sollte dies vielleicht folgende Stelle erklären helfen, die sich auch übertriebene Spaßmacher außer der Bühne hinter die Ohren schreiben können: „Da guckte Michal, die Tochter Saul’s, durch’s Fenster, und sahe den König David springen und tanzen vor dem Herrn, und verachtete ihn in ihrem Herzen.“
Mit wenig Worten: es sind hier nur in seltenen Ausnahmen glückliche Ehen zu finden, ein Merkmal, zu charakteristisch, als daß wir es hätten, trotz der Subtilität des Gegenstandes, übergehen können. Die komische Alte, die Heldenmutter und der Heldenvater bewegen sich fast immer in der Sphäre des Alltäglichen, nur ist dem Heldenvater nächst einer ausgezeichneten Bierkenntniß gern jene Gravität eigen, die sich der Mensch zuweilen anschnallt, um die Blößen des Geistes damit zu verdecken. Auch gilt er bei Denen, die wenig Menschenkenntniß besitzen, als Biedermann.
Der „amtliche“ Theaterkritiker und der Souffleur sind die geplagtesten Creaturen. Ersterer macht es weder den Schauspielern noch dem Publicum recht; letzterer muß alle Sünden eines schlechten Gedächtnisses oder einer mangelnden Memorie mit seinen Lungenflügeln ausbaden. Aber das Schrecklichste der Schrecken ist zweifelsohne eine Theatermutter, die geborene Beschützerin der Jugend und Unschuld, der Quälgeist der Directionen, dieses prädestinirte Freibillet und Einschiebsel in alle Privatcirkel, wo nur die Tochter gewünscht, aber für – Obst gedankt wird. Doch Du bist Mutter – und diese Narben vierzigjähriger Theaterschlachten stehen Dir schön!