Ein verhängnißvolles Blatt

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Autor: Anton von Perfall
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Titel: Ein verhängnißvolles Blatt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5–12, S. 80–82, 94–96, 111–114, 124–127, 142–144, 157–160, 174–178, 189–192
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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[80]

Ein verhängnißvolles Blatt.

Erzählung aus den bayerischen Bergen von Anton Freiherrn v. Perfall.
1.

Durch den im glühenden Sonnenlicht ruhenden Buchenwald am Bergabhang schallt Axthieb, das Kreischen einer Säge, und hier und da weckt ein rauschender Fall, von dem Krachen zersplitterten Holzes begleitet, das Echo in den gegenüberliegenden schroffen Wänden. Der längst überständige Buchenwald am Grünberg ist heuer vom Oberförster in S… zum Abtriebe bestimmt. Bis der erste Schnee fällt, muß die ganze Arbeit gethan sein; jetzt ist schon Ende Juli, und noch wogt überall das grüne Laubdach, den nahen Tod nicht ahnend.

Auf dem Schlagplatz sieht es aus wie auf einem Schlachtfelde! Uralte Buchen liegen gefällt kreuz und quer, von den einen nur noch der Rumpf, der nackte Stamm, andere ächzen eben unter den wuchtigen Axthieben zweier kräftiger Bursche, die das Geäst abhacken. Bereits in gleich lange Stücke zerschnittene sind die steile Berglehne hinabgerollt und sammeln sich unten in wirrem Haufen; die gelbbraunen Schnittflächen blitzen wie polirt herauf – das Brennholz! Stämme von besonders edlem, geradem Wuchse sind der Rinde beraubt und glänzen hell im Sonnenlichte – das Bauholz!

Die zwei Burschen hieben mit einer wahren Wuth, daß die kleinen Aeste oft weit davon sprangen. Aus dem groben Hemde blickte die braune behaarte Brust, man sah jede Muskel anschwellen beim Heben der Axt. Kurze Lederhosen, unzählige Male mit grobem Zwirn geflickt, in allen möglichen Farben spielend, in denen das ursprüngliche Schwarz kaum mehr zu erkennen war, bedeckten das Bein bis an die Kniee, die dunkelbraun aus den grobwollenen Strümpfen hervorsahen.

Von unten herauf, wo die geschnittenen Blöcke sich angesammelt, ertönte der Axtschlag des Kliebers, der mit dem Keil die Blöcke spaltete, von oben das Gekreisch der Säge, welche zwei Holzknechte automatisch hin und her bewegten. Aus dem Einschnitt spritzten die Sägespähne links und rechts, immer tiefer fraßen die gierigen Zähne in das saftige Fleisch.

„Obacht, Mathias,“ ruft jetzt einer der Männer, „sonst druckt’s uns ’s Blatt ab. Die Keil’ her und trau dem Tropf’n net!“ Dabei sah er prüfend in die Wipfel der Buche, „wenn er über ’n Stock einirennt, kann’s an Fuß kost’n.“

Der Angesprochene, ein junger hochgebauter Mann mit üppigem blonden Vollbarte, folgte dem Rath und holte die eisenbeschlagenen Keile. Mit wuchtigen Hieben, deren Echo die Wände drüben scharf wiederhallten, trieb sie der Alte in den Schnitt ein.

„Obacht, Tony, er kimmt!“ rief der Jüngere; der Alte sprang auf die Seite – der Baum neigte sich zuerst langsam; dann stürzte er, die Luft durchschneidend, mit einem dumpfen Krach zu Boden! Im den Bergen antwortete es, von Schlucht zu Schlucht vergrollemd – wie Ehrensalven für den zweihundertjährigen tapferen Kämpen in Sturm und Ungewitter!

Die Beiden wischten sich den Schweiß, der von der Stirn, von dem durchnäßten Haar, von dem Nasenrücken herabträufelte, mit den unförmlichen Händen ab. Auch die Andern rasteten einen Augenblick; nur der Klieber unten hieb noch wacker drauf los, als gälte es, Franzosenköpfe zu spalten.

„Hast noch a Bisl an Schnaps?“ rief der Eine zu Mathias herauf, ein kleiner magerer Kerl, dem man die Kraft nicht zutraute, mit der er die Axt eben schwang.

„Nix mehr, David,“ dabei winkte Mathias mit der leeren Flasche. „Im Kob’l[1] is no eppas, trink a Wasser, das giebt Kraft! Bei dem Verdienst leid’s so kan Schnaps mehr! Bei dem schiach’n Holz vierundfünfzig Pfennig für’n Kubikmeter – da kannst’ D’r d’ Seel aus’n Leib außa hak’n und derhakst da no nix! – No – wenn heut’ der Forstner kimmt, sag i’s ihm frisch weg!“

„Und wann er da ist,“ erwiederte David, „sagst do nix! Immer die alte G’schicht; ös habt’s d’ Schneid net dazua!“

Der Alte mit der Säge hatte sich unterdeß auf einen Stumpf niedergesetzt und stopfte seine Pfeife, mit zwei Fingern in einer riesigen vergilbten Schweinsblase herumgrabend. Er lachte still vor sich hin bei dem Gespräch der Jungen.

„Für enk langt’s nacher a net,“ begann er, „ös versauft’s do am Sunnta all’s und verthuat’s es mit die Madeln. I bi an alt’r Loda[2] und arbeit dreißig Jahr auf dem Revier, es war ender schlechter wia jetz’ und daspart hab’ i’ mir dengerscht a bisei was fur die alt’n Tag. Hab a koa Bier g’sehn den ganz’n Summa –“

„Und wohl a koa Madl,“ fiel der Mathias lachend ein, „da bin i net dabei, Toni, i net!“

„Und i a net,“ rief der Kleine herauf, „freu’ mi jetz scho am Sunnta.“

„Und was willst am Sunnta?“ fragte Mathias.

„Tanz’n, Mathias, tanz’n, daß d’ alte Post unt’n wacklat wird!“ dabei schlug er auf die Schenkel und schnackelte mit der Zunge.

„Und mit wem willst denn gehn?“ führ Mathias lachend fort, „mit der Anna a mal net!“

„Und Du a net!“ fiel David ein, „dafür werd der Rupert sorg’n, Dei guater Freund! Er is grad ob’n bei ihr!“ Er deutete auf die Höhe, wo ein grüner Almenfleck sich saftig an das dunkle Himmelsblau anfügte. Der Giebel einer Almenhütte ragte fast schwarz daraus hervor. „Und bitt’s zum Tanz für nächst’n Sunnta, i hab’n g’seh’n wia i Butt’r g’holt hab’!“

„Oben is er?!“ Das Gesicht des Mathias verlor den früheren gutmüthigen Ausdruck, und unwillkürlich sah er auch hinauf. „Na! weg’n meina gnua! Und am Sunnta geht er mit der Anna zum Tanz nach S…?“

„Freili,“ erwiederte David, „hab’s ja selber g’hört, wia sie’s mit anand ausg’macht hab’n!“

„A netta Jaga! Am Sunnta zum Tanz gehn! I hab’ nix dageg’n,“ fügte er hinzu, „mir is glei liab’r so, nacher bleib’ i da!“

„Gieb Obacht, Mathias!“ David winkte mit dem Finger, „dem Rupert is net z’traun, der hat lange Füaß, in oaner Stund geht er auffi von S…!“

Der Alte erhob sich kopfschüttelnd und ging wieder an die Arbeit, dem nächsten Buchenstamme zu, der jetzt fallen sollte.

Mathias kerbte ihn auf der Seite, nach der er stürzen sollte, mit einigen Beilhieben ein. David und der Andere hieben wieder mit neuem Eifer drauf los. Ein Schwarzspecht ließ seinen klagenden Ruf vernehmen, Witterungswechsel verkündend. Die Säge knarrte wieder, sonst regte sich kein Leben in der Mittagshitze.

Die Männer merkten es in ihrem Eifer gar nicht, daß unterdeß ein junger untersetzter Mann in Jägertracht auf die Lichtung hinausgetreten war. Die graue Joppe mit dem gestickten Eichenzweig auf dem grünen Kragen, das Emblem mit der Krone am verwitterten Hut, den die Spielhahnfeder zierte, ließen in ihm den Forstmann erkennen. Es war der Gehilfe Reiser aus S… Das männliche Braun seines Antlitzes, der kohlschwarze mächtige Vollbart gaben ihm etwas Martialisches, aber eine gewisse Koketterie, mit welcher er das flotte Hütchen auf dem schwarzen wolligen Haar trug, stimmte nicht gut dazu. Auf einen mächtigen Bergstock sich stützend, den linken Arm auf die Büchse gelehnt, schaute er lange unbeobachtet der Arbeit zu. Sein schwarzer „Dachsel“ mit braunen Läufen war auf einen Stamm gesprungen und betrachtete von da aus bald die Arbeiter, bald fragend seinen Herrn, was er denn eigentlich wolle.

Plötzlich zog dieser einen gelben Maßstab hervor und legte denselben prüfend an einen abgeschnittenen Block, der eben abgerutscht und vor ihm an einem alten Stock hängen geblieben war.

„Mathias,“ rief er. „Was soll das heiß’n? Da sind schon wieder einige zu kurz abg’schnitt’n. Könnt Ihr denn net aufpass’n? Ihr wißt, daß der Förster es g’nau damit nimmt! Habt Ihr denn keine Aug’n im Kopf? Ich glaub’, Du hast Deine Gedank’n wieder wo anders, Mathias! Nimm Dich in Acht, es kost Dir sonst Dei Brot!“

Dieser sägte ruhig weiter und entgegnete kein Wort; Toni hörte so weit überhaupt nichts.

Der Forstgehilfe ging zu David, der ihm eine Prise aus der Birkendose bot.

[82] „Heiß macht’s, Herr Reiser! Und das Holz hat ’n Fluch. Der Peter unt’n klibt g’wiß fleißi’! Er bringt keine fünf Ster z’samm im Tag! Des macht zwei Mark! Des is do a Bisl z’ hart!“

„Wird schon wieder besser hergeh’n,“ entgegnete Reiser, „und dann thut Ihr’s auch net billiger! Das gleicht sich alles aus! Ihr habt’s so doch all’weil Geld im Sack! Woher kommt’s denn nachher, he? Heut früh hab’ i ein angeschoss’nes Reh g’fund’n, der Rupert hat ’s net g’schoss’n!“ Er schaute zu Mathias hinauf, mächtige Rauchwolken aus seiner Pfeife stoßend. „Der Mathias is net sauber! Warn’ ihn, David! Holzarbeiten und Wildern thut kein Gut in d’ Läng’, und leben muß er doch von der Arbeit!“

David lachte verschmitzt.

„Halt a Bisl a Tanzgeld’l tragt’s und ’s Renommiren, das is ja d’ Hauptsach! Sonst gilt’st ja nix mehr bei den Dirndel’n! Glaubt’s es wirkli, daß der Mathias –?“

Er zwinkerte mit den Augen nach oben.

„Thust wohl, als ob’st nix davon wiss’n thät’st und steckt’s do all’weil die Köpf z’samm! I glaub, Du bist no der Schlimmere, so klein D’ bist. Wenn der Rupert Euch derwischt, seid Ihr g’liefert. Thut mir leid, seid sonst tüchtige Arbeiter. War der Rupert denn heut’ schon da?“

„Na Herr, ob’n auf der Alm is er, weiß net, auf was er da paßt den ganz’n Namittag!“

„Aha!“ Reiser lachte; „er laßt net aus, er laßt net aus!“

„Wenn er’s hinbringt, hat er Recht!“ fügte David bei, „’s is bessa der Langbauer sein als a Jaga!“

Reiser zuckte die Achseln. „S’ is Geschmacksach’, i möcht net tausch’n!“

„Ja! Ihr –“ erwiederte David, „Ihr seid a Herr! Werdet a mal Först’r! Aber der Rupert bleibt halt der Rupert!“

Der Gehilfe ging aufwärts zu den Sägern. In den nackten Kniekehlen spielten gewaltige Muskeln, und trotz der Schwere des breiten Körpers war der Gang elastisch. Eben war wieder ein Baum gestürzt, und Mathias und der alte Toni warteten auf den Gehilfen.

Mathias machte sich am Boden zu schaffen. Im Dickicht scheute ein Reh; der rauhe Ton, der dem zarten Geschöpf nicht zuzutrauen ist, klang ganz nahe! Mathias gab es unwillkürlich einen Riß, die Jagdleidenschaft blitzte aus seinen Augen.

Reiser lachte. „No Mathias! Warum reißt’s Di denn so? Denkst wohl an frühre Zeit’n in Tirol drinn! Schlag’ Dir do die G’schicht’n aus den Kopf; es taugt nix! Schau, wir wiss’n, daß D’ net sauber bist! Wennst amal erwischt wirst – und der Rupert hat Dir’s geschwor’n – nachher verlierst Dei Arbeit, und drunt im Landgericht versteh’n ’s kein G’spaß mehr, seit der Leonhard erschossen word’n is!“

Mathias wurde dunkelroth.

„Der Rupert soll mehr thuan und wen’ger schrein! Am Tanzbod’n fangt ma die Wilderer net, Herr Reiser, und ’s Fluchen in die Wirthshäuser umanand fürchten s’ a net!“

„Hast net so unrecht, Mathias! Die Anna hat’n halt ganz verdreht!“ entgegnete Reiser. „Ja! die kann einen a verdreht mach’n, weiß Gott! a sakrisch Mad’l! Also Mathias –“ er drohte gutmüthig lächelnd mit dem Finger – „sei g’scheid!“

Dann ging er bergauf über den Schlag der Almenfläche zu.

„I glaub, den hat ’s a scho eing’fad’lt! Ja auf d’ Jaga is’s wia narrisch!“ murmelte Mathias, „und bin i denn net a oaner, wann a nur die Sonntag! Ja, wann der Rupert net wär!“

Der alte Toni hielt ihn zur Arbeit an, und von neuem griff er zur Säge, um einen gefällten entästeten Baum in einundeinhalb Meter lange Blöcke zu zerschneiden.

Die einförmige wiegende Bewegung des Sägens, die drückende Hitze machten ihn fast schläfrig – er nickte ein und nur mechanisch bewegten sich die Arme hin und her. Als er wieder aufblickte, sah er oben auf der Almfläche die Gestalt des Jägers, in der strahlenden Luft sich abhebend – der Gewehrlauf blitzte in der Sonne, die eben ihre letzten Strahlen über den Berg herüberwarf.

Eine finstere Wolke legte sich über sein Gesicht – er dachte gewiß nichts Gutes.

Reiser hatte sich unterdeß der Almhütte genähert; ein rother hochbeiniger Dachshund, wie man sie im Gebirge zu verwenden pflegt, sprang ihm bellend entgegen.

„Ah, der ‚Gams‘, no do is der Rupert freili net weit!“

Gams und Reiser’s Hund „Dierndel“ begrüßten sich als alte Bekannte; dann sprangen sie beide, sich balgend und überkugelnd, vor dem Kommenden her.

Ein Juhschrei, so klar und rein wie Quellwasser, tönte von der Hütte her, die niedrig, aus starken schwarzbraunen Balken gefügt, in einer kleinen Einsenkung lag. Vor der Thür stand die Almerin Anna, die Langbauerntochter von S…, eine prächtige, kraftstrotzende Gestalt! Ihr Gesicht war nicht schön, die Züge etwas zu derb, aber die braunen kräftigen und doch fein modellirten Arme, der wohlgeformte Nacken, der schneeweiß aus dem rothkarrirten Janker sich heraushob, die ganze Haltung des Körpers, das energische frische, schwarze Auge: das Alles ließ sie als ein echtes Bergkind erscheinen.

Im Kaser (Küche) brannte ein Feuer, dessen Schein ihre kräftigen Kontouren mit röthlicher Gluth einsäumte.

„Grüß’ Gott, Reiser!“ rief sie, „suchst den Rupert? Grad is er kema!“

„Grad?“ erwiederte lachend der Gehilfe, „ich will Di ja net ausfrag’n, deßweg’n bin i net kommen! I muß nur Dei Vieh aufschreiben, das is Alles, und wennst a Schal’n Kaffee für mi hast, hab i auch nix dageg’n, i riech’ so was!“

Er stellte Bergstock und Büchse in die Ecke und trat in den Kaser. Dort saß Rupert, der Jäger, vor einer Schüssel mit Kaffee, dessen angenehmer Geruch den Raum erfüllte.

„Grüß’ Gott, Reiser! Grad hab i geh’n woll’n!“ sagte Rupert.

„Aber was habt’s denn?“ erwiederte Reiser, „habt’s a schlecht’s G’wiss’n, weil Ihr Euch so vertheidigt, oder halt’s mich für an Spion vom Förster? Weg’n meiner kommst oder gehst, was kümmert’s mi!“

Anna setzte ihm eine schön geblumte Tasse mit dem duftenden Trank vor; sie hatte sie eigens aus ihrer Kammer nebenan geholt, für den Herrn Forstgehilfen. „Viel Glück!“ stand darauf, rosenumschlungen. Dann setzte sie sich an das blau angestrichene Butterfaß und begann zu rühren. Die Zwei löffelten schweigend den Kaffee aus.

