Ein revolutionärer Mönch
Verbrennt man mich, seid unerschrocken!
Wenn meine Asche treibt der Wind,
So denkt, daß dies nur Blüthenflocken
Vom schönen Frühling Gottes sind!
Wenn in unserer Zeit die Gegensätze von Aberglauben und Wissenschaft, von Unterdrückung und Freiheit, von Papst und Kaiser wieder heftiger als je aufeinander platzen, so erinnert Solches den der Geschichte Kundigen gewiß lebhaft an frühere Zeiten, in denen ähnliche Kämpfe der Geister entbrannten. In unserer Zeit haben wir das seltene Schauspiel erlebt, daß ein Volk, welches sich für ein solches von lauter Aposteln der Freiheit ausgegeben, kaum sich selbst überlassen und völlig frei, sich einen neuen Tyrannen sucht, und daß ein anderes Volk, das man als ein geknechtetes verschrieen, auf dem Wege zur Gedankenfreiheit sowohl, wie zu einer mit vernünftiger politischer Mündigkeit verbundenen Staatseinheit der Welt voranschreitet. Wie anders waren die Zustände in einer der unseren an Wildheit des Kampfes gährender Elemente ähnlichen Zeit vor bald vierhundert Jahren! Die Einheit unter sich zerrissener Völker war nicht nur nicht nahe, sondern die Zerklüftung wurde nur schneidender und schärfer. Der Kampf um Gedankenfreiheit endete nicht mit dem Siege dieser, sondern mit einem neuen geistigen Joche. Denn es galt auf politischem Felde nicht der Freiheit und Einheit, sondern der Gewalt der Gewaltigen, und auf religiösem nicht der Freiheit des Denkens, sondern der Macht des Glaubens.
Und wenn man damals – es war um die Zeit der Entdeckung der neuen Welt – gefragt hätte, wo jener Kampf zwischen den Extremen am heißesten brenne, wo am wildesten um die Gewalt über die Leiber und die Geister gerungen werde, wo die mächtigsten Waffen in’s Feld geführt werden, um Ideen zur Herrschaft zu bringen, so hätte man den Frager müssen an die rauschenden Fluthen des Arno weisen, wo die „blühende Stadt“, Florentia, ihre nach mittelalterlicher Sitte, dem Faustrecht gemäß, befestigten düsteren Paläste erhoben, wo jeder Bürger ein Souverän sich dünkte und weder des Papstes noch des Kaisers Unterthan zu sein erklärte, aber – so waltet des Geschickes Ironie – das ganze Volk Unterthanen einer Kaufmannsfamilie wurde. Ja, es lebte ein frischer trotziger Geist in Florenz, und was keinem Despoten durch Anwendung der blutigsten Gewalt gelungen wäre, das gelang den Medici, noch ehe ein Macchiavelli sie es gelehrt, durch List, Freigebigkeit, Luxus und Schmeichelei. Zu den Jahren 1434–1471 gaben diese gewiegten Kaufleute, welche auf die höchste Gewalt im Staate speculirten, für Almosen, öffentliche Bauten und Steuern 663,755 Goldgulden aus, und in Folge dieser Praxis standen sie immer an der Spitze des Staates, ohne sich diese Stellung angemaßt zu haben. Sie beschützten Kunst und Wissenschaft; in ihren Palästen, die nach und nach unmerklich zum Hofe wurden, trafen sich Bildhauer, Maler und Dichter. Durch ihr Gold blühten die wunderbaren Erzkünstler Brunelleschi, Donatello, Ghiberti und Masaccio, deren Werke noch jetzt das Staunen der Schönheitskenner erregen. Kein Angehöriger dieser berechnenden Familie aber entfaltete solchen fürstlichen Glanz wie Lorenzo der Prächtige (Magnifico). Er vermittelte, von Königen angerufen, Streitigkeiten zwischen ihnen; in seinem Hause kehrten Fürsten aus dem eisigen Norden, wie aus dem glühenden Süden ein. Der deutsche Kaiser buhlte um seine Gunst, und der Papst mußte auf das heißhungrig begehrte Florenz verzichten.
