Ein deutsches Heldenmädchen

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Titel: Ein deutsches Heldenmädchen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 596–600
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein deutsches Heldenmädchen.

Einen Monat vor den Tagen, wo in der Literatur- und Handels-Metropole Mitteldeutschlands, in dem alt- und weltberühmten Leipzig, das fünfzigjährige Jubiläum der größten Volksbefreiungs-Schlacht der Neuzeit von Tausenden patriotisch gesinnter Söhne Deutschlands wird gefeiert werden, gerade einen Monat früher als dies stattfindet, wird man in einem Winkel des nordwestlichen Deutschlands ein Fest, gleichfalls einer Siegesthat desselben deutschen Freiheitskrieges gewidmet, mit allen Ehren und mit all dem Festschmucke begehen, welchen eine kleinere Zahl noch überlebender Mitkämpfer jener Tage im Verein mit gleichgesinnten Vaterlandssöhnen wird aufbieten können. Es ist die funfzigjährige Gedenkfeier des Treffens bei der Göhrde, welche die kleine hannoversche Landstadt Dannenberg am 16. Sept. d. J. festlich begeht. Und wie dieses siegreiche Gefecht als eines der einleitenden, ermuthigenden Vorspiele zu dem letzten großen Entscheidungsschlage bei Leipzig zu betrachten ist: so werden auch alle im September das Erinnerungsfest des Göhrde-Treffens Feiernden dadurch mit Geist und Sinn schon dem großen Nationalfeste sich zugewendet fühlen, das in den Tagen des 16.-20. Octobers Tausende ihrer deutschen Brüder unter den von der deutschen Fahne überragten Landesbannern aller deutschen Einzelstaaten in und um Leipzig vereinen soll.

Jener Sieg bei dem[WS 1] Göhrde-Walde in der hannoverschen Provinz Lüneburg wurde zwar, der Mehrzahl der Kämpfer nach, von hannoverschen Truppen erstritten, und es wird nicht als ungerechtfertigt erscheinen können, wenn bei der kirchlichen Feier in dem hannoverschen Städtchen Dannenberg – auf dessen Kirchhofe manche bald nachher dort ihren Wunden erlegene Kämpfer begraben liegen – vorweg die Namen gefallener Hannoveraner den Zuhörern aufgenannt werden. Aber man soll auch den Namen der Nichthannoveraner, welche für dieselbe heilige, deutsche Sache dort kühn und opferfreudig den Heldentod starben, nicht vergessen. Vor Allem soll man dann dein nicht vergessen, du schwarze Freischaar, dich, „Lützow’s wilde verwegene Jagd“, nicht mit Schweigen übergehen, denn die Zahl deiner Gefallenen war an jenem blutigen Tage im Verhältniß zu allen anderen Mitkämpfern die numerisch größte; aber Eins noch zeichnet deine Opfer, du kleine Heldenschaar, vor allen andern aus. Bei den andern Fußvolk-Bataillonen und Reitergeschwadern kämpften und bluteten und starben doch nur Männer und Jünglinge, sie alle von dem Geschlecht, das, wie schon Vater Homeros sang, für die „männermordende Feldschlacht“ vom Geschick bestimmt ist, sich hinzugeben auf den Rus der Führer. Unter deinem tapfern Häuflein aber kämpfte und blutete an diesem Tage auch und sank dahin mit deinen andern Gefallenen eine deutsche Jungfrau!

Ihr Name ist Eleonore Prohaska!

Und ob auch andere Namen, die Namen der ersten Kriegslenker und Feldobersten aus diesem deutschen Befreiungskriege, mit einer weiterhin leuchtenden Gloriola des Ruhmes angethan leuchten, mit einem reineren Lichte strahlt keiner als dieser Mädchenname, und von keinem ergeht eine erhabenere Mahnung uns zum Gedächtnisse wie zur Nacheiferung an das deutsche Volk, wenn es ihm in kommenden Tagen nochmals bestimmt sein sollte, für sein Erbtheil aus der Teutoburger Schlacht zu kämpfen.

„Gebet dem Weibe eine Idee,“ sagte einst Jean Paul, „und es kann auch kämpfen und tödten!“

Das ist es, was sich in jenen Tagen zur Rettung unsres Vaterlandes bewährte. Die Macht der Idee war es, welche ein ganzes Decennium lang dem deutschen Volke wie ein verlorner, versenkter, unauffindbarer Freiheitshort gefehlt hatte, weshalb es ein ganzes Decennium lang vor dem fremden Volke, das selbst doch nur von einer Scheinidee, der des Eroberungsruhmes,

[597]

Eleonore Prohaska’s Tod. Originalzeichnung von W. Lindenschmitt.

