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Zacharula

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Textdaten
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Autor: N. A. Gutmann i.e.: August Justus Mordtmann
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Titel: Zacharula
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 39, 40, S. 637–642, 655–660
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[637]

Zacharula.

Von N. A. Guthmann.

So oft ich durch eine besonders kinderreiche Straße der Hauptstadt gehe, fällt mir immer Gallipoli ein; in meinem ganzen Leben habe ich nirgends so viele kleine Kinder gesehen, als in dieser am Hellespont gelegenen kleinen und betriebsamen Stadt, deren Einwohnerschaft zum größten Theile aus Griechen besteht. Unter den Frauen der letzteren findet man viele schöne Gestalten, manche, der man nicht glauben würde, wenn sie berichten wollte, daß sie die Mutter einer ganzen Schar kleiner Menschen ist. Eine der schönsten Frauen, die ich dort kennen lernte, stellte mir stolz zwölf lebende Töchter vor und setzte bedauernd hinzu: „Drei sind leider gestorben.“ Und sie selbst, diese Mutter, glich in ihrem Aussehen einer ältesten Schwester ihrer Töchter.

An dieses schöne Weib erinnert mich der anmuthige Mädchenkopf, der mich aus dem bekränzten Rahmen über meinem Schreibtische anlächelt, meine Gedanken führen mich in die sonnigen Stunden von damals, und es überkommt mich der unwiderstehliche Trieb, meine Akten bei Seite zu werfen und von ihr zu erzählen. Willst Du mir zuhören, anmuthige Leserin?

Damals gehörte ich dem diplomatischen Dienste an; Schwierigkeiten, die sich zwischen unserem Konsul in Gallipoli und dem dortigen Kaimakam erhoben hatten, veranlaßten meinen Chef, mich aus der türkischen Hauptstadt zur Untersuchung und Ordnung der Angelegenheit zu entsenden. Die Umstände, unter denen das geschah, ließen es nicht als zweckmäßig erscheinen, daß ich im Hause des Konsuls meine Wohnung nähme und so quartierte ich mich bei einer griechischen Wittwe ein, die sich mit dem Färben bunter Kopftücher ihren bescheidenen Lebensunterhalt erwarb. Eine Anzahl junger Mädchen war Tags über bei ihr beschäftigt, theils um die einfache Manipulation zu erlernen, theils zur Aushilfe; so oft ich freie Zeit hatte und gut aufgelegt war, setzte ich mich zu dem munteren Völkchen und amüsirte sie und mich mit dem Versuche, von ihnen Neugriechisch, oder wie sie es nannten: [638] Nomäisch zu erlernen. Welch herzliches Gelächter, welche andauernde Heiterkeit erregten meine oft mit Absicht ungeschickten Versuche, die mir vorgesprochenen Worte zu Sätzen umzubilden, wie glücklich funkelten die Augen über harmlose Schmeicheleien, die ich den Naiven sagte, wie unbändig konnten sie über kleine Scherze lachen, und wie flink und graziös sprangen sie bei ihrer Arbeit hin und her, daß ihnen die schwarzen Zöpfe nur so um die Schultern tanzten!

Eines Tages kam ein junges Mädchen aus der Nachbarschaft zu Besuch; ein reizendes Geschöpf, mit schüchternen braunen Augen, Grübchen in Kinn und Wangen, einem Munde, roth wie die Koralle, und einer Haut, weiß wie Perlmutter; durchsichtig zart, blaß, und doch nicht krankhaft bleich. Natürlich war ich sofort bis über beide Ohren in sie verliebt.

Man sagte mir, sie heiße Zacharula, Und ich frug begierig, was dieser Name bedeute.

Da ich die eifrigen, durch unzählige anmuthige Gesten erläuterten Erklärungen meiner Freundinnen, die mir unter vielsagendem Augenzwinkern und mit lachendem Munde gegeben wurden, schlechterdings nicht begriff, so hüpfte die Eine endlich davon und brachte ein Stückchen Zucker herbei; man machte mir nun in ausgelassener Lust begreiflich, Zacharula bedeute Zuckerstückchen, Zuckerplätzchen; die lustigen Mädchen legten dabei die kleinen Hände auf ihre fröhlich klopfenden Herzen, schnalzten mit den frischen Lippen und gaben sich Mühe, mir neckend klar zu machen, wie gut der eben genannte Gegenstand doch schmecke. Zuckerplätzchen …

„Ah,“ rief ich auf deutsch, „welch passender Name für ein so süßes Geschöpf!“

Der Ausdruck meiner Worte und der Blick, den ich dabei auf die Kleine warf, mußten den Sinn deutlich gemacht haben, denn das allerliebste kleine Ding wurde roth wie Scharlach. Die andern kicherten, und die Uebermüthigste von ihnen, ein schwarzbraunes, lustiges, graziöses Mädchen, begann verschmitzt: „Wie heiß Du bist, Zacharula! Nimm doch dein Kopftuch ab!“

Damit löste sie ihr hilfreich den kunstvoll verschlungenen Knoten, welcher das ihr Haar bedeckende Tuch festhielt, und enthüllte dabei so wundervolles, dichtes, in schwere Flechten gefesseltes Haar, daß ich einen Ausruf des Entzückens nicht unterdrücken konnte. Das feine Köpfchen der kleinen Griechin schien sich unter der Last dieses herrlichen Naturschmuckes zu beugen.

„Kein Mädchen in Gallipoli besitzt solches Haar!“ stimmte meine Wirthin lächelnd bei, und nun begab sich etwas, was die anmuthige Europäerin, welche diese Zeilen liest, für unmöglich halten wird, weil ihr eine so uneigennützige, stolze Freude an den körperlichen Vorzügen einer Anderen, und die naive Unschuld der Betreffenden selbst, einfach unglaublich vorkommen dürfte.

Um mir nämlich einen vollen Begriff von der Fülle dieses Frauenhaares zu geben, lösten plötzlich die geschäftigen Finger der jungen Mädchen die dunklen Flechten ihrer Genossin mit fabelhafter Geschwindigkeit auf, und wie ein glänzender, blauschwarzer Mantel fiel es über die Schultern der kleinen Griechin und verhüllte urplötzlich ihre ganze feingegliederte Gestalt.

Dieses wunderbar schöne Frauenhaar – ob es etwas Entzückenderes geben konnte? O doch, die kleine Besitzerin; etwas Reizenderes, als das feine, blasse Gesichtchen unter dieser verhüllenden Herrlichkeit, wie es verschämt und doch in unverhohlener Freude über meine bewundernden Blicke da vor mir zu sehen war – habe ich nie wieder im Leben erblickt.

Die halbe Nacht lag ich wach und träumte mit offenen Augen von Zacharula und ihrem Haare. Dabei versuchte ich vergebens, ein sonderbares Gefühl zu überwinden, das sich immer wieder in meine Liebesträume hineinschlich und mir meine reizende Bekanntschaft als das verwandelte Abbild eines anderen weiblichen Wesens erscheinen ließ, das ich schon irgendwo im Leben gesehen – anders allerdings – und doch auch wieder ähnlich. Der Gedanke ließ sich nicht verscheuchen und peinigte mich zuletzt. Ich entrollte die Gedächtnißliste über alle meine weiblichen Bekanntschaften – sie war nicht klein – aber ich fand die Eine nicht, die meiner Göttin ähnelte… ich sann und sann – endlich doch – Virginie … Warum ich so spät an sie dachte? Alle Leserinnen unter sechszehn Jahren mögen mir verzeihen – ich gedachte ihrer nicht als einer jungen Dame. Sie war ja ein halbes Kind noch, die Kleine – halb Backfisch, halb Schulmädchen – als ich sie zu meinen Bekanntschaften zählte, aber sie hatte mir viel Amüsement bereitet. So grundverschieden ihre ganze Art sich zu geben und zu „haben“ von der Weise der kleinen Griechin war, so auffallend war die Aehnlichkeit der Gesichtszüge. Selbst die zarte Farbe der Haut stimmte, nur daß sie bei Virginie, meiner kleinen Feindin, in krankhafte Blässe ausartete. Jetzt, da ich die Trägerin jener Aehnlichkeit gefunden, gewährte es mir Vergnügen, die beiden jungen Mädchen mit einander zu vergleichen. Virginie war mir von Konstantinopel bekannt, wo ihre Mutter, die noch immer schöne Gräfin Ferréol, zu meiner Zeit als Gattin des ersten Sekretärs bei der Botschaft einer Großmacht, da der Botschafter selbst unvermählt war, die Honneurs im Gesandtschaftshôtel machte. Sie hatte mir stets großes Wohlwollen bewiesen, weil, wie sie einst meinem gestrengen Chef in ihrer liebenswürdigen Weise gesagt, mein urwüchsig-unverdorbenes Wesen inmitten der französisch-levantischen Sittenfäulniß so angenehm auffalle.

