Ein Thüringer Kaufmann

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Autor: G. S.
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Titel: Ein Thüringer Kaufmann
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aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 872–875
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein Thüringer Kaufmann.
Zur Jubiläumsfeier eines deutschen Instituts.

In den Nummern eins, acht und zehn des Jahrgangs 1865 der „Gartenlaube“ haben Sie unter der Überschrift „Das Werk eines deutschen Bürgers“ über die Gründung und den Geschäftsbetrieb der ersten und größten deutschen Lebensversicherungsanstalt, der Lebensversicherungsbank in Gotha, interessante Mittheilungen aus der Feder Ludwig Walesrode’s gebracht, die gewiß manchem Ihrer Leser noch in Erinnerung sein werden. Jenes „Werk“ hat indessen seine Arbeit, sein Geschäft mit dem Tode, still und geräuschlos, wie es sich einem solchen Geschäftsfreunde gegenüber geziemt, aber in immer wachsendem Umfange fortgesetzt, hat an Wittwen und Waisen Millionen ausbezahlt und hat Millionen zu Millionen gehäuft, die in Zukunft demselben Zwecke dienen sollen. Denn, wie Walesrode sagte, der Tod ist der treueste Kunde der Bank, täglich findet er sich in ihren Bureaux ein und präsentirt fällige Wechsel, die prompt eingelöst werden müssen.

Von jenem deutschen Bürger Ernst Wilhelm Arnoldi rührt noch eine zweite große Schöpfung, die Feuerversicherungsbank für Deutschland in Gotha her, die am Neujahrstage 1871 ihr fünfzigjähriges Bestehen feiert. Wir nehmen dies zum Anlaß, Ihren Lesern heute das gelungene Bild Arnoldi’s vorzuführen, und glauben uns deren Dank zu verdienen, wenn wir dasselbe mit einigen Notizen über den Lebensgang des genialen Mannes, der ein Muster deutschen Fleißes und deutschen Sinnes war, begleiten.

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Ernst Wilhelm Arnoldi.
Nach einem Oelgemälde im Besitze der Familie Arnoldi in Gotha

Wir befinden uns dabei in einer besonders günstigen Lage. Auf unser Ersuchen ist uns aus demhandschriftlichen Nachlasse Ernst Wilhelm Arnoldi's eine von ihm begonnene Selbstbiographie überlassen worden, die wir auszugsweise wiedergeben dürfen. Dieselbe begreift zwar nur seine Jugendjahre, enthält aber eine Fülle interessanten Materials, das wohl verdiente, in seinem ganzen Umfange bekannt zu werden, zumal es geeignet ist, ein genaues Bild von den Eigenschaften des Charakters und Herzens Arnoldi's zu geben, die seine Persönlichkeit später zu einer so bedeutsamen und gewinnenden gemacht haben.

Ernst Wilhelm Arnoldi schreibt im Jahre 1838:

„Wohl habe ich Ursache, mich nach dem Anfange und den Stationen meiner Laufbahn umzusehen, jetzt, da ich mich dem Ende Derselben nähere. Ich habe das sechzigste Lebensjahr überschritten; doch fühle ich mich noch zu wohl, um über solche Mängel zu klagen, welche mit den Naturgesetzen im besten Einklänge stehen. Dieses Loos habe ich gewiß meinen Eltern mit zu verdanken, die beide aus gesunden Geschlechtern entsprossen, gesund und verständig waren, und beide, der Vater wie die Mutter, das siebenundsiebenzigste Jahr erreichten. Ich bin am 21. Mai 1778 in Gotha geboren.

Von meinen Großeltern habe ich von väterlicher Seite den Großvater, den Kaufmann und Rathskämmerer Matthias Gottfried Arnoldi, von mütterlicher Seite beide gekannt. Jener hatte ohne Vermögen in Gotha eine Colonialwaarenhandlung gegründet und, wie er mit Genugthuung häufig sagte, durch Rechtschaffenheit, Fleiß und Sparsamkeit sich ein mäßiges Vermögen erworben.