[598] angefeuert ward, besiegt, geknechtet, beschimpft darniederlag. Und die Macht der Idee war es, die Idee der wahren Vaterlandsliebe, des Mühens um und für die höchsten Güter des Menschendaseins im Volks- und Familienleben, welche – neu entzündet durch die Freiheitslieder unserer Dichter, durch die philippischen Reden unserer Wissenschaftslehrer – unserem Volke die Hoffnung neu erweckte, daß es doch noch seine Dränger wieder von sich zu schütteln fähig sei, und welche aus der Hoffnung den Muth, und aus dem Muth die Zuversicht des Angriffs erzeugte.

Das aber war das Schöne und Große jener Tage von 1813, daß damals die vom Himmel aus zurückgekehrte Idee die Menschen aller Stände entzündete, daß damals auch die Geringsten und Schwächsten selbst von der Liebe zum Vaterlande erfüllt und getrieben wurden, ein Jeder von seiner Stelle aus groß und edel zu handeln. Denn auch die Frauen blieben diesmal nicht theilnahmlos und thatlos zurück. Nicht aber nur auf Liebesgaben, Pflege der Kranken und Verwundeten, freudiges Ertragen der Trennung von Vater, Bruder, Gatten und Verlobten beschränkten sie sich damals, nein, einige wurden von der allgemeinen Begeisterung so weit fortgerissen, daß sie unerkannt in die Reihen der Kämpfer traten und heldenmüthig an der Seite der Tapfersten fochten, sich weihend und bereit zum Tode für’s Vaterland.

Den ersten Platz nun unter diesen nimmt ein das Soldatenkind aus Potsdam.

Eleonore Prohaska, die achtzehnjährige Tochter eines invaliden Unterofficiers zu Potsdam, verließ heimlich das elterliche Haus und trat unerkannt in das Lützow’sche Freicorps als Jäger zu Fuß ein. Kein Aufruf der Fürsten, kein Schlachtbericht der Feldherren kann für den Geist, welcher damals alle Herzen im preußischen Volksstamm durchglühte und von da ab bald in alle anderen deutschen Stämme übergehen sollte, ein so wahrhaftes Zeugniß ablegen, als zwei Briefe dieser Heldenjungfrau; sie gehören der Geschichte an und verdienen aufbewahrt zu werden.


Eleonore an ihren fünfzehnjährigen Bruder.
„Aus unserm ersten Bivouac 1813.

Lieber Bruder!

Nun habe ich Dir noch etwas ganz Neues zu erzählen, worüber Du mir aber vorher versprechen mußt, nicht böse zu sein. Ich bin seit vier Wochen schon Soldat! Erstaune nicht, aber schelte auch nicht; Du weißt, daß der Entschluß dazu schon seit Anfang des Krieges meine Brust beherrschte. Schon zwei Briefe von Freundinnen erhielt ich, welche mir vorwarfen, ich sei feige, da Alles um mich her entschlossen ist, in diesem ehrenvollen Kriege mitzukämpfen. Da wurde mein Entschluß unumstößlich fest; ich war im Innern meiner Seele überzeugt, keine schlechte oder leichtsinnige That zu begehen; denn sieh nur Spanien und Tyrol, wie da die Weiber und Mädchen handelten! Ich verkaufte also mein Zeug, um mir erst eine anständige Manneskleidung zu kaufen, bis ich Montirung erhalte; dann kaufte ich mir eine Büchse für 8 Thaler, Hirschfänger und Czako zusammen 3½ Thaler. Nun ging ich unter die schwarzen Jäger; meiner Klugheit kannst Du zutrauen, daß ich unerkannt bleibe. Ich habe nur noch die große Bitte, daß Du es Vatern vorträgst, so vortheilhaft wie möglich für mich. Vater wird mir nicht böse sein, glaube ich, denn er erzählte ja selbst Skizzen von den Spanierinnen und Tyrolerinnen, wobei er meinen Entschluß deutlich aus meinem Gesichte sehen konnte. Ich habe aus Vorsicht meinen Namen geändert; wenn Du mir schreibst, so unterzeichne Dich mit meinem angenommenen Namen als mein Bruder, denn Du weißt, Briefe haben mancherlei Schicksale. Wir exerciren, tirailliren und schießen recht fleißig, woran ich sehr viel Vergnügen finde; ich treffe auf 150 Schritt die Scheibe.

