Ein Mozart-Diner bei Schikaneder

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Autor: L. Nohl
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Titel: Ein Mozart-Diner bei Schikaneder
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 288–290
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Vgl. Boetticher:Borckmann, August, in: Malerwerke des neunzehnten Jahrhunderts, Dresden 1891, Bd. 1.
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Ein Mozart-Diner bei Schikaneder.

„Noch einmal sattelt mir den Hippogryphen zum Ritt in das alte romantische Land!“ so beginnt Wieland seinen „Oberon“. Die Phantasie hat die Fähigkeit und daher die Erlaubniß, auch die denkbar weitesten Klüfte zu überbrücken. Zeit und Raum sind für sie in der That keine realen Dinge. Sie gruppirt Alles, was für sie zusammengehört, in einem idealen Raume und drängt es in einen gedachten Moment zusammen. Wie hätte der weltberühmte „kaiserlich königliche Kammercompositeur“ Gluck, ja nur der kaiserlich königliche Hofcapellmeister Salieri nebst den vornehmen Primadonnen vom kaiserlich königlichen Hoftheater bei einem vorstädtischen Theaterprincipal von dem Schlage Schikaneder's sich je zu Tische befinden sollen? Auch Mozart's schöne Schwägerin, Aloysia Lange, ließ ja nach seinem eigenen Berichte ihr eifersüchtiger Mann „nirgends hin“. Gar nun aber zur Zeit der „Zauberflöten“-Composition, als Mozart viel mit Schikaneder verkehrte und von ihm in der That durch mannigfache Veranstaltung heiterer Geselligkeit bei guter Laune erhalten wurde, war Gluck längst todt und Haydn befand sich in London. Und dennoch, so wenig historische Richtigkeit ein solches „Diner zu Ehren Mozart's bei Schikaneder“ haben kann, so berechtigt ist der bildende Künstler zu einer derartigen Zusammenfassung gleichzeitiger berühmter Persönlichkeiten in einem einzelnen Augenblicke und gegebenen Raume, wie seine Darstellung sie braucht.

Denn ihm steht ein höheres Moment zur Seite, die ideale Wahrheit. Diese sämmtlichen musikalischen Berühmtheiten nebst Haydn und Albrechtsberger weilten in der That zu gleicher Zeit in Wien und „sogen an seiner Sphäre“. Und daß diese Sphäre auf unserem Bilde sich in dem leichtlebigen fliegenden Theaterdirector Schikaneder darstellt, entspricht dem allgemeinsten Charakter des damaligen Wiens, das in der That in dem Paradiese eines naiv heiteren, unbefangenen Sinnendaseins lebte. Die Mutter dieser reichen Kunstentfaltung in der glänzenden Zeit Kaiser Joseph's des Zweiten war eben solche freiere Regung und vollere Spende der Natur. Sie entband die Phantasie wie die Sinne, und was wäre dem Künstler, zumal dem schaffenden Musiker, mehr Bedingung des Schaffens, ja des Lebens! Daß Mozart trotz des glänzenden Anerbietens Friedrich Wilhelm's des Zweiten in Wien verblieb, ja daß selbst Beethoven, der Sohn des ernsteren Nordens, das gleiche Anerbieten ausschlug, obwohl er die Sphäre Oesterreichs und Wiens erst so kurze Zeit gekostet hatte, sagt hier Alles. Die wohlig anheimelnde wärmere Art des Südens und vor allem Wiens band diese Geister an die Stätte, an welche nur Haydn und Albrechtsberger zugleich in der Eigenschaft als geborene Oesterreicher gefesselt waren.

Gluck, aus Baiern stammend, war mit dem böhmischen Granden Lobkowitz nach Wien gekommen und verlebte, nachdem er die Welt mit dem Ruhme seiner „Iphigenie“ und seiner „Armide“ erfüllt hatte, seine alten Tage aus freien Stücken in Wien, das doch damals noch nicht entfernt die Anerkennung seines Genius zeigte, die Paris ihm gezollt. Unter seiner Protection führte Salieri, ein geborener Venetianer, 1769 in Wien seine erste Oper auf. Sie gefiel; er ward der „Abgott des Kaisers“ – und verblieb ebenfalls in Wien bis zu seinem Tode im Jahre 1825. Gleicher Weise fesselte der Genius loci, um ein Wort Goethe's zu gebrauchen, denjenigen Künstler an Wien, der den Musikruf der Stadt zuerst durch alle Welt führte, Mozart. Er war durch den Zufall von Salzburg, wo er geboren ist, nach Wien gekommen: sein Erzbischof, der vorübergehend in Wien weilte, hatte ihn zu sich berufen. Der sehr hochmüthige geistliche Fürst wollte sich mit ihm „gloriren“. Mozart aber weiß es fertig zu bringen, daß er ganz in Wien bleibt. Der Geist dieses Wiens und Oesterreichs hatte es ihm angethan. „Soll ich meinen guten Kaiser ganz verlassen?“ entgegnete er „gerührt und nachdenkend“ auf die königlichen Anerbietungen in Berlin.

