Ein Conzert mit Hindernissen
[552] Ein Concert mit Hindernissen. Der berühmte polnische Geiger Henri Wieniawski erhielt einst gelegentlich eines Aufenthaltes in St. Petersburg die Aufforderung, vor dem Czaren Alexander II. zu spielen. Er fand sich zur festgesetzten Stunde im Winterpalais ein und wurde in ein prächtiges Gemach geführt, in dem bald darauf auch der Kaiser mit seinem riesigen Neufundländer erschien. Als der Künstler sein Concert begann, erhob sich das Thier, welches sich zu den Füßen seines Herrn niedergelassen, wieder und schritt langsam auf Wieniawski zu. Dieser geigte in der Befürchtung, daß sich der Neufundländer gemäß den Gepflogenheiten seiner Rasse anschicke, das Accompagnement zu dem Spiele mit einem Geheul aus Leibeskräften zu übernehmen, etwas unbehaglich weiter, aber es kam anders. Der Hund richtete sich, dicht vor dem Virtuosen angelangt, plötzlich in die Höhe und legte seine breiten Tatzen auf dessen Schenkel. Daß eine derartige Situation dem künstlerischen Vortrage nicht gerade förderlich ist, läßt sich begreifen, trotzdem fuhr Wieniawski, nach Kräften seinen Gleichmuth bewahrend, in dem Concerte fort. Allein der Neufundländer beruhigte sich noch immer nicht. Weiter und weiter rückte er mit seinen Tatzen hinauf, und seine riesige Schnauze folgte jeder Armbewegung des Geigers. Diesem begann bei dem Gedanken: ein Zuschnappen, und mit der Ausübung Deiner Kunst ist es zeitlebens vorbei, der Schweiß auf die Stirn zu treten. Mehr und mehr bedrängte die Schnauze des Hundes, seinen Arm, sodaß er, um sie nicht zu berühren, immer kürzere Bogenstriche zu machen gezwungen war. Endlich hatte der Kaiser, der bis dahin schmunzelnd dem Vorgange gefolgt war, Mitleid mit dem Künstler und fragte:
„Wieniawski, genirt Dich der Hund?“
„Majestät,“ murmelte der Künstler erschöpft, „ich fürchte, ich genire ihn.“
Alexander lachte laut und rief das Thier zu sich, worauf der Geiger erleichtert sein Concert fortsetzen und beenden konnte. L. M.