Ein mittelalterliches Gesellenstechen auf dem Marktplatz zu Nürnberg
Ein mittelalterliches Gesellenstechen auf dem Marktplatze zu Nürnberg.
Nürnberg! Welcher Deutsche hätte sie im Leben nicht wenigstens einmal besucht und bewundert, die alterthümliche und ehrwürdige Frankenstadt, berühmt durch ihre mittelalterlichen Mauern und Thore, durch ihre zahlreichen und hochgethürmten gothischen Dome, durch ihre zierlichen Façaden und Erker! Wessen Ohr hätte nicht mit Andacht dem feierlich-tiefen und volltönenden Klange der Glocken von St. Lorenz gelauscht, oder um die Mittagsstunde beim Anblicke der Liebfrauenkirche am Automatenspiele des „Männleinlaufens“ sich ergötzt und sich zurückgeträumt in längst entschwundene Jahrhunderte! Ist doch Nürnberg mit seiner reichen und ruhmvollen Geschichte unter den Großstädten Deutschlands die einzige, welche sich das charakteristische Gepräge der Vergangenheit fast vollständig unversehrt bewahrt hat; und wenn bedauerlicher Weise auch der „Zahn der Neuzeit“ an der Peripherie hier und da bedenklich zu nagen begonnen, so tritt doch, je mehr man sich dem Kerne der Stadt nähert, jener unverfälschte Typus altdeutscher Architektur immer eindrucksvoller hervor, um schließlich im Centrum, dem weltbekannten Marktplatze, seinen Höhepunkt und würdigen Abschluß zu erreichen.
Auf diesen auch geschichtlich hochinteressanten Marktplatz, dessen Schönheit jedoch leider durch moderne Arcaden mit Verkaufsbuden einigermaßen beeinträchtigt wird, führen wir heute unsere Leser, indem wir sie bitten, mit uns vor dem an der südlichen Seite gelegenen großen und langgedehnten Gebäude, als dem Aufnahmspunkte unserer Abbildung, Stellung zu nehmen. Dieses Haus gehörte einstmals der Patricierfamilie Rieter von
[61][62] Kornburg, und vor ihm wurde, als im Jahre 1487 Kaiser Maximilian der Erste die Belehnung der Reichsfürsten vornahm, eine Tribüne errichtet, auf welcher der kaiserliche Thronsessel Aufnahme fand. Der Platz selbst entstand dadurch, daß im Jahre 1349 nach zuvor eingeholter Erlaubniß des Kaisers Karl des Vierten die hier stehende Synagoge, die Judenschule und außerdem zahlreiche Privathäuser der Juden niedergerissen wurden. Genau auf der Stelle, wo die Synagoge gestanden, wurde die Liebfrauenkirche erbaut, mit dem Schutte der abgebrochenen Gebäude aber ward ein sumpfiger Weiher vor dem Lauferthore ausgefüllt und die durch fortgesetzte Aufschüttungen entstandenen Hügel „der Judenbühl“ genannt. Heute heißt diese Gegend „das Maxfeld“, und hier war es, wo im vergangenen Jahre die baierische Gewerbe- und Kunstausstellung abgehalten wurde.
