Ein Doppelfest in Wilhelmshaven

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Autor: J. v. A.
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Titel: Ein Doppelfest in Wilhelmshaven
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 700–702
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Enthüllung Prinz-Adalbert-Denkmal und Taufe Schiffsrumpf "Pfeil"
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Ein Doppelfest in Wilhelmshaven.

Der 16. September dieses Jahres war ein denkwürdiger Tag für unsern nordischen Kriegsport Wilhelmshaven. Schon vom frühesten Morgen an durchwogte eine dichtgedrängte Menschenmenge die laubgeschmückten, reichbeflaggten Straßen der Stadt, und Aller Gesichter, ob Hoch oder Niedrig, Jung oder Alt zugehörig, zeigten denselben Ausdruck freudiger Erwartung. Galt es doch, das Andenken eines um die gesammte Seestreitmacht und den hiesigen Kriegshafen hochverdienten Mannes zu ehren: das Denkmal, das die dankbare Marine ihrem ersten Oberbefehlshaber, sozusagen Begründer, dem Prinzen Adalbert von Preußen gesetzt, sollte feierlich enthüllt werden.

Schon am Tage zuvor war Prinz Heinrich, welcher bekanntlich der Marine als Lieutenant zur See angehört und den sein erlauchter kaiserlicher Großvater mit dem Ehrenamte seiner Vertretung bei der Enthüllungsfeier des Denkmals betraut, in Wilhelmshaven eingetroffen und hatte – warm von der Bevölkerung begrüßt – sein Absteigequartier im Stationsgebäude, der Wohnung des derzeitigen Chefs der Nordseestation, Contre-Admirals Berger, genommen.

Gegen elf Uhr Morgens begann der Aufmarsch der Truppen, Matrosen und Soldaten des Seebataillons, die in zwei langen Reihen rechts und links vom Denkmale, das am Südende der breiten Adalbert-Straße, mit der Front gegen den Friedrich-Wilhelm-Platz, errichtet ist, Aufstellung nahmen. Dem Denkmale gegenüber versammelte sich das Officierscorps, eine stattliche Schaar, deren Anzahl noch durch die Officiere und Cadetten des Tags zuvor auf hiesiger Rhede eingetroffenen Geschwaders vermehrt wurde. Seitwärts davon war der Kriegerverein postirt, während im Rücken der Statue die übrigen Vereine, sowie die Schüler des Gymnasiums und der Volksschulen sich ausbreiteten. Für bevorzugte Privatpersonen, darunter die zahlreich erschienenen Vertreter der Presse, fanden sich Plätze in dem formirten Vierecke reservirt. Unmittelbar hinter den Mannschaften aber erhoben sich die Tribünen für die Damen der Garnison, die in ihrem bunten Schönheitskranze einen ebenso anmuthigen, wie wirkungsvollen Abschluß des bewegten Gemäldes bildeten. Und um diese weite lebende Mauer drängte und wogte eine gewaltige Menschenfluth, die mit jedem neu ankommenden Extrazuge und Vergnügungsdampfer sich mehr anstaute, während eine helle, strahlende Sonne ihren leuchtenden Schein über die ganze festliche Scene warf.

Punkt zwölf Uhr kam Prinz Heinrich mit seinem Gefolge die Adalbert-Straße herab und betrat den kleinen blumengeschmückten Pavillon, dem verhüllten Denkmal gegenüber. Nach ihm thaten dies noch der Chef der Admiralität von Stosch, der Oberpräsident der Provinz Hannover, von Leipziger, der militärische Begleiter, Freiherr von Seckendorff und der als Vertreter seines Souverains erschienene oldenburgische Präsident, Erdmann. Sodann schritt der Präses des Comités, Vice-Admiral Batsch, in den freien Raum zwischen Pavillon und Denkmal und verlas in längerer Rede ein Lebensbild des verewigten Prinzen. Es möge uns vergönnt sein, nur wenige Daten daraus hervorzuheben.