Bei einem meiner Besuche in ihrem reizenden Salon hatte sie mit einer leichten Handbewegung nach einer halbdunklen Ecke lächelnd hingeworfen: „Meine Tochter Virginie.“ Ich hatte mich pflichtschuldigst erhoben und einen flüchtigen Blick nach jener Ecke geworfen. Auch dort erhob sich ein lang aufgeschossenes Mädchen, auf der Grenze zwischen Kindes- und Backfischalter stehend, schritt langsam näher und stand endlich, dicht neben der Mutter, mir gegenüber. Unsere Unterhaltung – die erste – begann und wurde von meiner Seite heiter neckend angefangen, aber auf diesen Ton ging Virginie nicht ein. Er erschien ihr jedenfalls respektwidrig – sie blieb ernst, und eine gewisse Abneigung gegen diesen von mir angeschlagenen Ton übertrug die kleine Komtesse sehr bald auf meine Person. Ich glaube, sie haßte mich, und das machte mir Spaß. Wir standen immer auf Kriegsfuß. Die kleine Virginie, von Allen verwöhnt und von ihren Eltern wegen ihrer äußerst reizbaren Gesundheit wie ein Augapfel behütet, wurde meine kleine Feindin, und so jung sie war, war sie doch ein Gegner, den man nicht unterschätzen durfte. Sie war weit über ihre Jahre klug, ernst, und es steckte überhaupt Rasse in ihr. Ich kapricirte mich darauf, sie zu reizen, wo ich nur immer konnte, und sie vergalt mir meine Bemühungen mit ehrlicher Rache. Unser ganzes Verhältniß bestand darin, daß wir einander alles nur erdenklich Unangenehme anthaten, und Virginie war im Ersinnen immer neuer Quälereien von einer Findigkeit, die mir Anerkennung abnöthigte und mich zu eifriger Nachahmung anspornte. Doch zog ich meist den Kürzeren, denn ihre Rache war jederzeit raffinirter als meine Beleidigung.

Ihre Uebersiedlnng in eine französische Pension machte endlich unseren Feindseligkeiten ein Ende, und ich hatte das schöne Kind bereits vergessen, als die Begegnung mit der jungen Griechin und der klassische Schnitt ihrer Gesichtszüge die Erinnerung an jene Zeit des Kampfes wieder in mir auffrischte und mir für einen Moment ein flüchtiges Lächeln abnöthigte. Merkwürdig! Wie ähnlich waren die beiden jungen Mädchen einander, und doch wie grundverschieden wurden sie durch den Ausdruck ihrer Gesichtszüge! Nie in meinem Leben war es mir so klar geworden, daß die Individualität des Charakters dem Aeußeren erst das Gepräge aufdrückt. Denn so sehr Virginie und Zacharula sich ähnelten, neben einander gestellt, würde sie gewiß Keiner mit einander verwechselt haben. Bei diesem Gedanken schlief ich endlich doch ein, aber obgleich ich mich zuletzt mit Virginie beschäftigt hatte, so war es doch Zacharula, welche mir in meine Träume folgte, und als der Morgen kam, wies mein Zustand die unverkennbarsten Symptome einer gründlichen und rettungslosen Verliebtheit auf.

Und gleich darauf machte ich eine Entdeckung, die mich noch mehr in der Ueberzeugung bestärkte, daß meine diplomatische Mission durchaus nicht in so kurzer Zeit erledigt werden könne, wie mein Chef das für möglich gehalten hatte.

Mein Fenster ging auf ein Zipfelchen Gartenland hinaus, und in diesem Garten befand sich eine Laube. … Das wußte ich freilich schon lange – aber daß Garten und Laube unserem Nachbar Sidheridi gehörten und daß Zacharula dieses Mannes Töchterlein sei, das erfuhr ich erst an diesem Morgen. Ich hörte nämlich meine Kokona hinunterrufen: „Guten Morgen, Zacharula!“ und wie der Wind war ich am Fenster, hinter dessen Gardinen ich mich wie ein verliebter Schüler verbarg, um verstohlen hinunter zu blicken. …

[639] Ja, sie war es, und während sie mit meiner Wirthin redete, schienen ihre feuchtglänzenden Gluthaugen ein nicht vorhandenes Etwas zu suchen. … Natürlich sagte mir mein eitles Herz, daß ich dieses Etwas sei, aber ich zeigte mich nicht, weil ich das wundersüße Kind zu verscheuchen fürchtete, und erst, als ich keine Zeit mehr zu verlieren hatte, wenn ich einen „Guten Morgen“ überhaupt anbringen wollte, rief ich meinen Gruß, strahlend vor Glück und Liebe, hinunter und trat dabei dicht an mein geöffnetes Fenster.

Zacharula erröthete bis an die Haarwurzeln und ließ vor Verwirrung den Rechen fallen, mit dem sie im Garten herum hantirt hatte. Wir wechselten einige flüchtige Reden, dann aber rief mich meine Pflicht in den Konak des Kaimakams.

Der türkische Würdenträger hatte alle Ursache mit mir zufrieden zu sein; denn als er nach Art seiner Landsleute heute einen Nebenpunkt, an den bis dahin Niemand gedacht hatte, hervorholte und, um die Sache in die Länge zu ziehen, dessen gründliche Untersuchung und Aufklärung verlangte, stimmte ich ihm unverzüglich bei und ging auf seine Verschleppungschicanen mit einer Bereitwilligkeit ein, daß der Moslem über seine Schlauheit und über den dummen Ungläubigen sich in die Brust gelacht haben mag. Ach, ich war nicht dumm – nie war ich das – aber ich war verliebt. Cyniker behaupten zwar, daß beides ein und dasselbe sei, aber sie irren.

Für den Nachmittag hatte ich mit dem englischen Konsul Mr. Abbott einen Ritt über Land verabredet, als ich aber kam, um ihn abzuholen, eröffnete er mir mit einiger Verlegenheit, ein guter Bekannter von ihm, der vor der Stadt ein Gütchen besitze, habe ihn für den Nachmittag zur Nußernte eingeladen. Nun wußte ich, daß der gute Abbott auf den Verkehr mit den Eingeborenen sonst nicht gerade viel gab, weil er als echter Engländer alles, was den heimischen Sitten widersprach, mit souveräner Verachtung zu behandeln pflegte.

„Was Sie sagen, mein Lieber!“ begann ich daher leichthin. „Wenn Sie aber wollen, daß Ihnen volle Entschuldigung für den begangenen Treubruch werde, so müssen Sie mir gestehen, welcher Magnet mit der Nußernte verbunden ist. Denn etwas derartiges verbirgt sich dahinter, sonst würden Sie doch lieber mit mir reiten, als da mit dem langweiligen Griechen Nüsse pflücken.“

Mr. Abbott erröthete ein wenig, und das stad seinem hübschen, frischen Gesicht viel besser als der Zug von insularem Hochmuth, der dasselbe für gewöhnlich entstellte. „Wissen Sie was, mein Freund?“ erklärte er sich zögernd, „kommen Sie mit mir, und Sie werden einsehen, wie Jone – ein entzückender Name, nicht so? – wohl verdient, daß man ihretwegen altbewährten Grundsätzen einmal untreu wird.“

Die Aussicht, mich da hinausschleppen zu lassen, um anzusehen, wie der lange Abbott einer kleinen Griechin den Hof machte, hatte für mich wenig Verlockendes; ich entgegnete daher trocken: „Sie sind außerordentlich gütig, aber ich muß doch danken. Ungeladener Gast zu sein, behagt mir nicht.“

„Ah bah!“ warf er ein. „Sie müssen da nicht mit den schwerfälligen europäischen Begriffen kommen. Ich stehe Ihnen dafür ein, daß Sie den liebenswürdigsten Empfang finden werden, wenn ich Sie bei Sidheridi’s einführe!“

Ja, das war ein Wort! Die Leute hießen Sidheridi! – Das änderte freilich die Sache! Aber waren es auch dieselben, meine Sidheridi’s? … Doch ich war nicht umsonst Diplomat, und vorsichtig tastete ich weiter: „Ja lieber Kollege, da will ich Ihnen denn schon den Gefallen thun und mitkommen. Aber – ich bringe Ihnen wirklich ein großes Opfer. Es ist wenig erfreulich zu fasten, wo andere an voller Tafel sitzen.“

„O, was das betrifft,“ rief er lachend, „da seien Sie ohne Sorgen! Die Sidheridi’s haben noch eine ganze Schar großer und kleiner Mädchen – drollige Menschen! Zwölf Kinder und lauter Töchter – und die nächstälteste, die nach Jone kommt – sie hat einen niederträchtigen Namen, den ein vernünftig organisirter Mensch schlechterdings nicht behalten kann – so was von Zucker, wenn ich nicht irre – würde ganz reizend sein, wenn sie nicht so sehr von Jone verdunkelt würde!“

„Das werden wir ja sehen,“ dachte ich ungläubig. „Diese Engländer haben meistens einfältigen Geschmack, erst recht wenn sie verliebt sind; immer bilden sie sich ein, daß ihre Mädchen die schönsten sind.“ Darin war ich freilich ganz anders geartet. Das war ja einfach lächerlich! Ich würde es sofort nicht nur eingesehen, sondern auch offen eingestanden haben, wenn eine Schönere neben Zacharula gestanden hätte; aber daran war natürlich gar nicht zu denken; das war eben einfach unmöglich.

