Ein geheimnißvolles Grab

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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Ein geheimnißvolles Grab
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aus: Die Gartenlaube, Heft 19 und 20, S. 300–312
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein geheimnißvolles Grab.
Von Friedrich Hofmann.

Wer vom schönen Thüringerwald in das Werrathal bei Hildburghausen hinabsteigt, sieht jenseits des Thales zunächst der Stadt zwei Berge sich erheben, in deren Einsattelung eine mit stattlichen Bäumen besetzte Kunststraße zu dem gemeinsamen Rücken beider sich emporwindet. Das ist die Straße nach Coburg. Der Berg zur Rechten derselben heißt der Stadtberg. Ihn kennzeichnet am besten gegenwärtig das Thürmchen, das Joseph Meyer, der Pionier der Zukunft, wie die Gartenlaube ihn genannt, nahe an der Koppe desselben auf der höchsten Stelle seines nur in’s Werrathal schauenden Gartens aus Felsbrocken aufgebaut hat, um von dieser Thurmzinne sich des Blickes auch auf die Herrlichkeiten Frankens jenseits des Berges erfreuen zu können.

Kaum hundert Fuß von der Meyers-Warte abwärts finden wir einen andern Steinbau. Halb aus der Bergwand hervor tritt die steinerne Umfassung eines Grabes. Hohe Kastanien- und Tannenbäume und allerlei Strauch- und Buschwerk beschatten es. Es ist eine verlassene traurige Stelle, obwohl nur wenige Schritte tiefer ein wohnliches großes Gartenhaus vor lebensfrohen Augen das reizendste Bild des schönen Thales und seiner waldigen Umrahmung und winkenden Ferne ausbreitet. – Die pflegende Hand fehlt dem Grabe nicht; sein Blumenbeetchen ist nicht ohne den Schmuck der Jahreszeit. – Wer ruht unter diesem einsamen Hügel?

Diese Frage ist schon von Tausenden gethan, aber die Antwort gab noch Niemand. Und doch stehen wir nicht etwa vor einem Grabe aus weiter Vergangenheit: es ist noch kein Menschenalter, es sind erst sechsundzwanzig Jahre vergangen, seit man es grub. Und viele Menschen standen in jener Herbst-Mitternacht im Scheine der Fackeln um den Sarg, den man vor seiner Versenkung öffnete, und sahen das Frauenbild von rührender Schönheit im weißen Atlaskleide, das hier der Erde übergeben wurde.

Wer war das schöne Weib? Niemand weiß es. Dreißig Jahre lang wohnte es in nächster Nähe, und nur wenige Augen sahen es, gesprochen mit ihm hat kein einziger Mensch des Landes je ein Wort! Auf eine einzige Menschenseele beschränke sich der Umgang dieses ganzen Lebens, dem doch die Mittel zu Gebote standen, in dieser äußersten Abgeschlossenheit mit den glänzendsten Moden von Paris fortzugehen. Wer war diese Dame? Hier ruht ein Geheimniß von so schauerlicher Tiefe, daß man unwillkürlich das Auge zu den Nachtseiten der Throne hinrichtet, um dort die Enthüllung zu suchen, die Alles, was als Thatsächliches aus diesem dunkeln Treiben aufgestellt wurde, bis jetzt nicht zu geben vermochte.

Es war im Jahre 1807, Monat und Tag sind mir nicht bekannt, als nach Hildburghausen, das damals noch Residenz eines herzoglichen Hauses war, ein Reisewagen offenbar vornehme Gäste brachte. Der reichbetreßte Kutscher hielt mit seinen stattlichen Schimmeln vor dem Gasthaus zum Englischen Hofe. Aus dem Wagen stieg zuerst ein rüstiger, eleganter Mann, der dann einer tiefverschleierten Dame den Arm zum Aussteigen bot. Beide blieben Wochen und Monate lang in diesem Gasthofe. Ihre Ansprüche waren nicht gering, aber die Bezahlung ihnen entsprechend. Verbindungen knüpften sie mit Niemandem an, Niemand störte sie in ihrer Zurückgezogenheit.

Solche Erscheinungen erregten zu jener Zeit kein besonderes Aufsehen. Man war an den Anblick von Flüchtlingen aus den höchsten Ständen seit dem Beginn der französischen Emigration so gewöhnt, daß man selbst für ihre strenge Abschließung vom öffentlichen Leben die Ursachen in ihrem traurigen Schicksal suchte. Man achtete das Unglück, und sogar die Polizei scheute sich, solchem hocharistokratischen Elend gegenüber ihre störenden Fragen nach Paß und Legitimation zu erheben.

So blieben auch unsere Fremden in ihrem stillen Leben unbelästigt, und man hat selbst dann nicht davon gehört, daß man über die Verhältnisse und Beziehungen derselben obrigkeitlich nachgeforscht, als sie aus dem Gasthofe in eine Privatwohnung zogen und damit die Absicht eines längeren Verweilens andeuteten. Sie wohnten erst in der dritten Etage eines Hauses (des später sogenannten Regierungsgebäudes) am Markte, siedelten aber, als im Parterre, einem Druckereilocale, einmal ein kleiner Feuerlärm entstand, sofort in die freundlichste Vorstadt von Hildburghausen, die Neustadt, über, und zwar in die zweite Etage eines ganz freistehenden Hauses.

Während dieser Zeit, und hauptsächlich seit dem Aufenthalt in der Neustadt, verbreitete sich etwas mehr Licht über das vornehme Paar. Es war nunmehr bekannt geworden, daß der Fremde ein Baron oder Graf Vavel de Verday sei. Der „Kammerdiener“, der erst als Kutscher erschienen war und später sich als ein über seinen angeblichen Stand gebildeter Mann zeigte, hat nie den Namen des Fremden ausgesprochen; er nannte ihn stets nur „der gnädige Herr“. Im Publicum hielt man an der höheren Bezeichnung „Graf“ fest, und weil die Dame für die Gemahlin galt, so hieß sie die „Gräfin“. Die Landleute um Hildburghausen und hauptsächlich später in und um Eishausen machten sich aus dem ihrem Ohre zu fremd klingenden „Vavel“ einen neuen Namen für den Mann zurecht, für sie hieß er „der Pfaffel“. Wir wollen für das Folgende die landüblich gewordenen Bezeichnungen „Graf“ und „Gräfin“ beibehalten.

In dem Hause der Neustadt, das einer verwittweten Geheime-Assistenzräthin Radefeld gehörte, entfaltete das Leben Beider bald des Verwunderlichen so viel, daß allerdings nunmehr die Neugierde der ganzen Stadt in steigende Bewegung gerieth. Der Graf bezahlte auch hier splendid, machte dagegen ungewöhnliche Ansprüche. Im ganzen Hause mußte fortan die tiefste Klosterstille herrschen, keine Thür durfte mit Geräusch gehandhabt werden, kein fröhliches Kinderspiel, kein lautes Lachen, kein fester Fußtritt im Innern sich hören lassen. Durch Verschläge von Latten an Treppe und Vorplatz wurde die gräfliche Wohnung vom übrigen Hausraum abgesperrt und stets sorgfältig verschlossen gehalten. Alle Fenster waren Tag und Nacht dicht verhängt. Außer dem Kammerdiener bewohnte kein menschliches Wesen diese Etage mit; eine Köchin und eine Aufwärterin, die noch in Dienst genommen waren, wohnten außerhalb des Hauses. Diese Personen sowie die Hausbesitzerin, eine sehr würdige Matrone, ein Kaufmann und Rathsherr A., der zum Geschäftsführer angenommen, aber nur mit Geldgeschäften betraut wurde, und einige schlichte Handwerker, die im Hause gearbeitet hatten – sie waren die einzigen Menschen, die während des ganzen Aufenthaltes des Grafen zu Hildburghausen, also während der Zeit von ungefähr drei Jahren, mit ihm gesprochen haben.