„Hab’ eben wieder ein ang’schossnes Reh g’fund’n, Rupert, ganz frisch! Jetzt treiben si’s wieder stark, die Lump’n! Mußt ihnen einmal wieder tüchtig auf die Näht geh’n! Der Förster is ganz auseinand drüb’r!“

„Der Först’r? Der is selbst schuld dran! Hab’ i ihm net hundertmal g’sagt, er soll den Mathias entlass’n und den David? Es is koan Andrer als der Mathias; begegn’ i ihm im Revier, so geht er auf’n Arbeitsplatz; grad so der David, der Schlingenleger – aber wenn i eimal oan derwisch, mach’ i kurze Rechnung!“

„Wie nur d’ Mensch’n weg’n so an Stuck Wild einander so feind sein mög’n?“ warf Anna ein, „nix dümmer’s woas i meiner Seel net, und da will der Bua, daß i ihn heirath als Jag’r! Daß ma’n amal derschoss’n heimbringt und i in ew’ger Angst leb’n muaß!“

„No wann ’s wirkli so weit kommt und Du die Tochter vom Langbauern heirath’st, wirst wohl auf d’ Jagerei verzicht’n!“ sagte Reiser zu Rupert.

„Net gern,“ erwiederte dieser, „wann des amal im Bluat steckt, kann ma’s net so schnell ausreiß’n! Wenn’s d’ Anna net anders thuat, in Gott’s Nama! Aber sie braucht si a net z’schama, an ordentlich’n Jaga zum Mann z’hab’n!“

„No, Ihr werd’s Euch schon einig’n, denk i, net, Anna?“ Diese lächelte mit einem verliebten Blick gegen Rupert –

„I hoff’s, Herr Reiser!“

Rupert war aufgestanden und zu Anna hingetreten, er lehnte sich auf das Butterfaß und sah ihr in die Augen. Sein schwarzer Schnurrbart war in kecke Spitzen gedreht, sein ganzer Körper strotzte von Gesundheit und Kraft.

„Und doch hast die Jagerei so gern, Anna! Wann i so mit an Gamsbock heraufkomn’ zu Dir, da juchzest ganz anders als wann i leer komm’! Mei’ Lebtag war’n d’ Almerinna und d’ Jag’ guat Freund, und werdn’s a bleib’n!“ Dabei packte er sie bei den vollen Armen, daß das Butterrad stehen blieb, zog sie an sich und drückte einen herzhaften Kuß auf ihre vollen Lippen. In demselben Augenblick stand Mathias unter der Thür mit einem irdenen Krug und betrachtete spöttisch die verliebte Gruppe.

[94] Gut’n Abend, Leut!“ sprach Mathias, der soeben erschienen war und mit spöttischen Blicken Anna und Rupert betrachtet hatte.

Nur Reiser erwiederte den Gruß, die andern sahen und hörten nichts. – Jetzt bemerkte ihn Anna.

„Was willst, Mathias?“

„Du wirst jetzt koa Zeit hab’n! A Milch brauchet i, es langt nimmer für ’n Schmarn! Laß Di net stör’n, i kann scho wart’n!“

Anna ward über und über roth, gerade für den Mathias war diese Scene nicht bestimmt. Rupert kehrte sich ärgerlich um.

„Ueberall bist doch um d’ Weg, wo ma Di net braucht! ’s is ja do no net Feierabend!“

Die beiden Männer sahen sich mit gehässigem Ausdruck an. Mathias mit dem echten Germanenkopf, dem rothblonden Bart, den hellblauen Augen, Rupert mit dem südlichen Typus, der dunklen Hautfarbe, dem pechschwarzen Schnurrbart. Die Antipathie der beiden Rassen schien in ihnen verkörpert zu sein.

„No, bei Euch wär’ grad a net Feierabend!“ entgegnete Mathias, „’s giebt all’weil z’ thun im Revier, b’sunders jetz, wo so viel g’wildert wird, wia i hör!“

„Wenn Du da bist, dann fehlt nix im Revier! – Lach nur! A mal geh ’st mir do ei; dann is Feierabend für Di; dafür steh i Dir guat!“ entgegnete Reiser.

Anna war mit dem gefüllten Krug wieder gekommen.

„Was hab’n’s denn allweil mit Dir, Mathias? Laß ihna do de paar Reach (Reh)! Di mach’n s’ net glückli, bist ja sonst a tüchtiga Bua!“

Ueber Mathias’ verdrossenes Antlitz zog es wie Freude bei diesen freundlichen Worten.

„Hast Recht, Anna, ’s is a net halb so arg als ma’s macht, aber, mei Gott, oa Freud’ muaß der Mensch do hab’n, wenn eam sonst All’s g’nomma werd!“

Anna hielt den durchdringenden Blick nicht aus, den Mathias jetzt auf sie richtete. Sie wußte, was er mit dem „All’s“ meinte.

Reiser hatte unterdeß seinen Stutzen genommen und ging zur Thür hinaus.

„I geh mit,“ sagte Rupert und packte zusammen.

„Also am Sunnta, Anna, sieht ma Di auf d’r Post?“

„Dös is g’wiß, Herr Reiser, da darf i net fehl’n! B’hüt Gott mit anand!“ Rupert faßte sie um die Taille und flüsterte ihr etwas in das Ohr, sie nickte zustimmend mit dem Kopfe.

Es war schon Abend geworden, die Felswände drüben erglänzten im rothen Licht, über dem Thale lagerten blaue Schatten, von nah und fern ertönte das melodische Geläute der weidenden Rinder; vom Schlag herauf hörte man den Schall der Axt – da war noch immer nicht Feierabend.

Rupert und Reiser waren bald im Walde verschwunden, sie wollten noch eine Pürsche auf einen Rehbock machen. Mathias ging mit dem Krug abwärts, oft blieb er stehen und sah auf die Alm zurück, aber Anna zeigte sich nicht mehr, sie hatte wohl im Stall zu thun – dann ging er kopfschüttelnd weiter.

„Wenn der Rupert net wär’, wer woaß!“ murmelte er vor sich hin – „wer woaß, was All’s sein kunnt!“

Als er hinunter kam, war die Arbeit beendet; aus dem Dache des Rindenkobels zog schon blauer Rauch empor.

David, der alte Toni und der Klieber saßen um die Herdstelle; Jeder kochte sein Abendbrot auf eigenem Feuer. In den großen Pfannen brodelte das Schmalz. Toni machte sich soeben einen tüchtigen Schmarrn zurecht, während David mit seinen Fuchsaugen den Preßknödeln zusah, wie sie im Schmalze sich blähten und immer brauner wurden. Der Klieber rührte in einem dicken Mehlbrei, daß der Schweiß ihm auf der Stirn stand.

Mathias begnügte sich mit einem Stück Brot, ihm war nicht ums Essen. –

Draußen war die milde Sommernacht eingefallen; der Kauz rief im Buchenwald seinen schwermüthigen Ton; in der Schlucht nebenan rauschte der Bergbach, in den Wipfeln brauste es geheimnißvoll, Leuchtkäfer zogen ihre mystischen Kreise, ein kräftiger Harzgeruch stieg auf von den gefällten Bäumen, und fern am Horizonte zuckte es hie und da elektrisch auf.

Die Leute steckten ihre Pfeifen in Brand, der alte Toni kroch ins Heu, seine alten Knochen bedurften der Ruhe. Da trat Reiser in den Lichtkreis. – Die hohe Gestalt war etwas gebeugt, er hatte einen Rehbock im Rucksack.

„Is Rupert no net da? Wir hab’n uns hier z’sammab’stellt.“

„Werd wohl schwerli mehr komma,“ entgegnete Mathias, der eben mit Kennermiene den Bock prüfte, den Reiser in die Ecke gelegt. „A sauber’s G’wichtl![3] Es freut mi, daß es ’n g’schoss’n habt’s, dem Rupert hätt’ i ’n net vergunnt!“

Auch David machte sich mit dem Bock zu schaffen. „I moan, dös is an alt’r Bekannt’r!“ lispelte er Mathias ins Ohr, „aus ’n Erlgrund, kennst ’n net am G’wichtl?!“

„Wo hab’n’s den g’schoss’n, Herr Reiser?“ fragte er laut den Gehilfen.

„Im Erlgrund, mach’ schon die vierte Pürsch d’rauf!“

David stieß Mathias heimlich in die Seite. Reiser fing nun auch an, sein Abendbrot zu kochen, und David sprang dienstfertig um ihn herum, blies das Feuer auf, holte frisches Wasser und setzte sich dann mit seiner kleinen Holzpfeife in die Ecke.

Mathias ging vor die Thür und blickte gegen die Alm hinauf, die schwarz in den Nachthimmel hineinragte. Das Fenster rechts war beleuchtet – ein kleiner rother Punkt – an dem blieb sein Auge haften. Was dort oben vorgehen mag? Seine Gesichtszüge wurden düster, drohend schüttelte er die geballte Faust hinauf, dann setzte er sich auf einen Baumstumpf und brütete vor sich hin. –

Oben saßen Rupert und Anna in der kleinen sauberen Stube und versprachen sich Treue fürs Leben. Sie hat ihm das Versprechen abgeschmeichelt, die Jägerei lassen und ein tüchtiger Bauer werden zu wollen. Er sagte zu Allem Ja. Er hatte ja jetzt schon die Jagd vergessen über ihren schwarzen Augen. Nächsten Sonntag sollte er bei ihrer Mutter förmlich anhalten und dann auf der „Post“ die Verlobung gefeiert werden. Sie flüsterten und kosten ins Endlose fort. Der rothe Gams war schon längst darüber eingeschlafen, er hatte sich’s im „Kreischter“ bequem gemacht, sein Herr fragte nicht nach ihm. Durch das offene Fenster zog die würzige Nachtluft, ein unbestimmtes Tosen erscholl vom Thal herauf, hier und da schwebte ein Glockenton herein von einem sich bewegenden Rind, – sie merkten’s nicht, daß die Kerze schon heruntergebrannt war, plötzlich erlosch sie, brenzlichen Qualm verbreitend.

Anna ging hinaus, that noch einen Blick gegen den Sternenhimmel, der in erhabener Ruhe über den Berggipfeln sich spannte, sandte einen Juhschrei hinaus in die Nacht in der Ueberfülle ihres Glückes und verschloß die Thür.

Mathias saß noch immer vor dem Kobel. Als der rothe Punkt verschwand, den er zuerst verflucht, ward’s ihm noch ärger zu Muthe. Die Finsterniß erzeugte noch schrecklichere Bilder in seiner Phantasie, und der Juhschrei klang wie Hohn vom Berge.

Er ging in die Hütte und grub sich ins Heu, wo die Anderen schon um die Wette schnarchten. Schlafen konnte er nicht – er starrte in die verglimmende Gluth am Herde.

„Ja, wenn der Rupert net wär’, wer woaß –!“




2.

Ein herrlicher Sonntagmorgen stand über der Rainalm. Die Messingringe an den Milchkübeln draußen vor der Thür blitzten im Sonnenlicht; in der Küche war Alles blank geputzt und gescheuert: die rothblinkenden Kupferpfannen an den Wänden, der große Kessel über dem Herd, die farbigen Tassen und Teller in den Gestellen. Selbst die Leitkuh, die träumerisch in der Nähe der Hütte stand, hatte das breite gestickte Glockenband um, mit dem sie im Frühjahr so stolz auf die Alm gezogen. Aus ihrem rosigen Maul troff es zu beiden Seiten wie Silberfäden; und die [95] Katze auf der Bank wurde nicht müde, ihr glänzendes Fell zu putzen und zu schlecken.

Drinnen im Stübchen stand Anna vor dem kleinen Spiegel; sie beugte sich nach allen Richtungen, um ihre mächtige Gestalt ganz in dem kleinen Glase erblicken zu können. Ein dunkelblauer Seidenrock legte sich in breiten, schweren Falten um die prallen Hüften, das schwarze Mieder war vorn mit dichten Ketten über silberne Haken geschnürt und hob den kräftigen Wuchs des Mädchens aufs Vortheilhafteste hervor. Eben war sie im Begriffe, ein weißes, mit bunten Blumen durchzogenes Seidentuch kunstgerecht um den Nacken zu schlingen, als ein Juhschrei draußen ertönte, den sie, mitten in ihrer Putzarbeit, von Herzen erwiederte. Das Mieder drohte zu springen bei den aus voller Brust dringenden Tönen, die den engen Raum durchschmetterten.

Rupert trat ungestüm ein, auch im Sonntagsstaat. Vom grünen Hut wehte ein mächtiger Gamsbart, die kurzen Kniehosen strotzten von grünen Stickereien. Die reich gestickten Strümpfe waren offenbar ein Geschenk Anna’s; denn ihr erster Blick fiel darauf, ob er sie wohl heute anhabe. Dann sah sie ihm ins Gesicht, in die freudestrahlenden Augen – er war wirklich ein schöner Mann!

Sie entzog sich auch nicht seiner stürmischen Umarmung und achtete es nicht, daß er den schönen seidenen Rock ganz zerdrückte.

„Bist firti, Anna? ’s is höchste Zeit, wenn ma’ no ins Amt komma woll’n. Dei Muatta will’s hab’n und heut därf’ ma’s bei Leib net verzürna! Sie werd Schreck’n gnua ausstehn, wenn i auf eimal herausplatz mit mei’n Antrag! Sie hätt’ Di liaba mit an reich’n Bauern g’seh’n als mit an Jaga! Aber sie is so viel guat und hat Di so gern! I denk’, sie kann net na sag’n!“

„Wennst in d’ Hand nei versprichst, daß d’ Jagerei lass’n und a richtiga Bauer werd’n willst, nacher hat’s koan Haken – aber das wird s’ verlanga, Rupert, und i kann ihr’s net verdenka! A Bauer muaß a Bisl an Stolz hab’n, er is a freier Mann und a Jaga – is a Knecht – schaug’s an wia’s magst.“

„I hab nix dageg’n, wenns mi a anfangs hart ankomma werd’, wenn i auf d’ Berg naufschau’ und den Gams zuschau’n muaß mit der Heugab’l! Aber es werd si scho macha, dafür hab i ja so a schöne liabe Bäurin, daß i mi gar nimmer sehna werd nach die Berg. – Aber jetz mach, mit dem Plauschen kemma wir net nach S…!“

Anna setzte ihren Hut mit den goldenen Tressen auf, brockte einige Reseda und Pelargonien von den Blumenstöcken am Fenster und steckte sie ins Mieder, auch Rupert’s Hut schmückte sie damit, dann machte sie noch einen Knix vor dem Spiegel, ob auch Alles in Ordnung, gab dem Kuhbuben, der draußen den Stall reinigte, ihre Weisung für den Tag und folgte Rupert den Berg hinunter. Die rings herum lagernden und weidenden Kühe sahen erstaunt dem Paare nach; sie schienen ihre Pflegerin gar nicht mehr zu erkennen; nur einige junge Rinder liefen blökend zu ihr und schnupperten an ihrem Gewande. Sie streichelte ihnen die krause Stirn. „I kimm scho wieda, Bleß!“ sprach sie zu dem einen Thier, das sich besonders zärtlich zeigte.

„Du tanzt ja a gern auf der Alm umanand, und d’ Anna möcht’s heut a probir’n, schau’!“ – Rupert ermahnte sie zur Eile.

„Du woaßt ja gar net,“ sagte sie im Fortgehen, „was ma’ für a Liab hab’n kann zu dem Vieh, und wie ein’ de Arbeit freut, wann a Seg’n is im Stall und die liab’n Vicher – wo Du jed’s oanschichtige kennst und liab hast – aufatrieb’n wer’n auf d’ Alm mit Bleameln und Kränz an’than, und wann der Herbst kimmt und oa Fuada Heu nach dem andern in die Tenna rollt und d’ Foll’n (junge Pferde) richti satt zum Verkauf! Das woaßt Du ja net, wie schön das is!“

Ihr Angesicht glühte vor Erregung.

„Aber i werd’ Dir’s scho lerna, Rupert, Du sollst auf d’ Gamsböck bald vergess’n!“

Sie mußten, um auf dem nächsten Weg ins Thal zu kommen, über den Buchenschlag gehen. Da war es heute still. Zaunkönige schlüpften, wie Grillen zirpend, durch das am Boden liegende Astwerk; das monotone Pochen eines Spechtes klang von einer dürren Buche her, als schlüge man Nägel in einen Sarg.

„Da is Alles schon ausg’flog’n, scheint’s,“ sagte Rupert, „muß doch schau’n, ob der Mathias no da is!“

Vor dem Kobel saß der alte Toni, aus einem alten Maserkopf rauchend und vor sich hinträumend.

„Na, Toni, ganz allei?“ fragte Rupert.

„Alles davo, in all’r Herrgottsfruah!“ entgegnete Toni; „nach S. h’nunta, da werd’n ’s ihr Geld wieda los, was d’ ganz Woch’n z’sammg’arbet hab’n! Wia ma nur so dumm sei ko!“

„Und Du, Toni, bleibst Du d’n ganz’n Sunnta herob’n?“ fragte Rupert.