Wir ritten also hinaus, und unvergeßlich wird mir der liebliche Anblick sein, den die noch immer sehr schöne Frau Sidheridi inmitten des Kranzes ihrer blühenden Töchter gewährte. Der Empfang war ein so herzlich liebenswürdiger, daß wir keinen Augenblick darüber in Zweifel sein konnten, wie hochwillkommen wir waren, und trotz der umständlichen und schwierigen Sprachverhältnisse fühlten wir uns im Nu heimisch. Meine kleine Göttin war, als sie meiner ansichtig wurde, roth geworden wie eine Päonie, that aber, als sähe sie mich zum ersten Male. Ich hätte sie dafür todtküssen mögen, weil ich darin ein günstiges Zeichen für mich erblickte. Aber wie bodenlos verliebt mußte doch dieser Abbott sein! Es war denn doch zum Lachen! Gewiß, Jone war ein recht leidlich hübsches Mädchen, nur mußte man Zacharula nicht neben ihr sehen. Das war denn doch wie Tag und Nacht!

Abbott und ich wurden, als die erste Schüchternheit schnell überwunden war, von dem allerliebsten Völkchen umringt, das lachend, plaudernd und scherzend mit uns durch den Garten zog.

Welchen heillosen Unfug wir da den ganzen Nachmittag getrieben haben, ist mir kaum erinnerlich – Zacharula nahm zu sehr alle meine Gedanken in Anspruch – aber wir waren alle so harmlos glücklich wie im Paradiese. Bisweilen sonderten wir uns in Gruppen und vertheilten uns zwanglos in den gründämmernden Gängen des Gartens, bisweilen auch blieb eins oder das Andere zurück und mußte dann mit vieler Mühe wieder aufgefunden werden. Oder wir bildeten, den alten redseligen, ziemlich gut deutsch sprechenden Wirth an der Spitze, eine lange Polonaise, und es gab viel herzliches Lachen, wenn er im Eifer des Gespräches mit seiner Dame stehen blieb und gestikulirend durch die Luft focht; der ganze Zug mußte in Folge dessen gleichfalls stehen bleiben, weil der schmale Weg kein Vorüberschlüpfen duldete, bis der alte Herr, endlich aufmerksam werdend, mit einer griechischen Verwünschung weiter schritt.

Plötzlich, ich hatte soeben eine ziemlich weitschweifige, durch allerlei Gesten nur unklar verdolmetschte Auseinandersetzung eines Nachbars der Sidheridi’s glücklich aus dem Felde geschlagen – vermißte ich Zacharula, und was war da natürlicher, als daß nun auch ich schleunigst verloren ging, um das kleine herzige Geschöpf mit dem süßen Namen zu suchen wie eine Stecknadel. Ach, und die Situation, in der ich sie fand, war eine reizende. Sie saß dicht an dem kleinen spiegelklaren Weiher, der seitwärts den Garten begrenzte, auf einem Steine, hatte beide Hände um die Kniee geschlungen und schaute mit dem Ausdruck harmloser Freude in dem ideal-schönen Gesichtchen in das Wasser. Neugierig bei der Frage, was sie wohl dort so fesseln möge, schlich ich mich leise näher, und da bemerkte ich denn, daß sie die kleinen silbernen Fische beobachtete, die hier an einer ziemlich seichten Stelle, zwischen den durch das Wasser schimmernden Kieseln hin- und herhuschten und vor Lust und Freude über den goldenen Sonnenschein bisweilen hoch emporschnellten. Die Freude über dies kleine Stück Naturleben strahlte wie ein Licht aus den glänzenden Augen des Mädchens, als es mit der schlanken Hand ins Wasser deutete und in seiner Heimathsprache nur wenige Worte hinwarf, die ich nicht verstand und doch begriff. „Ist das nicht reizend?“ Diese Frage lag in dem unschuldigen Auge, und ich las sie ab von dem dunkeln, feuchten Grunde. Ja, sie war ein Kind, dem Körper nach halb, der Seele nach ganz, aber sie war ein vielversprechendes Kind, eine Knospe, die sich einst zur Wunderblume erschließen mußte. Als ich so vor ihr stand und ihr entzückendes Bild sich im Weiher spiegelte, von fern das melodische, gedämpfte Lachen glücklicher Menschen und das Rufen der Nüsse sammelnden Arbeiter und Dirnen schallte, da meinte ich wirklich im Paradiese zu sein und frug mich, ob ich nicht träume …

Und als wir dann zur Gesellschaft zurückkehrten, vermißte man Abbott und Jone, und wir huschten wieder davon, um sie zu suchen. Als ich der kleinen Griechin auf dieser Mission unter den rauschenden Nußbäumen leise in deutscher Sprache süße Liebesworte zuflüsterte, da ging es ihr wie mir vorhin am Weiher; sie verstand mich nicht, aber sie begriff mich sehr gut. Dann und wann fiel ein reifes Nüßchen warnend auf unsere Köpfe und [640] Schultern und brachte uns in die Wirklichkeit zurück, wenn wir einander gar zu tief in die Augen guckten und darin ein Wunderland voller seliger Zustände erblickten. Ja, unsere Augen sprachen, während der Mund stumm blieb … Du lachst, holde Leserin … Du warst wohl noch nie verlieht? … Wie schade! … Dann bist Du auch noch nie glücklich gewesen … Und dann fanden wir auch Abbott und Jone. Wir geriethen auf eine Anhöhe, von der man einen weiten Blick über die vorliegenden, mit Wein- und Melonenpflanzungen bedeckten Gelände bis an den fernen Silberstreif des am Ufer brandenden Marmara-Meeres hatte. Dort saßen, wie wir in die Ferne blickend, Hand in Hand Jone und Abbott; Zacharula wollte sie rufen, aber ich wehrte ihr, faßte sie bei der Hand und sagte ihr – ich weiß nicht zum wievielten Male an diesem Tage – daß ich sie mehr liebe als mein Leben; in den weichsten Tönen, deren mein biegsames Sprachorgan fähig war, sagte ich ihr das – und sie senkte das Köpfchen und entgegnete etwas, das ich wieder nicht verstand, wenn ich auch den Sinn aus ihren flammenden Wangen und dem leisen Drucke ihrer Hand errathen konnte. Wir blickten uns abermals tief, tief in die Augen, dann hörten wir den Ruf: „Jone! Jone!“ wir stimmten mit ein, und der schönste Augenblick dieses köstlich sonnigen Tages war vorüber. – –

Mr. Abbott und ich waren ein Paar sehr langweilige Gesellschafter, als wir an jenem denkwürdigen Abend heimritten; ein jeder von uns hing seinen verliebten Gedanken nach, und als wir uns trennten, zeigte doch der verständnißinnige Händedruck, den wir tauschten, daß wir trotzdem uns ganz vortrefflich unterhalten zu haben glaubten.

Die nächste Zeit sah ich mein herziges Kind jeden Tag; ich sprach entweder in ihrem elterlichen Hause vor oder sie kam auf ein Viertelstündchen zu meiner Kokona heraufgesprungen. Die munteren Tuchfärberinnen hatten unser Geheimniß natürlich bald errathen, aber über diesen Kreis drang es nicht hinaus, und die kleinen Anspielungen, die wir darüber zu hören bekamen, waren so harmlos und liebenswürdig, daß ich in späteren Jahren oft und immer wieder in den Kreisen fein gebildeter Europäerinnen sehnsüchtig an jene armen, unwissenden Naturkinder und ihre neidlose Treuherzigkeit zurückdenken mußte.

So verlief noch eine Woche. Da kam eines Tages Zacharula ganz athemlos herüber, um eine Neuigkeit anzukündigen. Der englische Konsul war nach Paris versetzt und Jone seine Braut geworden. Sie würde bald heirathen und als seine Frau ihm dorthin folgen, berichtete die Kleine, aufs Lebhafteste interessirt.

