Ein Weltereigniß

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Titel: Ein Weltereigniß
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 637
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ein Weltereigniß.

Zu Anfang des September brachten die Tagesblätter die Nachricht, daß in dem Nebel der Andromeda eine merkwürdige Veränderung eingetreten sei. Wer den astronomischen Forschungen der neueren Zeit nicht ganz fremd geblieben ist, wußte sogleich, daß diese Veränderung in einem Nebelflecke ein überaus wichtiges himmlisches Ereigniß ist. Natürlich sind die Beobachtungen heute noch durchaus nicht abgeschlossen, ja sie haben kaum erst begonnen, doch möge bei dem allgemeinen Interesse, das der Gegenstand hat, und da in den Tagesblättern vielfach sehr irrige Ansichten laut geworden sind, hier kurz ausgeführt werden, was es mit der Erscheinung für eine Bewandtniß hat. Der Nebelfleck in der Andromeda ist dem bloßen Auge als ein mattes Sternchen oder Lichtwölkchen bemerkbar, und er war den Arabern schon vor fast 800 Jahren bekannt. Im Abendlande entdeckte ihn Simon Marius am 15. December 1612 mit Hilfe des kurz vorher erfundenen Fernrohres und beschreibt ihn als einen nebligen Stern, der ungefähr so aussehe wie ein Licht, das durch eine halb durchsichtige Hornplatte schimmert. Wer ein mäßiges Fernrohr besitzt, kann den Nebelfleck ohne Schwierigkeit aufsuchen, und er wird ihn dann als hellen, mehr oder weniger verwaschenen Schimmer erkennen. In einem großen Fernrohre zeigt sich der Nebel bei klarer Luft viel deutlicher. Die nebenstehende Abbildung giebt eine Vorstellung desselben. Man sieht in der Mitte des Nebels einen hellen Kern und schräg darunter denn neuen Stern. Mit Recht wird derselbe als neuer Stern bezeichnet, denn man hat früher niemals auch nur die Spur eines Sterns an diesen Orte gesehen. Erst im letzten Drittel des August tauchte dieses Gestirn auf und wurde nahezu gleichzeitig an mehreren Orten beobachtet. Der Stern ist nicht gar hell, mit bloßem Auge kann man ihn kaum sehen und im Fernrohre erscheint er von ruhigem, etwas gelblichem Lichte, die umgebenden Nebelpartien überstrahlend.

Um zu verstehen, was es mit diesem Sterne auf sich hat, müssen wir uns zuerst die Stellung der kosmischen Nebelflecke klar machen. Diese Nebelflecke befinden sich durchgängig in so großen Entfernungen von uns, daß ein Begreifen derselben völlig unmöglich ist. Wir wissen, daß der Lichtstrahl sich so schnell durch den Raum bewegt, daß er die Reise um den Erdball achtmal in einer Sekunde zurücklegen könnte und in etwas mehr als acht Minuten von der Sonne zur Erde gelangt. Nach Herschel’s Schätzungen würde dieser Lichtstrahl aber mehrere tausend Jahre brauchen, um von den nächsten Nebelflecken zur Erde zu gelangen. Ein sinnliches Erfassen dieser ungeheuren Entfernungen ist natürlich völlig unmöglich. Andrerseits aber wird es einleuchtend, daß jene Nebelflecke, die aus so unermeßlichen Fernen zu uns herüberschimmern, in ihrer Heimath ganz ungeheure Gebilde sein müssen, die an Größe, das heißt an Ausdehnung, nicht nur unsere Erde oder die Sonne, sondern vielmehr unser ganzes Sonnensystem bedeutend übertreffen.

Der Nebelfleck in der Andromeda mit dem neuen Stern,
gesehen in einem sehr großen Fernglase.