In demselben Jahre, wo Columbus ein Land entdeckte, von dem Niemand eine Ahnung gehabt, stand an dem Sterbebette des Lorenzo Medici, des Prächtigen, ein Mönch, den er mit Umgehung seines regelmäßigen Beichtvaters hatte rufen lassen. Dieser Mönch verlangte von dem Sterbenden Dreierlei: Hoffnung auf die Barmherzigkeit Gottes, Rückerstattung alles unrechtmäßig Erworbenen und Wiederherstellung der florentinischen Freiheit. Der am Eingange der dunklen Pforte Stehende aber versprach nur das Erste willig, das Zweite schon unwillig, das Dritte verweigerte er barsch. Da ging der arme Mönch von dem reichen Handels- und Staatsfürsten, den Kaiser und Papst achteten, unbeugsam hinweg, – er hatte ihm die Absolution verweigert. Das that der Prior des Dominikanerklosters San Marco zu Florenz: Girolamo Savonarola.
Zehn Jahre vorher war er, dreißig Jahre alt, als irrender Mönch nach Florenz gekommen; seine Wiege hatte zu Ferrara gestanden, seine Lehrkanzel zu Bologna. Weit verschieden vom Geiste der Zeit waren seine Ideale. Während die regsamen, aber frivolen Kinder des Jahrhunderts im schönen Italien nach einem genußvollen Leben haschten – genußvoll in Beziehung auf die Sinne wie in Durchkostung des Schönen der Kunst und des Neuen, Interessanten, Pikanten der Wissenschaft –, verschmähte der ernste Dominikaner diese Liebhaberei, und seine düstere, nichtsdestoweniger aber glühende Leidenschaft galt der Religion und der Tugend.
Obwohl aber, oder vielmehr gerade weil Savonarola für Religion und Tugend schwärmte, war er ein Gegner der damaligen bittersten Feinde dieser Ideale und ihrer ärgsten Verfolger, der Päpste. Dieser Geist christlich-moralischer Opposition gegen die angeblichen Nachfolger Petri war zu Florenz und in Italien nicht neu. Hatte schon der größte Bürger dieser Stadt, der unsterbliche Dante, ohne Gnade Päpste in seiner Hölle braten lassen und zwar in nichts weniger als Achtung fordernder Situation, – hatte darauf der kunstvolle Dichter der Liebe, Petrarca, die scharfen Pfeile seiner Satire gegen den sittenlosen päpstlichen Hof zu Avignon geschleudert, den er das „neue Babylon“ nannte, so hatte des Letztern Schüler, Marsiglio, bewiesen, daß alle weltliche Gerichtsbarkeit dem Kaiser gehöre [750] und das Papstthum eine Usurpation sei, welche sowohl durch die wahre Geschichte wie durch die wahre Verfassung des Christenthums verurtheilt werde. So dachte auch Savonarola.
Seine ersten Versuche, seine Grundsätze zu predigen, fielen unbeholfen und schüchtern aus, und da ihm die frivole Eleganz der damaligen Prediger, von denen man Alles eher als Glauben und Tugend erwartete, gänzlich fehlte, so waren seine Zuhörer dünn gesäet. Er verließ unmuthig Florenz und predigte in anderen Städten, wo er, muthvoller und geschickter auftretend, glücklicher war und sich bald einen Namen machte. Sein Ruhm gründete sich; er wurde zurückberufen, und seine anfänglichen Feinde, die Medici, beschützten ihn jetzt. Da seine Klosterkirche die Menge Derer, die seinen hinreißenden Worten lauschten, nicht fassen konnte, mußte er im Dome predigen, und man sah unmittelbar nach seinen Reden die zerknirschten und erschütterten Sünder fortgehen und ihre Vergehen möglichst wieder gut machen.
Diesen Erfolg verdankte Savonarola allein seiner Verherrlichung der Moral; die mystisch-religiösen Schrullen und Grillen, denen er außerdem huldigte und über welche er mehrere Bücher schrieb, interessirten Niemanden. Auch wäre sein Leben, wenn er sich fortwährend auf die moralischen Predigten beschränkt hätte, ruhig und ungestört dahingeflossen. Erst trat er aber ohne Scheu vor dem Mächtigen gegen Lorenzo’s Prachtliebe, Unsittlichkeit und Despotismus auf und nachdem Dieser, wie erwähnt, aus dem Leben geschieden, gegen die in den Klöstern und bei der Geistlichkeit überhaupt herrschende Glaubens- und Sittenlosigkeit. Er begann mit seinem eigenen Kloster, aus welchem er als Prior allen Luxus verbannte, wogegen er fromme Uebungen einführte. Diese Reformen fanden solchen Anklang, daß sich bald alle Klöster Toscanas dem seinigen unterordneten und unter seiner Leitung ihre Lebensordnung verbesserten.