Natürlich mußte ich da gratuliren, und zwar sogleich. Ich nahm Hut und Stock, um Zacharula nach ihrem Heim zu begleiten. Langsam schritten wir die alte knarrende Holzstiegc hinab. Es herrschte selbst am hellen Tage in dem alten Treppenhause eine dichte Dämmerung, nur durch eine der Dachluken fiel ein breiter Streifen Sonnengold und umwob meinen Liebling mit einem flimmernden Glorienscheine. Das dunkle Köpfchen hob sich von dem lichten Sonnenstreifen, der in der dämmernden Umgebung doppelt reizvoll wirkte, wie eins der auf Goldgrund gemalten Bilder der alten Meister ab. Mit leidenschaftlicher Bewunderung hing mein Auge an meiner lieblichen Begleiterin … ich legte leicht meinen Arm um ihre schlanke Gestalt und bat mit bebenden Lippen: „Kleine, süße Göttin meines Herzens, und wenn die Verdammniß über das Grab hinaus darauf stünde, ich muß Dich –“ aber ach – das griechische Wort für „küssen“ fiel mir leider nicht ein, und die kleine Eva wandte lachend ihr Köpfchen in dem schimmernden Sonnenstaube von mir ab, und frug spöttisch: „Ja, was denn?“

Anfangs schämte ich mich wie ein Schulbube, aber bald erkannte ich, daß ihre Frage Heuchelei und ihr Sträuben nicht ernst gemeint war, und als wir auf die helle Straße hinaus traten, wußten wir Beide, was die ersten heißen Küsse leidenschaftlicher Liebe zu bedeuten haben.

Was Wunder, daß es mir schwer wurde, mich gleich wieder in der öden Wirklichkeit zurecht zu finden? Und daß ich die mir vom Telegraphenboten, den wir beim Hinausstürmen fast umrannten, überbrachte Botschaft erst eine Weile mit unweisem Lächeln anstarrte, bevor ich sie begriff? Sie war, wie der Engel mit dem feurigen Schwert, gekommen, um mich aus meinem eben errungenen Paradiese zu vertreiben. In derselben hatte mein Vorgesetzter seine Verwunderung über die schleppende Erledigung der mir anvertrauten Frage in sehr ungnädiger und dem Wunsche, daß ich in drei Tagen damit zu Ende kommen möge, in so entschiedener Weise Ausdruck gegeben, daß ich wohl oder übel meinen Aufenthalt über diesen äußersten Termin hinaus nicht verlängern durfte. Ich konnte dem trauten Kreise, in den ich jetzt hinein trat, die schlimme Nachricht nicht verbergen. Jone sah Zacharula an, und die kleine Dunkelhaarige erbleichte, und ihre Lippen zuckten in so vielsagender Weise, daß dieser schlagende Beweis ihrer Gesinnung mir gegenüber ein Tropfen Trost in meinem Trübsalsmeer war. Sie ging hinaus, meine Kleine, um die Thränen zu verbergen, die das an Selbstbeherrschung nicht gewöhnte Naturkind zurückzuhalten unfähig war.

Als mein kleiner Liebling am letzten Tage schluchzend an meinem Halse hing, versprach sie mir, nie einem Andern anzugehören und meine kleine Frau zu werden, so bald ich sie zu holen käme. Bis dahin aber sollte ich sie im Bilde haben; und ich erhielt dieses Bild, mit dem aufgelösten Haar noch dazu, wie ich sie zum ersten Male gesehen und liebgewonnen hatte, das herzige Ding.

Es hängt heute noch über meinem Schreibtische, das kleine, verblichene Bild, und ich kann es nicht ansehen, ohne einen stechenden Schmerz im Herzen zu empfinden.

Zwei Jahre vergingen. Meine Zacharula schrieb fleißig, und jeder ihrer Briefe hatte in meinen Händen das Schicksal, welches diese zarten Liebesboten von Thoren meiner Art zu erleiden pflegen. Ihre Orthographie war schlechter als ihre Gesinnung, aber sie machte mir nach und nach doch Kummer, diese Orthographie.

Daß ich meine kleine Göttin noch ebenso zärtlich liebte, als da ich die Idylle ihrer Heimath mit ihr theilte, unterlag keinem Zweifel, und wenn es mir vergönnt gewesen wäre, mein ganzes Leben lang unter den Nußbäumen ihres väterlichen Gartens, ein glücklicher Adam, mit ihr als Eva, in einer Hütte von Baumrinde zu leben, ich würde dieses Loos nicht um alle Kronen der Welt ausgetauscht haben, ich würde nichts an dem herzigen Kinde vermißt, und die Orthographie ihrer Briefe würde mir ebenso wenig Kummer gemacht haben, wie der etwas absonderliche Stil und die naiven Ansichten über Welt und Menschen, die mein Herzensliebling bisweilen aussprach. Aber leider lebte ich in einer Welt, die für die Reize einer Zacharula absolut kein Verständniß hatte und sehr viel auf den äüßern Schein, auf feinen Schliff und Umgangsformen gab. Wenn ich mir vorstellte, daß meine Kleine auf einer Soirée der Gräfin Baldrück erscheinen oder an einem Zauberfeste der X.’schen „Gesandtin“, der Diamantenkönigin, theilnehmen sollte, dann überlief es mich heiß und kalt. Ich sagte mir mit grausamer Ehrlichkeit, daß diese Damen und alles, was zu ihnen gehörte, für die Heldin einer Rosegger’schen Novelle sich zwar begeistern, dasselbe Naturkind aber, wenn es in Wirklichkeit aus den Blättern einer Dorfgeschichte heraussteigen und sich in das schillernde Leben der „Gesellschaft“ mischen wollte, leicht – auslachen könnten. Bei diesem Gedanken angekommen, der sich mir mit merkwürdiger Zähigkeit besonders dann aufdrängte, wenn ich selbst in steifer Hoftoilette mitten in dem bunten Treiben der großen Welt steckte, zog ich stets mein Taschentuch und begann mir den Schweiß von der Stirn zu trocknen.

Ich war so stolz auf meinen kleinen Liebling, ich würdigte gewiß alle ihre Vorzüge, die mir tausend Mal mehr galten als die leeren Formen der „Gesellschaft“, in die ich sie einführen mußte; aber ich sagte mir auch, daß ich nicht gegen den Strom schwimmen könne; ich unterschätzte die tausend Nadelstiche nicht, die meiner warteten, ich überschätzte auch mich nicht; ich wußte leider, daß ich einen tüchtigen Hieb und Stoß geschickt pariren, aber an diesen Nadelstichen zu Grunde gehen würde. Dafür sorgte schon meine Eitelkeit.

Ach, ich wäre so sehrgern in jeder Hinsicht stolz auf mein Weibchen gewesen. …

Ich beschloß denn, sie mir zu „ziehen“, und begann in meinen Briefen nach und nach einen belehrenden Ton anzuschlagen, so gleichsam brieflich Unterricht zu ertheilen – aber da kam ich schön an! Sie lachte mich einfach aus; frug, warum ich plötzlich so langweilig schreibe, bald wie ein alter Schulmeister, bald ernst und feierlich wie ein Richter. Die früheren lustigen Briefe seien ihr lieber gewesen. Wo doch die tausend Liebesworte von sonst blieben? Sie seien mir wohl in der Feder stecken geblieben oder [642] in die Tinte getrocknet? Jetzt wisse sie oft nicht, was sie hier oder dort antworten solle, sie sei keine Gelehrte und verbitte sich derartige Katechesen. Ich sei in dieser Rolle des Mentors nichts weniger als verführerisch – sie bitte um die alten Themata.

„Liebe sei der Inbegriff – auf das And’re – – pfeif’ ich“ – sagt ein deutscher Dichter, und meine kleine Herzensflamme empfand, wie ich verdrießlich und gezwungen lachend erkannte, auf griechisch das Gleiche. Ja, was war da zu thun? Oft saß ich mit der Feder in der Hand und starrte wie ein Unglücksmensch auf das grüne Tuch meiner Schreibunterlage, auf welcher der Brief lag, den ich an „sie“ absenden wollte, und kein Weiser der Erde, selbst wenn er mit dem auserlesensten Scharfsinn begabt gewesen wäre, würde in mir einen der Gottbegnadeten gesucht haben, der eben im Begriffe steht einen Liebesbrief zu schreiben. Meine Physiognomie ließ eher auf die Unterzeichnung eines Todesurtheils schließen, und während ich bemüht war, echt pädagogisch zu handeln und meine Belehrungen in das Gewand einer harmlosen Plauderei zu kleiden, summte mir beständig das kleine neckische Lied in den Ohren, dessen ich oben schon einmal gedachte:

„Als ich jüngst von ungefähr – durch den Wald spazierte,
 Kam ein kleiner Vogel her – sang und trillerirte.
 Was der kleine Vogel pfiff – fühl’ ich und begreif’ ich –
 Liebe war der Inbegriff – auf das And’re – – pfeif ich!“

Der T ..... mochte wissen, wer es gedichtet hatte, aber mir erschien es wie ein Hohn auf meinen Zustand, und wenn ich den Verfasser gleich da gehabt hätte …