Die Liebfrauenkirche mit ihrer wundervoll zierlichen Gothik (sie ist gegenwärtig die Hauptkirche der Katholiken Nürnbergs) präsentirt sich auf unserem Bilde rechts im Hintergrunde. Die Entstehung des Gotteshauses, welches mit vollstem Rechte zu den herrlichsten Denkmälern der Stadt gezählt wird, fällt in die Jahre 1355 bis 1361. Die Baumeister waren Georg Rupprecht und Fritz Rupprecht, während Sebald Schonhofer die Bildhauerkunst vertrat. Den ganzen Platz beherrschend und zugleich mit ihm in voller künstlerischer Harmonie stehend, legte der stolze Bau so recht Zeugniß ab sowohl von dem hohen Kunstsinne seiner Urheber im Besonderen, wie vom Geschmack der alten Nürnberger insgemein, welche solche Vorbilder den zukünftigen Geschlechtern zur Nacheiferung hinterließen. Ein Jahrhundert später, im Jahre 1462, fügte Adam Krafft das reizende Portal mit Balcon hinzu, und 1509 schmiedete Georg Heuß, ein Schlosser, das künstliche Uhrwerk, während ein Kupferschmied, Sebastian Lindenast, die dazu gehörigen Figuren in Kupfer trieb. Dieses Werk, im Volksmunde das „Männleinlaufen“ genannt, stellt den Kaiser Karl den Vierten dar, in goldenem Gewande mit Scepter und Reichsapfel auf dem Throne sitzend. Durch ein Seitenthürchen bewegen sich zur Mittagsstunde auf einer Drehscheibe die sieben Kurfürsten in rothen Mänteln langsam im Halbkreise dreimal vor dem Kaiser vorüber, zuletzt an dessen rechter Seite wieder in einer Thür verschwindend. Zwei automatische Posaunenbläser, die Herolde, führen zeitweise ihre Posaunen an den Mund, während oberhalb der ganzen Gruppe in einem zierlichen Glockenthürmchen zwei Glockenschläger die Glocke mit ihren Hämmern bearbeiten.
Im Innern der künstlerisch reich ausgestatteten Kirche fesselt hauptsächlich das Grabdenkmal der Nürnberger Patricierfamilie Pergenstörffer, ein Relief des bereits gedachten Adam Krafft, unsere Aufmerksamkeit; prachtvolle Glasmalereien und Holzschnitzereien, letztere von Veit Stoß gearbeitet, schmücken den Chor des herrlichen Gotteshauses, welches noch während der letzten Jahre durch den Director des Germanischen Museums, Herrn von Essenwein, innen wie außen einer gründlichen und vortheilhaften Renovirung unterzogen wurde.
Betrachten wir nunmehr die Umgebung der Liebfrauenkirche, so fällt uns zunächst ein unmittelbar neben derselben stehendes, als Fachwerk errichtetes, alterthümliches Gebäude in’s Auge. Es ist das alte Tuchhaus, in welchem vormals der Tuchmarkt abgehalten wurde. Zwischen ihm und der Kirche wendet sich die Straße auf den „Häringsmarkt“ und von da in ein Gäßchen, worin das Wohnhaus des Dichters Hans Sachs steht. Neben dem Tuchhause, auf unserm Bilde rechts im Vordergrunde, haftet der Blick auf einem Bau mit durchsichtigem Dacherker und hohem, stufenförmig gekröntem Giebel. Es ist der sogenannte „Plobenhof“, ehemals ein Patricierhaus der Ploben und noch früher im Besitze der Familie Groß; im vierzehnten Jahrhundert soll es Kaiser Ludwig der Baier mit Vorliebe als Absteigequartier benutzt haben.
An der Nordseite des Platzes (auf der Abbildung dem Beschauer gerade gegenüber) fesselt unser Auge eine höchst malerische Fronte alterthümlicher Gebäude, welche zu den ältesten Wohnhäusern der Stadt gerechnet werden. Gekrönt wird diese Fronte durch die Thürme des Rathhauses, der St. Sebalduskirche, der kaiserlichen Burg und der Kaiserstallung. Der besonders in’s Auge fallende stattliche Bau mit den flankirenden Eckthürmen war früher Eigenthum der Familie Haller; vor ihm steht der bewundernswerthe „Schöne Brunnen“, ein Meisterwerk Heinrich Behaim’s und von diesem in den Jahren 1385 bis 1395 unter der Leitung der damaligen Stadtbaumeister Friedrich Pfinzing und Ulman Stromer in reichem gothischen Stil ausgeführt, während die den Brunnen zierenden herrlichen Bildhauerarbeiten demselben Sebald Schonhofer zu verdanken sind, dem wir bereits unter den Künstlern der Liebfrauenkrche begegneten. Begrenzt wird diese ganze nördliche Häuserfronte durch zwei Straßen, von denen die zur Linken am Rathhause vorüber auf die kaiserliche Burg, die zur Rechten aber hinterwärts vom Rathhause in östlicher Richtung zum Lauferthore führt.