Wie tief die Liebe zur See und zum gesammten Seewesen im Prinzen gewurzelt, das zeigt schon seine im Jahre 1842 unternommene und über Jahr und Tag dauernde Reise nach Brasilien mit der sardinischen Fregatte „San Michele“. Eine von dem Prinzen selber verfaßte und ihrer Zeit, wenn auch nur leider in wenigen Exemplaren im Druck erschienene Beschreibung dieser Reise offenbart ihres Autors reges Interesse und intimes Verständniß für alle seemännischen Angelegenheiten. Von seinem königlichen Vetter, Friedrich Wilhelm dem Vierten, im Jahre 1848 an die Spitze der soeben gegründeten Marine gestellt, war er dem neuen Beruf fortan mit Leib und Seele ergeben. Seinen unablässigen Bemühungen gelang es, den schwachen Lebensodem der jungen Seestreitmacht zu immer kräftigerem Athemzuge anzufachen und sie im tapferen, nie ermüdenden Kampfe gegen die widerstrebendsten Verhältnisse zu stets größerer Machtentfaltung emporzuheben. Von ihm ging zuerst der Gedanke der Gründung einer Nordseestation aus, und seinem rastlosen Wirken nach diesem Ziele hin verdankt „Wilhelmshaven“ seine Entstehung. Auch die Colonisationsfrage schwebte seinem weit blickenden Geiste als eine ihrer Lösung entgegenharrende und in ihrer Wichtigkeit nicht zu unterschätzende vor. So war der ihm anvertrauten Waffe bis zuletzt das höchste Interesse des Prinzen Adalbert gemidmet, und mit seinem Hinscheiden verlor die Marine einen alle Zeit getreuen Führer und Förderer.

Nachdem Admiral Batsch geendet, nahm der Chef der Admiralität, Minister von Stosch, seine Stelle ein. In kurzer, freier Ansprache beleuchtete er den Grundgedanken der dankbaren Anerkennung, aus dem das Denkmal hervorgegangen, und nachdem er dasselbe feierlich der Stadt Wilhelmshaven in ihrem Vertreter, dem Bürgermeister, übergeben, bat er Prinz Heinrich, im Namen Seiner Majestät des Kaisers das Zeichen zur Enthüllung geben zu wollen.

Auf einen Wink des Prinzen sank unter brausendem Musiktusch und begeisterten Hochrufen der Versammelten die Hülle und zeigte die weit über lebensgroße, auf dunklem Marmorpostament sich emporhebende Bronzefigur des Prinz-Admirals. In der bekannten bequemen und doch festen Haltung steht sie aufrecht da, in die frühere Parade-Uniform der See-Officiere, Frack und Epaulettes etc. gekleidet, mit unbedecktem Haupte, die linke Hand auf den Säbelgriff gestützt, in der rechten ein Fernrohr tragend. In geradezu frappirender Aehnlichkeit tritt die Gestalt des Prinzen Adalbert in ihrer ganzen Eigenart und in treuer Lebenswahrheit dem Beschauer entgegen. Der Sockel zeigt auf der einen breiten Front das prinzliche Wappen; rechts und links an den Seitenwänden, von erhabenen Kränzen umgeben, den Geburts- und den Sterbetag des Dahingeschiedenen (den 29. October 1811 und den 6. Juni 1873) und auf der zweiten Hauptfront die Widmung: „Ihrem verewigten Oberbefehlshaber, dem Prinzen Heinrich Wilhelm Adalbert von Preußen, in dankbarer Erinnerung die kaiserliche Marine.“

Nachdem Prinz Heinrich unter den Klängen des Preußenmarsches und gefolgt vom gesammten Officiercorps das Denkmal [701] umschritten, ließ er den Schöpfer des Monuments, Bildhauer Schuler[WS 1], ersuchen, zu ihm zu kommen, und sprach ihm Dank und warme Anerkennung seines künstlerischen Werkes aus. Sodann begab der Prinz sich nach dem nahen Werfteingangsgebäude.

Kaum hatte er sich entfernt, als die Volksmenge rasch zu zerstäuben begann. In dichten Schaaren strömte Alles hinüber nach der Werft, wo im unmittelbaren Anschlusse an die Enthüllungsfeier die festliche Taufe und der Stapellauf eines neuerbauten Aviso stattfinden sollte. Hohe Flaggenstangen mit Laubgewinden und wehenden Standarten bildeten einen Triumphpfad um den Festplatz, in dessen Mitte, auf der Helling Nr. 1, der mächtige neue Aviso noch unbeweglich auf seinem Holzunterbau, dem schräg abwärts zum Wasser leitenden sogenannten „Schlitten“, ruhte.