Lebe recht wohl, guter Bruder! Ehrenvoll oder nie siehst Du mich wieder. Grüße Vater und Karolinen tausendmal; sage ihnen, versichere sie, daß mein Herz stets gut und edel bleiben wird, daß keine Zeit, Schicksal oder Gelegenheit mich zu Grausamkeiten oder bösen Handlungen verleiten soll und daß stets mein Herz treu und bieder für Euch schlägt. Mit ewiger Liebe

Deine

Leonora genannt August Renz, freiwilliger Jäger bei dem Lützow’schen Freicorps im Detachement erstes Bataillon.“




„Das Datum weiß ich nicht, wir haben keinen Kalender und man merkt es gar nicht, wenn Sonntag ist.

Lieber guter Bruder!

Uns ist gesagt, daß wir schon in drei Tagen vor den Feind kommen; es ist also vielleicht das letzte Mal, daß ich mit Dir, geliebter Bruder, noch eine Unterhaltung habe; ich bin zwar sehr müde, wir haben in fünf Tagen wohl an dreißig Meilen zurückgelegt und morgen früh um 2 Uhr marschiren wir schon weiter; aber trotz aller Müdigkeit will ich mich diesen Abend nur mit den Meinigen beschäftigen. Es ist mir noch immer geglückt, ganz unerkannt zu bleiben; kann ich nicht ein Quartierbillet für mich allein bekommen, so ist gewöhnlich der kleine Arnold von fünfzehn Jahren mein Camerad. Im Bivouac hab’ ich mein Lager immer für mich allein. Wegen meiner Stimme necken sie mich; da habe ich mich für einen Schneider ausgegeben, die können auch eine feine Stimme haben. Zu thun giebt es im Bivouac auch genug, denn außer mir ist nur noch ein einziger Schneider bei der Compagnie, ein bucklicht altes Männchen, den sie nirgends als Soldat haben annehmen wollen; aber unser Hauptmann sagte: im Kriege sieht Gott nicht den Buckel, sondern das Herz an, wenn das nur auf dem rechten Flecke sitzt. Mit dem halt’ ich zusammen und nähe und wasche fleißig, und weil ich mich auf die Küche verstehe, mögen sie mich alle gern.

Lieber guter Bruder, Du sagtest mir einmal, ich müßte Dein Herz nicht zu dem eines Weibes herabstimmen, sondern in Dir allen Muth zu erwecken suchen. Sieh, Lieber, so denke ich jetzt von Dir und habe die feste Ueberzeugung, daß Du, Vater und Karoline mir nicht böse seid, und so gehe ich, durch diesen Gedanken gestärkt, voll Muth und Entschlossenheit in den Kampf. Komme ich einst glücklich wieder, dann, guter Bruder, wird meine Freude überschwenglich sein; komme ich nicht wieder zurück, dann sage ich Dir in diesem Briefe das letzte Lebewohl, dann, theurer guter Bruder, lebe ewig, ewig wohl. Ich kann vor Thränen nichts weiter sagen, als daß ich auch noch im Tode treu und ewig mit Liebe sein werde Deine Dich ewig liebende Schwester

Leonore genannt August Renz.




Von den Einzelerlebnissen unserer jungen Heldin in ihrem Feldzuge vom Frühjahre bis Herbst 1813 liegt in bis jetzt dem Druck überlieferten Mittheilungen so gut wie gar nichts vor; auch werden sich dieselben auf die herkömmlichen Strapazen und Gefahren, wie sie fast jedem Soldaten im Felde beschieden sind, mehr oder minder beschränkt haben. So viel wissen wir jedoch darüber, daß August Renz von Anfang bis zu Ende sich als einer der bravsten Soldaten des ganzen Freicorps bewährte. Derjenige ihrer Cameraden, welcher ausführlicher die Umstände zu Papier gebracht, unter denen Eleonore ihren Tod auf dem Schlachtfelde fand, hat uns auch darüber Einiges berichtet.