Auch die westliche Seite des Platzes endlich – auf unserem Bilde links – wird von schönen, mit Thürmen geschmückten Patricierhäusern umrahmt, unter denen namentlich das Haus Willibald Pirkheimer’s, des Jugendfreundes Albrecht Dürer’s, sowie das massiv-castellartige Haus der Familie Harsdorf hervortreten; etwas weiter oben steht das Hans Martin Behaim’s, des großen Seefahrers und Verfertigers des berühmten Erdglobus
Dieser im Vorstehenden geschilderte hochcharakteristische Marktplatz bildete vor Zeiten auch die regelmäßige Scenerie der frischen und fröhlichen Turniere, in denen die mannhafte Patricierjugend Nürnbergs ihre körperliche Kraft und Gewandtheit erprobte. Doch halt: nicht der „Turniere“, sondern officiell gesprochen, der „Gesellenstechen“, wennschon beide Bezeichnungen so ziemlich auf dasselbe hinausliefen. Der „Gesellenstechen“? fragt hier verwundert der Leser, dem das absonderliche Wort vielleicht noch niemals vorgekommen. Nun wohl, so möge er uns aus einem kurzen Abstecher in das Leben und Treiben unserer kampfesfreudigen Altvordern begleiten und sich bei dieser Gelegenheit auch der einigermaßen subtilen Unterschiede zwischen beiden Arten des Waffenspieles bewußt werden. Sind wir doch in Nürnberg, einer Stadt, die wie keine andere zu Rückblicken in vergangene Zeiten auffordert.
Die Theilnahme an den eigentlichen Turnieren, welche namentlich bei festlichen Gelegenheiten, wie Hochzeiten, Kindtaufen, Besuchen vornehmer Gäste etc., veranstaltet wurden, galt im Mittelalter von jeher als ein eifersüchtig bewachtes Vorrecht der fürstlichen, gräflichen und ritterbürtigen Geschlechter. Wer sich nicht wenigstens als rittermäßig, das heißt als adlig ausweisen konnte, der wurde zu diesen Kampfspielen schlechterdings nicht zugelassen. War eine Hochzeit die Veranlassung zur Veranstaltung eines Turniers, so nahm neben den Gästen in der Regel auch der Bräutigam selbst mit daran Theil. Zuweilen begann das Lanzenrennen unter den Rittern schon am ersten Hochzeitstage, und an den nächstfolgenden Tagen setzten es Fürsten, Grafen und Ritter im buntem Wechsel unter einander fort, dergestalt, daß man vielleicht einen Kurfürsten gegen einen einfachen Rittersmann, oder einen Herzog gegen einen Grafen die Lanze versuchen sah. Wer am meisten traf und am wenigsten fiel, galt für den ausgezeichnetsten Kämpfer.
Statt mit der Lanze wurden übrigens oftmals auch Turniere mit dem Schwerte gehalten, wobei vorher bestimmt wurde, wie viele Streiche Jeder mit dem Schwerte zu thun habe. Abends beim Tanze erhielten dann die besten Kämpfer aus den Händen der vornehmsten Frauen die im Turniere verdienten Belohnungen, oder, wie es hieß: „es wurden die Danke an sie ausgetheilt“, welche in kostbaren Waffen, goldenen Kränzen, Ringen, Spangen oder sonstigem Geschmeide zu bestehen pflegten.