Flaggen und Wimpel schmückten den gigantischen Täufling: sinnige Sprüche zierten seine Stützen, und auf dem noch mastenlosen Deck standen die Arbeiter und einige Beamte versammelt, bereit, mit ihm zugleich „abzulaufen“. Dicht vor seinem Bug aber erhob sich am Lande die ziemlich hohe, reich decorirte Tauftribüne, auf deren Brüstung, mittelst langer schwarz-weiß-rother Seidenbänder am obersten Schiffsrande befestigt, eine wohlgefüllte Flasche sich präsentirte. Das köstliche Naß, das solche Schiffstauf- Flaschen enthalten, wurde früher immer nur den sonnigen Thälern der Champagne entnommen, stammt aber jetzt bei derartigen festlichen Handlungen jederzeit von den Ufern des heimischen Vater Rhein, und wir haben uns also den edelsten Rauenthaler oder Johannisberger als Inhalt jener bändergeschmückten Flasche zu denken.

Die Taufe des Aviso „Pfeil“ auf der kaiserlichen Werft in Wilhelmshaven.
Nach einer Photographie im Verlage von C. J. Frankforth in Wilhelmshaven

Zur rechten Seite des Schiffes, die Helling entlang, zog sich die lange Tribüne für die Zuschauer hin; in ihrer Mitte befand sich ein freigelassener Raum für den Prinzen und die Admirale. Links vom Aviso und um die Tauftribüne geschaart, standen die Officiere und Beamten, weiterhin die Musik, und in unabsehbarer Menge dehnten sich die Mannschaften und Zuschauer zu beiden Seiten der großen Binnenbassins aus. Einen imposanten Anblick gewährten aber die naheliegenden Docks, die, mit Wasser gefüllt, zu Ehren des Tages die beiden noch zu Zeiten des Prinzen Adalbert vom Stapel gelaufenen Panzerkolosse „Kaiser“ und „Deutschland“ trugen.

Kaum hatte Alles seine Plätze eingenommen und sich rangirt, als auch schon Prinz Heinrich mit seiner Suite, vom Werftgebäude kommend, erschien.

Weiland pflegte der Taufact eines Schiffes nur von Damen vollzogen zu werden, und erst unserer ehernen neuesten Zeit blieb es vorbehalten, dieses Vorrecht aus „schönen“ Händen zu nehmen und in „kräftigere“ zu legen. Seit dem Jahre 1871 hat kein zierlicher Frauenfuß mehr die Tribüne am Bug betreten, und wenn die zurückgesetzten Schönen bisher grollend behaupteten, daß mit der entschwundenen Poesie ihrer Erscheinung die Poesie des Taufacts überhaupt verloren gegangen – heute sollten sie eines Besseren belehrt werden.

Die schlanke, jugendliche Gestalt des Prinzen, die einen eigenthümlichen hübschen Gegensatz zu den sie umringenden, breitschulterigen, kräftigen Seemannsfiguren bildete, umgab unleugbar ein voller Hauch jener vielbeklagten, verlorengegebenen Poesie. Wehende Tücher in kleinen Händen und Zurufe von zarten Lippen zeigten auch deutlich die von diesem Eindruck voll ergriffene und – versöhnte Stimmung auf der Damentribüne. Doch nicht allein von dorther blickte man wohlgefällig dem Nahenden entgegen, auch die Augen der umstehenden See-Officiere blitzten heller auf, wenn sie ihrem jungen, fürstlichen Cameraden und dereinstigen Führer folgten, wie er nunmehr rasch ihre Reihen durchschritt und dann elastisch die Stufen zur kleinen Tribüne emporstieg.