Dr. Friedrich Förster (der Geschichtsschreiber der Freiheitskriege), der als Jenaischer Student mit vielen Commilitonen unter die Lützower gegangen, und der auch, bereits zum Lieutenant avancirt, dem Gefecht bei der Göhrde mit beiwohnte, ist es, welchem wir überhaupt die einzigen näheren Angaben über Eleonore Prohaska und insbesondere ihren Tod in dieser Action verdanken.

Eine ausführliche Schilderung des Treffens liegt außer dem Zwecke dieser Erinnerungsblätter, und wir verweisen dafür auf Beamish, Beitzke, Lange und Förster selbst. Hören wir hier nur den Bericht über den Tag des 16. September, so weit er unsere Heldin angeht.

Der Befehl über das zu Ende des Waffenstillstandes im August 1813 an der Niederelbe versammelte Armeecorps des Nordheeres war dem russischen Generallieutenant Grafen Wallmoden, einem gebornen Hannoveraner, zugetheilt worden; er stand unter dem Oberbefehl des Kronprinzen von Schweden, doch war sein Verhältniß ein bei weitem selbstständigeres als das der preußischen Generale, welche sich in der unmittelbaren Nähe der Schweden befanden.

Am 14. September versammelte General Wallmoden etwa 13,000 Mann und vollführte, durch Lützow’s und Tettenborn’s Zureden bewogen, damit einen der glücklichsten Streifzüge, welche in diesem Kriege unternommen worden sind. Unter diesem Streifcorps befand sich auch der Major Lützow mit 500 Mann zu Pferde [599] und 300 Mann zu Fuß. Es war nämlich am 12. September bei Mölln durch eine Lützow’sche Patrouille ein französischer Ordonnanzofficier gefangen genommen worden, bei welchem man einen Brief fand, in welchem erwähnt wurde, daß der Marschall Davoust von seinem zwischen Hamburg und Lübeck stationirten Hauptcorps den General Pecheux mit einer Division von 8000 Mann auf das linke Elbufer entsenden werde, um entweder das Land stromaufwärts von den zahlreichen feindlichen Streifcorps zu säubern, oder auch auf weitere Ordre die Besatzung von Magdeburg zu verstärken.

Der französische General Pecheux war nun auch wirklich am 15. September von Lüneburg über Dahlenburg bis zur Göhrde, einem gut bestandenen großen Forst von Eichen, Buchen und Tannen mit einem gleichbenannten königl. hannoverschen Jagdschlosse, gekommen. Er ließ den Wald und das Jagdschloß besetzen, nahm jedoch Anstand, seinen Marsch weiter fortzusetzen, da hin und wieder streifende Kosaken vermuthen ließen, daß er auf ein größeres feindliches Corps stoßen könne. Auf die Meldung, welche er davon an den Marschall Davoust schickte, erhielt er einen Verweis „wegen seiner zaghaften Besorgnisse“.

Dennoch suchte Davoust sich durch einen Angriff auf die Vorposten bei Boitzenburg auf dem rechten Elbufer zu überzeugen, ob die Linie an der Stecknitz noch von den alliirten Truppen besetzt sei. Wallmoden aber, unterdeß bereits auf das linke Elbufer übergesetzt, ließ sich durch den Kanonendonner, welcher ihm einen Angriff auf den jenseits zurückgelassenen Theil seines Hauptcorps ankündigte, von dem günstigen Erfolg verheißenden Unternehmen gegen Pecheux nicht abrufen, vielmehr wurde, einer mit raschem Ueberblick gemachten Disposition zufolge, der Angriff des Feindes in der Front begonnen, während durch Umgehung seiner Stellung ihm der Rückzug nach Lüneburg abgeschnitten werden sollte.

Der Major Lützow erhielt am 10. Sept. Mittags Befehl, die feindlichen Vorposten im Göhrde-Walde anzugreifen. Seine Tirailleurs trafen mitten im Walde auf den Feind; die Bajonnetjäger unterstützten die Büchsenjäger, und nach anderthalbstündigem Gefecht waren die Feinde aus dem Walde hinausgepirscht.

Hinter dem Göhrde-Walde ist eine hügelige Gegend durch einen Landrücken begrenzt, der dem Feinde Gelegenheit zu vortheilhafter Aufstellllung bot. Auf seinem rechten Flügel hatte er einen Vorberg durch Tirailleurs besetzt; zwischen diesem und dem angrenzenden Höhenzuge führt die Straße nach Lüneburg, vor der Straße hielt Kavallerie, hinter demselben waren zwischen Steinhügeln dortiger Hünengräber eine Haubitze und sieben Kanonen zur rechten und linken Hand geschickt vertheilt und wurden tüchtig bedient.

