Ein chinesisches Begräbniß in New-York
[51] Ein chinesisches Begräbniß in New-York. Eine chinesische Dame in der Hauptstadt der Union, welche bei Lebzeiten nicht viel von sich reden machte, was ihr aber, wie andern Frauen, nach dem Tode eine gute Nachrede sicherte, hat sogar den New-Yorker Blättern nach ihrem Hinscheiden Stoff zu größeren Artikeln gegeben. Und Madame Mai Shum hatte dazu nichts nöthig als zu sterben und sich nach ihrer Landessitte beerdigen zu lassen. Das Begräbniß einer Chinesin bietet aber allerlei Merkwürdiges, und wie es scheint, ist es bisher keiner Tochter des himmlischen Reichs in den Sinn gekommen, in New-York zu sterben.
Die verstorbene Gattin Chin Shum’s wurde zunächst im Vordergrund ihrer Wohnung in einem Sarge ausgestellt, der mit allerlei nach chinesischer Sitte aufs Feinste zubereiteten Eßwaaren umgeben war. Dann wurde die Leiche nach dem Evergreen-Kirchhof übergeführt; doch nicht der Sarg allein wurde in den Leichenwagen gehoben, auch das ganze Bett mit dem Bettzeug und die Kleider, welche die Verstorbene zuletzt getragen, wurden mit aufgeladen.
Als auf dem Kirchhofe die Leiche eingesenkt worden, wurde das ganze
Hab und Gut auf dem frischen Grabe verbrannt: der tiefgebeugte Gatte
und die jammernden Angehörigen streuten bei dieser Leichenfeier Thee
in die Flamme. Das Ehebett kam zuletzt an die Reihe: es gab dem
Feuer mit seinen hölzernen Scheiten die willkommenste Nahrung. Kaum
aber war das letzte Holz des Gestells und das letzte Stück Zeug verbrannt:
da änderte sich die Scene; es war, als wenn das Trauergefolge
plötzlich von der Tarantel gestochen worden. Schwatzend und schreiend
stürzten alle auf den Wittwer los und brachten ihm mit lärmendem
Jubel ihre Glückwünsche dar; es herrschte auf einmal die heiterste
Stimmung wie bei einem fröhlichen Feste. Noch wurden zu Ehren der
glücklich heimgegangenen Mai Shum, die von jetzt ab zu den gefeierten
Ahnen des Hauses Shum gehörte, Kerzen rund um das Grab gestellt;
dann begab sich die lustige Gesellschaft ins Trauerhaus, um die köstlichen
Speisen und Delikatessen zu verzehren, welche die Todte, wie man mit
Recht erwarten durfte, unberührt gelassen hatte. So begann Chin Shum
das erste Jahr seiner Wittwerschaft mit der landesüblichen Freude,
welche er vor allem Volk offen zur Schau stellen durfte. †