„Hab’ nix z’ suacha unt’n, seit mei Mari g’storb’n is! Da herob’n taugt’s ma am best’n. A guat’s Wassa! – A guate Schmalzkost! – Mei Ruah, und wann i aufsteh’ den andern Tag frisch zur Arbeit! Was will i mehr!? Ja, wia i no jung war, war ’s freili anders –“ Er lachte still vor sich hin. – „Da hat’s koan zwoat’n geb’n, – nach der Arbet – wohlverstand’n! – Also mit der Anna,“ fuhr er fort – „hm! – hast Dir’s net schlecht aussa g’suacht, i woaß oan, der Dir neidi is d’rum, Rupert!“

„Oan? I wüßt mehra!“ entgegnete dieser.

Anna wurde roth; sie wußte wohl, wen der Toni meinte.

„Und was sagt d’ Langbäu’rin dazua, Anna? Die hat ja all’weil hoch naus woll’n mit Dir! Is ihr jetz der Jaga gut g’nua?“

„D’ Muatta hat mi gern!“ erwiederte Anna, „und kenna thuat s’ mi a, was i für ’n Kopf hab, sie wird si scho d’rein find’n!“

Toni nickte.

„Und wann is nacher d’ Hochzeit?' Ös schaut’s net her als wollt ’s lang wart’n.“

„Des wirst no früah g’nua erfahr’n,“ entgegnete Anna, „wir san no net so weit – jetz pfüa’t Gott, Toni! Unterhalt’ Di guat mit Deine Bam!“

„Is der Mathias mit den Andern ganga?“ fragte der Jäger.

„Sell woaß i net,“ erwiederte Toni, „der wor scho dahi, eh i aufgewacht bi. Werd ihm wohl pressirt hab’n, – er werd Euch halt net begegna woll’n. Verdenk ’s eam a net, dem arma Tropf!“

Rupert und Anna entfernten sich über den Schlag; Toni sah ihnen kopfschüttelnd lange nach.

„Wann’s nur guat ausgeht! A Jaga und a Bauerndirn, thuat selt’n guat!“ murmelte er vor sich hin.

Die Beiden gingen voll Glück und Lebenslust durch den schattigen Buchenwald. Sie hatten sich viel zu sagen – wie sie die Mutter zur Einwilligung bewegen wollten und wie dann Alles weiter kommen müsse.

Ehe sie es merkten, waren sie schon unten im Thal angelangt. Von allen Seiten bewegten sich geputzte Landleute gegen das Dorf zu, dessen Häuser auf einem Wald von Obstbäumen herauslugten; in der Kirche läutete es schon zum Amt.

Sie beeilten ihre Schritte; der Langbauerhof war am obern Ende des Dorfes und sie wollten die Mutter in die Kirche abholen.

Als sie durch die Dorfstraße gingen, blieb Alles stehen und steckte die Köpfe zusammen. Daß die Zwei zu einander hielten, wußte man, aber heut’ zum ersten Male traten sie öffentlich mit einander auf und in ihren glückstrahlenden Gesichtern las man Alles.

Die Bauern lieben die Jäger nicht; ein alter Haß lodert hier, der nimmer erlischt. Viel Blut ist schon darüber geflossen – auf beiden Seiten, und beinahe Jeder im Dorf weiß, wie es beim heimlichen Pürschgang im Walde zugehen kann und wie die Kugeln pfeifen, die nicht fürs Wild bestimmt sind! Dazu kommt, daß der Bauer jeden Nichtansässigen, jeden Dienenden gering schätzt; selbst vor dem Beamten hat er mehr Furcht als Achtung!

Darum waren die Blicke größtenteils keine freundlichen, die das Paar jetzt trafen. Ein Jäger soll eine der besten Bauerntöchter heirathen im Dorf. Das war eine Anmaßung ohne Gleichen von ihm, von ihr aber eine Mißheirath im vollsten Sinne des Wortes.

Die Beiden kümmerten sich nicht um all’ das Gezischel und Geguck und schritten munter vorwärts dem Langbauerhof zu.

[96] „Wenn wir d’ Muatter nur no z’ Haus treff’n, sie versamt si’ net gern in d’ Kirch’n!“ erwähnte Anna.

Sie bogen von der Hauptstraße ab in einen engen Fußweg, der mit Kirschbäumen eingefaßt war.

Anna zupfte plötzlich Rupert am Arme.

„Da kommt d’ Muatter uns entgeg’n! Jesses! mir werd auf eamal so angst, wenn i denk’, daß sich jetz all’s entscheid’n soll!“

Auch Rupert war sichtlich beklommen, er zupfte sein Halstuch zurecht, rückte den Hut und räusperte sich wie Jemand, der eine Rede vom Stapel lassen will.

Zwischen den Kirschbäumen, deren rothe Frucht schon verlockend aus dem Grün heraussah, näherte sich eine gebückte Frauengestalt, auf einen Krückstock gestützt. Sie mußte eine statttiche Erscheinung gewesen sein, die Langbäuerin! Das hohe Alter konnte ihr eine gewisse Würde nicht rauben, die noch immer aus den regelmäßigen, sehr ernsten Zügen, den noch immer klaren blauen Augen sprach. Unter der schwarzen Haube ringelte sich schneeweißes Haar hervor; ihr Anzug war schwarz, sie trug sich seit dem Tod ihres Mannes immer so, nur aus einer silbernen Schließe von alter Arbeit, die ihr schwarzes Halstuch zusammenhielt, leuchteten zwei Rubinen. In der runzligen, gebräunten Hand trug sie ein großes Meßbuch. Sie ging so tief gebückt, daß sie die Beiden nicht herankommen sah.

„Muatter,“ sagte Anna, als sie auf wenige Schritte zusammengekommen waren. „Da bring i den Rupert!“

Die Alte stieß mit dem Stock auf die Erde, erhob ihr Antlitz, mit der Hand es gegen die Sonne schützend; die kleinen Fältchen zwischen den Augenbrauen zogen sich noch mehr zusammen.

„Anna!“ rief sie erstaunt, dann deutete sie mit dem Krückstock auf Rupert.

„Und Du! Was willst Du vo mir, Jag’r Rupert?“

Der drehte verlegen seinen Hut zwischen den Fingern und stieß unbemerkt Anna, sie solle ihm aus der Verlegenheit helfen.

„Muatterl! wir hab’n ja drüber g’sproch’n vorige Woch’, weißt’ nimmer, Muatterl?!“

Die Alte griff mit der Hand, wie um die Erinnerung zu wecken an die Stirn, dann sah sie Beide groß an.

„Das wär’s!“ sie lachte bitter. „Kannst net no a Jahr’l wart’n, nacher brauchst mi ja nimma dazua! Wann des der Vater d’ erlebt hätt, des war was word’n! A Bauerstochter und a Jaga! Das is a g’spaßige Zeit!“ Sie schüttelte den Kopf. „Doch jetz is koan Zeit über so was z’red’n, Anna! Erst gehn ma ins Amt, es is ja scho z’ spat – vielleicht giebt uns’r Herrgott uns an guat’n Rath! Dann woll’n ma drüber red’n, dahoam! Geht’s nur voraus, i komm scho nach!“

Ihre Stimme zitterte, eine Thräne fiel auf das Gebetbuch.

Schweigend zogen die Beiden zur Kirche, die Alte folgte langsam – ihr Blick ruhte auf dem schmucken Paare. „A eig’ne Zeit!“ wiederholte sie immer wieder, „a eig'ne Zeit!“

[110] Als die Bäuerin mit ihrer Tochter und Rupert in die Kirche kam, hatte das Amt schon begonnen. Bei ihrem Eintritt sah Alles auf aus den vergilbten Gebetbüchern; die Köpfe der Nachbarinnen näherten sich merklich, ja es schien zur Orgel hinauf, zum Organisten die Neuigkeit schon gedrungen zu sein; denn er griff aus Zerstreuung einen so falschen Ton, daß sogar die alten Bauern die Köpfe hoben.

Anna ging auf die Seite der Mädchen, Rupert oben hinauf auf die Emporkirche, wo die jungen Burschen waren. Er hatte eine schöne Stimme und sang oft im Chor mit. Die Mutter trat in den aus Eichenholz geschnitzten Betstuhl, auf dessen Wand groß „Langbauer“ stand.

Der Pfarrer war schon beim Evangelium angelangt. Die Gemeinde hatte sich lärmend erhoben, dann klappte er das große Meßbuch zu, wandte sich gegen die Zuhörer und begann die Predigt, die Erklärung des Evangeliums.

Alles setzte sich jetzt. Die sonore Stimme des Geistlichen schlug in monotonen rhythmischen Wellen an die mächtigen weißen Kirchenwände, an die Ohren der Zuhörer. Das Geräusper und Gehuste der alten Leute ertönte störend dazwischen; stickender Weihrauchsdunst schwebte in langgezogenen Schwaden gegen die gewölbte Decke zu; durch die hohen Bogenfenster brachen die Strahlen der Morgensonne, in der tausend Staubkörperchen auf und ab tanzten.

Von den zopfigen Seitenaltären blickten verzerrte Gestalten mit blutenden Gliedern unter allerhand Flitter und Rauschgold hervor. Die schwere Atmosphäre, die warmen Sonnenstrahlen, die eintönige Stimme des Geistlichen legten einen süßen Halbschlummer über die ganze Gemeinde; Köpfe nickten wie schwere Aehren, gläserne Blicke starrten ins Leere – nur selten sah man ein Gesicht, auf dem ein Eindruck der langen Rede haften blieb.

Anna hatte jetzt Zeit zum Nachdenken, aber auch damit ging es nicht recht; sie fühlte die Blicke Rupert’s vom Chor her auf sich haften; ganz heiß wehte es gegen ihren Nacken, als ob er einen Kuß darauf drückte. – Wenn sie aufsah, fiel ihr Blick auf das Gemälde des Seitenaltars vor ihr: es stellte den heiligen Sebastian vor, aus unzähligen Pfeilwunden blutend, den schmerzverzerrten Blick zum Himmel gerichtet. Heute kam es ihr plötzlich vor, als gliche das Gesicht des Heiligen dem Rupert. Das strömende Blut, die klaffende Wunde machten sie jetzt schaudern, sie wußte selbst nicht warum. Wenn sie ihn so sehen müßte, so blutüberströmt – sie fühlte bei diesem gräßlichen Gedanken, der ihr so plötzlich gekommen, wie lieb sie ihn habe! – Zuweilen beobachtete sie die Mutter drüben im Stuhl, die tiefgebeugt da saß, wie ein altes Bild anzuschauen. Was sie sich dachte, konnte man den starren Zügen nicht absehen, und doch hätte Anna es gar zu gerne wissen mögen.

Endlich war die lange Predigt zu Ende. Manche hoben fast erschreckt die Köpfe, als der Priester verstummte, die Orgel brauste wieder durch die Wölbung; die Geigen und Klarinetten ertönten schrill, neue Weihrauchwolken wallten empor, die Gestalt des celebrirenden Priesters in geheimnißvolle Nebel hüllend.

Endlich ist das Amt zu Ende. Mitten im Accord bricht die Orgel ab, und Alles eilt der Thür zu.

Anna nimmt die Mutter am Arm und folgt der Menge. Draußen vor der Thür wartet schon Rupert; dann gehen sie, zwischen den Gräbern hindurch, dem kleinen Pförtchen zu, am Südende des Kirchhofs. Kein Wort wurde gesprochen. Bei einem Grabmal in rothem Sandstein blieb die Mutter stehen – „Hier ruht der ehrenwerthe Hanns Leitner, Langbauer zu S.“ stand darauf.

Sie nahm den kleinen Tannenzweig, der in dem Weihwasserkessel am Gitter steckte, und besprengte das Grab. Anna und Rupert thaten dasselbe. Die Alte knieete vor dem Gitter nieder und verbarg das Antlitz in den Händen. Sie fragte ihren Hanns da unten um Rath in dieser schweren Angelegenheit – Thränen drangen zwischen den Fingern hervor. Auch Anna war’s weh ums Herz, recht weh, sie wußte selbst nicht warum. Plötzlich erhob sich die Mutter, sie schien nicht mehr so gebückt zu sein; ein strenger Zug lag auf ihrem Gesicht, und bei jedem Schritt stieß sie energisch mit dem Stock auf den Boden. Anna und Rupert gingen ihr zur Seite und warteten ängstlich auf den Beginn der Unterredung. Doch die Alte sprach kein Wort unterwegs. Von der „Post“ herüber klang schon Tanzmusik, und ein Strom von geputzten jungen Mädchen und Burschen eilte lachend und scherzend der Richtung zu. Auch Reiser in der kleidsamen Forstuniform begegnete ihnen; er lachte verschmitzt, als er die ernste Gruppe sah.

„Das ist eine böse Stund’ für ’n Rupert,“ dachte er sich.

Im Hof angekommen, gingen sie in die untere Wohnstube, die Alte vor, die zwei Andern wie Verurtheilte, sich gegenseitig durch Blicke ermuthigend, hinterher. Die Mutter nahm auf der Ofenbank Platz, schwer athmend von dem etwas steilen Weg.

[111] „Setzt Euch!“ sagte sie kurz.

„Also Du willst den Rupert heirath’n, Anna?“ fing sie an, „muast net bös auf mi sei,“ wandte sie sich dann zu dem jungen Mann, dem der Schweiß auf der Stirn stand – „wenn i grad net erfreut bin über die G’schicht! Du magst ja a recht braver Mensch sei, woaß a nix Schlimm’s von Dir, aber – ’s giebt im Leben an Unterschied, da hilft all’s nix, net nur bei die Herrisch’n in der Stadt drinn, a bei uns Bauersleut! Die Langbauern sitz’n schon zweihundert Jahr auf dem Hof, geachtet und geehrt von Jedermann – a ächt’s Bauernbluat. Du bist a einfacha Jagersknecht –.“ Rupert zuckte zusammen, er wurde dunkelroth und wollte etwas erwiedern. – Die Alte winkte ab. „Nur net hitzi, Rupert, bei mir frucht’ dös nix – und wenn’st a d’ königliche Kron am Huat tragst – wir liab’n und schatz’n n’ hoch unsern König, mei Großvater selb’n liegt am Sendlinger Kirchhof drinn begrab’n. Das macht all’s nix, ja i sags off’n – wennst a viel Höchera warst, a Studirter, a Amtmann oder so was – i gäbet’s Dir do net gern mei Anna! Zur Bäu’rin g’hört a Bauer, so war’s von jeher Brauch hier zu Land. Wie i jung war, hat ma dös gar net anders g’wußt; die Leut hab’n no mehr Stolz g’habt auf ihr’n Stand! Jetzt is all’s anders! Einer will so viel sei als der and’re, nix werd mehr g’acht, koan Ehrfurcht giebt’s mehr – net vor der Muatter – net vor Gott! –“ sie stampfte wieder mit dem Stock auf den Boden. Ihr Greisenantlitz röthete sich vor innerer Entrüstung.

„I bin nur froh, daß i nimmer lang da bleib’n muaß auf dera verkehrt’n Welt!“

„Aber, Muatta,“ fiel Anna ein, „d’ erzürnt’s Euch do net so! Wir san ja da, um Euch um Eure Einwilligung z’ bitten! Auf den Knie’n d’rum z’ bitten!“

Sie kniete vor der Alten und barg schluchzend das Gesicht in ihrem Schoße.

„Mi bitt’n?“ erwiederte herb die Bäuerin, „und wenn i nun Na sag, was dann? Kommt dann der Rupert nimma auf d’ Alm zu Dir? Wissen’s denn nit scho alle Leut im Dorf, daß ös Liebsleut seid? Und wenn er’s dann a mal gnua hat und Di nimmer mag und Di verlass’n thuat, wenn er Di vorher in Schimpf und Schand’ bracht hat – o Gott! i mag gar net dran denk’n, Anna, es brechat mir’s Herz!“

„Aber, Muatterl,“ fiel nun schüchtern Rupert ein, „warum halt’s mi denn für gar a so schlecht? I hab’s halt gern d’ Anna. Wenn i a arm bin und nur a Jaga, darnach fragt d’ Liab net!“

„Für schlecht halt i Di deßweg’n net,“ erwiederte die Alte, „aber jung bist, und so g’nau hab’n ’s d’ Jaga nia g’nomma. Manche woaß davo zu d’erzähl’n! Manche is unglückli wor’n fürs ganze Leb’n! Und d’ Anna is a jung und heißblüati, und i möcht net Schuld sei an ihr’m Unglück! So nah am Grab g’wiß net! Darum, Anna, frag’ i Di no mal: kannst net leb’n ohne den Rupert? Hast’n wirkli so gern – bedenk’s wohl! – Ich seh’ koa Glück d’rinn, und wenn i das Opfer brächt’, nur um Di unglückli z’ sehn – das wär’ hart!“

Sie hielt sich mit der zitternden Hand an der Schulter der Tochter und verbarg weinend ihr Antlitz in das Brusttuch.

„I kann’s net anders sag’n, Muatter, als daß i den Rupert über All’s gern hab, daß i ihn zum Mann nehm’ oder koan! Sonst thät i Euch g’wiß den Kumm’r d’ erspar’n! D’rum gebt’s uns Euern Seg’n wir werd’n ’s Euch dank’n unser Leb’n lang!“

Die Alte kämpfte sichtlich in ihrem Innern.