Wer aber am wenigsten von dem der Lehre Christi so streng sich anschließenden Beginnen des Mönchs von Florenz erbaut war, das war der sogenannte Statthalter Christi, der Papst zu Rom. Diese Stelle nahm zudem damals das entsetzlichste Scheusal ein, welches jemals nicht nur den päpstlichen, sondern überhaupt einen Thron befleckt hat, der sitten-, glaubens- und gewissenlose Alexander der Sechste aus dem Hause Borgia, der Vater dreier Kinder, welche wie Prinzen an seinem Hofe lebten. Dieses Ungeheuers allerdings arge und zahlreiche Sünden griff Savonarola auf der Kanzel freimüthig an. Um ihn zum Schweigen zu bringen, bot ihm der Papst den erzbischöflichen Stuhl von Florenz und den Cardinalshut an. Savonarola wies diese Bestechungen mit Entrüstung zurück und fuhr fort, gegen die Quelle derselben zu eifern. Dies sollte ihm theuer zu stehen kommen.
Er verfolgte indessen seine Ideen rastlos weiter. Es war denselben günstig, daß gerade damals Lorenzo’s feiger und verrätherischer Sohn Pietro vertrieben wurde. In der nun wieder frei gewordenen Republik predigte Savonarola die Demokratie, und da er durch seine Predigten zu großem Einflusse gelangt war, wurde unter seiner Leitung ein vom Volke gewählter großer Rath an die Spitze des Staates gestellt. Es war jedoch bei des beredten Mönches Eigenartigkeit natürlich, daß es nicht bei der Demokratie blieb. Ein von einem religiösen Schwärmer geleiteter Staat mußte zur Theokratie werden. Feierlich proclamirte er Christus als König von Florenz und Schutzherrn seiner Freiheit, hielt jedoch die auf ihn eifersüchtige Geistlichkeit von allem Einflusse im neuen Staate zurück.
Nun begann ein sonderbares Leben und Treiben in Florenz. Der feurige Prediger des Glaubens und der Sitte verbannte Spiel und Tanz, verpönte die Belustigungen des Carnevals, setzte an die Stelle aller Vergnügungen religiöse Festlichkeiten, unterdrückte den Wucher, führte strenge Sonntagsfeier ein und bewirkte durch seine immer stärker besuchten Predigten überall Buße und Reue. Aus den Kindern der Stadt bildete er eine eigene Gesellschaft mit besonderen Gesetzen und ließ durch sie alle Gegenstände, welche der Eitelkeit und dem Vergnügen dienten, in den Häusern zusammenbetteln und unter Trompetenschall und Glockengeläute auf offenem Platze verbrennen. Es befanden sich darunter Schmucksachen, Spiegel, Schleier, falsche Locken, Masken, Musikinstrumente, Schachbretter, Karten, Würfel, Gemälde und Bücher etc.
Die Florentiner hätten aber keine Italiener sein müssen, wenn sich gegen diesen Geist nicht Opposition erhoben hätte. Ihre Leidenschaft für Parteiungen gab sich auch unter Savonarola’s demo-theokratischem Regimente kund. Sie zerfielen bald in Anhänger und Gegner desselben. Die Ersteren nannte man wegen der weinerlichen Rührung, in welche sie durch seine Vorträge verfielen, Piagnoni (Heuler), die Letzteren aber, bei welchen die entgegengesetzte Wirkung eintrat, Arrabiati (Rasende, Wühler). Außerdem gab es noch Nebenfractionen, wie z. B. die Anhänger der Medici und die demokratischen Gegner des mönchischen Wesens. Die eifersüchtige Geistlichkeit, welche sich zu den Arrabiati schlug, führte gegen den kühnen Mönch die Waffen der Inquisition in’s Feld und bewirkte, daß der sitten- und glaubenslose Papst den Prediger der Religion und Tugend nach Rom citirte, um, wie er heuchlerisch vorgab, seine Lehren besser kennen zu lernen. Die „Heuler“ aber ruhten nicht, bis Savonarola den Ruf ablehnte, da ihm schon oft mit Gift und Dolch nach dem Leben getrachtet worden und seine Feinde so eifrig gewühlt hatten, daß die in Besserung der Sitten erzielten Erfolge bereits wieder in Abnahme begriffen waren. Es wurden andere Prediger von seinen Feinden berufen, um gegen ihn aufzutreten, aber ohne Erfolg; ja eine Nonne wollte mit ihm öffentlich disputiren, wurde aber von ihm sarkastisch an den Spinnrocken verwiesen.