Würde unsere Erde in die Entfernung des Andromedanebels gerückt, so könnte sie auch mit den stärksten Teleskopen gar nicht mehr gesehen werden und die Sonne würde aus dieser Entfernung sich nur als ein schwaches Lichtpünktchen präsentiren, wie Tausend ähnliche um jenen Nebelfleck herumstehen. Wir haben also in den Nebelflecken Weltkörper von ganz anderer Art und Beschaffenheit vor uns, als die Sonne oder unsere Erde. Der große Himmelsbeobachter Fr. Wilh. Herschel hat es zuerst unternommen, die Natur und Weltstellung der Nebelflecke zu studiren, und seine Schlüsse haben sich in den späteren Forschungen mittels des Spektroskop wunderbar bewährt. Herschel erkannte die Nebelflecken theils als Haufen zahlloser Sonnen, die selbst im Fernrohr einzeln nicht mehr wahrgenomnnen werden können, theils als leuchtenden Weltdunst, als die Keime neuer Welten. Er kam zu diesen Ergebnissen durch sorgfältige Vergleichungen der Gestaltung vieler tausend Nebelflecke, die er am Himmel auffand, und konnte auf diese Weise eine Reihe von Uebergängen aufweisen vom unkondensirten, matten Dunste im Weltraume bis zu den leuchtenden Fixsternen, die noch eine Spur von nebliger Atmosphäre um sich haben. Natürlich können wir Menschen nicht hoffen, diesen Vorgang der einzelnen Bildungen an einem und demselben Nebel in allen Phasen zu verfolgen, weil eben jeder solcher Nebel ein Weltkörper ist, der zu seiner Entwickelung Zeiträume gebraucht, neben denen die Dauer unserer Erde vielleicht nur verschwindend kurz erscheint. Hier stehen wir geradezu vor dem Unermeßlichen in Zeit und Raum, und nur die Wissenschaft ist im Stande, den Blick vorwärts und rückwärts zu lenken in Zeiten, da die Erde noch nicht war, und auf zukünftige Tage, wo sie nicht mehr sein wird.

Eine uns merkliche Aenderung im Aussehen eines kosmischen Nebels ist also ein Ereigniß, das an und für sich höchst selten und von größter Wichtigkeit ist. Was speziell den Nebel in der Andromeda anbelangt, so hat das Spektroskop wahrscheinlich gemacht, daß dessen centraler Theil aus einer Ansammlung von Sternen oder fixsternähnlichen Bällen besteht, die von einen ungeheuren flachen Ringe sehr feinen kosmischen Nebels umhüllt sind. Diesen Ring sehen wir schräg von der Seite, weßhalb er sich für uns spindelförmig darstellt. Wenn nun in dem centralen Theile dieses Nebels plötzlich ein heller Stern auftaucht, wie es jetzt geschehen ist, so giebt es dafür nur zwei Deutungen: entweder hat sich der Nebel an einer Stelle plötzlich verdichtet und dadurch ein sternartiges Aussehen angenommen, oder es sind mehrere sternartige Bälle zusammengetroffen und durch die ungeheure Wucht des Anpralls in den Zustand so hoher Gluth gerathen, daß sie weit hinaus durch den Weltraum sichtbar wird. Ein Mittel, zwischen diesen Möglichkeiten zu entscheiden, bietet das Spektroskop.

Dasselbe zeigt nämlich, daß das Licht der wirklichen Nebelflecke aus einigen hellen Linien besteht, welche meist auf glühenden Stick- und Wasserstoff hindeuten. Das Licht der gewöhnlichen Fixsterne zeigt dagegen im Spektroskop ein farbiges Band wie dasjenige unserer Sonne. Die spektroskopische Untersuchung des neuen Sterns in der Andromeda hat aber erst begonnen, denn sie ist mit sehr großen Schwierigkeiten verknüpft. Die bisherigen Beobachtungen ergeben, daß das Spektrum sich als farbiges Band darstellt, doch ist dasselbe sehr schwach und die Deutung schwierig. Bestätigt sich dies in der Folge, so haben wir in dem neuen Stern einen wirklichen Fixstern oder auch eine Vereinignung mehrerer zu einem größeren, hellleuchtenden Körper vor uns, oder mit anderen Worten, es hat sich dort oben ein Vorgang abgespielt, der in Wahrheit eine Weltkatastrophe ist. Und nun zum Schluß noch eine Bemerkung. Es wurde hervorgehoben, daß das Licht von den Nebelflecken Tausende von Jahren gebraucht, ehe es den Weg bis zur Erde zurücklegt. Daraus folgt sogleich, daß das Ereigniß, welches wir seit August am Himmel wahrnehmen, nicht erst heute vor sich ging, sondern Jahrtausende früher, vielleicht zur Zeit der Gründung Roms oder der Perserkriege. Der Bote jenes Ereignisses, nämlich das Licht, obgleich es mit der Schnelligkeit des elektrischen Telegraphen zur Erde niedersaust, ist aber erst heute angelangt und bringt uns die Kunde von der in grauer Vorzeit eingetretenen Weltkatastrophe in dem Andromedanebel! ***