Endlich that ich das Aeußerste – das Letzte. Ich schrieb Zacharula in der schonendsten Weise meine Besorgnisse und legte ihr überzeugend klar, daß die Welt, in der ich zu leben gezwungen sei, andere Ansprüche an ein Weib stelle, als die Welt, die sie geboren habe. Ich bat sie, ihren Kenntnissen noch etwas nachzuhelfen, sich die nöthigsten gesellschaftlichen Umgangsformen anzueignen und zu diesem Zwecke ein Jahr zu ihrer Schwester Jone nach Paris zu gehen, die ja auch aus Liebe zu Abbott noch als Frau ein renommirtes Pensionat besucht habe und heute noch die theuersten Lehrer bezahle, um zu lernen – aber Zacharula wollte davon nichts hören. Sie könne ihre Mutter, die schon durch die Trennung von Jone schwer leide und vor Sehnsucht nach dieser fast vergehe, jetzt nicht auch schon verlassen – im Uebrigen begreife sie mich nicht. Sie sei noch die gleiche Zacharula wie sonst und mir ja früher als solche gut genug gewesen. Sie sehe in diesen ewig sich wiederholenden Aussetzungen an ihrer Person, in diesen fortgesetzten Belehrungen und Forderungen mehr als ich vielleicht ahne, und fühle sehr wohl heraus, daß ich bereue, dieses Verhältniß mit ihr, dem armen, kleinen Landmädchen, überhaupt angeknüpft zu haben. Das könne sie nun freilich nicht ändern ... Sie sei nun einmal so ... Sie wolle sich auch nicht aufdrängen; wenn ich der Meinung sei, daß sie mir nicht genügen könne, so solle ich das nur offen sagen. Dieser Brief verdroß mich furchtbar. Ich beantwortete ihn mit bärbeißiger Unliebenswürdigkeit und – – sie schrieb nie wieder.

So war nach zwei Jahren mein Traum zerronnen, aber die schöne Griechin zu vergessen, wollte mir durchaus nicht gelingen, und wenn es mir auch in den darauffolgenden Jahren an verheißungsvollen Blicken aus manchem hellen Augenpaar nicht gefehlt hat, ich wurde meiner alten Liebe nur vorübergehend untreu. Sie thronte noch immer in meinem Herzen: Zacharula.

*               *
*

Hier brach das Manuskript ab, das ich, wie von einem inneren Drange getrieben, in einem Zuge niedergeschrieben hatte, um damit die Schuld abzutragen, welche ich durch den unbedachtsam herbeigeführten Verlust eines Vielliebchens auf mein Haupt geladen hatte. Die darin berichteten Vorfälle sind wahr, denn das war eine der Bedingungen, zu deren Innehaltung ich mich der schönen und eleganten Mademoiselle Virginie de Ferréol durch Handschlag so fest und noch fester verpflichtet hatte, als wenn ich dies Versprechen durch Schwur und Ehrenwort besiegelt hätte.

Der Leser erräth, daß ich eine alte Bekanntschaft erneuert hatte.

[655] Ich befand mich auf Urlaub in der alten lieben Heimath, war nach verschiedenen Kreuz- und Querzügen, auf denen ich bei ehemaligen Studiengenossen und Freunden Anker geworfen hatte, nach Wiesbaden gekommen, und dort hatte mich meine alte Freundin, die Gräfin Ferréol bei einer Begegnung im Nerothale erkannt, freudig begrüßt und eingeladen, sie zu besuchen. Dort nun war es, wo ich zum ersten Male wieder nach so langen Jahren, mich von einem weiblichen Wesen angezogen fühlte. Virginie, meine kleine Feindin von einst, begleitete meine alte Freundin bei jener denkwürdigen Begegnung, und diese Virginie erinnerte mich zu stark an Zacharula, als daß sie mir hätte gleichgültig bleiben können. Nur ihr schwermüthiger Ernst, ihr graziös elegantes Auftreten und ihre voll erblühte Schönheit waren von der sonnigen Heiterkeit der naiven Natürlichkeit und der frischen Anmuth meiner ersten Liebe so verschieden, wie die dunkel glühende Purpurrose von dem herzigen Wildröslein, das an den Hecken blüht.

Die junge Dame war unbestritten die Königin der Saison in Wiesbaden, wo alle Männer für sie schwärmten, und „wo Alles liebt, kann Karl allein nicht hassen“. An das krankhaft–reizbare Kind von einst erinnerte nur noch die zarte, bleiche Gesichtsfarbe und das ernste Wesen. Aus dem lang aufgeschossenen, mageren Backfische mit den eckigen Formen war ein wunderschönes Weib geworden; sie hatte sich prächtig entwickelt, und nun vollends die Aehnlichkeit der klassisch geformten Gesichtszüge mit denen meiner kleinen Herzenskönigin hatte mich gänzlich gefangen genommen. Virginie hatte eine eigene Art – und das seltsame Mädchen war sich dieser Macht über mich wohl bewußt – mich mit ihren dunklen, sprechenden Augen anzusehen, wobei ich das Gefühl hatte, ich könne vor ihr kein Geheimniß meines Innern verbergen. Zum größten Theile kam dies gewiß eben daher, daß sie durch den Ausdruck, den mitunter ihre Gesichtszüge annahmen, durch manche Bewegungen jene Erinnerungen in mir wach rief, die ich seit den sonnigen, goldenen Tagen von Gallipoli als meine schönsten Schätze hütete; es waren immer nur blitzartig aufleuchtende und schnell wieder verschwindende Momente, die am lebhaftesten auf mich wirkten, wenn ich den silbernen Klang ihres Lachens vernahm, was bei ihrem auffallend ernsten Wesen freilich selten genug geschah; wenn ich dann die Augen schloß, meinte ich den silbernen Brandungsstreifen des Marmarameeres und die herzige Zacharula vor mir zu sehen, wie sie mit ihren dunklen Augen in den Weiher blickte. Ich konnte mir dann wirklich einbilden, sie müsse mir im nächsten Augenblicke ein romäisches Liebeswort [658] zuflüstern – aber wenn ich dann wieder aufsah – da stand Mademoiselle Virginie vor meinen Blicken, sie, mit dem anmuthig sinnenden Ernst und dem so eigenthümlich fragenden Blicke, in dem ich immer die Worte zu lesen glaubte: „Ja – liebst Du mich denn?“

Und obgleich ich kein Geheimniß vor ihr verbergen konnte, darauf konnte ich ihr doch keine Antwort geben, denn ich wußte wirklich selbst nicht, ob es Liebe war oder der unnennbare Reiz der von ihr heraufbeschworenen Erinnerungen, was mich mit so unwiderstehlicher Macht zu ihr hinzog. …

Zehn Jahre war ich in der Welt herumgeschleudert worden, hatte meine bei den Meistern der Diplomatie, den Türken, erworbene Gewandtheit im Verkehre mit Arabern, Aegyptern, Peruanern und Gauchos, Japanesen und Chinesen erprobt und war so glücklich gewesen, mir überall die Zufriedenheit meiner Vorgesetzten zu erwerben, da keine Zacharula mehr auftrat, die mich den Verschleppungskünsten exotischer Staatsmänner zugänglich gemacht hätte; sollte jetzt eine Virginie die gleiche Macht gewinnen? Ja, ich konnte es nicht leugnen, das schöne, ernste Mädchen hatte mich unbeschreiblich gefesselt, ohne doch Zacharula’s Bildniß zu verdunkeln, ein Widerspruch, der mich in einsamen Stunden lebhaft beschäftigte und mir doch unerklärlich blieb, da ich, wie der scharfsinnige Leser längst errathen haben wird, zu einem Don Juan ganz und gar keine Anlagen hatte. Ich war häufig, fast täglich bei den beiden Damen, was bei der übrigen eleganten Welt in Uniform und Civil nicht wenig Neid erregte, da die Gräfin leidend war und daher Geselligkeit weder suchte noch in ihrem eigenen Heim, einer von ihr allein bewohnten prächtigen Villa, pflegte.

Eines Abends frug mich die liebenswürdige, alte Dame, wie es doch komme, daß ich noch unvermählt sei, und ich bekannte ihr zögernd und mit einiger Verlegenheit, daß eine unglückliche Liebe, welche mein Herz nicht vergessen könne, die Schuld trage.

Ich glaubte Virginie außer Hörweite unseres Gespräches, da ich sie am Fenster stehen und träumerisch, ja, wie mir schien, wehmüthig in die mondhelle Sommernacht hinausblicken sah.

Die Gräfin erwiderte nichts auf dieses mein Bekenntniß; sie sah mich nur nachdenklich an, und ich nahm an, daß sie vielleicht im Schatze ihrer Erinnerungen nach einer weiblichen Persönlichkeit suche, die sie mit mir, dem einst so fröhlichen und heiteren Gesellen, in Zusammenhang bringen könne.

Natürlich mußte dieses Beginnen resultatlos bleiben.

So saßen wir eine kleine Weile stumm einander gegenüber, bis das Mädchen die silberne Theemaschine herein brachte und Virginie langsam herüber kam, um, wie allabendlich, den Thee zu bereiten. Jetzt kam das Gespräch wieder in Gang, berührte aber mit keiner Silbe die Frage der Gräfin und meine Antwort.