Den häufigsten Verkehr unterhielt der Graf mit der Hausbesitzerin. So oft sie aber zu ihm gerufen ward, verschloß der Graf auch hinter ihr sorgfältig die Thür. Seine Unterhaltung war lebhaft, seine vielen Fragen mußten jedoch der Matrone eine fast kleinliche Neugierde verrathen, so sehr bezogen sie sich auf alle Persönlichkeiten, die in und um Hildbrghausen von einiger Bedeutung waren, ja selbst auf die Fremden, die in der Stadt häufiger einkehrten. Offenbar lag diesen Fragen eine tiefere Absicht zu Grunde, die mit der Sicherheit seines Aufenthaltes in Beziehung stand.

Bei all diesen Besuchen war niemals die fremde Dame zugegen. Drei Jahre wohnte die Frau Assistenzräthin mit der Gräfin unter Einem Dache, und nie hat sie ein Wort mit ihr gesprochen, ja sie nur einige Male flüchtig und zufällig, ja wider Willen im Vorbeigehen erblickt und dabei nur bemerkt, daß sie jung und sehr schön gewesen. Es war nämlich im Hause Jedermann streng untersagt, zuzusehen, wenn der Graf mit der Dame seine Etage verließ, um mit ihr spazieren zu gehen oder zu fahren. Geschah Ersteres, so war die Gräfin so dicht verschleiert, daß ihr Antlitz für nicht ganz nahe Späheraugen unkenntlich blieb. Es war aber nach und nach im Volk zur Sitte geworden, jede absichtliche Annäberung an das seltsame Menschenpaar zu vermeiden. Die Spazierfahrten geschahen im eigenen Wagen, aber mit Postpferden, denn der Graf hatte die eigenen Pferde bei der Uebersiedelung in die Neustadt verkauft. Die Herrschaften stiegen stets im verschlossenen Hofraume ein, und auch dem Postillon war es verboten, sich nach den Einsteigenden umzuschauen. Indeß ist doch wenigstens so viel erlauscht worden, daß bei solchen Ausfahrten der Graf, der stets in feinster Kleidung, in Frack und Seidenstrümpfen erschien, die tiefverschleierte Dame, den Hut in der Hand, zum Wagen führte, nach einer Verbeugung ihr den Arm zum Einsteigen bot und dann neben ihr Platz nahm. Der Wagen war nie zurückgeschlagen und, so lange [301] er auf belebten Straßen fuhr, oft auch noch verhängt. – Ebenso vorsichtig verfuhr man beim Aussteigen. Selbst der Köchin, die von früh bis Nachts in der oberen Etage verkehrte, war es nie vergönnt, die Gräfin zu sehen.

Es wird nach dem Erzählten sich Niemand wundern, daß der Eintritt in die oberen Räume sogar dem Briefträger verboten war, obwohl fortwährend zahlreiche Postsendungen unter der Adresse „Vavel“ oder „Vavel de Versay“ an den Grafen ankamen. Briefe und Packete nahm die Hausbesitzerin in Empfang, legte sie in einen Korb, der zu diesem Zweck an der Treppe hing und, nach einem Zeichen mit einer Klingel, an einer Schnur in die Höhe gezogen wurde. – Die vielen Zeitungen, die der Graf bezog, besorgte der Kammerdiener. Man hörte oft noch spät in der Nacht mit starker Stimme vorlesen; sonst herrschte oben stets Todtenstille.

Das Grab auf dem Stadtberg bei Hildburghausen.
Nach einer Originalzeichnung von Plato Ahrens in Hildburghausen.

Während des Aufenthaltes zu Hildburghausen unternahm der Graf mit der Dame oft Reisen, die sie mehrere Tage abwesend hielten, – wohin? weiß Niemand. Der Kammerdiener war der einzige Begleiter. – Plötzlich kündigte der Graf die Wohnung in der Neustadt, man sagt, weil die Hausbesitzerin, gegen ihre Zusage, sich ohne sein Vorwissen auf Anerbietungen zum Verkauf ihres Hauses eingelassen. Ob dies der wahre Grund gewesen, oder ob der Graf – es war im Jahre 1810 – mehr Sicherheit abseits einer Stadt zu finden geglaubt – wer weiß es? Er wählte zu seinem fernern Aufenthalt das herrschaftliche Schloß aus dem Domainengut zu Eishausen, einem Dorfe, das anderthalb Stunden von Hildburghausen an der Straße nach Coburg liegt. Hier zog er mit der Gräfin und dem Kammerdiener am 30. September ein.

Im Schlosse zu Eishausen fand der Graf anfangs nicht Alles nach Wunsch. Das Erdgeschoß bewohnte noch ein bejahrter Verwalter, und die großen Böden benutzte der Kammergutspachter als Fruchträume. Wie ruhig nun auch der Verwalter und seine gleich alte Frau sich verhalten und wie leise die Pachtersknechte die schweren Getreidesäcke auf den Strümpfen die Treppen auf- und abtragen mochten, der Graf schien seiner Wohnung in der zweiten und dritten Etage nicht eher froh zu werden, bis dem Verwalter eine gute Unterkunft im Dorfe bereitet war und eine neue Pachterwohnung auch den Boden im Schlosse frei machte. Wie der Graf im Geldpunkte sich stets im höchsten Grade anständig zeigte, so hatte er auch für diese Vergünstigungen bedeutende Opfer gebracht.

Trotz alledem schien ein dauernder Aufenthalt auch hier nicht in des Grafen Plane zu liegen. So wurden z. B. die vielen Möbel, die zur Wohnlichmachung der großen Schloßräume nöthig waren, gemiethet. Und wenn er sich wieder Pferde anschaffte, so konnten füglich diese auch dazu dienen, ihm eine Abreise in jedem Augenblick möglich zu machen. Das häusliche Dienstpersonal wurde nur um eine Köchin vermehrt, die jedoch das Schloß niemals verlassen durfte! So hielt sie es viele Jahre aus, bis sie endlich das Gehen auf bloßer Erde ganz verlernt hatte. Die Vermittlung mit der Außenwelt besorgten drei Personen, ein gewisser Schmidt [302] (ein geborener Böhme, der mit einem österreichischen Werbecommando nach Thüringen kam und da zurück blieb) und dessen Frau, die als Bote und Bötin in Dienst genommen wurden, aber in Hildburghausen wohnten und von da täglich nach Eishausen gingen. Auch sie mußten jeden vertrauten Verkehr mit den Menschen möglichst meiden, und sie thaten dies mit unerschütterlicher Treue und mit fast abergläubischer Verehrung gegen den Grafen, weil eine Zigeunerin ihnen einst geweissagt, es werde ein Fremder aus fernen Landen kommen und sie glücklich machen. – Die dritte Person war eine Aufwärterin, ein Mädchen, das im Dorfe wohnte und das Schloß nie betreten durfte, sondern jeden Morgen die Milch durch ein Fenster an die Köchin abgab und auf demselben Wege ihre sonstigen Auftrage erhielt.