Mein Vater, Ernst Friedrich Arnoldi, führte das von meinem Großvater begründete Geschäft fort, dem ich später mich selbst widmen sollte.

Ich habe meine Eltern 1820–21 von Moritz Steinla malen lassen. Beide Bilder sind gelungen, beide sprechen. Der Vater erscheint wie im Leben im Bilde streng, feurig, zum Zorn neigend, fest mit einem Anfluge von Stolz, bei klarem Verstande und scharfen Sinnen. Er war von mittlerer Größe, muskulös und ebenmäßig gebaut. Die Mutter vereinigte alle Eigenschaften, welche die Frau eines solchen Mannes besitzen maß: Geist, und Gemüth, Sanftmuth, Unterscheidungsgabe, Selbstbeherrschung, moralische und persönliche Würde. Von mehr als mittlerer Größe, schönem Gliederbau, edler Haltung und regelmäßiger Gesichtsbildung war und blieb sie eine schöne Frau bis in den Tod.

Mein Vater hatte seine Lehrjahre in Leipzig bestanden, zu jener Zeit, da Gellert lebte und lehrte. Vielleicht kam auf Rechnung dieses Umstandes meines Vaters Besitz von Gellert’s Schriften und, was mehr ist, seine sittliche Richtung, die seiner Frau und durch Beide die ihrer Kinder.

Schon in meinem elften, dem verängnißvollen Jahre 1789, nahm mein Vater mich mit auf die Messe zu Kassel, wo mir eine Neue Welt aufging. Abwechselnd mit meinem jüngeren Bruder begleitete ich die darauf folgenden Jahre meinen Vater nach Kassel und bereicherte meinen Geist an Vorstellungen und Wahrnehmungen. –

Eine Eigenthümlichkeit, wozu mich eine in meiner innersten Natur liegende Triebfeder anregte, bildete immer meine Sorge für und meine Besorgniß um meine Geschwister, deren es acht waren. Fast kein Tag ging hin, daß bei eintretender Nacht nicht der eine oder der andere meiner Brüder gefehlt hätte. Auch ohne mein Zuthun würde er sich schon wieder eingefunden haben, aber meine Angst ließ mir keine Ruhe. Einmal fand ich, nachdem ich [874] mich abgehärmt und der Verzweiflung nahe war, in dunkler Nacht einen Bruder sanft schlummernd auf einer Steinbank vor einem Nachbarhause, dem Königssaal.

Aus derselben Quelle leite ich die mir eigene, unwiderstehliche Neigung her, mich in fremde Zustände zu versetzen, für Andere oder mit Andern zu leiden oder zu jubeln und wohl auch mir in ihren Angelegenheiten, wie man sagt, den Kopf, zu zerbrechen. In wie weit diese Gemüthsart als Grundlage meines Charakters gedient und mich vor dem Schicksal bewahrt hat, in jenen Egoismus zu Versinken, der den davon Besessenen weniger elend, als unfähig macht, aus dem engen Kreise seines Ich herauszutreten, dies wird sich im Verlaufe meiner Selbstschilderung zeigen. Wie die Wahl des Berufs in der Regel von der Nothwendigkeit, dem Beispiel oder der Gewohnheit bedingt wird, so geschah es auch bei mir. Bedürfte ich, was ich nicht sagen kann, eines Trostes dafür, daß ich Kaufmann geworden bin, so würde ich ihn in dem Umstande finden, daß ich mich nicht dagegen gesträubt, nicht auf ein Lieblingsfach Verzicht geleistet habe. Mein Vater sprach gerne und oft von der freien Wahl in seiner Wirksamkeit, oder, wie er es nannte, von der Freiheit des Kaufmanns, und daß Redlichkeit und Fleiß bei Ordnungsliebe und Sparsamkeit zum Wohlstand und Ansehen führen können, das konnte mir schon einleuchten, wenn ich unsern Haushalt ansah. Aber ich fühlte auch, daß mein Vater bald einer Stütze bedürfen würde, die nothwendig nur sein ältester Sohn ihm gewähren konnte. Diese Umstände mußten mich über Das, was ich sollte und wollte, bald genug in’s Klare bringen und die guten Seiten des kaufmännischen Berufes mehr und mehr erkennen lassen.