„Guat,“ sagte sie endlich, „wenn’s net anders sei kann, liaba als daß i a Schand mit Dir derleb’, Anna – da habt’s mein Seg’n!“

Die Beiden knieten vor ihr, sich fest die Hände drückend. Die Alte legte die zitternden welken Hände auf die jugendlichen Scheitel.

„Werd’s glückli – wie i’s war mit mei’m Hanns, und Gott gäb’s, daß net wahr is, was i denk’!“

Zum offenen Fenster klang die Tanzmusik von der „Post“ herauf, und Böllerschüsse dröhnten durch das Thal, in den Bergen langsam vergrollend.

Die Alte mußte sich setzen, die Aufregung war zu groß. Nun, da sie ihre Einwilligung gegeben, war ihr Ernst geschwunden; jetzt waren es ja ihre Kinder, und auch Rupert war nicht mehr der Jäger, sondern ein Familienmitglied, der Erbe des Langbauernanwesens!

Sie hörte gespannt den Plänen zu, welche die jungen Leute, von denen jetzt der Bann genommen, lebhaft entwickelten: wie Rupert fest entschlossen sei, die Jägerei aufzugeben und ein tüchtiger Bauer zu werden, der gewiß dem Anwesen keine Schande machen soll. Auch Anna, der das Glück aus den Augen strahlte, versprach ihr immer aufs Neue, wie gut sie selbst es nun haben solle, wie brav und lieb der Rupert sei, und durch die Seele der Alten ging ein Erinnern an längst vergangene glückliche Stunden. Rupert’s tüchtiges Wesen machte ihr einen guten Eindruck. Sie betrachtete ihn fast schon mit Wohlgefallen; er stammte ja am Ende auch von Bauersleuten, wenn seine Familie auch verarmt war.

In Kurzem gelang es den jungen Leuten, die Mutter ganz herumzukriegen; zuletzt strahlte sie selbst wieder vom Glück ihrer Tochter und sah sich schon als Großmutter im jungen Hausstand. Man sprach auch schon von der Hochzeit, man wollte nicht lange mehr warten, noch vor dem Winter sollte sie sein und Rupert um seine Entlassung aus dem Jägerstand nachsuchen.

So verging der Vormittag, sie merkten’s kaum. Das Mittagessen wurde aufgetragen, der Oberknecht und die Dirnen setzten sich mit an den Tisch.

„Das is der künftige Bauer!“ erklärte ihnen die Alte, auf Rupert weisend, „steckt’s net lang d’ Köpf z’samm, wia dös so kumma is – warum? Es is so und bleibt so, wem’s net paßt, der kann geh’n.“

Die Leute kannten schon die barsche Weise der Bäuerin und daß sie es nicht so bös meinte, sie betrachteten nur neugierig das Paar und löffelten schweigend die Suppe aus.

Als das Mahl zu Ende, forderte die Alte selbst die jungen Leute auf, zum Tanz zu gehen in die „Post“.

„Jetzt wo’s mir recht is,“ sagte sie, „frag’ i den Kukuk nach dem G’red der Leut, bis nächst’n Sonntag les’n sie’s ja so scho an der Kirch’nthür!“

Das ließen sich die Zwei nicht noch einmal sagen. Sie hatten Angst genug ausgestanden und so geschwitzt hatte Rupert in seinem Leben noch nicht. Sie umarmten die Mutter, daß ihr ganz schwindlig wurde von diesem jugendlichen Feuer, und eilten der „Post“ zu.

Die alte Frau sah ihnen lange kopfschüttelnd nach, nahm dann ihr großes Gebetbuch und setzte sich in dieselbe Ecke, wo sie ein Leben lang gewohnt war, Aufmunterung und Trost aus den großgedruckten vergilbten Blättern sich herauszulesen.

Auf der „Post“ aber ging’s lustig her: zum hundertsten Male ertönte derselbe Walzer vom Tanzboden herab und die Fensterscheiben zitterten von dem Gestampfe der Tanzenden.

In dem tollen Wirbel da oben bemerkte man gar nicht die Ankunft des neuen Paares. Da stampfte, pfiff und schrie Alles durch einander in einer Wolke von Staub und Rauch. Die lärmende Musik schmetterte drein, eine glühende Hitze herrschte in dem engen Raum, Alles war in unbestimmte Nebel gehüllt, aus dem hier und da ein erhitztes Mädchengesicht – blaue und rothe Röcke hervorleuchteten.

Rupert und Anna, von einer unbändigen Freude und Lebenslust erfaßt, stürzten sich mitten in dieses Treiben, ihre hohen Gestatten überragten alle Andern. Als die Töne verklungen waren und die Paare in die Wirthsstube sich begaben, um andern Platz zu machen, wurde man erst auf die Beiden aufmerksam; wie ein Lauffeuer ging es durch die Menge. „Der Rupert und die Anna!“ – sie waren die Helden des Tages.

„Wie hat’s ganga mit der Alt’n?“ fragte Reiser, der schon einige Gläser über den Durst genossen zu haben schien – „giebt s’ nach?“

„All’s in Ordnung!“ entgegnete Rupert absichtlich laut, „die Anna is mei Braut! In Herbst is d’ Hochzeit und mit der Jagerei is aus!“

„No, i gratulir, i gratulir, Herr Langbauer! Die Birsch’n auf d’ Rainalm hab’n si guat rentirt, möcht’ a so eine mach’n! No, jetzt giebt’s do amal a lustige Hochzeit und a Schiaß’n, denn das muaßt halt’n – Du muaßt Di do zu guat’r Letzt no ordentli ausschiaß’n!“

Auch David war da, eben drückte er sich durch die Menge; er hatte auch die Neuigkeit gehört und wollte seine Glückwünsche anbringen.

„Is der Mathias net da?“ fragte ihn Rupert.

[112] „Na, Herr Rupert, der is nach M… ganga zu sein Bas’l (Kousine), wie er g’sagt hat’ dem muaß a was durch d’n Kopf gehn der hätt sonst heut’ net g’fehlt!“

Das verstimmte den Jäger, daß Mathias nicht da war; er ahnte, wo er war – beim Wildern! Sein Pflichtgefühl regte sich, sein Jägerehrgeiz – immer wieder von diesem Burschen gefoppt zu werden! Er gehörte am Sonntag ins Revier, nicht auf den Tanzboden, und wie ihn auch die Verhältnisse entschuldigen mochten, es setzte doch einen Verweis, wenn’s der Förster erfahren würde. Seine Gedanken waren draußen, er fühlte sich nicht mehr wohl da. Anna merkte seine Verstimmung.

„Ja was hast denn jetzt an so an glücklich’n Tag? G’wiß hat Dir der Reiser wied’r eppas in d’n Kopf g’setzt!“

„Der Mathias is net da,“ entgegnete er, „Du weißt so guat wia i, wo er is!“

„Aber laß do den Mathias sei, wo er will, was kümmern Di denn jetz no die Dummheit’n! Sei froh, daß Du’s los werst!“

„Net so, Anna , no bin i im Dienst und möcht’ net mit Unehr ’raus gehn, und dem Mathias möcht’ i’s gern no zeig’n, eh’ i geh’.“

Ihre Mühe, ihn aufzuheitern, war umsonst; auf jedem Gesicht glaubte er ein spöttisches Lächeln zu bemerken, das ihm galt; er wußte ja, daß sie ihn Alle nicht leiden konnten, besonders seit heute, und so fand er versteckte Bosheiten in den harmlosesten Worten der Leute.

Zuletzt sah Anna ein, daß es besser sei zu gehen, am Ende fing er gar noch Händel an. Auch war es schon bald gegen sechs Uhr, und sie wollte nicht so spät nach der Alm kommen.

Sie gingen zuerst nach Hause, um der Mutter Adieu zu sagen, die erstaunt war über ihre frühzeitige Rückkehr.

„Seid’s vernünfti, Kinder!“ sagte sie, „Du Anna, vergiß über die Liab net d’ Wirthschaft auf der Alm, und Du, Rupert, net Dein Dienst, so lang Du dafür bezahlt werst. Du sollst in Ehr’n entlass’n werd’n i möcht’ net, daß heißt: mei Tochter hat Di nachlässi g’macht; ich hab’ scho so was g’hört, weißt! No, die vierzehn Tag wirst Di wohl no z’samm nehma könna!“

Die Beiden versprachen Alles. Rupert war von den Vorwürfen, die er sich die ganze Zeit schon selber gemacht und die er jetzt auch von der alten Frau hören mußte, bitter getroffen.

„I werd die Leut scho zeig’n, Muatta, daß der Rupert no Jag’r is! Verlaß Di d’rauf! Nächst’n Sonntag werd’ i kam komma, da will i amal im Revier bleib’n! – Jetz b’hüat Gott, Muatta, und no amal taus’nd Dank für Dei Guatheit! Du sollst’s g’wiß net bereu’n, was than hast!“ Der Abschied war kurz, es ging ja nicht weit.

Die Sonne war schon hinter den Felsschroffen verschwunden. Ein kühler Luftzug wehte von den Bergen her; es war ein herrlicher Weg an diesem späten Sommerabend. Zuerst zwischen Heuhaufen hindurch, deren aromatischer Duft Alles umwogte; dann dem Fußsteig nach über die Matten und weiter hinauf durch die mächtigen, schon dämmernden Hallen des Hochwaldes, die nur dann und wann noch einen Lichtschein durchließen. Die Beiden waren ganz in sich verloren, unbewußt nur gingen sie den gewohnten Weg. Plötzlich dröhnte ein Schuß durch die abendliche Stille; ein zweiter folgte; Nachtvögel flogen erschreckt auf aus den dunklen Wipfeln; ein Reh schallte im Dickicht. Rupert fuhr jäh in die Höhe. Die Schüsse waren in seinem Reviere gefallen seiner Berechnung nach dem Wolfsschlage zu, hinter der Rainalm, und Wilderer mußten es gewesen sein; das Personal war ja alles unten in S.! Ein heißer Strom schoß ihm zu Häupten – das war ja der reine Hohn!

„Mathias is, koan Andrer,“ sagte er heftig zu Anna. „I will glei in d’n Kob’l schau’n, ob er da is – is er net da, so erwart i ihn und wenn d’ Sonn drüber aufgeht!“

Er stürmte voraus, dem Arbeitsplatz zu. Anna konnte ihm kaum folgen in der Finsterniß. Endlich erreichten sie nach langem Herumstolpern über Wurzeln und Gestein den Schlag.

Im Kobel brannte Feuer, und ein Mann bewegte sich davor; er erschien schwarz in dem grellen Schein. Rupert betrachtete ihn genau, er glaubte zu seinem Erstaunen Mathias zu erkennen; auch Anna sah angestrengt hin. Die Gestalt verschwand jetzt wieder. Rupert sprang eilig über den Schlag, Anna zurücklassend, die langsam nachfolgte.

Näher gekommen, fand Rupert den alten Toni, der eben kochte, und – er traute seinen Augen kaum – Mathias, der das Feuer schürte.

Diesmal war er’s also gewiß nicht, vielleicht auch sonst nicht; der es heute war, konnte es auch früher gewesen sein – am Ende hatte er Mathias doch Unrecht gethan! Es reute ihn fast, ihn so verdächtigt zu haben.

„Gut’n Abend, Leut!“ sagte er beim Eintreten, „habt Ihr kein Schuß g’hört vor a paar Minut’n?“

„Ja wohl, Herr Rupert!“ entgegnete Mathias, „den hab’n ma g’hört, gegen d’n Wolfsschlag zua – zwei hinter anand – ja, die Tiroler hab’n halt a g’wußt, daß was los is in S.,“ er konnte seine Freude darüber kaum verhehlen, „schad’, daß i da bin – sonst heißat’s glei: der Mathias war’s!“

Rupert mußte seinen Aerger verbeißen, diesmal war Mathias in seinem Recht. Unterdeß war auch Anna eingetreten.

„Na, da is er ja!“ sagte sie in ihrer offenen Weise, als sie Mathias erblickte, „mir is ordentli a Stoa vom Herz’n, daß Du da bist!“

„Aha,“ entgegnete dieser, „da hab’n ma’ ’s scho! d’ Anna kann si net verstell’n – natürli – i hab’s sei müass’n.“

Das waren neue Keulenhiebe für Rupert; also sein Revier war der Tummelplatz aller Wilderer: der Rupert is ja net z’ fürcht’n!

„Und warum glaubst Du,“ fragte er plötzlich Mathias, „daß das Tiroler war’n?“

„Weil i zwoa über d’ Laanaschneid hab einasteig’n sehn heut Nachmittag, wia i mei Bas’l b’suacht hab in M…! – Ja, die hab’n a woltere Schneid; de brauchas s’ d’erwisch’n und wann’st d’ as d’ erwischt, nachher hoaßt ’s erst aufpass’n; dö san net verleg’n um a Kugel; der Leonhart hat ’s erfahr’n.“

Rupert stand auf und reichte Mathias die Hand.

„Des mal hab i Dir Unrecht than, ob all’weil, woaß i net. Die vier Woch’n, wo i no Jag’r bi, werd i auf allerhand kumma, verlaß Di d’rauf!“

Mathias sah erstaunt auf – ein Gedanke blitzte in ihm auf, daß ihm das Blut in das Gesicht trieb.

„Nur mehr a paar Woch’n? Und nacher?“

„Nacher bin i Langbauer!“ erwiederte nicht ohne Stolz der Jäger.

Mathias sah starr auf die Beiden. Der alte Toni verschüttete fast das ganze Schmalz vor Staunen.

„No da gratulir i!“ preßte Mathias mühsam hervor, sich zu Anna wendend, „das is schnell ganga! Wer hätt dös dacht vor an Jahr, wie wir am Leonharditag auf der ‚Post‘ war’n mit anand und mit anand auffigang’a san auf d’ Alm, wie Du heut’ mit ’n Rupert!“

Er sah Anna durchdringend, fast drohend an, daß sie verlegen wurde.

„Was doch a Jahr all’s ändern kon!“

Auch dem Jäger war die Wendung, die jetzt das Gespräch zu nehmen drohte, sehr unangenehm. Er wußte wohl, daß vor ihm Mathias in einem nähern Verhältniß zu Anna gestanden hatte. Es war ihm nicht eingefallen, darüber nachzugrübeln; auf der Alm ist es einmal so, und man ist nicht so skrupulös im Gebirg. Jetzt auf einmal kam ’s ihm, daß Mathias ihn hassen müsse als seinen Nebenbuhler.

„Schau, schau, die alt’ Langbäuerin – hat di a der Zeit nachgeb’n müass’n! Das, wann der Hanns wüßt’, im Grab draha’t er si no um in sein Stolz!“ sprach der alte Toni vor sich hin.

Rupert nahm Anna am Arm und ging; es war ihm nimmer recht heimlich hier.

Draußen war jetzt pechschwarze Nacht; in der Ferne grollte der Donner; ein Gewitter war im Anzuge, und schon fielen schwere Tropfen raschelnd auf das Laub.

„Siehst, daß den Mathias Unrecht thun hast!“ begann Anna, „i hab’ D’r ’s ja g’sagt!“

„Laß mi do mit d’m Mathias in Ruah! A Lump is er do!“ rief erregt der Jäger, „wann i mi a heut g’irrt hab; übrigens sag a mal –“ er blieb stehen und ergriff beide Hände des Mädchens – „wie weit bist Du eigentli komma mit dem Mensch’n; er hat ja grad ’than, als hätt i Di ihm weg’g’schnappt; sag’ mir ’s ehrli, Anna!“

[114] „Nachg’lauf’n is er mir halt,“ entgegnete sie, „Schritt und Tritt, i hab’s eam net verwehr’n können und –“ sie stockte etwas – „ungern g’sehn hab’n i a net! Er is ja a saub’rer Bursch und a braver Mensch – von Liab war freili no koa Red’ – daß eam grad’ di Nachricht von unserer Heirath koä Freud g’macht hat, kann i eam net verübel’n! Da müaßt er koa Mannsbild sei!“

Rupert entgegnete nichts. Es begann jetzt stark zu regnen, und grelle Blitze zuckten über den Buchenwald, daß er für Augenblicke im blauen Licht stand. Sie stiegen eilig aufwärts. Alle Freudigkeit der Natur war verschwunden und eben so der Frohsinn in ihren Herzen. Als sie durchnäßt und athemlos vor der Alm angekommen waren, nahmen sie Abschied; er mußte in die Winterstube, die nicht weit von der Alm gelegen war, wo er sein Jagdzeug zurückgelassen hatte; in aller Früh’ wollte er im Dienst sein. Anna drückte den Geliebten fest an sich, und als eben ein Blitz die Landschaft erhellte, sah er Thränen über ihre Wangen rollen.

„Was hast denn, Anna?“ sagte er, „an so an Freud’ntag woana?“

„Mir is so bang, Rupert, als wenn a Unglück unterweg’s wär’, es preßt ma d’ Thräna ’raus, i kann nix dafür!“

„A was, das hat g’wiß der Mathias verschuld’ mit sein G’schwätz, und ’s G’witter macht eim a so bang! Morg’n muß i zum Förster, weg’n mein Abschied, nacher komm i zu Dir! Wie d’ Sonn scheint, is all’s anders! Pfüa’ Gott, Anna, mei liabe Anna! Das war ja a freudiger Tag, der soll net so ausgeh’n!“

Ihre Küsse schallten durch die Nacht, dann verschwand Anna in der Hütte.