So lebten nun diese vier Menschen allein und vor jedem Zutritt von außen verriegelt in dem Schlosse, der Graf und die Gräfin meist im zweiten Stock, der Kammerdiener und die Köchin in der Bel-Etage. Wenn wir nun erfahren, daß selbst diese in das Schloß gleichsam lebendig eingemauerte Köchin das Antlitz der Gräfin binnen sechsundzwanzig Jahren nur zwei Mal sah, ja, daß sogar der anscheinlich in so hohem Vertrauen stehende Kammerdiener niemals selbst die Gräfin in ihrem Zimmer bediente, sondern daß er z. B. die Speisen nur in das Vorzimmer trug, wo der Graf sie in Empfang nahm, so werden wir, trotz aller vom Grafen allein ausgehenden Befehle, doch bald in der Gräfin die Hauptperson zu erkennen haben, um deren Schicksal das Geheimniß sich lagert, das so außerordentliche Vorsichtsmaßregeln gegen seine Enthüllung in Anspruch nimmt.

Ehe wir zur Betrachtung der in vieler Beziehung sehr bedeutenden Persönlichkeit des Grafen und zu der schier märchenhaften der Gräfin übergehen, wollen wir ein für allemal die streng regelmäßige Ordnung und Gewohnheit des täglichen Lebens im Schlosse angeben. Früh zwischen 4 und 5 Uhr klopfte die „Aufwärterin“ die Köchin auf und brachte die Milch. Um 9 Uhr kam die „Bötin“ aus der Stadt mit den bestellten Nahrungsmitteln und den Briefen und Zeitungen der Morgenpost und besorgte die Reinigung der Zimmer, während der „Bote“ den Dienst Nachmittags hatte. Um 10 Uhr hielt der Wagen vor der Schloßthür. Der Kammerdiener thronte wieder, in dreieckigem Hut und silberstrotzender Livree, als Kutscher auf dem Bocke, wie denn auch die Wartung der Pferde sein Amt mit war. Die Fahrt ging Tag für Tag bis in die Nähe des coburgischen Landstädtchens Rodach.

Hierher gehört eine Bemerkung, die das Dunkel dieser Geschichte noch verstärkt und auf die ebenfalls bis heute noch kein Strahl Aufklärung gefallen ist. Auch in der Dorfeinsamkeit wurden die uns bereits bekannten Vorsichtsmaßregeln beim Ein- und Aussteigen der Gräfin beibehalten. Keine Seele durfte sich in den Gängen, auf den Treppen, hinter den Thüren oder Fenstern zeigen, wo die tiefverschleierte Dame ging. Auf der freien Landstraße fiel der Schleier und öffneten sich oft auch die Fenster des Wagens. Und da will ein alter Chausseewärter, der ein nüchterner, zuverlässiger Mann genannt wird, mit seinen guten Augen deutlich gesehen haben, daß bald eine ältere, bald eine jüngere Dame beim Grafen im Wagen war. Mit voller Bestimmtheit sagte er: „Heute ist die Alte mit ihm ausgefahren,“ oder: „Heute hat die Junge bei ihm gesessen.“

Wo ist diese „ältere“ Frau her-, wo ist sie hingekommen? Der Graf hat bis zu seinem Tode Eishausen nie eine Nacht verlassen, das Schloß verrieth von der Lebenden keine Spur, und die Todte hier in unserm Berggrabe kann nur die damals „jüngere“ gewesen sein.

Und doch ist es unmöglich, in dem Charakter des Grafen, wie er aus vielen einzelnen Andeutungen zu erkennen ist, wie er in der Freude am Wohlthun und wie er in dem energischen Auftreten gegen jede obrigkeitliche Nachforschung, wie er in der Art seiner classischen Studien und in geistreich humoristischen Briefnotizen sich aussprach, die Flecken zu finden, die ihm unverkennbar anhaften mußten, wenn ein schweres Verbrechen auf seiner Seele gelastet hätte.

Als Graf Vavel nach Eishausen zog, schätzte man ihn für einen angehenden Vierziger. Er wird geschildert als ein hoher kräftiger Mann, der, wo er sich allein, auf den sehr seltenen einsamen Spaziergängen zeigte, stets in uraltem Filzhut, langem dunklem Rock und weißen Strümpfen erschien; „sein kräftiges, scharfgezeichnetes Gesicht, die frische dunkle Farbe, beschattet von rabenschwarzem Haar und starkem Backenbart, die blitzenden Augen, der entschiedene rasche Gang“ blieben Jedem, der sie einmal gesehen, unvergeßlich.

Auch die Dame wurde in der ersten Zeit des neuen ländlichen Aufenthalts aus der Ferne beobachtet. Sie ging mit dem Grafen auf der Wiese beim Schloß einige Male spazieren. Die wenigen Leute aus Eishausen, die sie sahen, erzählten mit Bewunderung von der schlanken Figur, dem zierlichen Gang und den lebendigen Bewegungen der Gräfin und fügten die den richtigen Takt des Volkes verrathende Bemerkung hinzu: man habe es an Allem gesehen, daß sie die Vornehmere sei; der „gnädige Herr“ habe ordentlich wie ihr Untergebener ausgesehen.

Einer der treuesten Berichterstatter über diese „Geheimnisvollen im Schlosse zu Eishausen“, der lange Zeit in dem Dorfe wohnte, hat ein einziges Mal Gelegenheit gehabt, die Dame in nicht zu großer Entfernung und mittelst eines Glases zu beobachten. Er erzählt: „Die Gräfin stand am offenen Fenster und fütterte mit Backwerk eine Katze, die unter dem Fenster war. Sie erschien mir wunderschön; sie war brünett; ihre Züge waren ausnehmend fein; eine leise Schwermuth schien mir eine ursprünglich lebensfrische Natur zu umhüllen; in dem Augenblicke, wo ich sie sah, lehnte sie in schöner Unbefangenheit im Fenster, den feinen Shawl halb zurückgeschlagen, wie ein Kind mit dem Thiere unter sich beschäftigt. Ich sehe noch, mit welcher Grazie die schöne Gräfin das Backwerk zerbröckelte und die Fingerspitzen am Taschentuche abwischte.“ – Diese Beobachtung datirt vom Jahre 1818. Als die Dame im Jahre 1810 nach Eishausen kam, hatte man ihr Alter auf höchstens 18 Jahre geschätzt.

[309] Für die Vornehmheit dieser wunderbaren Gäste sprach auch ihre Lebensweise. Auf den gräflichen Tisch kamen die besten Erzeugnisse der Jagd und des Fischfangs, die Kochin mußte das feinste Backwerk bereiten, der Graf trank nur theure französische Weine, Porter und feine Liqueure. Der Keller mußte stets gut versehen sein. Am auffälligsten für die ländliche Zurückgezogenheit erscheint der bedeutende Aufwand für die Garderobe. Die Kleidersendungen kamen von Frankfurt a. M. her. Wie bereits bemerkt, trug sich die Gräfin stets nach der neuesten Pariser Mode, daher sich im Lauf der Jahre eine sehr starke Kleidersammlung im Schloß anhäufte. Der Graf trug von feinen weißseidenen Strümpfen das Paar nie länger als 14 Tage. Ebenso stark war der Bedarf an Glacéhandschuhen, von der feinen Leibwäsche ganz zu schweigen. Es herrschte im ganzen Schlosse in jeder Beziehung eine Reinlichkeit, die für den Grafen auf holländischen Ursprung hindeutete.