Nach zurückgelegtem sechzehnten Jahre befand ich mich in Hamburg, der größten Handelsstadt Deutschlands. Wenn große Städte überhaupt Schulen sowohl der feinen Sitte, als des Lasters sind, so konnte Hamburg damals als eine der höchsten Schulen dieser Art gelten, jedoch vorzugsweise in Beziehung auf Laster, welche im Gefolge der Ueppigkeit Platz greifen und die Jugend beider Geschlechter deswegen verderben, ja oft ganz zu Grunde richten; denn nur zu leicht läßt sich die Unerfahrenheit von lockenden Außenseiten bestechen und bezaubern, die Sinne aber vermögen am wenigsten in dem Alter, wo die Begierden erwachen, den Versuchungen immer zu widerstehen. Ich muß daher die Fügung als eine für mich sehr glückliche betrachten, daß ich mit einem Handlungsgehülfen einige Zeit auf einer Stube zu wohnen genöthigt war, welcher das Laster von einer so abschreckenden Seite darstellte, daß ich mich davor entsetzen mußte.

Nach kurzem Aufenthalte in einem kleinen Geschäfte kam ich auf das Comptoir des in hoher Achtung stehenden Hauses Johann Gabe u. Comp und befand mich damit wie durch Zauberei mit einem Male auf dem Gipfel des Großhandels der bedeutendsten Handelsstadt des nördlichen Europa, in einem der reichsten und großartigsten Handelshäuser Hamburgs. Herr Gabe, damals dreiundsechszig Jahre alt, war ein sehr schöner, kräftiger, blühender, hoher Mann; seine würdevolle Haltung flößte Achtung ein und diese Achtung wurde erhöht, wenn man, wie ich, Gelegenheit hatte, seine edle Denkart aus seinen Handlungen kennen zu lernen. An der Spitze seines Geschäfts, war er der erste und der letzte auf dem Comptoir, mit der Rüstigkeit eines Jünglings arbeitend, die ganze Correspondenz auf das Correcteste in fünf Sprachen selbst führend.

Mistreß Franziska Gabe hat mir stets einen großen Respect vor der gebildeten englischen Weiblichkeit eingeflößt. Damals erschien sie mir, wie jetzt, als ein Muster weiblicher Würde in ihrer Eigenschaft als Gattin, Mutter, Hausfrau und Christin!

Kurz nach meiner Aufnahme im Gabe’schen Hause machte sich die Anstellung noch eines Comptoirgehülfen nöthig. Zu Aller Verwunderung erhielt diese Stelle ein französischer Ausgewanderter Namens Les Maisons. Ohne zu ahnen, was mir daraus für Vortheile erwachsen würden, nahm er das Pult zu meiner Linken ein und griff seine Arbeit mit einer Kraft an, welche eben darum nicht von Dauer zu sein versprach. Er hatte sich, der deutschen Sprache soweit bemächtigt, um sich verständlich zu machen und mit Hülfe eines Wörterbuches zu lesen. Vergebens bat ich ihn, mit mir in seiner Muttersprache zu reden; er sprach aber nur deutsch, so gut es ging, und während der vier Jahre unseres Umgangs ist es dabei geblieben. Wie in dieser, blieb er sich in jeder Hinsicht treu und löste daher auch seine Aufgabe als zweiter Buchhalter zur Verwunderung des ganzen Comptoirs in kürzerer Zeit, als erwartet werden konnte. In seinem Umgange wurde ich gewahr, wie viel mir wegen meiner mangelhaften Schulbildung abging. Konnte ich das Versäumte nachholen? Der ehrwürdige Professor Büsch kündigte Vorlesungen über Handelwissenschaft und Politik an. Les Maisons nahm mich bei der Hand und führte mich zu Büsch. Als dieser darauf über das Studium der neuen Sprachen Vorträge hielt, war es wieder derselbe Freund, der mich nöthigte, Theil daran zu nehmen. Ohne ihn wäre ich wie tausend Andere davon weggeblieben.