Wir verhandelten im Gegentheil recht harmlose Dinge, während ich jeder der graziösen Bewegungen Virginiens mit meinen Augen folgte. Beim Nachtische fehlten die Rosinen und Mandeln nicht, welche Virginiens Lieblingsspeise waren. Ich fand einen Doppelkern und wollte mit dem reizenden Mädchen Vielliebchen essen.

Wir benahmen uns, wie mir erst heute so recht klar wird, wie ein paar rettungslos Verliebte – ich für meinen Theil bot ihr die Hälfte meines Fundes so ungeschickt wie ein verliebter Schüler, und sie nahm sie so zögernd und verlegen wie ein Backfischchen – doch nur kurze Augenblicke währte ihre Verwirrung, dann schien ihr plötzlich ein sie lebhaft beschäftigender Gedanke zu kommen. Ihre Augen blickten mit dem lauernden Ausdrucke der kleinen Virginie von einst in mein Gesicht, und die kleinen spitzen Zähne schimmerten feucht und glänzend zwischen den rothen weichen Lippen, als sie mit einem zweifellos übermüthigen Lächeln erklärte: „Ich bin bereit dazu, mein Herr – aber – ich stelle eine Bedingung.“ Sie hielt dabei den Mandelkern zwischen ihren schlanken Fingern und sah mich noch immer an, fragend, verschmitzt, lauernd, ich finde keinen andern Ausdruck.

„Nun, und diese Bedingung?^ frug ich ein wenig zaghaft bei der Erinnerung an frühere Kämpfe und regelmäßige Niederlagen von meiner Seite.

„Der verlierende Theil muß sich verpflichten,“ begann sie weise und mit wichtiger Miene, „dem gewinnenden die Bestimmung der Buße zu überlassen, und jeder Bestimmung, die überhaupt im Bereiche der Möglichkeit liegt, nachzukommen.“

Auf dem feinen Gesicht der Gräfin zeigte sich unverkennbar Mißbilligung bei diesem Vorschlage ihrer Tochter – sie mochte an die Konsequenzen eines solchen Vorschlages denken – genug, sie begann zu protestiren, aber auf einen Wink Virginiens, den ich wohl nicht bemerken sollte, aber eben deßhalb gerade bemerkte, gab sie ihre Vorstellungen nach einem langen, fragenden Blicke auf ihre Tochter wieder auf – während ich mich galant zustimmend verneigte.

Gleich darauf berührte der Mandelkern die weichen, rothen Lippen des schönen Mädchens. Wie ich ihn beneidete!

So galant ich dem Vorschlage Virginiens beigestimmt – ich war fest entschlossen die Wette ungalanter Weise zu gewinnen.

Leider war aber Virginie ebenso fest entschlossen sie nicht zu verlieren, und in solchen Fällen ist bekanntlich das stärkere Geschlecht immer das unterliegende. Als ich am andern Morgen, mehr aus Mode als aus Bedürfniß, meinen Brunnen trinken ging, erscholl plötzlich unter dem dichten Schleier einer Dame hervor, die bis dahin durch ihren müden, schleppenden Gang und das Gebeugte ihrer Haltung mein aufrichtiges Mitgefühl erregt hatte, das verhängnißvolle „Guten Morgen, Vielliebchen!“

Meine Proteste gegen dies völkerrechtswidrige Verfahren blieben unbeachtet und wurden von der Gräfin, deren Entscheidung wir anriefen, als nichtige Winkelzüge charakterisirt und als unbegründet mit den Worten abgewiesen: „O, bitte, Sie sind mir auch ein sauberer Diplomat, der den abgeschlossenen Vertrag brechen möchte, kaum daß seine Unterschrift darunter trocken geworden ist.“

Was war da zu thun? Ich ergab mich auf Gnade oder Ungnade und bat, mein Urtheil zu fällen und, wenn irgend möglich, auch gleich zu vollstrecken, da ich alles Unvermeidliche gern hinter mir hätte.

Die Damen lachten, und Virginie begann grausam: „Ja, ich habe schon darüber nachgedacht und das Für und Wider erwogen, und ich bin zu dem Schlusse gekommen, daß – Sie müssen – Sie sollen –“ verlegen bohrte sie die Spitze ihres eleganten Sonnenschirmchens in den Kies des Weges, den wir eingeschlagen hatten – „ich bin dafür, daß Sie – arbeiten.“

„Arbeiten?“ frug ich verblüfft und trat entsetzt einen Schritt zurück, wobei der Ausdruck meines Gesichtes nicht eben geistreich gewesen sein mag. „Befehlen das gnädige Fräulein Frohne?“ setzte ich dann, mich fassend und die Dinge von der humoristischen Seite nehmend, hinzu; „bitte, wünschen Sie, daß ich für Sie Holz zerkleinere, oder unter Assistenz Ihrer Köchin Pasteten backe, ich muß natürlich alles unterschreiben, und wenn es mein eigenes Todesurtheil wäre.“

Virginie lachte fröhlich auf, und dies Lachen war wieder ganz das Lachen meiner ersten Liebe. „Nein! – – Welche Befürchtungen!“ beruhigte sie mich fast mitleidig, „natürlich wird das geistige Arbeit betreffen, was – nun, was man von Ihnen verlangt.“

Ich athmete auf.

„Es handelt sich dabei um Ihre – Fähigkeiten,“ fuhr sie tieferröthend und mit gesenkten Augen fort; „ich möchte –“ sie stockte.

Ich stutzte. „Um meine Fähigkeiten?“ wiederholte ich fassungslos und begann die Enden meines Schnurrbartes zu maltraitiren, „zweifeln die Damen an meinem Können? Soll ich einer Prüfungskommission vorgestellt werden?“

„Herr Legationsrath!“ warf die Gräfin lächelnd und kopfschüttelnd ein, „welche Idee!“

„O, nach meinen Erfahrungen in Konstantinopel, gnädigste Gräfin,“ begann ich diese „Idee“ zu vertheidigen, während ich mich. lebhaft an die zuletzt Sprechende wandte, „steht da nicht das Aeußerste zu erwarten? Ich befinde mich nicht zum ersten Male in dieser Situation. Sie werden sich erinnern, daß ich immer gezwungen war das Feld zu räumen. Sollte es Ihrem Gedächtniß gänzlich entschwunden sein, was ich gelitten habe in jenen lustigen Kriegen?“

Die Gräfin entgegnete nichts, aber ein Schatten flog über ihr Gesicht, als sie beschwichtigend abermals den Kopf schüttelte; ein Schatten, den ich nicht begriff und der mich nur noch mehr verwirrte.

„Bitte, hören Sie und erkennen Sie, wie gütig ich bin,“ begann Virginie auf der anderen Seite mit ihrer melodischen [659] Stimme. „Wie wäre es, wenn – menn Sie eine Erzählung schrieben? Jch mochte nämlich gern wissen, ob das ewige Aktenstudium die Beschäftigung mit der reinen Vernunft Jhnen einen ‚Rest‘ Poesie gelassen haben – das ist das Ganze.“

Eine Erzählung, mir fiel ein Stein vom Herzen; zwar war mir dieses Thätigkeitsfeld neu, doch hoffte ich, es leidlich bebauen zu können. Jch hatte immer ein Stück von einem Poeten in mir getragen, und in früheren Zeiten – sie lagen freilich weit hinter mir – unterschiedliche liebliche Verse verbrochen, die mich immer sehr gerührt hatten, ich glaubte also in „Prosa“ mit der „Poesie“ mich so ziemlich zu befreunden . . . Welches Thema aber behandeln ...

„Welcher Art soll nun dieses litterarische Kunststück sein?“ begann ich vorsichtig zu tasten. „Befehlen die Damen hochtragisch oder mehr humoristisch? sentimental oder realistisch-modern? Bleiben wir bei den Idealen stehen oder geht es auch ohne diese? Darf man sich an einen bereits vorhandenen Stoff anlehnen, oder muß das Ding ganz Original sein? Mein Talent befähigt mich, in dieser Hinsicht allen Ansprüchen gerecht zu werden.“

„,Sein‘ oder nicht ‚sein‘ – Eigenthum nämlich – das ist hier die Frage,“ lächelte die Gräfin fein.