Rupert stieg den schmalen Steig zur Jägerhütte hinab; Blitz auf Blitz zuckte, in grellem Schein den Weg beleuchtend. Als er unten war, sah er noch einmal gegen die Hütte hinauf und that einen Juchschrei. Niemand antwortete, und selbst bedrückt ging er durch die Nacht, die ihnen Allen heute keine Ruhe bieten sollte; nicht der Anna, die im Stübchen auf den Knieen lag vor dem schmerzverzerrten Heiland in der Ecke, in unbewußter Herzensangst – nicht für Rupert, den der Schlaf floh auf seinem Heulager und den wüste Träume quälten – nicht für Mathias, den die Qualen der Eifersucht wie Schlangenbisse vom Lager trieben. Dazu brüllte der Donner unaufhörlich, Blitz auf Blitz zuckte hernieder, schwefligen Geruch verbreitend – tosend stürzte der Bergbach, vom Regen angeschwellt, in die Tiefe.

[124]
3.

Am andern Tage ging Rupert zum Förster, seinem Vorgesetzten, zeigte ihm seine Verlobung an und bat ihn um seine Entlassung bis 1. September. Dieser, ein im Dienste ergrauter, pflichttreuer Forstmann, empfing ihn nicht sehr freundlich.

„Hab’s schon g’hört,“ begann er, „daß Du am Sonntag auf der ‚Post‘ warst, so, das is freilich a gute Zeit für die Wilderer, wenn der Jäger am Sonntag zum Tanzen geht! Das hätt’ doch kein Gut mehr than mit Dir, ich hätt’ Dir’s heut so wie so sag’n müss’n. Alle Tage fast hört man Schüsse im Revier oder find’t ein ang’schoss’nes Wild! Ich hätt’ Dir wirklich mehr Ehrgeiz zutraut, Rupert! Wie ich no jung war, mich hätt’ so was zu Tod g’wurmt!“

„Und meina’s, Herr Förster, mi wurmt’s net?“ entgegnete Rupert, „aber was will i denn mach’n, der Mathias –“

„Laß mich aus mit dem Mathias,“ fiel ärgerlich der Förster ein, „gestern war’s der Mathias net! – der soll Alles ausessen – natürlich! Mach’ wenigstens jetzt bis 1. September Dein Dienst fleißig, ich kann kein Nachseh’n hab’n weg’n der Anna, und später habt’s Zeit g’nug zum lieb hab’n!“

Rupert war ganz zerknirscht von diesen Vorwürfen, deren Berechtigung er wohl fühlte.

„Verlass’n’s Ihna d’rauf, Herr Förster, die Woch’ bring’ i no oan,“ sagte er, fast weinend vor Zorn und Schamgefühl, „gilt’s was mag, so will i selb’r net aus ’n Dienst geh’n! Nur acht Tag lass’n’s mir Zeit, Herr Förster, wenn i nacher no nix z’weg’n ’bracht hab’, nacher dürfen’s mi an schlecht’n Jaga hoaß’n!“

„Nur net so hitzig, Rupert,“ entgegnete der Förster, „mit der Hitz fangt man kein, ich kenn’ die G’schicht’ aus Erfahrung! Thu’ Dei Schuldigkeit, mehr verlang’ ich net! Jetzt adieu!“

Er neigte sich wieder über seine Akten und schrieb weiter, der Jäger verließ die Kanzlei.

Fangen mußte er den Wilddieb noch vor seinem Abschiede, das stand fest. Den ganzen Weg vom Dorf bis auf die Rainalm, wo er der Anna gleich auf mehrere Tage Adieu sagen wollte, überlegte er angestrengt, wie es am besten anginge. Daß Mathias gestern nicht dabei war, verwirrte ihn, vielleicht war er auf ganz falscher Fährte. Anna traf er in vollster Arbeit, sie war wieder so heiter wie immer. Er hatte gestern ganz Recht: wenn die Sonne scheint, wird Alles wieder anders.

Er hielt sich nicht lange auf.

„Vor drei Tag’n wirst mi schwerli seh’n, Anna, hab’ koan Angst deßweg’n und vergiß den Rupert net!“ Er gab ihr einen Kuß und eilte davon, gefolgt von „Gams“.

Absichtlich vermied er den Arbeitsplatz der Holzknechte – sie brauchten nicht zu wissen, wohin er ginge – und schlug die entgegengesetzte Richtung ein, in die Berge. –

Zwei Tage vergingen. Anna hatte so viel zu thun, daß ihr die Sehnsucht nach ihrem Geliebten nicht ankonnte; sie war eine gesunde Natur, die sich mit Nachdenken überhaupt nicht plagte.

Mathias kam nicht mehr, um Butter oder Milch zu holen, wie gewöhnlich, sondern der kleine David, der konnte ihr nicht genug des Guten von Rupert erzählen: was das für ein braver Mensch sei und wie gern er sie hab’! Er sprach fast zu viel, als daß er es ehrlich hätte meinen können, so kam es Anna vor. Auch [125] von Mathias erzählte er, wie der sich abkümmere und ordentlich mager werde, alles aus Eifersucht.

„Was kann da i dafür,“ sagte Anna, „wenn’s Alle vernarrt in mi san, i schaff’s ja koan, i kann’s a koan verbiet’n! Er wird si scho wieder tröst’n; aus unglücklicha Liab stirbt ma net heraus in die Berg’, g’rad’ nur in der Stadt bei die Herrisch’n!“

„Na, na, red’ net so!“ erwiederte David, „wann jetz Dei Rupert plötzli sterb’n thät, was thät’s D’ denn nacher?“

„Dumm’s G’schwätz, wie kommst denn da d’rauf, der Rupert!“

„Na – und wenn halt do – man sagt ja bloß!“

„Dann wüßt i freili net, was thuan, und steinunglückli wär i g’wiß,“ sagte sie, „aber sterb’n, wie sollt i denn sterb’n! Mei Muatter is a net g’storb’n und hat d’n Vater g’wiß gern g’habt; aber was red i denn über so a dumm’s Zeug! Des kann nur Dir einfall’n in Deina Bosheit.“

Dann kam wieder die lange Feierstunde, und Anna saß, wenn das Vieh gut versorgt, mit dem Strickzeug auf der Bank vor der Hütte. Da sah sie wohl oft scharf nach den Berglehnen hinüber, ob sie nicht irgendwo seine Gestalt entdeckte, aber kein lebendes Wesen war zu sehen, nur Geier zogen ihre Kreise in der blauen Luft hoch über den Wänden.

Am dritten Tag – es war Mittwoch, in der Frühe, und Anna war eben mit dem Buttermachen beschäftigt – stürzte David athemlos herein.

„Habt Ihr’s scho g’hört vom Rupert?“

Anna war todtenblaß geworden.

„Ja, was denn? Wie kannst mi denn so derschrecka?“

„An Wilderer hat’r g’fangt, an Tiroler! Er hat’n scho eing’liefert unten beim Förster. Der zwoat is ihm auskomma, na, er wird selber net lang aus sei – ja, a Teufelskerl, der Rupert!“

„Gott sei Dank. daß er endli oan d’rwischt hat, jetz wird die Stichelei do amal aufhör’n, denk i! – Is am End g’fährli zugang’n? Hast nix erfahr’n? – Und i bin so ruhig g’wes’n gestern Abend, derweil er vielleicht in der größt’n G’fahr war!“

„Hab’ weit’r nix g’hört! Aber wenn i recht siech, kummt er scho auffi –“ er lief einige Schritte nach vorne – „ja wohl, er is scho, i kenn’s am ‚Gams‘! Jetz wirst glei all’s hör’n!“

Es war wirklich Rupert, von Weitem schon winkte er ihr entgegen.

Es hielt sie nicht länger, sie lief direkt auf ihn zu, daß die Zöpfe flogen, und fiel ihm um den Hals.

„Is d’r endli ’nausganga, Gott sei Dank! No und der Förster, der wird g’schaut hab’n! Ja – wie is denn zuganga? erzähl’ – erzähl’ do –“

Sie ließ ihn gar nicht zu Worte kommen vor Eifer.

David näherte sich, er wollte die Geschichte auch hören.

„Da is net viel zu d’erzählen! I hab die Lump’n grad troff’n, wia’s an Gamsbock aufbroch’n hab’n, der Oane is mir durch; den Andern hab i nimma auflass’n vom Bod’n, wie er sich a g’wehrt hat! I sag’ Dir’s, Anna, jetz bin i wieder a ganz andrer Kerl, es hat ma all’s verleid, die ewig’n Vorwürf!“

„Und habt’s den Andren net kennt?“ fragte neugierig David, „den, der durch is?“

„Na, kennt hab i ’hn net! Wenn i net g’wiß wüßt, daß der Mathias zur selb’n Zeit in der Arbeit war – sagat i: er war’s, so ähnli hat er ihm g’sehn!“

„Der is net von der Arbeit kumma die ganz Woch’, dös kann i b’zeug’n!“

„Brauchst’s net,“ erwiederte Rupert, „i weiß ja selbst, aber wia ma si nur so täusch’n kann!“

David eilte hinunter; er brannte darauf, seinen Kameraden die näheren Umstände erzählen zu können.

Die Beiden gingen der Alm zu. Alle Wolken schienen jetzt zerstreut; kein Mensch konnte mehr Rupert Lässigkeit im Dienst vorwerfen.

„Jetz laß aber g’nua sei,“ sagte Anna, „g’sehn hab’n sie’s jetz, daß D’ ein fanga kannst, mehr braucht’s nimma!“

„Werd’n si in der nächst’n Zeit kaum mehr blick’n lass’n, glaub’ i,“ entgegnete Rupert; „müaßt’s g’rad der Andre no a mal probir’n woll’n!“

Sie gingen in die Hütte.

David sprang wie ein Reh bergab, um die Neuigkeit noch warm den Kameraden aufzutischen, die mit Axt und Keil unter den Buchen wütheten. Mathias war offenbar ärgerlich über den unvermutheten Erfolg des Jägers.

„Der muaß’s hübsch dumm ang’stellt hab’n,“ sagte er, und David stimmte ihm bei.

„Bei uns,“ lispelte er ihm ins Ohr, „wird er si schwarer thuan, der Herr Jaga!“

„Wart’ nur auf’n Sonntag,“ entgegnete er; „da geht er ja do wieder ’nunter zur Alten!“ Er schwieg, als der alte Toni dazu trat.

„Schau, schau! der Rupert! Jetzt is er hoaß; nehmt’s Euch in Acht, Buab’n!“ brummte der Alte.

Der Vorfall war natürlich zum Tagesgespräch geworden; Jeder dachte an seine eigenen Streiche in diesem Fache. Viele hatten selbst schon gesessen wegen Wildfrevel; die Sympathie war, wie immer, auf der Seite des Ertappten, der draußen auf dem Landgericht eingesperrt seiner Verhandlung entgegensah.

Rupert war wirklich „heiß geworden“, wie der alte Toni sagte; der letzte Erfolg stachelte seinen Ehrgeiz und er hatte die Schüsse, welche vorigen Sonntag Abend gefallen waren, nicht vergessen. Im Geheimen hatte er immer noch Mathias im Verdachte, wenn er auch am Sonntag nicht dabei war. Die Eifersucht, die instinktive Abneigung gegen den Burschen trug wohl auch viel dazu bei. Er hatte seinen Plan schon gefaßt; er wollte sich den Anschein geben, als ginge er mit Anna nach S., falls er vielleicht von irgend einer Seite beobachtet würde, unterwegs aber umkehren und den ganzen Tag sich im Reviere aufhalten.

Anna wollte auch wirklich am Sonntag wieder einmal ihre Mutter besuchen; Rupert ließ sie beim Glauben, er gehe mit, schützte jedoch im letzten Augenblick einen Auftrag des Försters vor, der ihn irgend wo hinschicke wegen eines Holzgeschäftes. Den wahren Grund verschwieg er. Begleiten wolle er sie ein Stück weit. Wie vor acht Tagen war er in aller Frühe schon [126] auf die Alm gekommen, um Anna abzuholen. Sie gingen zusammen über den Schlag hinunter, Rupert ging in den Kobel, scheinbar um sich die Pfeife anzuzünden, die ihm ausgegangen. Alle waren da und eben beschäftigt, ihre Sonntagstoilette zu machen.

„Wohin scho wieda?“ fragte David.

„Mit der Anna zur Muatter,“ erwiederte Rupert, „’s giebt allerhand z’reden jetz!“

„Dös glaub’ i scho, und Ihr dürft’s scho Feiertag mach’n nach der guat’n Wochenarbet!“ sagte lachend David.

Der Jäger glaubte zu bemerken, daß Mathias und David sich einen raschen Blick zuwarfen.

Er hielt sich weiter nicht auf, und kaum waren sie auf dem eigentlichen Fußsteig nach S. angekommen, so nahm er Abschied von Anna. Die wollte ihn ungern ziehen lassen.

„I thät’s scho verantwort’n beim Förster,“ sagte sie; „d’ Muatter hätt’ a rechte Freud, wann i Di mitbrächt! Und off’n g’sagt, seit den letzten Sonntag Abend, wo das G’witter war, is mir immer Angst um Di! I hab kein Ruah. wenn D’ net da bist!“

Sie zog ihn gewaltsam vorwärts, und er schien schon unschlüssig, was er thun sollte, plötzlich aber machte er sich los.

„’s is ja heut das letzt Mal, daß Du allei geh’n muaßt; in a paar Tag kommt mei Entlassung, nacher is ja so aus! Grüaß ma d’ Muatter schö, sie hat ja selb’r g’sagt neuli, i soll nix versäuma, und Ihr könnt’s ja allei all’s ausmach’n!“

Er gab ihr nicht einmal mehr einen Kuß, er fürchtete für seine Standhaftigkeit – mit einem raschen Sprung setzte er vom Weg abseits über die Gräben und war gleich darauf im Dickicht verschwunden.

Anna rief ihm nach: „Aber komm g’wiß vor Nacht auf d’ Alm, sonst sterb i vor Angst!“

„Vor Nacht kimm i, verlaß Di d’rauf!“ tönte es aus dem Walde.

So lange sie die rauschenden Schritte, das Geknack der Aeste noch hörte, blieb sie stehen, dann ging sie, eine unerklärliche Unruhe im Herzen, weiter.

Die Mutter traf sie zu Hause; sie fühlte sich nicht wohl und konnte nicht einmal ins Amt gehen, überhaupt erschien sie Anna in diesen acht Tagen gealtert, die Furchen auf der Stirn schienen noch tiefer gegraben und die matten Augen hatten rothe Ränder wie von vielem Weinen.

„Aber Muatter, was fehlt Dir?“ fragte besorgt Anna.

„Ja, so was geht an uns alte Leut net vorüber, Anna! I hab’ die ganze Woch’n so d’rüber nachdenkt über Euch, und da is mir halt mancher Zweif’l aufg’stieg’n, ob i a Recht hab’ nachz’geb’n! Vielleicht machst D’ mir a mal an Vorwurf d’raus, is Alles scho dag’wesen. Uebrig’ns“ – sie sah sehr erst in das blasse Gesicht Anna’s – „siehst Du a net zum Best’n aus; das is koan Almafarb, Dierndl! Was hat’s denn ’geb’n, wo is denn der Rupert?“

„Ja, das is ja, Muatter, was mi martert! Drauß’n is er im Dienst, und da hab’ i halt a Bis’l Angst. Mei Gott, g’rad wenn der Mensch recht glückli is, fürcht er si vor All’m am meist’n, ’s is einem g’rad, als gunnet man’s eim da oben net!“

„Aber, Anna, was san dös wieder für gottlose Red’n! Das g’fallt mi von Rupert, daß er mein Rath g’folgt und fleißi im Dienst is, das zeigt, daß er a Mannsbild is, der si a bezwing’n kann.“

So trösteten sie sich gegenseitig, eine freudige Stimmung kam aber nicht recht auf. Gegen fünf Uhr verließ Anna das elterliche Haus, sie wollte Rupert nicht versäumen, der vielleicht schon oben auf sie wartete. Sie hatte keine Ruh’; es trieb sie ordentlich fort, und als sie das Dorf im Rücken hatte, schlug sie einen förmlichen Laufschritt ein, daß die ihr Begegnenden erstaunt ihr nachsahen. Oft mußte sie stehen bleiben, um Athem zu schöpfen; ihr Gesicht war in Schweiß gebadet, die Zöpfe hatten sich unter dem Hut gelöst und hingen herab. Die Sonne war schon hinter den Bergen verschwunden, breite kühle Schatten deckten das Thal; sie war nicht mehr weit von der Stelle, wo sie von Rupert sich getrennt. Jetzt ging’s nicht mehr; sie fühlte arges Seitenstechen und mußte sich auf einen Stein niedersetzen; es war ja auch noch Zeit, denn vor Dunkelwerden kam Rupert sicher nicht auf die Alm.

„Wie ung’schickt bist do, Anna,“ sann sie vor sich hin, „aus laut’r Einbildung so z’laf’n! D’ Lungasucht könnt ma sich hol’n; der Rupert wird lach’n, wenn i eam das verzähl’.“

Sie lachte selbst bei diesem Gedanken.