Die Tirailleurs der Infanterie des Lützow’schen Freicorps vertrieben den Feind aus der Ebene und von dem erwähnten Vorberge. In diesem Augenblicke brach der Major Lützow mit seinen schwarzen Reitern aus dem Walde hervor, um sich auf die französische Cavallerie zu werfen; diese aber erwartete den Angrif nicht, sondern zog sich eiligst hinter ihre Infanterie zurück, welche Vierecke formirte. Lützow und seine muthige Schaar stürzte sich auf die festgeschlossenen Vierecke, welche ihn mit Kartätschen und Bataillonsfeuer empfingen. Die Wirkung in unmittelbarer Nähe vor der Front war mörderisch, Lützow, der Allen vorausritt, wurde durch einen Schuß schwer in den Unterleib verwundet, schwenkte rechts ab, und die Schwadronen, in der Meinung die Attaque sei aufgegeben, folgten ihm.

Es trat jetzt einer jener kritischen Momente ein, welche über Sieg und Niederlage entscheiden. Die Cavallerie und eben so die Infanterie des Freicorps hatten nicht nur die obersten Anführer, sondern auch fast sämmtliche Officiere verwundet oder todt; die Schwadronen sammelten sich rückwärts hinter dem sie schützenden Vorberge. Die Jäger, welche ihre Aufgabe, den Feind aus dem Walde zu vertreiben, erfüllt hatten, waren in kleineren Trupps gefolgt, mehr aus Neugier, wie die Attaque der Cavallerie ablaufen werde, als in Hoffnung auf fernere Betheiligung an dem Gefecht, welches nur durch Cavallerie und Artillerie entschieden werden konnte. Und dennoch kam es diesmal ganz anders; eine Handvoll unternehmender Burschen, man kann sogar sagen, der vorwitzige Einfall eines Einzelnen entschied hier mehr als Strategie und Taktik.

Bei der Verfolgung der Tirailleurs (erzählt Fr. Förster in seinem Tagebuche von 1813 weiter), welche sich, als wir sie aus dem Walde vertrieben hatten, nach den Anhöhen zu ihren Kanonen und Infanteriewaffen zurückzogen, erhielt ich einen Schuß in den rechten Oberarm. Da mir dies einen jener schmerzvollen Mißtöne entlockte, wie man sie bei solchen Veranlassungen unwillkürlich auszustoßen pflegt, eilte mein Nebenmann in der Schützenlinie, der Maler Kersting herbei, mich zu verbinden. Damit er die Kugel aus der Wunde herausdrücken konnte, hieß er mich niedersitzen, wozu sich als geeigneter Sitz die Trommel eines todt an der Erde liegenden französischen kleinen Rataplan darbot. Bald versammelten sich noch eine Anzahl Freunde, und als die Operation glücklich vollbracht war, versuchte ich, um zu probiren, ob meine Armröhre ganz geblieben, die Trommel zu schlagen. Da dies nicht zum Besten gelang, nahm mir der Jäger Renz die Trommel aus der Hand und wirbelte mit großem Geschick darauf herum.

„Du verstehst Dich doch auf Alles,“ rief ein Anderer ihm zu, „Du schneiderst, kochst, wäschst, singst und schießt, wie Keiner es besser versteht, und nun bist Du auch noch Tambour!“

„Ein Potsdamer Soldatenkind,“ sagte Renz, „muß sich auf Alles verstehen,“ und trommelte lustig weiter und sang:

„Zusammen, zusammen, ihr Lumpenhund’,
Ihr sollt’ zu Euerm Hauptmann komm’,
Ihr sollt’ nen Buckel voll Prügel bekomm,“

so daß die kleine Schaar, welche ihm folgte, als ob wir Soldaten spielten, bald auf fünfzig bis siebenzig Mann anwuchs. So waren wir lustiger Dinge über die ebene Haide bis zum Fuße der vor uns liegenden Hügelkette marschirt, als wir da droben Kanonen auffahren, abprotzen und alsbald ein heftiges Feuer auf die sich zurückziehende Cavallerie eröffnen sahen. – „Nun hört aller Spaß auf!“ rief unser Trommelschläger und schlug den Sturmmarsch. Von einem Commando und Erwägung dessen, was zu thun sei, war nicht die Rede. Mit wüthendem Hurrahgeschrei drangen wir in ungeordnetem Haufen, mit Büchsen, wenige nur mit Bajonnetgewehr, den Hügel hinan.