Er hatte sich aber zugleich diesem liebenswürdig-heiteren Genius des Landes sozusagen persönlich verbunden, indem er in diesem Wien seine Frau, seine geliebte Constanze, fand. Zwar war sie ebenfalls von außen her in's Land gekommen. Aber die Familie Weber, der auch der Componist des „Freischütz“ angehört, war eine ursprünglich österreichische. Constanze war ihrer hochbegabten Schwester, der berühmten Sängerin Lange, nachgezogen, und Mozart gewann in ihrem Hause eine ruhige Zuflucht, als er sich mit dem harten Erzbischofe überwarf, der ihm „überall wie ein Lichtschirm“ war und ihn vor Allem nicht freiwillig in Wien lassen wollte. Und daß Aloysia Lange gerade neben ihm sitzt? „Bei der Lange war ich ein Narr – das ist wahr, aber was ist man nicht, wenn man verliebt ist! Ich liebte sie aber in der That und sehe, daß sie mir noch nicht gleichgültig ist – und ein Glück für mich, daß ihr Mann ein eifersüchtiger Narr ist und sie nirgends hinläßt und ich sie also selten zu sehen bekomme!“ So schreibt Mozart selbst 1781 in den Briefen an seinen Vater, als er denselben überzeugen will, daß er diesmal kein „Narr“ ist und es sehr ernst meint, wenn er „die Weberische“, seine liebe Constanze, heirathen will. Man findet das Portrait der schönen Sängerin, die uns hier den Rücken zukehrt, in meinem Buche „Mozart's Leben“.

Beethoven's späterer Lehrer, der Theoretiker Albrechtsberger endlich war unweit der Kaiserstadt in Klosterneuburg geboren

[289]

Eine Festtafel zu Ehren Mozart’s bei Schikaneder.
Nach dem Gemälde von A. Borckmann in Berlin.
Haydn. Albrechtsberger. Mozart. Salieri. Signora Cavalieri. Schikaneder. Gluck.
                                                                                     Madame Lange.

[290] und sog also recht eigentlich an der Sphäre seiner Heimath. Das Gleiche gilt von Joseph Haydn, der an der ungarischen Grenze zu Hause war. Seine Anhänglichkeit an Wien und Oesterreich bethätigte er in gleicher Kraft wie Mozart: so verführerische Anträge ihm bei seinem Ruhmesaufenthalte in London von der königlichen Familie gemacht wurden, er ging nach Wien zurück, wo ihn eine Luft umspielte, die das Land der „Goldfüchse“ einem richtigen deutschen Musikantengemüthe nie und nirgends zu bieten vermochte.

Die Signora Cavalieri war eine echte italienische Primadonna. Mozart hat zwar in der „Entführung“ eine Arie „ein wenig ihrer geläufigen Gurgel geopfert“, aber in der großen Arie: „Mich verläßt der Undankbare“, die er ihr für die erste Aufführung des „Don Juan“ in Wien eigens hinzuschrieb, ihrem Talente und ihrer Kunst dann wieder eine herrliche Frucht seiner Muse dargebracht.

Ganz zuletzt der Herr „Principal“ – nämlich Schikaneder! „Er war dem sinnlichen Genuß sehr ergeben, ein Schwelger und Mädchenfreund, je nach Umständen ein Parasit und ein leichtsinniger Verschwender, und nicht selten trotz großer Einnahmen von seinen Gläubigern hart bedrängt,“ so schildert ihn ein Freund und jahrelanger Capellmeister seines Theaters auf der Wieden, der aus Beethoven's Leben bekannte J. Seyfried. Schikaneder war als vagirender Musikant zu einer Schauspielertruppe in Augsburg gestoßen, hatte die Pflegetochter des Principals geheirathet und kam zur Zeit der Composition des „Figaro“ nach Wien, wo er sich mit Mozart, den er schon in Salzburg gekannt hatte, wieder näher befreundete. Die Noth war es, die ihn im Todesjahre des unsterblichen Meisters zu ihm führte. Sein Theater im Starhembergischen Freihause stand am Rande des Abgrundes. Er kam zu Mozart, ihn um eine „Zauberoper“ zu bitten. Es war die „Zauberflöte“. Das Gartenhaus, in dem Mozart dieses sein unsterbliches Werk schrieb, steht heute auf dem Kapuzinerberge in Salzburg; für seine Erhaltung wird soeben in ganz Deutschland gesammelt. Sich selbst stellte Schikaneder, der den Text verfaßt, in dem Federmann Papageno dar, leichtsinnig, genußsüchtig, furchtsam, aber zugleich hülfreich gutmüthig. In dem Kometenschweife des unsterblichen Werkes, das doch in seinem Kerne zusammenfaßt, was an wahrer Humanität und Seelenreinheit in jener schönen Zeit lag, wandelt auch diese drollige Figur des alten Wiener Künstlerlebens. Sein Verdienst bleibt immer die Wahl des Stoffes, und daß er Mozart für dessen Composition zu gewinnen und an dieselbe zu fesseln wußte. Diese Thatsache ist auch die Anregung zu der heiteren, geselligen Gruppirung im Bilde geworden; ihr innerer Zusammenhalt aber ist eben jener Geist der freien schönen Menschlichkeit und idealen Begeisterung, der all diese großen Künstler damals so dauernd an Wien und Oesterreich fesselte.
L. Nohl.