Jetzt stand er oben, der Oberwerftdirector, Capitain zur See Stenzel neben ihm, das glänzende Gefolge dicht dahinter. Mit lauter, wohlklingender und Allen deutlich vernehmbarer Stimme sprach er kurze, kernige Worte. Er wünschte dem aus deutschem Stahl und Eisen und deutschem Fleiß hervorgegangenen Schiffe eine lange, glückliche, zu Ehre des Vaterlandes gesegnete Fahrt. Erfolgreich und ruhmvoll solle sie sein, wohin sie auch immer sich wenden; den Feind treffe sie mitten in’s Herz, den Freund beschütze sie nah und fern.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Schults. Gemeint ist Carl Schuler, siehe Berichtigung (Die Gartenlaube 1882/47).

[702] Dann, die vor ihm stehende Flasche ergreifend und sich unmittelbar zum Schiffe wendend, schloß der Prinz mit der üblichen Formel: „Auf Befehl und im Namen Seiner Majestät des Kaisers taufe ich dich hiermit ‚Pfeil‘,“ und nun, von seiner sicheren Hand glücklich geschleudert, zerschellte die Flasche am Bug und ergoß ihren schäumenden Inhalt über dessen vordere Planken.

Damit war der officielle Act der „Taufe“ beendet, und der des Stapellaufs bereitete sich vor.

Der Prinz verließ mit seiner Umgebung den erhöhten Standpunkt und begab sich zu den reservirten Plätzen inmitten der großen Tribüne. Seine verlassene Stelle nahm nunmehr der Schiffbaudirector ein. Für ihn und seine Untergebenen sind diese Minuten vor dem ersten Schritt in’s Leben, den das Riesenerzeugniß ihres Fleißes und ihrer Intelligenz zu thun im Begriff steht, eine Zeit unruhigen Herzklopfens.

Wohl ist Alles gethan und sorgfältig vorbereitet, jenen Schritt zu ebnen und zu sichern; der Schlitten ist ausgiebigst geglättet; die Stützen wurden bis auf die zur Aufrechthaltung dringend nöthigen bereits entfernt, aber doch – ein unseliger Zufall kann den Lauf plötzlich hemmen, eine nicht vorzusehende Nichtigkeit die Eleganz und „Schneidigkeit“ des großen Schlußmoments beeinträchtigen, von möglichem größeren Unheil ganz zu schweigen. Der Ausdruck der Spannung im Gesicht des droben Stehenden ist daher wohl erklärlich, nicht minder der prüfende Blick, mit dem er noch einmal das Ganze überfliegt, namentlich die Arbeiter, die auf jeder Seite des Schiffes mit ihren Werkzeugen, seines Winkes gewärtig, dastehen. Jetzt hebt er den Hut. „Klar zum Ablauf!“ tönt sein kräftiges Commandowort durch die Todtenstille, und fast gleichzeitig erschallen auch schon die dumpfen, aufregenden Axtschläge gegen die wenigen Holzstützen, die den „Pfeil“ noch auf seinem Stapel halten. Ein Moment allgemeiner, fast athemraubender Erwartung! Und nun beginnt der Koloß sich leise zu regen, kaum merklich zu schwanken, und dann – dann schießt er, zuerst langsam und sicher, darauf aber immer rascher und zuletzt, seinem Namen Ehre machend, schnell und sicher in seinen Gleitplatten dahin, deren eine die Inschrift trägt:

„Nicht Fleiß, nicht Kunst, nicht Arbeit nützt,
Wenn Gott der Herr das Schiff nicht schützt.“

Unter schmetterndem Tusch der Musik, jauchzendem Jubelruf, lebhaftem Tücherwehen und den Segenswünschen der umstehenden Menge gleitet er hinab in sein heimisches Element.

Damit schloß für die große Menge der schöne, dem Andenken eines um die Flotte und um Wilhelmshaven hochverdienten Mannes geweihte Tag. Ein Diner im Officierscasino, zu dem – des mangelnden Raumes wegen – nur unzureichende Einladungen hatten ergehen können, vereinigte danach noch den Prinzen und das Officierscorps für einige gemüthliche, cameradschaftliche Stunden. Das Hoch aber, das Marineminister von Stosch bei dieser Gelegenheit auf den Hohenzollern-Stamm und seine beiden Sprossen – die ehrenvolle Vergangenheit im Prinzen Adalbert, die hoffnungsvolle Zukunft im Prinzen Heinrich verkörpert – ausbrachte, findet sicher lauten Nachhall in allen Seemannsherzen.

J. v. A.