Da fiel ihr ein, daß sie ja nicht mehr weit vom Kobel der Arbeiter sei, da konnte sie ja rasten und hätte doch eine Ansprach’, die sie beruhigen könnte. Sie erhob sich und eilte weiter.

Plötzlich grollte es an der Bergwand zur Rechten, dann zog’s durch die Thalschlucht und grollte weiter sich langsam verlierend.

Sie blieb stehen und lauschte mit offenem Munde, das Herz schlug ihr bis an den Hals – stürzte ein Baum oder war’s ein Schuß? Aber heut is Sonntag, da wird ja net g’arbeit. Jetzt prasselte es wieder gegen die Wand – das war ein Schuß! – kein Zweifel – das Erste war auch einer gewesen. Sie hätte aufschreien mögen, so kam jetzt die Angst über sie.

„Sollte der Rupert – und warum denn nicht? Er kann ja ein Wild geschossen hab’n, dazu ist er ja da – und wo sind die Schüsse überhaupt gefallen? Vielleicht in einem andern Revier.“

Diese Gedanken zogen alle in einem Moment durch ihr Gehirn. Sie raste jetzt den Berg hinauf; die Arbeiter oben wußten vielleicht Bescheid. Sie achtete nicht das Gestrüpp, das ihr Kleid in Fetzen riß; von einer dunkeln Ahnung getrieben, eilte sie durch dick und dünn, den nächsten Weg auf den Kobel zu. Sie riß die Thür auf, der dunkle Raum schien leer, der Herd war kalt.

„Wer is?“ rief plötzlich eine verschlafene Stimme, aus dem Heulager im Hintergrund, und die Gestalt des alten Toni erhob sich.

„I bin’s, d’ Anna!“ keuchte sie förmlich hervor, „war der Rupert net da heut’ Namittag?“

„Na!“

„Hast d’ Schüss’ net g’hört vor a paar Minut’n?“

Na, i hab g’schlaf’n, werd’n halt auf an Rehbock ganga sei!“

Anna war verzweifelt ob dieser kurzen Antworten.

„Und wo is der Mathias?“ fragte sie plötzlich, den Raum vergebens nach ihm durchmusternd.

„Seit der Fruah is er furt, zu seim Bas’l hat er g’sagt! Aber was hast denn Du?“ fragte er jetzt. als er näher getreten, ihr glühendes Gesicht, ihre ganz erschöpfte Gestalt betrachtet hatte. „Wo kommst denn her in dem Zuastand?“

Anna gab ihm keine Antwort mehr, sie eilte von Neuem der Höhe zu. Dort allein konnte sie Näheres erfahren und am Ende war er schon oben.

„Wo nur der Mathias sei muaß – der B’such zu der Bas’l kommt a Bis’l zu oft,“ dachte sie, „sollt’ do der Rupert Recht hab’n? –“

Sie stolperte nur so dahin über die tiefen Löcher, die das Vieh getreten, über die Steine, die am Boden lagen.

Es dunkelte bereits. Als sie einige hundert Schritte vor der Hütte angekommen, schrie sie laut „Rupert“ – keine Antwort – in einer Minute war sie vor der Thür.

„War der Rupert da?“ schrie sie den Gaisbuben an, der ihren Ruf gehört.

„Hab’ nix g’seh’n.“

„Hast d’ Schüss’ g’hört vor einer halb’n Stund?“

„Die hab i g’hört, gegen d’ graue Wand zua, moanet i, daß g’wes’n is!“

Also auch hier war er nicht, und schon brach die Nacht herein; ein Unglück war geschehen! Blitzartig kam ihr die feste Ueberzeugung davon; der eine Schuß hatte ihm gegolten, dem Geliebten! Die Kniee wankten ihr vor Entsetzen bei diesem Gedanken. Jetzt kam ihr der heilige Sebastian in Gedanken, der Körper mit den blutenden Wunden, das bleiche Gesicht, das sie vor acht Tagen so entsetzt – wenn er auch so blutig wo läge – hilflos! Das Grauen packte sie. Sie eilte in das Stübchen. entzündete am ganzen Körper bebend, das Licht. Dann ging sie wieder hinaus und starrte in das Dunkel, horchte athemlos, ob nicht Schritte sich näherten, darauf lief sie gegen den Bergabhang hin und schrie was aus der Kehle ging: „Rupert! – Rupert!“ Aber – pert! – pert! – hallte es höhnisch von der Wand gegenüber; sonst Schweigen der Nacht, nur ein leises Lüftchen bewegte rauschend die Wipfel der Bäume.

Jetzt eilte sie hinein. warf ein Tuch um, zündete eine kleine Laterne an und eilte über die Almfläche dahin.

[127] „Ja, wohi denn, Anna?“ rief, erschreckt der Gaisbub, „in der Finstern!“

Sie gab keine Antwort; sie eilte der grauen Wand zu, da wo die Schüsse gefallen sein sollten – vielleicht konnte sie ihn finden, vielleicht lag er verwundet oder mit zerbrochenem Fuß. Das Licht hüpfte gespenstisch durch die Nacht; die Trägerin war schon längst im Dunkel verschwunden; von ferne erklang heiser ihr Ruf: „Rupert! – Rupert!“

Dem Buben war’s unheimlich, er schlug ein Kreuz und verkroch sich ins Heu. Das Licht war längst verschwunden.

Nach einer halben Stunde tauchte es wieder auf wie ein blutrother Stern – keuchender Athem tönte durch die Nacht.

Anna kehrte zurück mit aufgelösten Haaren und todtenblassem Antlitz, aus dem fieberhaft die Augen leuchteten.

In dem zerrissenen, bis oben beschmutzten Sonntagsstaat glich sie einer Irren. Sie sank erschöpft auf die Bank. Alles umsonst – sie hatte sich geirrt – er antwortete nicht auf ihre Rufe – er war wohl todt! Sie sah ihn im Geiste vor sich liegen mit zerschossener Brust, mit dem blassen schmerzvollen Gesicht; dazu allein – hilflos hier oben. Das war schon, um wahnsinnig zu werden. Bald wollte sie hinunter zu den Arbeitern und Hilfe holen, bald nach S. zum Förster; bald redete sie sich wieder ein, es sei ja doch möglich, daß er anderweitig verhindert sei zu kommen, dann verwarf sie Alles wieder und raufte sich das Haar in Verzweiflung. Es fröstelte sie, während ihr das Gesicht glühte; sie ging in die Kammer – dort konnte sie es erst recht nicht aushalten.

Mitternacht war schon vorüber! Jetzt kam er nicht mehr, wohl nie mehr! Sie wollte nur das Morgengrauen erwarten, und dann sofort hinunter nach S., um nachzufragen; bis dahin saß sie, abgestumpft von der furchtbaren Erregung, in der Ecke und starrte in das Licht. Daß ihm etwas zugestoßen, war sicher, und sie zitterte vor dem, was der Tag bringen werde.

[142] Als der erste Schimmer emporstieg im Ost, war Anna schon unterwegs. Zuerst wollte sie doch noch im Kobel bei den Arbeitern vorfragen. Da war noch Alles still. Sie klopfte, Mathias öffnete. Er mußte schon auf gewesen sein, so schnell ging es.

„War der Rupert hier, gestern Abend, heut Nacht?“ fragte sie hoffnungslos.

„I hab’n net g’seh’n, bin erst spat hoamkumma von M.“ Seine Stimme war unsicher, und im Dämmerlicht sah sein sonst so frisches Gesicht todtenbleich aus.

„Hast d’ Schüss’ g’hört gestern Abend?“ fragte sie dringend weiter.

Mathias zögerte sichtlich einen Augenblick mit der Antwort.

„Wo?“ fragte er dann.

„Bei der grauen Wand umanand!“ erwiederte sie, gespannt seine Züge beobachtend.

„Na, die hab’ i net g’hört, werd’ wahrscheinli no drunten g’wes’n sei, wia’s g’fall’n san, und was is damit?“ fragte er das Mädchen.

„Dem Rupert hab’ns golt’n! Er wollt sich’r kumma, gestern Abend, und is net kumma – er liegt wo, Mathias, erschossen – i fühl’s!“

Sie brach fast zusammen bei diesem schrecklichen Gedanken.

„Aber, wo denkst denn hi, Anna? Er wird si halt versa’mt hab’n, sei do net so narrisch!“

Er wollte sie aufrichten, doch sie sprang selbst auf und eilte bergab über den Schlag.

„I muaß zum Förster, wenn er da a net is – dann – is er todt!“ rief sie ihm zu.

Sie flog nur so den Berg hinab, in einer halben Stunde war sie vor dem Dorf angelangt. Da begegnete ihr Reiser, der eben ins Revier gehen wollte. Sie erzählte ihm Alles, ihre Befürchtung, die zwei Schüsse, das Ausbleiben Rupert’s, sie hoffte, von ihm vielleicht beruhigende Nachricht zu bekommen, doch der machte eine bedenkliche Miene. Wo sollte er sein? Er wußte, wie verliebt Rupert war – der wär’ sicher nach der Alm gekommen. Sein beschwichtigendes Zureden klang unwahr, er begleitete das aufgeregte Mädchen ins Forsthaus.

„Da ist ein Unglück g’scheh’n!“ polterte der Förster heraus, nachdem er Alles gehört – „am End’ is er mit dem Tiroler zusammen troffen, der ihm neulich auskommen ist. Die Kerl’ sind rachsüchtig, das wär’ net das erste Mal! Wo nur der ,Gams‘ blieben sein mag, daß der net heimkommt? Reiser, augenblicklich hinaus zu die Holzknecht und nachsuchen in der Gegend, wo die Schüss’ g’fallen sein soll’n, vielleicht is er no am Leben!“

Anna hörte überall nur die Bestätigung ihrer Ahnung; sie fühlte einen heftigen Schwindel, die Stärke ihrer Natur schien sie ganz verlassen zu haben.

Den Förster jammerte der Anblick der Verzweifelnden.

„Ich geh’ selber mit!“ sagte er, hing seine Büchse um, ergriff den Bergstock und drängte die Andern zur Thür hinaus.

Anna war immer um hundert Schritte voraus, die Beiden gingen ihr viel zu langsam, Reiser und der Förster erschöpften sich in Vermuthungen, was Rupert zugestoßen sein könne, wenn ein Unglück geschehen, so war gewiß der Tiroler vom vorigen Sonntag der Thäter. Dieser Verdacht wurde immer bestimmter in ihnen.

Endlich hatten sie den Schlag erreicht. Der Förster gab sofort Befehl, die Arbeit einzustellen und eine Suche nach Rupert zu veranstalten. David schien am meisten entsetzt über diese Nachricht, und er warf einen forschenden Blick auf Mathias, der Allen aus dem Wege ging und sich in der Hütte zu schaffen machte.

David war gestern spät in den Kobel gekommen, er hatte sich etwas „versess’n“ unten im Wirthshaus. Kaum hatte er sich niedergelegt, kam Mathias, dessen verstörtes, aufgeregtes Wesen ihm auffiel.

„Wo kommst denn Du her, so spat?“ fragte David, „hast ’n Rupert do d’ran kriagt – hast was?“

[143] Sonst nahm das Mathias gewiß nicht übel; David war ja schon lange Mitwisser seiner geheimen Gänge, aber jetzt fuhr er wüthend auf – „wie er denn so was behaupten könnt’! er sei den ganzen Tag in M. g’wes’n, bei der Nacht hab’ er sich a Bisl verganga.“

„Nur net glei so hitzi!“ entgegnete David, „Du hast’s ja selbst neuli g’sagt am Sunntag, wollst den Rupert d’ran krieg’n, mir is auch ganz gleich – bin selb’n net sei Freund – woaßt ja!“

David dachte weiter nicht darüber nach und verschlief die ganze Geschichte. Als aber jetzt die Nachricht kam, „der Rupert gehe ab“, fiel ihm dieses Gespräch, das ganz auffallende Benehmen des Mathias ein.

„Er hat’s than!“ sprach’s in seinem Innern, „wann überhaupt was d’ran is an dera G’schicht!“

Alles brach nun auf, der von Anna angegebenen Richtung zu; sie allein hatte ja die Schüsse gehört; das war der einzige Anhaltspunkt.

In der Reviergegend angekommen, welche von einer mitten aus dem Tannenunterholz hervorragenden, steil abfallenden Kalksteinwand „die graue Wand“ benannt war, vertheilte der Förster die Leute, wie bei einer Treibjagd, in der Entfernung von dreihundert Schritt, um ein möglichst großes Terrain abzusuchen. Wenn Einer etwas Verdächtiges oder den Jäger selbst antreffen sollte, so hatte er sofort Lärm zu machen.

Mathias war der Nächste an David. Dieser konnte ihn genau beobachten; nach seiner bestimmten Ansicht wußte Mathias am besten, wo zu suchen sei, und so ließ er ihn keinen Augenblick aus den Augen; kam man in die Nähe des verhängnißvollen Platzes, so mußte er es irgendwie an ihm merken!

Bald war die ganze Gesellschaft in dem zerklüfteten Terrain verschwunden, man hörte nur noch das Klappern der eisenbeschlagenen Bergstöcke, das Abrutschen von Gestein unter den Tritten der Suchenden.

Anna ging zwischen dem Förster und Reiser; ihr Athem flog, ihr scharfer Blick drang überall umher, jetzt mußte sie ja an der Stelle sein, wo sie die Schüsse gehört zu haben glaubte. Jeden Augenblick fürchtete sie den Leichnam des Geliebten zu erblicken, dann hoffte sie wieder! Minute um Minute verrann, ohne daß ein Zuruf ertönte, ohne daß man etwas fand. Eine schwächere Natur als die ihrige wäre der wahnsinnigen Aufregung erlegen; aber dieser kraftstrotzende Körper gab nicht nach.

David war schon weit vorgedrungen, bald näherte er sich wieder einer unbewaldeten Fläche, nur ein kleiner Kessel, rings von niederen Wänden eingeschlossen, war noch zu durchschreiten; auf einmal bemerkte er, daß Mathias gerade diesen vermied: er zog sich immer mehr seitwärts hinauf, so daß er fast mit seinem obern Nebenmann zusammentraf, dabei stolperte er jeden Augenblick, und sein Gesicht war aschfahl.

Dem Kleinen mit den Luchsaugen entging das nicht, und wie ein Hund auf der Fährte des Wildes, schnupperte er jetzt überall umher, keinen Busch ließ er undurchsucht. Auf einmal vernahm er leises Winseln eines Hundes, eine junge Fichte, gerade unter ihm, bewegte sich heftig; er sprang darauf zu und hätte bald laut aufgeschrieen vor Erstaunen. – Der rothe „Gams“ war dort angebunden an einen Riemen, daneben lag ein Rucksack, der Hund zerrte wüthend an der Leine, als er Jemand nahen sah. David schnitt rasch die Leine durch und beschwichtigte den Hund, damit er keinen Lärm mache. Rupert war sicher in der Nähe und zwar todt, das war klar, schon wollte David die Andern rufen, da kam ihm der Gedanke, er könne eben so gut die Entdeckung allein machen.

Der Hund, sonst ein lauter Kläffer, war scheu und kroch nur langsam, mit eingezogenem Schweif hinter David her. Er schnupperte in der Luft herum, den Wind suchend und stürzte dann vorwärts, direkt in den kleinen Kessel; im Augenblick war er verschwunden. Dann kehrte er wieder zurück, machte einige Schritte vorwärts und sah sich wieder nach David um, als winke er ihm zu folgen. Dieser vertraute sich nun ganz der Leitung des Hundes. Plötzlich sprang Gams über einen großen Felsblock, der gerade im Wege lag, hinüber und stieß ein jämmerliches Geheul aus.

Jetzt war es Zeit, die Oberen hatten es auch gehört und riefen schon herab, mit einem Sprung war David hinter dem Felsblock, und vor ihm lag – Rupert mit zerschossener Brust. Das gestockte Blut besudelte das Hemd, ein Schwarm von Fliegen erhob sich brausend! Er mußte zuerst, an der großen Fichte angelehnt, gesessen sein, ehe er starb. Die ganze zusammengesunkene Stellung deutete darauf hin.

Als David näher trat, bemerkte er in der linken Hand des Todten ein offenes Büchelchen, das Weiß des Papieres blitzte aus dem grünen Moos heraus. Er faßte darnach – doch die Hand war fest darüber geschlossen, nur mit einer heftigen Anstrengung vermochte David es ihr zu entreißen. Die Andern schrieen von oben herab, ob er etwas gefunden habe, aber er hörte sie gar nicht, so gierig betrachtete er das Büchlein; starr hing sein Auge auf der letzten Seite. „Mathi..“ stand hier mit Bleistift geschrieben, mit ganz verzerrten Buchstaben und ein blutiger Fingerdruck war darauf sichtbar.

„Mathi..!“ Die andern zwei Buchstaben konnte er dazu errathen – er hatte also recht vermuthet. Böse Gedanken schienen ihm gekommen – verschmitzt lächelnd ließ er das Büchlein in seiner Tasche verschwinden.