Hier erfuhr ich nun zum ersten Male die furchtbare Wirkung einer vollen Kartätschenladung in einen dichtgeschlossenen Haufen auf etwa 150 Schritt Entfernung. Das stürzte, sprengte, stob und flog auseinander, Jammergeschrei und Hurrah übertönten und übertäubten eines das andere, aber mein tapferer Renz schritt noch immer vorauf, und schlug Sturm auf seiner Trommel. Die auseinandergesprengte Schaar schloß sich in verdoppeltem Sturmschritt wieder zusammen; es galt nur noch einen beherzten Anlauf, und wir waren dann der Batterie so nah, daß die Kugeln über uns wegfliegen mußten. Da warf ein zweiter Schuß seinen zerschmetternden Hagel in unsere Reihen; unser tapferer Trommelschläger stürzte neben mir, krampfhaft hielt er den Zipfel meines Ueberrockes fest und rief mit jammervoller Stimme: „Herr Lieutnant, ich bin ein Mädchen!“ – Ohne darauf zu achten, riß ich mich los; nur wenige Schritte noch, und wir standen in der Schanze. Dieses letzte und entscheidende Wagniß gelang: die Haubitze hatte wiederum ihre Ladung erhalten, allein bevor der Feuerwerker die brennende Lunte daraufhielt, war er von dem Jäger Bachmann niedergestoßen, und sein Schicksal theilten die anderen das Geschütz bedienenden Feinde. Nun aber gab es einen Jubel zum Rasendwerden: zwei französische Kanonen mit Sturm genommen! Wir waren anfänglich kaum ihrer neun bis zehn Mann dabei, sämmtlich in innigster Herzbrüderlichkeit befreundet, die wir in Heidelberg, Jena, Halle und Berlin geschlossen. Wir fielen einander mit Thränen um den Hals, andere stiegen auf die Kanonenläufe und kletterten darauf wie Kinder, mehrere kamen hinzu, wir tanzten wie von der Tarantel gestochen, man könnte das auch ein „Kanonenfieber“ nennen, so außer sich geräth man.

Leider wurden wir bald auf eine sehr überraschende Weise aus unserm Taumel wieder nüchtern gemacht. Nur einige hundert Schritte von den genommenen Kanonen waren zwei französische Bataillons in Colonne angerückt, und das vorderste gab Feuer auf uns. Mehrere der Unsern, die eben noch im Hochgefühl des Sieges mit uns gejubelt, lagen todt am Boden; unter ihnen der 16jährige Pischon aus Berlin, ein Liebling Jahn’s, der gewandteste Springer des Turnplatzes. v. Bärenhorst aus Dessau schien hier freiwillig den Tod zu suchen; er schritt auf das französische Bataillon los und hieß es, das Gewehr zu strecken. Dann mit dem Rufe: „Körner, ich folge Dir!“ stürzte er, von sieben Kugeln durchbohrt – so fanden wir ihn später – nieder.

Hier wurde auch der Lieutnant Lüttwitz schwer verwundet; es [600] war nicht sogleich möglich, dem Lieutnant Müller, der sich auf dem rechten Flügel befand, Nachricht davon zu geben. Die Oberjäger Bellermann, Fallenstein, v. Nostiz, Ackermann, Ribbeck und Förster erhielten indeß das Ganze in bester Ordnung; letzterer, obgleich verwundet, verließ das Gefecht nicht.

Bei Wiederkehr der Besinnung erkannten wir, daß hier für’s Erste nichts weiter zu thun sei, als unsere Geschütze in Sicherheit zu bringen. Das Bataillonsfeuer der Feinde war so hageldick, daß wir nicht im Stande waren, auch nur ein einziges von den Pferden der Bespannung, welche in der Nähe standen, ganzbeinig zu entführen. Einige Wagehälse krochen auf dem Bauche bis an den Pferdestall heran, allein die verwundeten Thiere waren so wild gemacht oder stürzten todt nieder, daß es aufgegeben werden mußte, hier Beutepferde zu machen. Sobald wir die Kanonen nur erst bis an den Abhang hatten, rollten sie von selbst die Anhöhe hinab, und dort fand sich bald die nöthige Mannschaft zur fernerweitigen Abführung. Der Oberjäger Ackermann übernahm es, die von den Lützow’schen Jägern genommene Haubitze gegen anmaßliche Eroberungsgelüste anderer Truppentheile zu schützen und bis zu dem commandirenden General zu geleiten.