Neben diesen eigentlichen Turnieren, an denen nur die Angehörigen alter und vornehmer Geschlechter sich betheiligen durften, hatte man nun noch die sogenannten Gesellenstechen, das heißt weniger solenne und weniger exclusive Waffenspiele, in denen gegebenen Falles vorzüglich die Mitglieder des jüngeren Adels sich versuchten. Gleichwohl waren auch bei ihnen zur Aufrechterhaltung der Ordnung bestimmte Gesetze vorgeschrieben, an die sich Jeder, der sich zum Kampfe verstand, pünktlich halten mußte. In einer solchen Vorschrift eines Gesellenstechens vom Jahre 1543 heißt es z. B. folgendermaßen:
„Nachdem es alter löblicher Brauch und Gewohnheit ist, daß man auf fürstlichen und königlichen Hochzeiten und Freudenfesten allerlei Ritterspiel mit Rennen, Stechen und Turnieren zu üben pflegt, so wollen wir neben andern Ritterspielen auch ein Gesellenstechen halten lassen und haben darauf nachfolgende Artikel gestellt, wollend und gnädiglich begehrend, daß sich ein Jeder, der sich zu solchem Stechen gebrauchen lassen will, demselben gemäß verhalte bei festgesetzter Buße: Wer sich zum Gesellenstechen gebrauchen [63] lassen will, er sei wer er wolle, soll ein Rittermäßiger von Adel sein und seinen Namen anzeigen mit Vermeldung, wer und von wannen er sei, damit man ihn nachmals erkenne. Alle, die sich zum Gesellenstechen gebrauchen lassen wollen, sollen zu Mittwoch an dem ihnen bezeichneten Orte zusammen kommen, allda mit Zeug und Roß sich vergleichen und einander auch mit Hand und Mund zusagen, daß Einer gegen den Andern keinen falschen und betrüglichen Vortheil gebrauchen wolle, außer den ihm seine Stärke giebt. Ein Jeder soll den Zeug, Sattel, Sack, Stange u. s. w., wie ihm solches gegeben und gezeichnet wird, behalten und Nichts daran ändern oder verwandeln bei bestimmter Buße. Ein Jeder soll sich befleissigen, daß er seinen Mann wohl treffe, aber nicht mit Willen und vorsätzlich dem Andern nach den Fäusten oder dem Pferde nach dem Kopfe stechen. Bleibt Einer, wenn er getroffen ist, noch am Pferde hängen, so soll ihm Niemand aufhelfen; geschieht dieses, so soll es für einen Fall gerechnet werden. Niemand soll auf die Bahn reiten außer die Stecher und die Personen, welche dazu beschieden und verordnet sind. Kein Stecher darf von der Bahn abziehen und sich austhun (auskleiden), es wäre denn wegen solches Mangels an seinem Zeuge, den man nicht alsbald verbessern kann, er muß es aber den Verordneten stets zuvor anzeigen. Jeder soll sich zur bestimmten Stunde auf der Stechbahn in seiner Rüstung völlig fertig einfinden. Nie sollen Zwei zugleich auf einen Andern einreiten.“
Weil aber während des Stechens selbst bei geschlossenem Visire die Kämpfer nicht immer zu erkennen waren, so wurden gewöhnlich vor Beginn des Kampfspieles ihre Helme mit den verschiedenen Helmzeichen und Farben mit Angabe ihrer Namen verzeichnet und den Ordnern übergeben, die während des Kampfes je zur rechten oder linken Seite des Helmes Gewinn oder Verlust vermerkten. Daß endlich auch hier den Siegespreis in Gestalt des ersten „Dankes“ errang, wer am wenigsten fiel und am meisten traf, ist selbstverständlich. –
Doch nun zurück nach Nürnberg und seinem Marktplatze! Daß auf letzterem die Söhne der alten Patriciergeschlechter von jeher förmliche Turniere nach adligem Vorbilde, das heißt Waffenspiele nach allen Regeln der ritterlichen Kunst abzuhalten pflegten, wurde schon weiter oben bemerkt. Mit der Zeit aber erregte solch schnöder und anmaßlicher Eingriff in ein althergebrachtes Vorrecht den stillen Ingrimm der in der Umgebung der Stadt auf ihren Burgen hausenden alten fränkischen Adelsgeschlechter. Als „der Unfug“ trotzdem nicht aufhörte, machte sich der Zorn der Ritterbürtigen in wiederholten und immer energischeren Remonstrationen bei den Vätern der Stadt Luft, worin drohend die Einstellung dieser Kampfspiele gefordert wurde, und wirklich ließ sich darauf hin auch der Rath zu Nürnberg, um Conflicte zu vermeiden, zur Herausgabe eines Statutes herbei, laut dessen „kein Nürnberger Bürger turniren solle, weder in der Stadt noch an auswendigen Orten bei Strafe von 200 Pfund Häller“.