Auch eines Hamburger Freundes, des Buchhändlers Strudel, muß ich gedenken. Das Andenken an ihn erfüllt mich mit Wonne und Wehmuth. Wir waren Freunde wie Orestes und Pylades, ein Herz und eine Seele. Von reinen Sitten und einer edeln Begeisterung für das Gute und Schöne fähig, suchte und fand er in der schönen Literatur eine Nahrung für Geist und Herz, die er redlich mit mir theilte. So hatten wir Stoff zur mündlichen Unterhaltung die Fülle. Dazu kam das lebhafte Interesse, welches wir an den damaligen Welthändeln nahmen und meine Zeitungsliebhaberei, die mich in den Stand setzte, meine Partei nehmen zu können. Was Wunder, daß wir mit solchem Unterhaltungsstoff uns ganze Sonntage von Sonnenauf- bis zu Sonnenuntergang bewegten und ein arkadisches Leben außerhalb des Dunstkreises einer großen Handelsstadt führten, in welcher alle Tugenden mit allen Lastern um den Preis rangen.

Etwa eine Halde Stünde vom Dammthore entfernt befand sich einer von den Bauernhöfen, welche, wie die Oasen in den afrikanischen Wüsten, ein fruchtbares Fleckchen in der Haide einnahmen, der Schäferkamp. Der Weg dahin geht durch tiefen Sand. Ein einfacher Garten umgiebt das ländliche alte Wohnhaus und die Wirthschaftsgebäude, und in einem Baumgange findet sich hier und da eine halbmorsche Lattenbank unter einer schattigen Linde. Da nahmen wir, im Sommer schön vier Uhr Morgens, Platz, tranken meist Milch, selten Kaffee, und lasen in der ersten Zeit dieser Schäferkampbesuche einander aus Geßner’s Idyllen das Vorzüglichste vor, wodurch wir uns in eine Unschuldwelt versetzten, die recht eigentlich den schroffsten Gegensatz mit Hamburg bildete, welches damals in einem Taumel befangen war, der sich kaum beschreiben läßt. Ausnahmsweise lustwandelten wir oder fuhren auf der Alster nach Harvestehude[WS 1] und setzten uns unter Hagedorn’s, des Dichters, Linde, oder besuchten das Eisbüttler Hölzchen etc. Dieser Umgang, dieses Glück der Freundschaft bestand, bis ich nach Gotha zurückkehrte, wohin mein Freund mir folgte, um das Vorhaben eines eigenen Etablissements und die Heimführung der Verlobten auszuführen.

Im Sommer 1799 holte mich mein Vater in Hamburg ab, um mich mit nach Gotha zu nehmen.“ –

Bis zu diesem Zeitpunkte reichen die eigenen Aufzeichnungen Arnoldi’s. Was wir aus ihnen wiedergeben konnten, ist nur ein sehr kleiner Theil derselben und bisher nirgends veröffentlicht. Daß dieselben von der Gartenlaube gebracht werden, gereicht uns in doppelter Hinsicht zur Befriedigung, weil die Neuheit der Sache und der große Leserkreis dieses Blattes gewiß einander werth sind. Der weitere Lebensgang Arnoldi’s, sein vielseitiges Schaffen und Wirken vom Beginn seines Mannesalters an bis zu seinem Tode sind dagegen schon wiederholt und an verschiedenen Orten zum Gegenstände öffentlicher Besprechung gemacht worden, so daß wir uns hier kurz fassen dürfen. Wir erwähnen nur, daß namentlich das Buch berühmter Kaufleute ziemlich ausführliches biographisches Material über Arnoldi enthält.