In welchem Rufe stand nun der Graf in Eishausen, Hildburghausen und der Umgegend? Trotz aller unbefriedigten Neugierde über die Gründe seiner fast kartäuserischen Einsiedelei stand er überall in wahrhaft hoher Achtung, und diese hatte er sich nicht etwa blos durch den Aufwand erworben, der von bedeutenden Mitteln zeugte, sondern durch sein persönliches Auftreten gegen die Wenigen, mit denen er verkehrte, und insbesondere durch die Größe und die Art und Weise seiner Wohlthätigkeit. Abhold jeder zudringlichen Bettelei, die selbst an Thür und Fenster klopft, kam er um so eifriger der stillen Noth und bescheidenen Armuth zu Hülfe, und um diese auszukundschaften, dazu dienten nicht blos die wenigen Vertrauten, mit denen er mündlich oder brieflich (wir erzählen später, wie?) verkehrte, sondern auch sein Fernrohr, das er sehr viel handhabte, mittelst dessen er sich sogar seine Lieblinge aus den Dorfkindern auswählte, denen er zur Weihnacht bescheerte, und überhaupt seine Bekanntschaft mit den hervorragenden Dorfpersönlichkeiten unterhielt. Kam dabei auch manches Bizarre zum Vorschein, gab z. B. der Graf einem Knaben monatlich 24 Xr., blos weil er beobachtet hatte, daß derselbe nie zu den Fenstern des Schlosses hinauf sah, und belohnte er überhaupt mit Vorliebe Alles, was für die Ruhe des Schlosses geschah, so waren doch die Beweise wahrer Menschenfreundlichkeit so zahlreich, daß der Verdacht ungerechtfertigt wäre, er habe dies Alles nur für die größere Sicherheit seines Geheimnisses gethan. Es gab im Lande Hildburghausen keine wohlthätige Anstalt und Unternehmung, die sich nicht seiner stets ansehnlichen Unterstützung erfreut hätte. Und da man wußte, daß sich der Graf verletzt fühlte, wenn man bei einer öffentlichen Danksagung seinen Namen nannte, so folgten später Alle dem glücklichen Rathe, welchen die damalige Erbprinzessin von Hildburghausen Einem gab, der in Zweifel war, wie es nun zu bezeichnen sei, von wem die Gaben gekommen: „Schreiben Sie: Von einem Manne, der unserm Lande nur durch seine Wohlthaten bekannt ist.“

Uebrigens stand der Graf mit dem herzoglichen Hofe in gar keiner Verbindung. Es ist früher (auch öffentlich) behauptet worden, der Graf sei von jeder obrigkeitlichen Anfechtung frei geblieben, weil er dem Herzog oder der Herzogin sein Geheimniß anvertraut habe. Das ist eine bloße Erfindung. Während der französischen Kriege dachte Niemand daran, den Grafen in seinem Asyl zu stören, und als es endlich Friede wurde, hatte man längst erkannt, daß sein Abzug aus dem Lande ein fühlbarer Nachtheil für dasselbe sein würde. Dagegen ist es richtig, daß die Herzogin Charlotte, eine der schönsten und geistreichsten Frauen und, nebenbei bemerkt, zugleich eine der ausgezeichnetsten Sängerinnen ihrer Zeit, die Schwester der Königin Louise von Preußen und Mutter der Königin Therese von Baiern, allerdings einen feinen Versuch der Annäherung an den Grafen machte. Durch den damaligen Pfarrer von Eishausen, der früher Lehrer und Erzieher der herzoglichen Kinder gewesen und seitdem ein lieber Vertrauter der Familie geblieben war, hatte man am Hofe erfahren, daß der Graf in Bezug auf die von ihm gemietheten Localitäten des Eishäuser Schlosses einen Wunsch habe. Diese Gelegenheit benutzte die Herzogin, um dem Grafen in einem kurzen französischen Handbillet zu schreiben: „daß sie sich freue, ihm die Erfüllung seines Wunsches von Seiten des Herzogs zusagen und dabei einen Dank aussprechen zu können für die Wohlthaten, die er im Lande verbreite.“ Es erfolgte allerdings eine Antwort des Grafen, ebenfalls französisch, geistreich und artig, aber so aalglatt jeder Möglichkeit einer Fortsetzung solcher Correspondenz entschlüpfend, daß der Schluß: „er hoffe, später noch das Glück zu haben, Ihrer Hoheit sich persönlich nähern zu dürfen,“ sogar das Gegentheil von jeder Annäherung ausdrückte. – Wie oft auch Glieder der herzoglichen Familie das Eishäuser Pfarrhaus besuchten und dort sich im Freien ergötzten, so mieden sie doch absichtlich die Umgebungen des Schlosses.

Ein desto innigeres Verhältniß entspann sich zwischen Pfarrhaus und Schloß, und gewiß eines der seltsamsten der Welt.

Als der genannte Geistliche im Jahre 1812 nach Eishausen kam, ließ der Graf ihm einige der politischen Zeitungen, die er hielt, zum Lesen anbieten. Der Pfarrer nahm natürlich das Anerbieten dankbar an. Von diesem Augenblick an scheint es zu den Functionen der „Aufwärterin“ gehört zu haben, in aller Frühe das couvertirte Zeitungspacket durch eine Spalte unter der Hausthür in’s Pfarrhaus zu schieben. Dort fand man es regelmäßig jeden Morgen. Es enthielt deutsche und französische Blätter, sämmtlich legitimistischer Tendenz, zuweilen auch englische. Bald darauf brach der Sturm des Befreiungskrieges los. In dieser erregten Zeit ließ der Graf durch die Bötin mündlich dem Pfarrer über besonders [310] wichtige Nachrichten seine Bemerkungen mittheilen, die stets von großem politischen Scharfsinn zeugten. Bisweilen erbat er sich durch dieselbe Vermittlung ein oder das andere Buch vom Pfarrer, und da machte es sich zuerst nöthig, daß der Graf, wenn es Werke in fremden Sprachen betraf, deren Titel aus dem Munde der Bötin nicht zu entziffern waren, dieselben auf sorgfältig couvertirte Zettelchen schrieb. Bald fanden auf diesen Zettelchen auch die bisher mündlich von der Bötin ausgerichteten Bemerkungen Platz, die den Pfarrer zu ebenfalls brieflichen Gegenbemerkungen veranlaßten, und das war der Anfang einer Correspondenz, welche sich später zu einem fast ununterbrochenen, in vielen Beziehungen höchst vertraulichen, herzlichen und gemüthlichen Gedankenaustausch der beiden Männer entwickelte.