Aber auch hierdurch ließen sich die jungen Patriciersöhne in ihren ritterlichen Neigungen nicht stören; es fand sich leichtlich ein Ausweg, das Verbot zu umgehen. Man vermied nämlich einfach von nun an für die Waffenspiele die bisherige officielle Bezeichnung als „Turniere“; man schrieb sie nicht mehr öffentlich aus, man lud auch keine Auswärtigen dazu ein, sondern es turnierten nur die jungen Leute, die „Jungen Gesellen“ unter sich innerhalb der Stadt, woraus sich dann schon von selbst die Berechtigung des weniger ceremoniellen Titels der „Gesellenstechen“, mit dem man sich nun begnügte, ergeben mochte.
So wurde denn unter veränderten Formen lustig fortturniert. Auch unter den Nürnberger Patriciergeschlechtern bildeten natürlich Hochzeiten die gewöhnliche Veranlagung zur Abhaltung eines Stechens. Ein ganz außergewöhnlich prächtiges, von welchem alte Abbildungen und urkundliche Mittheilungen nähern Aufschluß geben, wurde am 28. Februar 1446 veranstaltet, an welchem Tage Wilhelm Löffelholtz Frau Kunigunda, Tochter Conrad Paumgärtner’s und Wittwe des zwei Jahre zuvor verstorbenen Hieronymus Ebner, heimführte. „Zu diesem Stechen,“ erzählt die Chronik, „sind 39 Helme eingeritten, deren jeder einen Rüstmeister, einen Stangenführer und zween Knechte zu Fuß gehabt, in seine Farben gekleidet. Die Stecher sind alle geritten in hohen Zeugen und hat jeder sein Wappen mit Schild und Kleinod geführt.“ Die Braut aber setzte drei Danke aus: „nemlich ein Heftlein 12 Gulden werth, einen goldnen Ring zu 8 Gulden und einen Kranz zu 4 Gulden“, wobei zu bemerken, daß der Gulden damaliger Zeit etwa dem heutigen Betrag von 3 Mark entsprach, daß aber der Werth des Geldes zu jener Zeit ein ungleich höherer war als heutzutage.
Dieses solenne Stechen nun ist es, welches unsere heutige Abbildung dem Leser vorführt. Rings um den weiten Platz sind die Schranken und Gerüste aufgeschlagen. In dieselben hinein reiten von der Seite der Liedfrauenkirche her die Stecher, um unter dem Schall der Posaunen und Zinken, die vom Balcon der Kirche aus ertönen, einer unübersehbaren Menge von theils auf den Gerüsten stehenden, theils an den Fenstern der Häuser zusammengedrängten Zuschauern ihre Turnierkünste vor Augen zu führen. Das edle Waffenspiel beginnt. Schon haben ein Holzschuher und ein Stromer den ersten Gang gegen einander gemacht, und Holzschuher wird im Vordergrunde von seinem Knappen und von seinem Schalksnarren über den Platz geleitet, um auf der andern Seite wieder in die Schranken zu reiten; zur linken Seite des Bildes aber erblickt man eine ambulante Cantine, welche bei den Volksbelustigungen jener Zeit ebenso wenig fehlen durfte wie heutzutage.