„O, das wäre noch schöner,“ protestirte Virginie lebhaft. „Natürlich muß das, was ich im Auge habe, ein Beweis Ihres Talentes sein und nicht von den Gaben eines Anderen Zeugniß ablegen. Erfindung streiche ich dabei ganz, denn vor allen Dingen soll die Erzählung auf Wahrheit beruhen, Ihr Talent soll sich nur in der poetischen Art zeigen, in der Sie diese Wahrheit zu Papier bringen; auch was Sie sich bei dieser oder jener Stelle denken, sollen Sie ganz ehrlich beifügen. Die Hauptbedingung bleibt jedoch eine Handlung, die auf Thatsachen beruht; aus der Art, wie Sie diese ‚wahre Geschichte‘ erzählen, kann man schon ein – ein Urtheil gewinnen.“

„Aber das ist furchtbar leicht!“ jauchzte ich auf. „Die Erfindung der Handlung ist immer das Schwerste!“

„Wir wollen Sie dadurch vor litterarischem Diebstahl bewahren, der ja in Ihrer Stellung unverzeihlich wäre,“ erklärte Virginie. „Man kann von einem Anfünger nicht sofort das Schwerste verlangen. Sie sehen, wir sind sehr gütig. Doch noch eine Bedingung: Sie sollen den Stoff aus Ihrem Leben nehmen. Sie müssen doch so mancherlei schon erfahren haben. Wie, wenn Sie ...“ hier senkte sich ihr Köpfchen abermals tief nach dem kleinen Schirm herab, mit dem sie die alten, mystischen Zeichnungen im Sande wieder begann, „in einer fesselnden Art klar legten, warum Sie bisher unvermählt geblieben sind. Die Geschichte könnte die Ueberschrift tragen: ‚Wie ich ein alter Junggeselle wurde‘, gewiß ein vielversprechender Titel! Sie müßten das Ganze fein säuberlich aufschreiben und die betreffenden Gründe in glaubwürdiger Weise darlegen – und nun kommt noch eine Bedingung, die letzte: der Termin der Ablieferung darf nicht bis in die graue Zukunft verschoben werden, spätestens in acht Tagen müssen Sie fertig sein und denken Sie sich die Aufgabe nicht gar zu leicht. Eben darin, daß Sie das Ganze in eine fesselnde, poetische Form bringen und doch streng bei der Wahrheit bleiben sollen liegt die Schwierigkeit.“

Als ich mit dem Versprechen schied, die Arbeit in der verabredeten Zeit zu beenden und abzuliefern, sagte Virginie noch einigermaßen verlegen, indem sie mich ernst anblickte und der mir bekannte zartrosige Schimmer wieder über ihr feines Gesicht huschte: „Und versprechen Sie, das Thema nicht zu wechseln – ein anderes mird nicht acceptirt – und – und ehrlich, Herr Legationsrath, nichts hinzufügen und nichts davon thun – Sie wissen, kein Roman, sondern eine wahre Geschichte.“

Ich küßte ihr die Hand und versprach Offenbarung meiner Herzensgeheimnisse und unbedingte Wahrhaftigkeit. Dann setzte ich mich vor Zacharula’s Bild und blickte ihr in die treuherzig- schalkhaften Augen, und die Erinnerung an jene seligen Tage überkam mich mit solcher Gewalt, daß ich von ihr hingerisen, die einmal begonnene Erzählung, ohne aufzustehen in einem Zuge niederschrieb. Stunde auf Stunde verrann, und erst als meine Uhr Mitternacht zeigte, stand ich, im Innersten bewegt, auf. Die Beichte, welche den Anfang dieser Zeilen bildet, war fertig.

Die Vorlesung der „wahren Geschichte“ hatte durchschlagenden Erfolg; mehr als die anspruchslose Erzählung verdient. Virginie saß, als ich wieder aufblickte, mit abgewandtem Antlitz da und schien eigenthümlich ergriffen. Die Gräfin reichte mir dankend die Hand und lobte: „So war’s recht, mein Freund, Sie haben Ihr Versprechen ehrlich gelöst und werden es nicht zu bereuen haben.“

Sie blickte dabei auf ihre schöne Tochter, welche sich jetzt mit feuchten Augen zu mir wandte, und Virginie folgte dem Beispiel ihrer Mutter. Leise bebend, wie ich zu bemerken glaubte, lag ihre schlanke, feine Hand zwischen meinen Fingern, und die langen, seidenen Wimpern vermochten das nasse Auge nicht zu verbergen, als Sie lächelnd und bemüht, einen leichten Ton zu finden, hinwarf: „Ich hätte nie geglaubt, daß ein Mann in dieser Weise über einmal Verlorenes sprechen könnte. Ich meinte bisher, nur in der Gegenwart könne der Mann leben. Es ist brav von Ihnen, noch in dieser Weise von jenem – thörichten Mädchen zu sprechen, das sein eigenes Glück und das Ihre aus weiblichem Eigensinn zerstörte.“

Diese Worte Virginiens aber verletzten mich fast. Ich hatte das Gefühl, das Jeder empfindet, wenn in seiner Gegenwart eine ihm theure Person mit Recht oder Unrecht angegriffen wird, und ich vertheidigte meine erste Liebe in etwas heftiger Weise. Ich entschuldigte ihr Verhalten damit, daß ja doch in meinem Vorgehen eine gewisse Geringschätzung dessen gelegen habe, was Zacharula zu bieten gehabt, und daß ich von ihrem Standpunkte aus ihre Entrüstung sehr wohl begreife, daß ich überhaupt von einem Weibe wenig halte, das ohne jedes Selbstgefühl sei und das man nur schwer beleidigen könne, daß ich aber die Macht der Verhältnisse heute noch beklage, die mich um das Glück meines Lebens gebracht hätten.

Am Ende dieser Vertheidigung fiel mir erst ein, daß junge Mädchen in der Regel das Lob einer Abwesenden in ihrer Gegenwart nicht gern zu hören pflegen – ich dachte daran, wie theuer mir doch auch Virginie war, ich erschrak bei dem Gedanken, daß in meinem Innern eine Art Doppelliebe lebte – und das Alles verwirrte mich in einer Weise, daß ich erst nach längerer Zeit wagte, einen forschenden Blick auf mein schönes Gegenüber zu werfen – aber merkwürdig, Virginiens Augen begegneten den meinen leuchtend und zustimmend, es lag in ihrem Blicke eine Wärme und Herzlichkeit, die sie mir gegenüber noch nie gezeigt, und als sie mir abermals die Hand reichte und anerkennend versicherte: „Ich beabsichtigte nicht, Ihrer einstigen Freundin zu nahe zu treten und Ihnen wehe zu thun, Herr Legationsrath,“ glaubte ich einen leisen Druck ihrer Hand zu verspüren ... Ich begriff mich und sie – ja ich begriff die ganze Welt nicht mehr, und was wir noch weiter geredet haben an jenem Abende, ist mir nie so ganz klar gewesen. Ich war wie im Traume. Zacharula oder Virginie? – oder Beide? – War ich nicht auf dem besten Wege, die Institutionen eines Mormonenstaates in meinem Herzen praktisch zu bethätigen?

Ich ging mit seltsam getheilten Gefühlen nach Hause; nie hatte ich mit wärmerer Innigkeit meines verlorenen Lieblings gedacht und doch hatte ich dabei die Empfindung, Virginie könne mir einst die Verlorene ersetzen. Längere Zeit fand ich jedoch nicht den Muth, mich zu erklären, obgleich ich innerlich überzeugt war, daß auch Virginie meine Neigung theilte. Je länger ich sie kannte, desto mehr fühlte ich, wie der geheimnißvolle Reiz, den sie auf mich ausübte, gerade von den immer wiederkehrenden, wenn auch immer flüchtig vorüberrauschenden Aehnlichkeiten herrührte, die sie mit Zacharula hatte, und desto schwerer wurde es mir, die beiden Königinnen meines Herzens aus einander zu halten. Dieser Umstand war es auch, der schließlich die Entscheidung herbeiführte.

Ich erzählte Virginie ein drolliges Erlebniß aus China, und sie lachte darüber so herzlich und silberhell, so ganz meinem Liebling ähnlich, daß ich unwillkürlich laut ausrief: „Zacharula!“ Sie erschrak heftig und sah mich, die Hand auf das Herz pressend, mit großen Augen ängstlich an. Ich bat sie wegen des verursachten Schreckens um Verzeihung, und dann – ja dann machte ich eine Liebeserklärung, so ungereimt und verworren, wie sie der Klügste von uns zu machen pflegt, wenn er wirklich verliebt ist, eine jener Erklärungen, die, wortgetreu stenographirt, ein merkliches Kopfschütteln aller vernünftigen Leute erregen würden. Aber Virginie hörte mir hochathmend, erröthend und glückselig lächelnd zu, ja sie drückte mir zärtlich die Hand, als ich ihr in den [660] möglichst unzweckmäßig gewählten Worten und in der denkbar konfusesten Weise erklärte, warum ich sie eigentlich so sehr liebe; sie gestand mir, daß es ganz ähnlich bei ihr wäre und sie in mir gar manche Aehnlichkeit mit einem Andern entdecke, der zuerst ihr Herz gewonnen. Darüber empfand ich jene unvernünftige Art der Eifersucht, die von den Systematikern als die retrospektive bezeichnet wird; sie hielt freilich vor Virginie’s aus tiefster Seele hervorquellender, unbeschreiblich inniger Zärtlichkeit nicht lange Stand, zumal als sie dann sagte: „Wenn Du heute Abend nicht zu spät kommst, werde ich Dir ein Geheimniß entdecken, wonach Du nie mehr auf die Vergangenheit eifersüchtig sein wirst. Hörst Du? Komme nicht zu spät.“

Am liebsten wäre ich natürlich dageblieben, um dies Geheimniß gleich zu hören, aber daraus wurde nichts. Ich mußte fort, nachdem ich den Abschied durch alle jene Thorheiten möglichst verlängert hatte, welche das Entzücken der Liebenden, allen andern Menschen aber ein Gräuel sind.