Mir war plötzlich bei dem Jubeltanz um das Geschütz der Hülferuf unseres armen Trommelschlägers wieder in’s Gedächtniß gekommen, und nur dunkel schwebte mir vor, daß Renz mich mit den Worten festgehalten: „Herr Lieutnant, ich bin ein Mädchen.“ Ich stürzte zurück nach der Stelle, wo ich noch manchen andern Freund hatte fallen sehen. Um Renz fand ich einen unserer Aerzte beschäftigt; eine Kartätschenkugel hatte ihm den Schenkel zerschmettert; man hatte ihm den beklemmenden Waffenrock geöffnet; der schneeweiße Busen verrieth in pochenden Schlägen das jungfräuliche Heldenherz. Kein Laut der Klage kam über ihre Lippen, um die noch sterbend ein beseligendes Lächeln schwebte. Das heldenmüthige Mädchen war Eleonore Prohaska, 21 Jahre alt, aus Potsdam gebürtig. Unter unsäglichen Leiden, welche sie standhaft und mit Ergebung ertrug, entschlief Leonora am 5. October in Dannenberg. Ein Bericht von da vom 7. meldet: „Heute Morgens 9 Uhr wurde die Leiche der in der Schlacht an der Göhrde verwundeten Eleonore Prohaska zur Erde bestattet, welche als Jäger im Lützowschen Freicorps unerkannt ihren Arm aus reinem Patriotismus der heiligen Sache des Vaterlandes geweiht hatte. Gleich einer Jeanne d’Arc hat sie muthvoll gekämpft den Kampf für König und Vaterland. Trauernd folgten dem Sarge, der von ihren Waffenbrüdern getragen wurde, das hannöversche und russisch-deutsche Jägercorps, der Oberst Graf Kielmannsegge nebst sämmtlichen Officieren. Der königl. preußische Grand maitre de la Garderobe, Minister und außerordentliche Gesandte Graf de Groote hatte sich ebenfalls eingefunden. Eine dreimalige Gewehrsalve rief der vom Sturme des Krieges geknickten Lilie den letzten Gruß nach in das Grab. –

Als dem Könige der Bericht über das Gefecht an der Göhrde vorgelegt wurde, erklärte er: „es werde von ihm auf die Erhaltung des ruhmwürdigen Andenkens der für König und Vaterland in den Tod gegangenen Eleonore Prohaska Bedacht genommen werden.“

Von dem, was dafür geschehen, hat nichts verlautet; dafür ist es unserm Friedrich Rückert gelungen, dem Mädchen aus Potsdam ein unvergängliches Denkmal zu setzen in seinem allbekannten Preisgedicht auf die deutsche Heldin.

Wir schließen dieses Lebensbild mit einem Sonett, desen jetzt noch lebender Verfasser, Herr Dr. Friedrich Helms in Harburg, am 17., 18. und 20. September 1813 in Dannenberg am Schmerzenslager der tödtlich Verwundeten stand, „und“ – schreibt er – „was im Sonett ausgesprochen ist, war der Inhalt ihrer wenigen Worte zu mir.“ Es lautet:

Bleich lag sie, auf das Lager hingetragen,
Als sie durchbohrt ein feindliches Geschoß.
Sie litt so still, als meine Thräne floß;
Ich seufzte schwer, ihr Mund war ohne Klagen.

Das matte Auge zu mir aufgeschlagen,
Durch das ein weiches Lächeln sich ergoß:
„Was trauerst Du,“ sprach sie, „mein Kampfgenoß?
Uns blieb der Sieg, der Feind ist ja geschlagen!“

Zu trösten, forscht’ ich nach der Heimath Lande,
Nach Eltern und Geschwistern; ob die Bande
Der Liebe sie gelöst mit leichtem Muth.

Da strahlt ihr Blick, von Thränenglanz durchleuchtet:
„Mein Volk war meine Lieb!“ Ihr Auge leuchtet:
„Dem Vaterland gehört mein Herz und Blut.“



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: den