Da diese Correspondenz es hauptsächlich ist, welche uns einen Einblick in das Wesen des merkwürdigen Unbekannten gestattet, so wollen wir einen Augenblick bei ihr verweilen. Sie umfaßt im Lauf der Zeit Alles, was Wissenschaft, Kunst und Politik den beiden Männern vorführte und was das Leben und das alltägliche Bedürfniß dazu brachte. Aus den Briefen des Grafen geht hervor, daß derselbe eine sehr rege geistige Thätigkeit entfaltete und daß sein Wissen ein ganz ungewöhnliches war. „Nur eine Stunde des Tags gönne ich mir, um blos zu meinem Vergnügen zu lesen,“ schrieb er einmal, und ein andermal setzte er seine tägliche Correspondenz nach dem Pfarrhause aus, „weil dringende Geschäfte seinen ganzen Tag in Anspruch genommen.“ Seine Sprachkenntnisse erstreckten sich über das Französische, Englische, Italienische, Deutsche, Lateinische und Griechische. Das Holländische war wahrscheinlich seine Muttersprache. Ueber seine classischen Studien schreibt er einmal: „Können Sie eine Vorstellung davon haben, welches Glück ich auch in meiner Einsamkeit genossen habe? Wo hätte ich sonst diesen stillen Frieden genossen, wo sonst die Muße gefunden, die Classiker von vier Nationen der Reihe nach zwei und drei Mal zu lesen?“ Längere Zeit trieb er mit Vorliebe Naturphilosophie (französische und deutsche), auch christliche Kirchengeschichte, las mit großem Interesse David Strauß und schrieb einst: „Zur katholischen Religion erzogen, wurden doch in meiner Jugend deren Grundpfeiler gerade so tief erschüttert, daß sie nie wieder fest standen.“ Jede neue Erscheinung ward zwischen Schloß und Pfarrhaus so gründlich besprochen, daß die Bötin nicht selten an einem Tage zehn bis zwölf Mal zwischen Beiden mit den oft ganz hitzigen Briefen hin- und hereilen mußte. Im Zeitraum eines Jahres, versichert der genannte Berichterstatter, verbreitete sich diese Correspondenz über thierischen Magnetismus, über die Philosophen Locke, Kant und Schelling, über die Theologen Schleiermacher und de Wette, über specielle Vorsehung, Unsterblichkeit, positive Religion, Stolberg’s Uebertritt, Reform des Universitätswesens, Ursprung der alten Aegypter, und außerdem über eine Unzahl von Tagesfragen. – In vielen Briefen des Grafen äußert sich eine sehr lebhafte Sympathie für die Bourbons und die Schicksale der Emigranten nach dem Sturze Napoleon’s. Dabei sei gleich bemerkt, daß alle Briefe weder Datum noch Unterschrift trugen. Gesiegelt waren sie in der Regel mit Oblaten und einem quarrirten Petschaft; nur zwei Male fand der Pfarrer ein charakteristisches Siegel, das drei Lilien im Felde zeigte.

Besondere Lieblingsstudien des Grafen waren Meteorologie (nach seinen Wetterprophezeiungen, die er dem Kammerdiener und dem Pfarrer mittheilte, richteten sich sogar die Bauern mit ihren Feldarbeiten) und – Medicin, die er mit Hülfe einer kleinen Hausapotheke auch – natürlich nur im eigenen Hause – ausübte. Einen Arzt nicht zu bedürfen, war allerdings für die Sicherheit seines Geheimnisses von Bedeutung.

Die Correspondenz ließ sich aber auch zu den Angelegenheiten des Dorfes herab und erging sich hier oft in köstlichem Humor über Familienverhältnisse, deren Kenntniß dem Grafen Niemand zugetraut hätte, und über Personen, wie des Müllers schöne Tochter und des Schulmeisters noch schönere Tochter, die er nur mittelst des Fernrohrs kennen gelernt haben konnte. – Am innigsten äußerte sich aber die Correspondenz über jedes Ereigniß, jedes Fest im Pfarrhause, an denen der Graf stets den augenscheinlich herzlichsten Antheil nahm.

Aber trotz all dieses freundschaftlichen Verkehrs hütete der Graf auch gegen den Pfarrer sein Geheimniß auf das Strengste. Nie ist in seinen Briefen von einer weiblichen Person im Schlosse die Rede; nur einigemal deutet er durch „man“ an, daß noch Jemand bei ihm lebe. „Man hat, wegen der Unruhe in der Nähe des Schlosses, die Nacht schlaflos zugebracht und fühlt sich sehr angegriffen“ – so schreibt er nach einer Neujahrsnacht, in welcher die Bauernbursche nach landüblicher Polizeiwidrigkeit ihre Mädchen besonders kräftig „angeschossen“ hatten.

Ja noch mehr: die Vorsicht gegen den Pfarrer ging so weit, daß dieser von der Jahre lang geführten Corrrspondenz auch nicht ein einziges Zettelchen mit des Grafen Handschrift zurückbehalten durfte. Die Bötin, welche die gräflichen Schriftstücke (und zwar stets mit weißen Glacéhandschuhen!) überbrachte, mußte sie, sammt der Antwort des Pfarrers, auch sogleich wieder mit zurücknehmen.

Und trotz der brieflichen Versicherung des Grafen: „wenn Friede wird, so werde ich das Vergnügen Ihrer persönlichen Bekanntschaft suchen“ – ist auch dies nicht in Erfüllung gegangen. Die beiden Männer, welche vierzehn Jahre lang im engsten geistigen Verkehr leben, der ihnen zu einem Lebensbedürfniß geworden, welche von ihren Fenstern aus sich mit bloßen Augen sehen und grüßen können, diese beiden Männer grüßen sich mit stummer Verneigung, wenn der Graf am Pfarrhaus vorüber fährt oder der Pfarrer am gräflichen Wagen vorüber reitet, – diese beiden Männer, die sich vierzehn Jahre lang und oft täglich zehn Mal schreiben und bis zum erbitterten Meinungskampf die Geister aneinander reiben, haben im Leben nie ein Wort mit einander gesprochen!

Im Februar 1827 starb der Pfarrer. Dieser Todesfall ergriff den Grafen tief. Er fragte Niemand nach der Bedeutung des Glockenläutens am Morgen nach der Todesnacht, aber als die Bötin die Zeitungen ihm uneröffnet zurückbrachte, sah sie Thränen in seinen Augen. Er verließ seine bisherigen Wohnzimmer und bezog andere, die abgewendet vom Pfarrhause lagen. Sein Trauer- und Trostwort an die Wittwe schloß mit der Versicherung: „mit dem Pfarrer sei das letzte Band mit der Welt für ihn zerrissen.“ – Später trug er jedoch das Vertrauen vom Pfarrer auf die Wittwe über und setzte mit ihr seine Correspondenz fort bis zu seinem Tode. –