Mathias hätte schon längst da sein müssen, er schien sich Zeit zu lassen. Anna aber, die bei dem Rufe unten in den Knieen wankte, entwand sich mit Gewalt den Männern, welche strebten, sie zurückzuhalten, da sie ja jetzt mit Gewißheit wußten, welch’ ein Anblick der Armen harrte. Sie überstürzte sich fast in wilder Hast, unaufhaltsam durch die Büsche hinunterbrechend. Da – mit einem wilden Aufschrei stand sie plötzlich an der Leiche! Sie stürzte nicht über ihn, sie fiel auch nicht in Ohnmacht, wie eine Bildsäule stand sie da, mit der Rechten sich am Gesträuch festhaltend. Die Augen stierten bewegungslos, nur die krampfhaft arbeitende Brust verrieth Leben.

Der Förster und Reiser, die nun auch herabgekommen und selbst von diesem Anblick entsetzt waren, führten sie gewaltsam abseits; sie ließ es ruhig geschehen, kein Wort kam über ihre Lippen, sie setzte sich auf den Boden, verhüllte ihr Gesicht in der Schürze und brach nun in lautes Gejammer aus.

Mathias war auch herangeschlichen, das erkünstelte Erstaunen bei dem Anblick des Todten kämpfte in seinen Zügen mit einem unverkennbaren Entsetzen, welches er vergebens zu bewältigen trachtete. Sein Anblick müßte jedem aufgefallen sein, der auf ihn Acht gegeben hätte; zum Glück waren der Förster und Reiser zu sehr mit dem Todten beschäftigt, nur David ließ ihn nicht aus den Augen.

„Wer muaß denn das ’than hab’n, Mathias?“ sagte er, „am End der Tiroler von neuli – no, es muaß ja aufkomma, glaubst D’ net, Mathias?“

„Wohl mögli!“ entgegnete dieser, sich den Schweiß mit dem Sacktuch abtrocknend, „obwohl ’s hart sein wird, den z’ find’n.“

„Moanst?“ erwiederte David, „oft is leichter, als ma ’s glaubt!“

Mathias sah ihn ängstlich an.

„Woaßt Du vielleicht was?“ fragte er fast geistesabwesend.

„Woher soll i was wiss’n? I war ja den ganz’n Tag in S., Du ehnder, Du warst ja do auf ’n Berg! Hast Niemand begegnet unterwegs?“

„Der Tiroler war’s,“ hub der Förster an „i möcht’ wetten, der ihm neuli auskommen is. Die Kerl vergess’n so was net, er soll ja dem Mathias so gleich seh’n! Kennst Du vielleicht einen in der Gegend, bei dem das der Fall is?“

David verneinte dies. Die Aeußerung machte ihn nachdenklich: am Ende hatte sich der Sterbende geirrt, vielleicht hatte ihn die Aehnlichkeit getäuscht, vielleicht war es doch nicht der Mathias? Hätte dieser nur nicht so scheu dagestanden, David würde jetzt daran gezweifelt haben. Das Buch mit der Schrift brannte förmlich in seiner Brusttasche, durch dieses Buch war Mathias mit Leib und Leben sein eigen! Dieses Gefühl, einen Menschen so ganz abhängig von sich zu wissen, war dem David ein Labsal, er triumphirte innerlich über die Macht, die er nun in der Hand hatte. Vor der Hand sollte Niemand davon wissen, auch der Mathias nicht.

Der Leichnam durfte nach dem Gesetz nicht berührt werden, bevor nicht die gerichtliche Kommission erschienen war, und der Förster mußte sofort einen der Leute nach dem Landgericht senden.

Mathias drängte sich zu diesem Dienst und war im Nu verschwunden.

Der Schuß mußte aus nächster Nähe abgefeuert worden sein; Papierpfropfen hingen in dem schwarzen Schnurrbart des Todten; [144] der eine Flintenlauf war entladen, der andere gespannt; er hatte also auch geschossen – wohl gefehlt!

Alle möglichen Kombinationen wurden gemacht, wie das Ganze so gekommen sein konnte. Am Boden war kein Zeichen eines stattgehabten Kampfes zu finden. Rupert mußte unversehens auf den Wilderer gestoßen sein, mit dem ersten Schuß ihn gefehlt haben und dann von seiner Kugel gefallen sein.

Nur einen Augenblick kam Reiser der Gedanke an Mathias.

„Wo war denn der Mathias gestern?“ fragte er David.

„In M. bei seiner Bas’l!“

„Schon wieder! Daß der alle Sonntag auf einmal da ’nüber geht! Und d’ Schüss’ hat er net g’hört?“

„Wie er sagt, na!“ erwiederte kurz David.

Reiser schüttelte den Kopf.

„Der wird sicher ein Alibi nachweis’n müass’n; sonst kann er in Unannehmlichkeit kommen, obwohl ich net glaub, daß er damit was z’thun hat!“

Anna machte den Versuch, sich der Unglücksstätte zu nähern; aber kaum hatte sie ein paar Schritte gemacht, so befiel sie ein solches Grauen, daß sie wieder inne hielt; zuletzt bezwang sie sich doch und trat zitternd vor die Leiche, mit thränenvollem Blick die starren Züge des Geliebten durchforschend. Dann kniete sie nieder und betete laut unter Schluchzen ein Vaterunser; die Männer fielen mit entblößten Häuptern ein. Tiefer Ernst lag auf den rauhen Zügen, aber auch eine feierliche Ruhe. Das Leben in den Bergen ist rauh und gefahrvoll; vielgestaltig lauert der Tod, kein Jahr vergeht so ohne einen derartigen Unglücksfall, sei es, daß bei der gefahrvollen Holzarbeit Einer verunglückt, daß eine Lawine im Bergsturz Unheil anrichtet oder die Wilderei ein Opfer fordert.

Der Förster ließ von David und Toni ein Feuer machen, das Ungeziefer zu verscheuchen. Dann setzte man sich etwas abseits; es war doch zu peinlich, immer dieses Todtenantlitz zu schauen.

Anna suchte sich zu fassen, der Thränenstrom hatte ihre Brust erleichtert, und ihre starke Natur gewann allmählich wieder die Oberhand. Jetzt fiel ihr die alte Mutter ein, die wohl noch nichts von dem Unglück ahnte. Sie hatte sich mit dem Gedanken an die Heirath versöhnt und Rupert bereits liebgewonnen, wenn sie es nur nicht durch Jemand anders zu plötzlich erfährt – die Frau war alt, der Schreck konnte sie umbringen! An den Mörder dachte Anna nicht, was hätte ihr das helfen können! In ihren Augen war dieses Unglück eben das traurige Resultat des nie endenden blutigen Kampfes, von dem sie von Kind auf gehört – sie fühlte so wenig das Bedürfniß persönlicher Rache, wie ein Mädchen, dessen Geliebter vor dem Feinde auf der Wahlstatt bleibt, sie fühlte nur brennenden Schmerz und das Bewußtsein so großen Elends, wie sie es noch nie im Leben empfunden.

Es dauerte lange, bis die gerichtliche Kommission erschien; der ganze Nachmittag verging darüber. Endlich kamen sie, von Mathias geführt, der Gerichtsarzt, ein Assessor und ein Schreiber und machten sich gleich an die Feststellung des Thatbestandes. Zuerst wurde die Wunde untersucht, die Lage des Erschossenen notirt. Zu seinem Erstaunen gewahrte der Arzt einen Bleistift in der rechten geballten Hand des Todten; er wollte sichtlich noch eine Abschreibung machen, vielleicht den Mörder kennzeichnen. Wo war aber die Schrift? Er hatte wohl nicht mehr Zeit ein Papier hervorzuziehen, der Tod trat dazwischen. Sie durchsuchten ihm die Rocktaschen. Der Förster behauptete, er müsse so sein Dienstbuch bei sich haben, wo alle Begebenheiten und Vorkommnisse notirt werden, man durchwühlte die Taschen und fand nichts – das war auffallend!

Mathias verfolgte jede Bewegung des Arztes. Als man den Bleistift entdeckte, zuckte er zusammen. Niemand achtete darauf – nur David wußte, warum er erschrak. Hätte er das Buch nicht an sich genommen, wäre Mathias jetzt ein Verlorener. „Wie kann man aber a so dumm sei und net no amal nachschaugn, wenn eim scho’ so was passirt, er hätte das schlauer gemacht,“ dachte er.

Dann wurde jeder Grashalm gewendet, der Boden durchsucht, ob kein Fußabdruck zu finden, die Papierpfropfen, die im Barte hängen geblieben, sorgfältig aufbewahrt, es war der Abriß einer Zeitung dieser Gegend – das Kleinste kann so dazu dienen, dem Thäter auf die Spur zu kommen! Zuletzt wurde rasch eine Tragbahre gemacht, die Leiche darauf gelegt, mit einem Wettermantel bedeckt, und der düstere Zug bewegte sich dem Thale zu.

Mathias und David waren die Träger, die übrigen, Anna in der Mitte, folgten ihnen.

Mathias, sonst ein so kräftiger, unermüdlicher Bursche, mußte jeden Augenblick ausruhen; der Athem ging ihm aus, sein Gesicht war eben so blaß, wie das des Todten. Auf halbem Wege konnte er sich nicht mehr auf den Beinen halten, sodaß Reiser selbst Mitleid mit ihm hatte und ihn ablöste. Allen fiel es auf, daß der derbe Bursch durch dieses Ereigniß so angegriffen war, ja Anna rechnete es ihm sehr hoch an.

„Des zeigt von Deim gut’n G’müath!“ sagte sie, „daß Dir das Elend so z’ Herz’n geht. Os wart’s so do gar keine guat’n Freund, der arme Rupert und Du!“

Mathias antwortete nichts darauf, er wankte nun unbeobachtet hinter dem Zuge her.

[157]
Als der Zug mit Rupert’s Leiche ins Dorf kam, dunkelte es bereits. Das Gerücht der That hatte sich rasch verbreitet, als die Gerichtskommission von Mathias geholt worden war; das Fehlende errieth man leicht, es waren schon zu Viele auf diese Weise heruntergebracht worden. Mehr neugierig als bewegt drängten sich die Dorfleute um den Zug, dem sie, Gebete murmelnd, folgten. Ja, wäre einer der Ihrigen im Kampf mit einem Jäger gefallen, dann wär’ es etwas Anderes gewesen; aber so herrschte zum Mindesten keine Erbitterung. Rupert wurde in das Leichenhaus gebracht, von Alt und Jung mit [158] dem bekannten wollüstigen Grauen angeschaut; dann zerstreute sich Alles wieder, ohne einen tiefen Eindruck, ohne eine Lehre für die Zukunft mitzunehmen.

Den schwersten Gang hatte jetzt Anna zu thun – zur Mutter! Sie nahm ihre ganze Fassung zusammen. Die alte Frau stand unter der Hausthür; sie erschrak sichtlich, als sie ihre Tochter erkannte.

„Du hier, Anna? und der Zug, der da unt’n vorbeiganga is? Wen hab’n’s denn bracht, is an Unglück g’scheh’n?“

Jetzt sank Anna an ihre Brust und erhob ihr bleiches, kummervolles Antlitz – wie ein Blitz zuckte es in der Alten auf.

„Den Rupert hab’n s’ bracht, Anna!“ schrie sie, „sag’s nur ’raus, i seh Dir’s ja am G’sicht an!“ Sie wartete ängstlich auf Antwort.

Anna brach wieder in Thränen aus – jetzt wußte sie es ja!

„Das war der Mathias!“ sagte die Mutter.

Bei dieser unverhofften fürchterlichen Anklage fuhr Anna erschrocken auf.

„Der Mathias? Ja wie kommst Du denn auf’n Mathias? Koan Mensch hat no auf den ’dacht!“

Die Alte erschrak jetzt selber über den Verdacht.

„Es hat mir den Namen heraus ’druckt, i woaß net wia,“ sagte sie, „als wenn an Andrer da ’raus g’ruafen hätt’ aus der Brust. Um Gott’swill’n! i will eam ja net Unrecht thuan; er hat halt den Rupert net aussteh’n könna, und eifersüchti war er a! Du woaßt ja, daß er si selb’n Hoffnung g’macht hat auf Di! Deßweg’n – bin i auf sein Nama komma. – Arme Anna! Hab’ die ganze Zeit böse Ahnunga g’habt, scho wia der Rupert um Di ang’halten hat; aber daß’s so schnell über Di ’reibricht, das hab’ i net erwart’, komm!“ sie zog sie zärtlich in die Stube. „Komm! I woaß, wia dös thuat, wia dös frißt am Herz’n, Du arm’s Kind!“

Anna folgte willenlos; sie sank in den nächsten Stuhl und starrte vor sich hin, während die Mutter Trostworte redete und ihr mit der arbeitsharten Hand dann und wann liebkosend über den Scheitel strich. Endlich schwiegen sie Beide und sahen in den Mondschein, der jetzt die kleine Stube erhellte; er glänzte auf der weißgetünchten Wand; er spielte um das bleiche, kummervolle Gesicht Anna’s, um den silbernen Scheitel der Alten; er ließ die rinnenden Thränen der Beiden wie Diamanten blitzen. Der kalte, vielbesungene Mondschein, was kümmert er sich darum! Was weiß er von Freud’ und Leid! Da oben, wo er herkommt, giebt es Beides nicht – dort ist Alles kalt, todt und still. –




4.

Der Untersuchungsrichter, der einige Tage darauf nach S. kam, hatte wenig Glück bei seiner schweren Aufgabe. Wie üblich, stand die ganze Bevölkerung ihm feindlich gegenüber. Die Aussagen gipfelten alle in dem Einen: „I woaß nix!“ und daran scheiterte alle Findigkeit und Schlauheit des Beamten. „I woaß gar nix!“ Dabei wurde der Hut in der Hand gedreht, ein möglichst einfältiges Gesicht gemacht, und wenn der Richter einen Andern vortreten ließ, ging es genau eben so. Solche Untersuchungen sind die Pein der Beamten, welche ohne Kenntniß der Personen und Verhältnisse so zu sagen im Dunkeln tappen. Dieselben müßten der That auf dem Fuße folgen, um einen Erfolg zu haben; eine Pause von drei bis vier Tagen genügt allen Betheiligten und Mitwissenden, sich zu verständigen, ein Gewebe von Lügen und falschen Angaben zu spinnen, in dem auch der Meineid zuweilen nicht fehlt.

Genau so verhielt es sich in diesem Fall. Die meisten Einwohner der Gegend, darunter Leute, welche unmöglich eine Beziehung zur That haben konnten, wurden verhört. Dadurch wurde nicht allein viel Zeit verloren, sondern man gerieth noch auf viele gänzlich falsche Fährten.

Auch Mathias war unter den Vorgeladenen. Er war einmal des Wildfrevels verdächtig und dann an dem verhängnißvollen Abend nicht zu Hause gewesen. Wäre er sofort vernommen worden, so hätte er wohl kaum vermocht, so sicher und ruhig zu sprechen wie jetzt, und ein Alibi nachzuweisen, das ihn sofort von jedem Verdacht befreite.

Der unbekannte Tiroler, von dem Rupert gesprochen, war auch bei dem Untersuchungsrichter zur fixen Idee geworden; der mußte der Thäter sein, und wenn einmal eine vorgefaßte Meinung besteht, ist es schwer, noch auf die Wahrheit zu kommen.

Mathias ging erleichtert von der Untersuchung wieder auf den Arbeitsplatz. Nur das eigenthümliche Wesen David’s quälte ihn; der allein schien einen unbestimmten Verdacht zu haben.

Am Abend nahm ihn David auf die Seite:

„Das hast guat g’macht beim Landgericht,“ sagte er, „hätt’ Dir net so viel Standhaftigkeit zuatraut Deim Benehma nach vor’m todt’n Rupert!“

Mathias war erstarrt über diese offene Rede, die auf mehr als einen bloßen Verdacht hinwies. Er mußte die äußerste Gewalt anwenden, um sich zu beherrschen und bloß erstaunt zu scheinen.

„Du führst ja Red’n, als ob i der Mörder wär’!“ erwiederte er; „i müaßt mir das scho ernstli verbitt’n, David, wenn’s a nur Spaß sei soll!“

„Und es soll koa Spaß sei,“ entgegnete jetzt wild auffahrend David, „es is mir ernst! Du hast’n a umbracht, koan Andrer! und i hab’ was – geg’n das giebt’s koa Läugna!“

Mathias war bei dieser furchtbaren Anklage todtenblaß geworden; dann erfaßte ihn auf einmal unbändige Wuth; wie ein wildes Thier sprang er auf den Kleinen.

„Und was hast denn nacher, heimtückischa Lump? Gieb’s ’raus, wenn’s wahr is! A Lüagna bist, a niederträchtiga! Und Angst willst ma mach’n, das is All’s! sag Dir aber, daß i zum G’richt geh’ und Di anzeig’; nacher zeig’ das her, was D’ haben willst!“

Der Kleine entwand sich dem eisernen Griffe des Mannes und sprang schleunigst weg.