Den Ueberlieferungen zufolge soll „unter den Stechern an jenem Tage Alles glücklich und ohne Unfall abgegangen sein; nur daß der Ullstadt im Gedränge einen Mann zu todt ritt (!) und dem Hirschvogel ein Roß auf der Bahn liegen blieb. Das Beste that Conrad Haller, der das Heftlein erhielt; sodann zeichnete sich Berthold Volckammer aus, der den goldenen Ring erwarb, zuletzt Stephan Tetzel, dem der Kranz gegeben wurde.“ Auch von einem stattlichen Tanze, der am Abend auf dem Rathhause die Festlichkeit beschloß, weiß der Chronist zu berichten.
So viel über die Waffenspiele der alten Nürnberger! Zu vergessen ist übrigens nicht, daß dieselben keineswegs blos als Kurzweil, sondern zugleich auch als praktische Vorübungen für den „Ernstfall“, wie moderne Taktiker sagen würden, aufgefaßt wurden. Lag doch die Stadt mit ihrer Nachbarschaft in fast ununterbrochener Fehde und mußten daher ihre Bürger jederzeit gewappnet und gerüstet sein, die heimischen Mauern gegen den Feind durch eigene Kraft zu schützen. Nur eine kriegsgewandte und kriegsbereite Patricierjugend aber durfte es wagen, jene Ritterspiele, welche sich der Adel als eine Art von Reservatrecht vorbehalten hatte, öffentlich nachzuahmen. Schon gelegentlich der Anwesenheit Kaiser Heinrich’s des Sechsten im Jahre 1197 sollen die Nürnberger Geschlechter ihm zu Ehren ein glänzendes Turnier mit darauffolgendem Tanze auf dem Rathhause veranstaltet haben. Oft auch wurden von Fürsten und Herren Turniere hierher öffentlich ausgeschrieben, und noch im Jahre 1441 hatte Markgraf Albrecht Achilles von Ansbach einen Turnierhof in Nürnberg errichtet, nachdem er zuvor bei dem Rathe der Stadt um Geleit und Schutz hierzu hatte anhalten lassen.
So leuchtet uns denn Nürnbergs große Vergangenheit, eine Jahrhunderte umspannende Epoche der Macht, des Reichthums und des Ruhmes, aus seinem alten Markplatze noch heute achtunggebietend entgegen. Wohl hatten die Stürme späterer Zeiten, die zahllosen Fehden, die inneren Zwistigkeiten, die großen äußeren Kriege des Reiches bis in den Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts hinein am Marke der einst so stolzen Stadt derartig genagt, daß dieselbe zuletzt beinahe am Abgrunde ihres vollständigen Ruins angelangt war, aber zu ihrer Ehre muß es gesagt werden: aus eigener Kraft hat sie sich während der letzten Jahrzehnte zu erneutem Glanze und Ansehen wieder emporzuschwingen verstanden. Im gegenwärtigen Augenblick, da die Bevölkerung der alten Frankenstadt die Ziffer von 100,000 Einwohnern bereits erheblich überschritten, ist dieselbe hiermit auch formell in den Kreis der modernen deutschen Großstädte eingetreten; Handel und Gewerbe gedeihen aufs Neue in ihr wie vor Zeiten, und noch im vergangenen Jahre hat sie sich in der überaus glänzenden baierischen Landes-Ausstellung einen leuchtenden Markstein des Fortschrittes zu setzen gewußt. Bleibt Nürnberg allezeit eingedenk der Größe seiner Vergangenheit, hält nach wie vor die emsige Arbeit seiner Bürger gleichen Schritt mit der geistigen und körperlichen Ausbildung seiner Jugend, so wird sicherlich auch für diese Stadt aus dem rüstigen Streben und Schaffen der Gegenwart eine neue und ruhmvolle Blüthezeit der Zukunft erwachsen.