Warum, müssen wir hier fragen, schloß der Graf sich gerade von dem einzigen Manne seiner Umgebung, der ihm geistig ebenbürtig war, so streng, ja so ängstlich ab? Verschiedene andere Männer von Eishausen, namentlich einen Schreiner, Namens Christ, ließ er nicht selten zu sich rufen und freute sich sichtlich der Unterhaltung mit ihnen, wie denn diese wiederum seine Freundlichkeit und „die erstaunliche Macht seiner fließenden Rede“ nicht genug rühmen konnten. Warum zog er nicht auch mit dem Geistlichen die mündliche Unterhaltung bisweilen der schriftlichen vor? Schrieb er doch selbst einmal: „Manches im Leben läßt sich bei weitem besser mündlich, als schriftlich behandeln; ja es bedarf sehr häufig erst eines durch persönliches Zusammensein zuwege gebrachten Berührungs- und Anknüpfungspunktes.“ Und dennoch dieses schroffe Betragen gegen den Mann, den er als „das einzige Band zwischen ihm und der Welt“ schätzt! War das nicht verletzendes, kränkendes Mißtrauen? – Ja, Mißtrauen war es, aber ich erkenne darin kein Mißtrauen des Grafen gegen den Pfarrer, sondern gegen sich selbst. Dem ehrwürdigen Geistlichen gegenüber, der ihm schon brieflich oft das Herz tief zu ergreifen verstand, mochte er für sein Geheimniß fürchten. In einem Briefe an des Pfarrers Wittwe sagt er einmal von sich selbst: „Es geht mir wie den Nonnen: wenn sie einmal sprechen dürfen, sprechen sie zu viel.“ – Und fürchtete er nicht für sein Geheimniß, so war ihm sicherlich sein Verhältniß zum Pfarrer zu kostbar, um es der Gefahr auszusetzen, durch einen bei seiner Reizbarkeit so leicht möglichen persönlichen Anstoß gestört oder gar zerrissen zu werden.

Wie brachte aber sie ihr Leben dahin, um derentwillen dies Alles erduldet werden mußte?

Der Blick hinter diesen Vorhang fällt auf ein trauriges Bild. Während der Graf in edlen geistigen Genüssen wahrhaft schwelgte, war es des armen Weibes Zeitvertreib, mit Hunden und Katzen, Drehorgeln und Geldbeutelchen zu spielen. Eine höhere geistige Entwickelung scheint ihr nicht vergönnt worden zu sein, nicht der Trost und die Erhebung, welche die Tonkunst gewährt, nicht die stille Freude irgend einer andern Kunst. Es ist wirklich so: eine Drehorgel war das einzige Instrument, das je im Schloß gehört wurde, und ein beliebter Zeitvertreib soll es gewesen sein, Katzen in einen Wagen zu setzen und von angespannten Hunden durch die Säle und Zimmer des Schlosses fahren zu lassen. Eine Unterhaltung [311] für den Winter war es, die Sperlinge auf einem Blumenbret zu füttern. Außerdem wurde jeder längere Aufenthalt an den Fenstern vermieden; auch der Graf machte seine vielen Beobachtungen mit dem Fernrohr (selbst Bote und Bötin verfolgte er täglich mit demselben die halbe Stunde Wegs nach Hildburghausen hin, die er vom Schloß aus beherrschte!) hinter den Vorhängen.

Die Gräfin verstand deutsch auch zu lesen und zu schreiben. Ich sah selbst mehrere Hefte der damals in Hildburghausen erschienenen „Deutschen Classiker“, in welchen, wie der Graf später sagte, die Dame sich ihre Lieblingsgedichte bezeichnet hatte. Auch ein Brief[1] von ihr hat sich erhalten, natürlich ein sehr unverfänglicher, eine Geburtstagsgratulation der „Gräfin“ für den „Grafen“, welcher wenigstens leise Andeutungen an die Vergangenheit der Erstern giebt und die Taufnamen Beider, Ludwig und Sophie, verräth.

Die Spazierfahrten nach Rodach hin gehörten vielleicht zu den größten Freuden der Gräfin, wobei wir jedoch nicht verschweigen dürfen, daß sie nicht ein einziges Mal allein, d. h. ohne des Grafen Begleitung, ausgefahren ist. Diese Fahrten verkürzten sich später bis zur Coburg-Hildburghäuser Landesgrenze, weil der Rodacher Chausseegelder-Einnehmer einmal beim Grafen um eine Entschädigung für die immer nur bis kurz vor den Schlagbaum benutzte Chaussee angehalten hatte. Plötzlich wurden die Pferde wieder verkauft, und der Graf miethete einen Grasgarten jenseits eines Baches und ungefähr 30–40 Schritte vom Schloß entfernt. Obwohl dort hohes Buschwerk stand, wurde er doch noch mit einer acht Fuß hohen Breterwand versehen, – und das war nun auf der großen schönen Gotteserde das einzige Fleckchen, wo – doch erzählen wir lieber gleich die Art der Benutzung dieses Bischens freier Natur an einem Tage, so haben wir ein Bild für viele Jahre. Die Schwiegertochter der alten Bötin Schmidt, von der ich am Schluß dieses Artikels spreche, erzählte mir Das so oft, daß es mir wie zu etwas Selbsterlebtem wurde. Um so mehr freute ich mich, als ich später mit den Angaben des obengenannten Berichterstatters bekannt wurde, jene mündlichen Mittheilungen hier so genau wiederzufinden. Darnach begab sich also „an jedem Morgen, in der schönen Jahreszeit, doch nie früher, als die Bötin aus der Stadt in’s Schloß gekommen war, der Graf in den Garten; hier ging er eine Stunde lang auf und ab und kehrte dann in’s Schloß zurück. Darauf trat die Bötin aus der Thür des Schlosses und wartete, dieser den Rücken zugekehrt. Die Thür wurde von innen aufgeschlossen, die Gräfin, tief verschleiert, trat heraus, und die Bötin, ohne sich nach ihr umsehen zu dürfen, schritt ihr voraus, über den Steg hinüber an die Gartenthür, schloß diese auf und stellte sich hinter die Thür, die sie aufzog. Sobald sie merkte, daß die Gräfin hinter ihr in den Garten geschlüpft war, zog sie die Thür wieder zu, verschloß sie und hielt Wache davor. Der Graf beobachtete vom Fenster aus (und man behauptete später, daß er dabei Schußwaffen bereit gehabt, mit denen er allerdings versehen war) die im Garten auf- und abgehende Dame. Wenn diese in’s Schloß zurückkehren wollte, warf sie ihr Taschentuch in die Höhe, und nun wurde, auf einen Wink vom Schlosse aus, die Gräfin in derselben vorsichtigen Weise in’s Schloß zurückgeführt.“ So hat die Schmidtin dieses Führer-Amt viele Jahre besorgt, ohne je zu sehen, wen sie führte! –

Nur drei Menschen haben, außer dem Grafen, einmal die Stimme der Dame gehört. Die Köchin, die, bei einer plötzlichen Krankheit des Grafen schon einmal Nachts durch die Klingel gerufen, zu ihrem Schrecken damals zum ersten Mal die Gräfin gesehen hatte, die an des Kranken Lager weinte, erlebte dies zum zweiten Male im Winter von 1829 auf 1830. Die Gräfin stand abermals, bitterlich weinend, im Zimmer und rief ihr entgegen: „Der Herr ist plötzlich erkrankt, helfen Sie mir ihm einen Trank bereiten!“

Der andere Mensch war ein Eishäuser Bauer, der einmal hörte, wie die Gräfin von einem Fenster des Schlosses aus Katzen lockte und zwar mit dem Rufe „Puß! Puß!“

Der dritte war ein Sohn des Boten Schmidt. Der Graf hatte bei Hildburghausen (in der Nähe des jetzigen Bahnhofs) ein Haus und einen Garten gekauft, den er vergrößern und ebenfalls mit einer hohen Breterwand umgeben ließ. Dahin fuhr er bisweilen mit der Gräfin, und das sei, erzählte der junge Schmidt, auch einmal im Jahre 1832 geschehen. Er habe soeben im Garten gearbeitet, was die Herrschaften wahrscheinlich nicht gewußt hätten. Da sei aus einem der Gänge plötzlich die Gräfin herausgetreten, habe ihn erblickt und sei, wie es schien, anfangs erschrocken, bald aber mit hastigen Schritten auf ihn zugeeilt und habe fast athemlos gesagt: „Lieber Schmidt, ich möchte Sie gern sprechen, ich – –“ In dem Augenblick aber sei der Graf aus dem Gange getreten, wie wüthend herbeigerannt und habe die Gräfin am Arm fortgeführt. Später soll die Dame noch einmal den Versuch gemacht haben, sich diesem Schmidt zu nähern, worauf ihm für immer der Garten verboten wurde.