Einundzwanzig Jahre alt war Arnoldi in das väterliche Geschäft eingetreten; bereits nach vier Jahren wurde er dessen Theilhaber; wiederum nach drei Jahren, 1806, mit seinem Bruder Johann Friedrich Geschäftsinhaber.

Die Zeitverhältnisse waren bekanntlich die ungünstigsten. Die französische Invasion hatte begonnen, und im genannten Jahre wurde nicht sehr fern von Gotha die Schlacht von Jena geschlagen. Sein Naturell zwang ihn, unablässig bemüht zu sein, um zur Linderung der Wunden und Schäden beizutragen, die dem Gemeinwohl der lang andauernde Krieg schlug. In dieser Richtung hat er sich zunächst um, die Stadt Gotha während einer Reihe von Jahren, namentlich aber in dem Nothjahre 1816 bis 1817 durch Beschaffung von russischem Roggen wohlverdient gemacht. Nach wiederhergestelltem Frieden entwickelte sich der Unternehmungsgeist Arnoldi’s mehr für allgemeine Interessen seines Vaterlandes.

[875] Im Mai 1817 gründete er die Innungshalle zu Gotha, einen Verein der Kaufleute, zu gegenseitigem Austausche ihrer Ansichten und Erfahrungen über die mannigfachsten Gegenstände des Handels, hauptsächlich aber zu ernsterem Zusammenwirken für Verdelung des kaufmännischen Standes, durch tüchtige Ausbildung seiner Lehrlinge. Schon im Frühjahr 1818 konnte letzterer Zweck durch Eröffnung der Unterrichtsanstalt für die Lehrlinge der Mitglieder des Vereins erreicht werden.

Am 29. März 1868 beging die Handelsschule der Innungshalle in Gotha ihr fünfzigjähriges Jubiläum; sie hatte bis dahin Schüler gebildet, die, nicht nur über ganz Deutschland, sondern über alle Erdtheile verbreitet, die gute Grundlage für ihr ferneres Geschäftsleben dem Werke E. W. Arnoldi’s verdanken. Denn ein Werk im besten Sinne , ist auch diese von Arnoldi gegründete Handelsschule zu nennen, weil sie die erste in Deutschland war, und weil ihr Gründer für dieselbe, nirgends ein Vorbild hatte.

Folgende Niederschrift Arnoldi’s datirt schon aus dem März 1817: „Wenn durch die Vereinigung aller deutschen Fabriken für gemeinschaftliche Zwecke eine Versicherungsanstalt gegen Feuersgefahr zu Stande käme, so würde der Ueberschuß der Prämien dem gemeinsamen Vaterlande und den Fabriken unter sich durch diese Anstalt erhalten sein.“ Diese Idee beschäftigte ihn seitdem unablässig.

Zwei Jahre mühevoller Arbeit für Arnoldi vergingen, bis am 18. October 1820 die „Verfassung der Feuerversicherungsbank“ veröffentlicht werden konnte. In ihr war der Grundsatz „daß Viele den Feuerschaden Einzelner tragen, ohne daß ein Dritter davon Vortheil ziehe.“

Am 1. Januar 1821 fand die Eröffnung der Bank mit drei Millionen Thaler Versicherungssumme statt. Von einem kleinen Anfang ausgehend, hat sie von Jahr zu Jahr zugenommen an Umfang und Bedeutung. In der Zeit von 1822 bis 1869 konnte dieselbe an die bei ihr Versicherten allein sechsundzwanzig Millionen Thaler Ueberschüsse von den eingelegten Prämien zurückbezahlen. Die Versicherungssumme Ende 1869 hatte nahe an sechshundert Millionen Thaler erreicht.