Seltsamer Widerspruch: obgleich ich die Zeit nicht erwarten konnte, wo ich mich anständiger Weise in der Villa der Gräfin wieder einfinden durfte, war es mir doch wieder, indem ich Zacharula’s Bild betrachtete, als möchte ich niemals etwas zwischen mich und sie treten lassen, als wäre es besser, ich entflöhe auf eine einsame Insel, um dort meine liebenden Erinnerungen unparteiisch zwischen beiden zu theilen.Ich bat dem Bilde meine bevorstehende Untreue förmlich ab und hatte dabei wieder die Empfindung, als ob meine Neigung zu Virginie mit meiner Treue gegen Zacharula vereinbar wäre, weil sie der Wärme meiner Empfindung für diese keinen Abbruch that. Ich hätte zum Himmel aufjauchzen mögen, und doch –

Die Table d’hôte unterbrach eine Zeit lang die quälenden Gedanken; ich machte die alte Erfahrung an mir, daß Liebe nicht satt macht, nur gereichte meine Zerstreuung den Gästen zu empfindlichem Nachtheile, da ich in ganz barbarischer Weise unter Fisch, Braten, Gemüse und Früchten hauste und die subtilen Berechnungen des Wirthes vollständig zu Schanden machte.

Dann lief ich nach der griechischen Kapelle, machte einige Stunden lang die Umgegend mit langen Schritten und tiefen Seufzern unsicher und eilte endlich, sobald ich nur die entfernte Möglichkeit erkannte, meinen Besuch machen zu können, nach der Behausung der Gräfin.

So ungeduldig ich auch nach dem Anblick Virginiens trachtete, ich mußte mich vorerst mit der Gesellschaft der Gräfin begnügen und deren liebevollste Segenswünsche in Empfang nehmen. Wie eine Warnung, und als ob sie in meinem Herzen lesen könnte, klang es, als sie sagte: „Ich gebe meinen Liebling ungern fort, aber ich weiß, daß Virginie bei Ihnen geborgen ist und die Erinnerung an Zacharula ihr Glück nicht stören wird.“

„Aber wo bleibt sie denn?“ brach ich ungeduldig los.

Die Gräfin lächelte fast amüsirt.

„Ja, undankbar seid Ihr doch alle, Ihr Männer,“ versicherte sie. „Virginie macht ganz besondere Toilette, nur für Sie und um Sie noch fester in Ketten und Banden zu schlagen.“

Ich hätte fast laut aufgelacht.

„Als ob es dessen bedürfte!“ rief ich, „als ob es irgend eine Tracht gäbe, die Virginie in meinen Augen noch verschönern könnte!“

„Wer weiß!“ scherzte die Gräfin, und in ihren noch immer so ausdrucksvollen Augen blitzte es schelmisch. „In einer halben Stunde werden wir uns wieder sprechen; dann werde ich ja hören, ob Sie Ihr keckes Wort wiederholen werden. Doch nun gehen Sie! Ich will Sie Beide nicht länger trennen. Virginie erwartet Sie in der Veranda.“

Ich ging beflügelten Schrittes und stand in der Thür, gebannt – starr vor Staunen … das war ja nicht Virginie, sondern …

„Zacharula!“ klang es von meinen Lippen.

Sie war es – und doch auch wieder nicht. Virginie-Zacharula in einer Person – das verschönerte Abbild ihres Portraits stand sie vor mir – mit dem aufgelösten wundervollen Haar, in der griechischen Tracht, worin ich sie zuerst gesehen, in der Haltung und mit dem Gesichtsausdrucke, die ich an Virginie kannte und bewunderte. Sie streckte mir beide Hände entgegen und ruhte im nächsten Augenblicke an meiner Brust. Was wir dann alles gesprochen und nicht gesprochen haben, welche Unterbrechungen nöthig wurden, und wie wir uns gegenseitig hunderterlei erklärten, ohne den zehnten Theil davon zu begreifen, das weiß ich nicht mehr, und das läßt sich jedenfalls auch nicht in zusammenhängender Rede erzählen. Ich weiß nur noch, daß wir Beide zuletzt neben einander saßen, Zacharula ihren Kopf an meine Schultern gelehnt, von meinem Arm umschlungen, ihre Hand in der meinen ruhend und meine leise geflüsterten Liebesversicherungen mit eben so leisen griechischen Worten erwidernd, die ich, ganz wie in alter seliger Zeit, nicht verstand, aber nur allzugut begriff. Die ganze selige Vergangenheit schien mit einem Male in ungeahnter Pracht und Herrlichkeit wieder auferstanden zu sein, und ich frug mich immer wieder, ob ich nicht träume.

„Ja, das sind freilich pflichtvergessene Kinder!“ erscholl plötzlich neben uns die heitere und doch bewegte Stimme unserer mütterlichen Freundin. „Da wird innerhalb einer halben Stunde Bericht über die neue Toilette erwartet – aber hier scheint man eine ganz absonderliche Zeitrechnung eingeführt zu haben!“

Wir saßen dann noch lange beisammen und nach und nach – zu meiner Ehre sei es gesagt – begriff ich doch endlich, wie aus Zacharula Sidheridi Virginie de Ferréol geworden war, ohne daß der Zauberstab einer gütigen Fee bei der Verwandlung in Bewegung gesetzt wurde. Ach, es ging alles sehr natürlich zu.

Bald nach meinem Fortgang aus Konstantinopel war die Tochter der Gräfin, immer ein sehr zartes Geschöpfchen, kränkelnd aus Frankreich in das Haus ihrer Mutter zurückgekehrt und endlich gestorben. Der Zufall hatte der Dame meine kleine Zacharula in den Weg geführt, und die Ähnlichkeit zwischen den beiden jungen Mädchen in der Gräfin den Gedanken aufsteigen lassen, die kleine Griechin zu adoptiren. Das große Glück, welches die Eltern in diesem Anerbieten für ihr Kind sahen, denn Frau de Ferréol war nicht allein sehr reich, sondern auch als eine edle hochherzige Dame bekannt, hatte jene bewogen, die Entscheidung in Zacharula’s Hände zu legen. Zacharula aber, als sie hörte, daß die Gräfin beabsichtige nach Deutschland zu gehen, hatte in der Annahme des Anerbietens die Möglichkeit gesehen, mir vielleicht dort zu begegnen – war ich doch „der lange Deutsche“ gewesen, ehe sie mich mit einem zärtlicheren Namen nannte und so wurde sie die Adoptivtochter der Gräfin, unter der Bedingung, daß sie mit dem Familiennamen zugleich auch den Taufnamen der früh Verstorbenen annahm.

Jetzt begriff ich auch den Schatten, welcher bei der Erwähnung jener Zeiten in Konstantinopel und bei der Erinnerung an das einzige, vergötterte Kind über das geistreiche Gesicht meiner alten Freundin gezogen war – aber wie hätte ich ahnen können … ? Ich sah ihr jetzt bei dem Gedanken, wie weh ich ihr ohne mein Wissen und Willen gethan, bittend in die Angen und küßte ihre Hand, während ihr Blick feucht war und die Ferne suchte – die Mutter gedachte – der anderen Virginie. …

*               *
*

Jetzt sind Zacharula und ich seit fünf Jahren verheirathet, und mein Weibchen hat ihre ganze fröhliche Heiterkeit wiedergewonnen, welche der Kummer um mich so lange in den trüben Ernst verwandelt hatte, der mir an Virginie aufgefallen war. Unser ältestes kleines Mädchen ...

„Ja, Du entsetzlicher Mensch, was willst Du denn noch weiter erzählen?“ unterbricht mich hier ihr schmollender Mund im Vorlesen der Geschichte, die ich auf ihren Wunsch bis zum glücklichen Ende fortführen sollte. Sie hat eine so reizende Art, beim Sprechen die Worte gewissermaßen zu unterstreichen. „Nur daß Zacharula ganz Dein Ebenbild zu werden verspricht, und daß unser ältester Bube seinem Vater aufs Haar gleicht, und daß wir …“

Aber man sollte es wirklich nicht glauben, daß vor nun fünfzehn Jahren Zacharula in ihrer erröthenden Verwirrung genau so aussah wie in diesem Augenblicke, wo sie mir strafend die Hand auf den Mund legt und ihre lachenden Augen die zum Zeichen ernsten Mißfallens in krause Falten gezogene Stirn Lügen strafen.