Armes Weib! Auch nicht das vergänglichste Zeichen von Liebe und Theilnahme durfte ihm zu Theil werden. Die Frau Pfarrerin hatte es, kurz nach ihrem Anzuge in Eishausen, eines Tages gewagt, im Pfarrgarten einen schönen Strauß zu pflücken und ihn durch ihr Dienstmädchen „für die gnädige Frau Gräfin“ in’s Schloß bringen zu lassen. Das Dienstmädchen meinte freilich, der Graf müsse sich sehr gefreut haben, denn „er sei wie närrisch in der Stube herumgesprungen.“ Die Aufklärung kam bald genug: die freundliche Gabe hatte seinen äußersten Zorn erregt. Man wußte nun, daß für Niemand eine Dame im Schloß existire: sie war aus den Reihen der Lebenden gestrichen, und der Graf war nur der Wächter ihres Athems.

Trotz all dieser Vorsichtsmaßregeln schwebte das Geheimniß mehrmals in der Gefahr der Enthüllung. So gestand der Graf später selbst, daß während der Truppendurchzüge von 1814 und 1815 im Pfarrhaus ein russischer Officier gelegen habe, der sein Geheimniß gekannt und, wenn er ihn gesehen hätte, sein Schicksal entschieden haben würde. Nicht geringere Gefahr drohte ihm einige Jahre später durch seinen Kammerdiener. Die Eingeschlossenheit desselben mit der Köchin war nicht ohne Folgen geblieben: sie hatte ihm in wenigen Jahren zwei Kinder geboren. Ward auch dadurch das gräfliche Geheimniß nicht beunruhigt, so schien dagegen den Kammerdiener, der regelmäßig zur Kirche ging, eine schwere Last im Gewissen zu drücken; er bat den Pfarrer mehrmals, heimlich bei ihm beichten und das heilige Abendmahl nehmen zu dürfen. Der Pfarrer versagte ihm diesen Wunsch, weil ihm die Verheimlichung der Beichte bedenklich war. Und als der Kammerdiener auf dem Sterbebette lag und in großer Unruhe nach dem Geistlichen verlangte, widersetzte sich der Graf diesem Verlangen. Ohne Arzt und ohne Pfarrer, nur von einer gewissen sogenannten „Teichgreth“ gepflegt, starb der arme Mann, den nun der Graf dem Pfarrer als einen „Philipp“ Scharre, 60–66 Jahre alt und aus der Schweiz gebürtig bezeichnete. An diese Adresse sollen dann noch zwanzig Jahre lang Briefe in’s Schloß gelangt sein! Wohin sind sie gekommen? Offenbar hat die Flamme stark im Dienste dieses Geheimnisses gestanden. – Spurlos vorüber ging der Verdacht, welchen der bekannte Polizeimann Eberhardt auf das Schloß warf, indem er es mit Kaspar Hauser in Verbindung zu bringen suchte; er führte den Findling vor das Schloß und in der Umgegend umher, mußte aber ohne das gewünschte Resultat wieder mit ihm abziehen.

Eine ernstlichere Gefahr führte die Ernestinische Erbtheilung nach dem Aussterben des Fürstenhauses Gotha, 1826, herbei. Das Herzogthum Hildburghausen kam an Meiningen, und die meiningische Regierung drang darauf, daß der Unbekannte sich legitimire. Und weil man wohl an das Gerücht glaubte, daß der Graf sein Geheimniß der Herzogin Charlotte von Hildburghausen entdeckt und damit seine Duldung im Lande gesichert habe, so gab man ihm auch jetzt an die Hand, daß der Herzog von Meiningen bereit sei, [312] die Legitimation persönlich entgegen zu nehmen und sein Geheimniß zu wahren und zu schützen, wenn es zu verantworten sei. Der Graf erklärte jedoch entschieden: „daß seine Papiere bereit lägen, daß er aber, wenn er gezwungen werden sollte, sie vorzulegen, sofort das Land verlassen werde, um in einem anderen Winkel der Welt unbekannt zu leben.“ Da ließ die Regierung ihre Forderung fallen, in edler Rücksicht auf das Hildburghäuser Land, das soeben den Verlust seines Herzogshauses erfahren hatte und durch den Abzug des Grafen in neuen materiellen Verlust gekommen wäre. So war auch diese Gefahr vorüber gegangen. Die Stadt Hildburghausen erfreute in Folge davon den Grafen mit ihrem Ehrenbürgerrecht, und dieser kaufte deshalb jenes Haus mit dem Garten, in welchem die Begegnung der Gräfin und des jungen Schmidt stattfand; später kaufte er noch ein Haus mit Gärtchen im nahen Dörfchen Walrabs und endlich das schöne Gartenhaus mit dem Garten hoch am Stadtberg, der nun das Grab der armen Gräfin birgt.

Der Graf machte mit der Gräfin in diesen neuen Wohnstätten jährlich einige Besuche, und zwar in einem eleganten, aus Frankfurt a. M. angekommenen Wagen und stets mit vier Postpferden von Hildburghausen. Er vermied gern die Stadt und fuhr auf der sogenannten Marienstraße abseits von ihr zu seinen Besitzungen. Auf einer solchen Fahrt begegnete ihm auf einer Stelle, wo der Wagen langsam fahren mußte, ein Mann (Geheimrath B. aus Meiningen), welcher die französische Königsfamilie genau gekannt. Als dieser die Dame erblickte, war er betroffen von der auffallenden Aehnlichkeit ihrer Züge mit der charakteristischen Gesichtsbildung der bourbonischen Familienglieder.

Im Herbste des Jahres 1837 erwähnte der Graf in seinen Briefen an seine Correspondentin, die Wittwe des Pfarrers, die nach dessen Tod nach Hildburghausen gezogen war, zum ersten Male „seine Lebensgefährtin“. Er sprach von der raschen Abnahme ihrer Kräfte und wollte offenbar auf den Todesfall vorbereiten. Wirklich starb die Gräfin am 25. November. Kein Arzt war an ihr Krankenbett getreten, kein Priester hatte ihr Worte ihres Glaubens zugesprochen, kein liebendes Auge ist ihrem letzten Blick begegnet, keine liebende Hand hat ihr das gebrochene Auge zugedrückt. Sie kam zum ersten Male unter Menschen, als sie todt war, ein zahlreiches Geleite Theilnehmender folgte ihr zur neuen Einsamkeit ihrer Grabesstätte.