In hohen und niederen Kreisen Deutschlands wurde Arnoldi’s Namen genannt, als er am Juli 1819 eine von ihm verfaßte Bittschrift im Auftrage von fünftausendeinundfünfzig Fabrikanten und Kaufleuten Thüringens etc. beim Bundestage zu Frankfurt am Main eingereicht hatte und darin die Ausführung des Artikels 19 der Bundesacte verlangte. Er hob hervor, daß der deutsche Bund nicht ein blos politisches Schutz- und Trutzbündniß, sondern ein zugleich die Nationalität sichernder Staatenbund sei, daß entweder alle Staaten Europas sich zur Wiederherstellung der natürlichen Freiheit des Handels und Verkehrs vereinigen, oder daß alle zu dem traurigen Grundsatz der Retorsion in Beziehung auf Ein- und Ausfuhrverbote, Zölle und Mauthen schreiten müßten, Um wenigstens im Innern ihrer Gebiete die Möglichkeit der Concurrenz inländischen Gewerbfleißes mit dem der Fremden retten zu können.

An Voraussicht der nicht mehr fernen vollständigen Handelseinigung schrieb Arnoldi am 29. Juli 1840 in das Album des Arnoldi-Thurmes, einer Familienbesitzung in der Nähe Gothas:

„Zehn Jahre sind dahin, seit dieser Thurm erstanden,
Und hohen Aufschwung nahm seitdem in deutschen Landen
Der echte deutsche Sinn, der Geist, des Bürgerthums,
Des freien Volksverkehrs des Selbstgefühls, des Ruhms. —

Du deutsches Vaterland, mög’st du noch mehr erstarken,
Verschwinden mögen ganz im Innern deine Marken,
Und eine Grenze mög’ dein weit Gebiet umziehen,
Aus Deutschlands Einheit so der Deutschen Glück erblühen!"

Nach dieser raschen Aufeinanderfolge in der Gründung gemeinnütziger Institute scheint nunmehr eine Pause für Arnoldi’s Thätigkeit eingetreten zu sein. Während derselben nehmen indessen die Schöpfungen seines erfinderischen Geistes sein Interesse und seine Arbeitskraft in vollem Maße in Anspruch. Seine Thätigkeit gilt jetzt der Fortbildung und Entwickelung aller dieser Institutionen, sie gelangen unter seiner Betheiligung und zu seiner Freude zu rascher Blüthe. Aber gleichwohl ist seine Befriedigung darüber keine solche, die ihn ganz erfüllen und von weiteren Unternehmungen abhalten könnte. Ihn beschäftigt vielmehr unausgesetzt während mehrerer Jahre noch die schwierigste Aufgabe, die Gründung einer gegenseitigen Lebensversicherungsanstalt.

Die Gründung einer solchen erforderte zunächst eine Vereinigung von Männern der Wissenschaft. Er bringt sie zu Stande, aber er, der geniale Mann der Praxis, steht mitten inne und bleibt das treibende, bewegende Princip der wissenschaftlichen Vereinigung. Im Jahre 1827 endlich sind die Vorbereitungen soweit gediehen, daß mit der Einladung an Freunde des Unternehmens zur Betheiligung begonnen werden kann. Das Interesse wendet sich der in Deutschland vollständig neuen Sache nach Aufbietung nicht geringer publicistischer Anstrengungen nach und nach zu, am 1. Januar 1829 beginnt auch die Lebensversicherungsbank ihre Wirksamkeit und heute steht sie in höchster Blüthe an der Spitze von vierzig deutschen Lebensversicherungsanstalten, von keiner hinsichtlich der Solidität übertroffen.

Besorgten wir nicht, den uns gestatteten Raum zu überschreiten, so würde es uns keineswegs an Stoff zu weiteren Mittheilungen aus dem thätigen Leben Arnoldi’s fehlen. Namentlich bot auch sein Privatleben und sein Verkehr mit Freunden tausendfache Gelegenheit zur Bewährung seiner vollen Persönlichkeit. In Gotha war er ein Mann des öffentlichen Vertrauens, beliebt bei Jung und Alt. Er lebt fort in Kindern und Enkeln, und er lebt fort im dankbaren Gedächtniß der Nachwelt. Das aber ist die wahre Unsterblichkeit. Die müde Hülle seines rastlosen Geistes hat man am Pfingstfest des Jahres 1841 in Gotha zur Erde bestattet.
G. S.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Harrstehude