Der auf’s Neue von den „Rasenden“ bearbeitete Papst citirte nun den „Verbreiter falscher Lehren“, wie er ihn nannte, abermals nach Rom; als dies nichts fruchtete, untersagte er ihm das Predigen, was aber ebenfalls nichts nutzte, da die Regierung von Florenz das Gegentheil forderte. In Folge dieses Streites verbreitete sich Savonarola’s Ruf durch reisende Florentiner über ganz Europa. Selbst der türkische Sultan ließ seine Predigten in seine Sprache übersetzen und las sie eifrig. Es erschienen zahlreiche Schriften für und gegen ihn. Die „Heuler“ mußten eine Leibwache bilden, um den Reformator gegen Angriffe zu schützen; seine Predigten wurden von den „Wühlern“ gestört, und der Papst excommunicirte ihn. Da trat er endlich, nachdem er bisher noch am Papstthum festgehalten, offen gegen dasselbe auf, verwarf die Unfehlbarkeit des Pontifex und schrieb an die Fürsten Europa’s, daß sie ein Concil versammeln sollten, um den Papst zu entsetzen. Das war dem wüthenden Borgia zu viel. Schon vorher hatten in Florenz in Folge des Treibens der Päpstlichen Savonarola’s Feinde bei den Wahlen gesiegt, und die neue Regierung sperrte ihm die Kanzel. Auf Verlangen der Franziskaner, welche seine ärgsten Feinde waren, wurde nun zwischen ihm und seiner Gegenpartei eine Feuerprobe angeordnet. Trotz seiner Abneigung gegen diesen Aberglauben mußte er sich darein fügen; aber die Ausführung wurde durch einen Regen vereitelt. Da gab man dem thörichten Volke vor, der Reformator sei überwunden, und ein Sturm auf sein Kloster erfolgte, dessen Mönche sich tapfer vertheidigten. Sie unterlagen, und das Kloster wurde erstürmt. Mit Mannesmuth nahm Savonarola von seinen Anhängern Abschied – eine Scene des Schmerzes und der Wehmuth, welche unser heutiges Bild mit dramatischer Lebendigkeit darstellt. Savonarola und sein eifrigster Jünger Fra Domenico wurden gebunden abgeführt, vom wankelmüthigen Volke mit Steinen geworfen, beschimpft, geschlagen und endlich eingekerkert. Ein vom Papste freudig bewillkommneter und durch seine nach Florenz gesandten Inquisitoren geleiteter Proceß, in welchem alle gesetzlichen Formen mit Füßen getreten wurden, endete mit der Verurtheilung Savonarola’s und seiner Mitmönche Domenico und Silvestro zum Feuertode. Vor dem gänzlich umgewandelten Volke, das sie vorher vergöttert hatte, wurden sie am 23. Mai 1498 öffentlich ihrer geistlichen Würde beraubt, dann über einem brennenden Scheiterhaufen an einen Galgen gehängt und ihre Asche in den Arno gestreut. Alle ihnen treu Gebliebenen unterlagen der grausamsten Verfolgung.
Zwei Jahre nach dieser Ketzerverbrennung begann indessen – so schwankt die öffentliche Meinung – eine Reaction zu Gunsten des Gemordeten. Der Platz seiner Hinrichtung wurde am Jahrestage derselben mit Blumen bekränzt; in Rom selbst wurden zu seiner Ehre Medaillen geschlagen, und die folgenden Päpste, besonders Leo X., sprachen sich für ihn aus und stellten durch ein geistliches Gericht die Ehre seiner Rechtgläubigkeit her.
Man hat sich darüber gestritten, ob Savonarola ein Vorläufer Luther’s gewesen oder nicht. Dieser Streit ist überflüssig. Gewiß war der Grundzug des Auftretens Beider derselbe. Luther
[751][752] war unabhängig vom florentinischen Reformator Savonarola. Beide waren, was sie sein mußten: Jener ein Deutscher und sächsischer Monarchist, dieser ein Italiener und florentinischer Republikaner. Beide suchten die Kirche im Geiste des Urchristenthums zu verbessern. Beide hielten so lange als möglich am Papstthum fest. Beide sagten sich von ihm los, als es sich selbst von allen christlichen Grundlagen lossagte. Nur unterlag der Italiener, weil ihn seine feigen Mitbürger im Stiche ließen, und der Deutsche siegte, weil energische Fürsten ihm ihren Schutz gewährten. Nichtsdestoweniger ist für jeden aufrichtigen Christen ehrwürdig das Andenken des ersten Altkatholiken Savonarola.