Bis zu diesem Augenblick stand es noch als allgemeine Annahme fest, daß die Dame vielleicht von höherer Abkunft als der Graf, aber die Gemahlin desselben und darum gezwungen gewesen sei, sein Einsiedlerleben zu theilen, denn viele von den äußersten Vorsichtsmaßregeln zur Verbergung ihrer Person waren damals noch nicht bekannt geworden. Ihr Alter glaubte man nicht höher als zu 45 Jahren annehmen zu dürfen. Wie groß war daher das Erstaunen, als der Graf auf die Anfrage der Geistlichkeit nach den Personalien „seiner verstorbenen Gemahlin“ antwortete: „Die Verstorbene war nicht meine Gemahlin; ich habe sie nie dafür ausgegeben!“ Seine Mittheilung über sie bestand in den Worten: „Sophie Botta, ledig, bürgerlichen Standes, aus Westphalen, 58 Jahre alt.“

Diesmal glaubte das Gericht, den Schleier des Geheimnisses nicht länger schonen zu dürfen Man schritt zur Versiegelung des Nachlasses der Verstorbenen. Die seit 30 Jahren jedem Auge verborgenen Gemächer thaten sich auf. Man fand indeß in den Zimmern der „Gräfin“ außer einer reichen Garderobe und vielen in allen Winkeln herumliegenden Beutelchen mit Goldstücken gar nichts, was Aufschlüsse über ihre Person hätte geben können; letztere verweigerte der Graf aber so entschieden, daß er erklärte: „keine Gewalt der Erde werde diese ihm entreißen.“ Und so schloß denn abermals die Verhandlung mit dem Siege des Geheimnisses: „der Graf hinterlegte den Schätzungswerth des Nachlasses der Verstorbenen im Betrag von 1470 Gulden, und diese Summe wurde bis auf Weiteres, d. h. bis zum Tode des Grafen, gerichtlich deponirt.“ Der nunmehr siebzigjährige Greis sollte für den Rest seiner Tage in Friede bleiben. Allgemein sprach sich auch noch in dieser Zeit die öffentliche Theilnahme für den Mann aus, von dem man nur Gutes kannte und hinter dessen Geheimniß Niemand ein Verbrechen sah.

Wie kräftig auch der Geist sich gegen den Andrang des Alters wehrte, der Körper gab nach, und das Gefühl der Vereinsamung drückte schwerer auf den alten Herrn. Wichtig aus dieser Zeit ist eine Unterredung des Grafen mit dem auch als Schriftsteller bekannten Obermedicinalrath Hohnbaum, auf das wir noch zurückkommen werden. Der uns für diesmal zugewiesene Raum heißt uns zum Ende eilen. Der Graf starb im Jahre 1845 und wurde in Eishausen neben seinen Freund, den Pfarrer, begraben. Aber die Enthüllung seines Geheimnisses ward selbst nach seinem Tode und aus den mancherlei Papieren seines Nachlasses nicht gefunden, und auch die gerichtlichen Ermittelungen, welche in dem Grafen Vavel de Versay einen Leonardus Cornelius van der Valck erkannten, haben zu keiner vollständigen Aufklärung geführt, obwohl einem „Verwandten dieses van der Valck“, welcher sich in Folge der gerichtlichen Edictalladung als solcher legitimirte, der Nachlaß des Grafen von 15,000 Gulden rhn. ausgehändigt worden ist.

Die Quelle der Einnahme des Grafen ist damit nicht ermittelt und ebensowenig erklärt, wer das unglückliche Weib gewesen, für dessen Verbergen vor der Welt wohl eine halbe Million Gulden aufgewendet worden ist. Und der Graf selbst starb nicht mit leichtem Gewissen. Er hatte in den letzten Jahren den einen Sohn seines alten Boten Schmidt und dessen Gattin mit ihren zwei Kindern in’s Schloß zu seiner Pflege berufen. Diese Frau ist noch Besitzerin des Berggartens, in welchem das Grab der Gräfin ist, und in ihrem großen Berggartenhaus wohnte ich mehrere Jahre. Sie war die Pflegerin des alten Grafen in der letzten Krankheit, mit ihr sprach ich viel und oft über die arme Gräfin, deren Grab nur wenige Schritte von meiner Schlafkammer entfernt war, sie zeigte mir mancherlei Spielzeug derselben, und sie war es auch, die mir den letzten schweren Kampf des Grafen mit seinem Gewissen schilderte, wie oft er die Boten zum Gericht und zum Geistlichen abgehen und wieder zurückrufen ließ, wie er immer für sich und in fremden Sprachen redete und immer tiefer aufseufzte, bis ihm endlich die Kraft zum Entschluß gebrach und er sein Geheimniß mit in die Gruft nehmen mußte.

Diese Umstände und die vielen neuen Andeutungen, namentlich über den früheren Aufenthalt des Grafen mit der verschleierten Dame und demselben schweigsamen Kammerdiener in Ingelfingen, von wo das Schicksal des Herzogs von Enghien sie vertrieben zu haben schien, ferner Winke aus französischen Blättern, Hypothesen geistreicher Männer, die nach des Grafen Tod in der Presse laut wurden, sind wichtig genug, um uns nicht von diesem Gegenstand hier für immer scheiden zu lassen. Vielleicht gelingt es der „Gartenlaube“, bis zu Personen vorzudringen, welche weitere Aufschlüsse über dieses unheimliche Geheimniß nunmehr geben können. Für alle Fälle verspreche ich, in einem nachträglichen Artikel alles bis jetzt Ermittelte treulich zu berichten.


  1. Dieser Brief lautet wörtlich, nur mit berichtigter Orthographie, so:
    „Lieber, guter Ludwig!

    Ich wünsche Dir zu Deinem Geburtstage viel Glück und Segen! Der Himmel erhalte Dich gesund bis in das späteste Alter. Ach, lieber Ludwig, es sind schon viele Geburtstage, die ich bei Dir erlebe, und der Himmel segne Dich für Alles, was Du schon an mir gethan hast und an mir noch thust!

    Ach, lieber, guter Ludwig, es thut mir leid, daß ich Dir zu Deinem Geburtstag keine bessere Freude machen kann. Ich habe hier eine Kleinigkeit für Dich gestickt, ich schäme mich, daß sie nicht besser ist. Aber gewiß wirst Du, lieber guter Ludwig, es doch von Deiner armen Sophie annehmen als einen Beweis meiner Liebe und Dankbarkeit. Ach, verzeihe mir, mein guter Ludwig, wenn ich bisweilen fehle! Ich bitte den Himmel, daß er mich lehre, meinen Fehler zu verbessern. Möchtest Du doch mit mir zufrieden sein, ich aber im Stande, Dir Alles nach Wunsch zu thun, Alles Dir angenehm zu machen. Ach, lieber guter Ludwig, ich weiß, daß meine Lage schrecklich war, und ich danke Dir nochmals! Der Himmel segne Dich für Alles! Behalte mich lieb, lieber Ludwig! Ich bleibe im Schutze Marias und dem Deinen

              Deine arme Sophie bis in’s Grab.

    Den 28. September 1808.“