„Geh nur zum G’richt, wenn’st d’ Schneid hast! Bin dann scho da! Mit G’walt richt’st nix aus bei mir! D’ muaßt’s scho anders versuach’n. Denn jetzt g’hörst mei mit Leib und Seel; es nutzt Dir kei Wehren nix!“

Wissen mußte er davon; das war Mathias klar, aber woher? Was sollte das Etwas sein in seiner Hand, das ihn rettungslos überführte? Diese quälende Angst höhlte seine frischen Wangen, unterwühlte seine kräftige Natur. David ließ es auch fernerhin nicht an Stichelreden und versteckten Drohungen fehlen, die Mathias jedesmal wie Dolchstiche trafen.

Die Vergeltung begann schon für die Frevelthat!

*  *  *

Anna war acht Tage zu Hause geblieben bei der Mutter; sie sah aus, als hätte sie eine schwere Krankheit überstanden; dann aber ging sie wieder auf die Alm.

Sie hatte sich ihrem ersten heftigen Schmerz rücksichtslos überlassen, er hatte ihr Innerstes aufgewühlt, wie eine schwere Krankheit; jetzt hatte sie dieselbe überstanden. Die Krisis zum Bessern war eingetreten, die Gesundheit und Frische ihrer Natur gewann wieder die Oberhand; nur ernster war sie geworden, die Freudigkeit der ersten Jugend war hinweggewischt. Sie ging der gewohnten Arbeit auf der Alm ruhig nach wie früher, aber ihr übermüthiges Jauchzen und Jodeln erklang nicht mehr dabei.

Unten im Dorfe hielt man die ganze Sache überhaupt für kein großes Unglück und war schon gespannt, wer jetzt wohl Langbauer werden würde. Es gab ja Viele, die jetzt neue Hoffnung schöpften.

Mathias kam wieder öfters auf die Alm, um irgend einen Mundvorrath zu holen; auch Anna fielen sein verändertes Wesen, seine gebrochene Gestalt auf. An den Verdacht, den die Mutter damals ausgesprochen, dachte sie nicht mehr. Mathias hatte ja bewiesen, daß er zu der fraglichen Zeit anderswo war, und sie mochte überhaupt nicht daran glauben. Sie hatte ja früher, bevor sie Rupert kennen lernte, schon Mathias allen anderen Burschen vorgezogen, und die Erschütterung, die sie bei der Auffindung Rupert’s an ihm bemerkte, mehrte ihre Sympathie für ihn. Die Paar Augenblicke, die er täglich bei Anna zubrachte, waren sein einziges Labsal in den Qualen, die er litt; ihr Anblick hätte ihm ein stummer Vorwurf sein sollen, aber die unbezwingliche Neigung, die er zu dem Mädchen seit lange hegte, die Hauptursache seines Hasses gegen Rupert, loderte nun, da das Hinderniß gefallen, von Neuem gewaltig empor!

[159] Anna merkte es, und es that ihr wohl in ihrer Verlassenheit, da oben eine menschliche Seele zu haben, die treu an ihr hing; sie wollte sich nur etwas erwärmen an seiner Zuneigung, bei Leibe nicht selbst Feuer fangen; das wäre ihr jetzt unmöglich erschienen.

Inzwischen blieben alle Versuche des Mathias, David zu einer näheren Erklärung zu bringen, fruchtlos, und so war er wirklich sein Leibeigener geworden, der ihm unbedingt gehorchen mußte. Diese ewige Angst, diese Knechtschaft drückte ihn fast schlimmer als ein offenes Bekenntniß, und oft war er nahe daran, sich zu einem solchen zu entschließen. Nur seine Liebe zu Anna hielt ihn davon ab, wenn sie ihm auch hoffnungslos dünkte: er konnte doch nicht die Braut seines Opfers ehelichen! – Aber wenn er gestand, dann mußte sie ihn ja hassen, und den Gedanken ertrug er nicht.

So verging der Spätsommer. Mit den herbstlichen Blättern, die der Wind über das Grab Rupert’s wehte, war auch die ganze Unglücksgeschichte verweht. Ein neuer Jäger war gekommen und hier und da fiel, wie vorher, ein Schuß aus unbekannter Hand im Revier.

Die Arbeit im Buchenschlag war beendet. Unten am Abhange standen jetzt in langen Reihen die regelrecht geschichteten Klafter, die glänzenden Sägbäume! Wo noch vor Kurzem das grüne Laubdach sich ausbreitete im Sonnenschein, war jetzt Alles öd’ und kahl; krause Wurzeln ragten aus dem zerrissenen Erdreich, und die Stümpfe der abgesägten Bäume standen überall wie verstümmelte Glieder umher. Der Kobel wurde verlassen, den Herbststürmen und dem Winter preisgegeben.

Auch auf der Alm rüstete sich Anna zum Abzuge. Schon glänzte es von oben weiß herab und leicht konnte man vom Schnee überrascht werden.

Wie ging es sonst fröhlich her! Kränze wurden gewunden, Tannenzweige, mit bunten Bändern verziert, der schönsten Kuh im Nacken aufgebunden, die dann, wie stolz auf den Schmuck, der Herde mit ruhiger Würde voranging. Und im Thale unten liefen die Kinder dem Glockengeläute entgegen und führten jubelnd die geschmückten Rinder, den Stolz der hinterher schreitenden Almerin, ins Dorf hinein.

Davon war heuer nichts zu sehen. Anna war froh, von der Alm wegzukommen, wo sie Alles an das kurze Glück mit Rupert erinnerte. Wie freudig hatte sie sich diese Tage gedacht, wie hätte sie gerade heuer Alles aufgeputzt, wenn der Rupert an ihrer Seite mit hinuntergezogen wäre; es wäre ja ihr letzter Abzug gewesen und von der Alm sollte es in die Brautkammer gehen! – Ja, das war ein recht trauriger, schwerer Tag, und wer den Zug vorüberziehen sah, die herrliche Rinderschar, Alles strotzend von Gesundheit, von der ernsten Sennerin getrieben, die sich weder nach rechts noch nach links umsah, der mußte wohl merken, daß dem hübschen Mädchen Etwas schwer auf dem Herzen lag.

Auch Mathias war froh, als die Arbeit zu Ende ging; nun hoffte er doch endlich von David, der sich wie sein böser Geist an seine Fersen heftete, erlöst zu werden. Andrerseits war ihm aber auch sein einziger Trost genommen, der Verkehr mit Anna, der jetzt bei seinen inneren Gewissensfoltern, bei seiner Flucht vor der ganzen Welt der einzige Sonnenstrahl seines elenden Daseins war.

In Bezug auf David irrte er sich: er wich auch jetzt nicht von ihm. Ging ihm das Geld aus, so mußte Mathias welches schaffen, und bei der geringsten Weigerung nahm er eine drohende Miene an. Auch für die Winterarbeit, wo das Holz mit den Schlitten zu Thal gebracht werden sollte, wußte es David so einzurichten, daß er mit Mathias zusammenkam.

Dieser wehrte sich anfangs mit aller Kraft gegen solchen Frohndienst und leugnete immer wieder die That, aber David lachte nur zu seinen Versicherungen.

„Gieb Dir koa Müh’,“ sagte er dann, „i hab’s ja schwarz auf weiß, da nutzt koa Läugna!“

So unglaublich und räthselhaft das Mathias auch erschien: sein Gewissen flüsterte ihm zu, daß eben doch David sichere Anhaltspunkte haben müsse, und dann ergab er sich wieder und war froh, wenn nur der Andere reinen Mund hielt.

Auch die von Neuem in Mathias emporflammende Neigung zu Anna entging David nicht, und er machte diesem sogar Hoffnungen.

„Was war denn der Rupert? A Jaga! Du bist a Holzknecht! Krieagst no a Bisl was von dahoam. Das is a net schlecht’r und“ – fugte er hinzu, „wenn’st d’r Anna an Bräutigam g’nomma hast, muaßt ihr do wieder an andern verschaff’n!“

Mathias schauderte zwar bei dem Gedanken an diesen neuen Frevel. Deßwegen hatte er den Mord nicht begangen, so schlecht er auch war; der Haß, die falsche Scham, von dem Nebenbuhler gefangen und vor Anna’s Augen dem Gericht ausgeliefert zu werden, das hätte ihn zur That getrieben, die er schon tausendmal bereute. Aber David’s Worte klangen trotzdem in seinen Ohren nach; er fing an, sich mit dem Gedanken zu beschäftigen, und war bald so weit, nichts Schlimmes mehr darin zu sehen. Der Kleine hatte gar nicht so Unrecht mit seiner Schlußfolgerung.

Vor der Hand aber stand das Alles im weiten Feld. Anna dachte wohl nicht an eine Heirath und als einfacher Holzknecht konnte er doch nicht um die Langhofbauerntochter anhalten.

Das Wildern schlug er sich jetzt ganz und gar aus den Gedanken; es hatte ihn ja zum Verbrecher gemacht, und so wollte er nichts mehr davon wissen. Dagegen beobachtete er seinerseits David um so genauer, von dem er ja wußte, daß auch er sich damit abgab. Nicht mit der Büchse, dazu war er zu feig, nein, nur mit der Drahtschlinge arbeitete er in stockfinsterer Nacht, gefahrlos. Aber er war zu schlau, Mathias erwischte ihn nie auf der That.

Der Winter war plötzlich mit aller Macht hereingebrochen. Das kleine Dörfchen sah mit seinen schwarzen Giebeln kaum mehr aus dem Schnee heraus. Drinnen in den Häusern saßen die Weiber und Mädchen beim Spinnen und Nähen, während das männliche Geschlecht die gute Schlittenbahn benutzte, um das Holz von den Bergen zu bringen.

Auch Anna saß mit der Mutter den ganzen Tag im warmen Stübchen beim Spinnen oder Wäscheausbessern. Da gab es wenig Abwechslung, ein Tag verging wie der andere.

Mathias mit dem von ihm unzertrennlichen David war beim Holzziehen. Der kühnste Fahrer weit und breit war er. Er hatte immer mindestens eine Ster Holz mehr auf dem Schlitten als alle Anderen und wenn er so, mit der schweren Last hinter sich, den Ziehweg herabsauste, daß der aufwirbelnde Schnee ihn ganz einhüllte, dann war ihm wohl, dann flohen die schwarzen Gedanken, die stummen nagenden Vorwürfe. Er achtete die Gefahr nicht, die damit verbunden war – ein Fehlgreifen mit den schweren eisernen Tatzen (Bremsen), mit denen der Schlitten gelenkt und zur rechten Zeit angehalten werden muß, und er lag mitsammt der Last zerschmettert im Abgrunde oder wurde zu Tode geschleift. Es war ein Vergnügen, ihn anzusehen, wie er, die muskulösen Beine weit vorgestreckt, mit nerviger Faust, mit sicherem Auge den Schlitten lenkend, in einer Wolke von Schnee herabgefahren kam – hinter ihm David, der nicht die Hälfte aufgeladen hatte, dafür aber Abends in der Waldkneipe, die für die Holzknechte eingerichtet war, doppelt so viel trank als Mathias, natürlich auf Kosten des Letzteren. Das war ein stilles Uebereinkommen zwischen Beiden, an dem Mathias schon lange nicht mehr zu rütteln wagte. Sein einziges Sinnen und Trachten ging jetzt dahin, auch im Winter einen Anknüpfungspunkt mit Anna zu finden. Die vollständige Geschiedenheit von ihr fiel ihm am allerschwersten. Ein glücklicher Zufall kam ihm dabei zu Hilfe.

Ein Holzknecht, der für die Langbäuerin arbeitete, verunglückte, indem er mit dem einen Fuß unter den Schlitten kam; sie brauchte Ersatz, und Mathias bot sich an; da er als tüchtiger Arbeiter bekannt war, hatte die Langbäuerin nichts dagegen einzuwenden. Das einzig mögliche Hinderniß war David; ohne dessen Einwilligung getraute er sich nicht, den Dienst zu wechseln.

Zu seinem Erstaunen hatte der nichts dagegen, rieth ihm sogar dazu: das sei für ihn die beste Gelegenheit, wieder an die Anna zu kommen. Mathias merkte wohl, was seine Absicht dabei war; aber für jetzt stellte er sich, als glaube er an David’s Uneigennützigkeit.

So kam Mathias in den Langbauernhof.

Anna empfing ihn freundlich wie immer; sie schien selbst froh zu sein über den neuen Hausgenossen.

Die langen Winterabende konnte er jetzt in der Stube bei ihr zubringen. Die Alte ließ sie nie allein; sie schien eine heimliche Abneigung gegen Mathias zu haben, der hier, von David, seinem bösen Dämon, erlöst, an der Seite Anna’s sein früheres heiteres Wesen wieder annahm.

Hier und da brachte die Mutter scheinbar absichtlich das Gespräch auf Rupert, als wolle sie sein Gedächtniß bei Anna [160] wieder auffrischen. Sie drückte ihre Entrüstung aus über die That, sprach die Hoffnung aus, daß der ruchlose Mörder doch noch entdeckt und den verdienten Lohn empfangen werde. Das waren böse Stunden für Mathias.

Anna war viel versöhnlicher gestimmt: „Das sei eb’n die Folg’ von dieser erbärmlichen Jägerei, die man schon längst hätt’ freigeb’n soll’n, alles Wild mit anand wiege ja doch kei Menschenleb’n auf –“ Sie betrachtete Rupert als auf dem Feld der Ehre gefallen wie einen Soldaten vor dem Feinde; zu einem Hasse gegen den Mörder konnte sie sich nicht aufschwingen. Das war wieder Balsam für Mathias, der so in Anna noch eine unverhoffte Vertheidigerin fand.

Die jungen Leute gewöhnten sich an einander. Wenn Mathias später als gewöhnlich von der Arbeit kam, war Anna unruhig; bei Tische überraschten sie sich gegenseitig oft über Blicken, in welchen Frage und Antwort lag.

Die Mutter erkannte die Gefahr, als es schon zu spät war. Sie empörte sich innerlich: sollte jetzt am Ende ein Holzknecht einziehen auf den Hof? Das wäre ja fast noch schlimmer als es mit dem Jäger gewesen war. Dazu kam eine instinktive Abneigung gegen Mathias, die sie selbst nicht recht begreifen konnte. Aber zu machen war vor der Hand nichts; den Mathias davonjagen, ging auch nicht ohne besonderen Grund; das hätte vielleicht die Sache bei dem Charakter Anna’s nur beschleunigt.

Bis Weihnacht hatte sie die jungen Leute ständig unter den Augen. Sie ging als die Letzte zu Bett, und in der Nacht oft schlich sie mit dem Licht umher, ob auch Alles in Ordnung. Da erkrankte sie plötzlich; ihr böser Fuß machte ihr wieder zu schaffen, wie fast alle Winter; sie mußte das Bett hüten, voraussichtlich auf Wochen. – Das war ein Schlag für die alte Frau! Jetzt waren die Beiden sich selbst überlassen; sie kannte das Temperament Anna’s zu gut, um nicht eine Annäherung der jungen Leute zu fürchten. Sie lag zwar neben der großen Stube und fesselte Anna den ganzen Tag an ihr Bett, die ja ohnehin eine sorgsame Pflegerin für sie war; aber es gab doch Gelegenheit genug, das wußte sie, wo Anna mit Mathias zusammen sein konnte.

Der Stall mußte besorgt, das Haus in Ordnung gehalten werden, und an den Sonntagen war der Weg in die Kirche die beste Gelegenheit! Dann lag sie machtlos in ihrem Bette und konnte nur zu Gott beten, er möge doch ihre Anna nicht ganz verlassen und nicht zum zweiten Male ins Unglück führen. Kam Anna zurück, so fragte sie um Alles: wo sie sich aufgehalten, ob sie mit Mathias beisammen gewesen sei. Das peinliche Verhör diente nur dazu, diese in der wachsenden Neigung zu Mathias zu bestärken: die Mutter selbst redete sie förmlich in ein Verhältniß mit ihm hinein.

Eines Abends saßen sie wieder beisammen in der Stube; die Thür zum Zimmer der Alten stand offen, und Beide fühlten, daß jeder Blick, jedes Wort von drinnen genau beobachtet wurde. Sie sprachen daher nur von gleichgültigen Dingen, von der Tagesarbeit, von häuslichen Verhältnissen. Mathias erzählte, daß sein älterer Bruder schwer erkrankt sei. Von ihm, der kinderlos war, sollte er das kleine Anwesen erben; dann wollte er auch einen Bauer machen! Er redete das der alten Frau zu Gehör. – Plötzlich drangen die schweren Athemzüge einer Schlafenden aus der Kammer, Anna schlich leise hin und sah nach – es war so: die Mutter war eingeschlafen! Vorsichtig schloß sie die Thür, damit das Licht sie nicht blende.

Nun saßen sie allein, Seite an Seite, zum ersten Male, seitdem der Mathias im Hause war.

Anna sah verlegen auf ihre Arbeit nieder; Mathias, der den Moment schon lange herbeigesehnt, wagte es jetzt nicht, mit der Sprache herauszugehen. Rupert’s blutige Gestalt drängte sich wieder zwischen ihn und sie – wie konnte er, der Mörder, um die Geliebte seines Opfers freien? Das wäre ja ein noch schlimmeres Verbrechen als der Mord selbst! Dann sah er wieder Anna an, mit all den bestrickenden Reizen, die sie für ihn hatte. Seine Sinnlichkeit stritt mit der guten Regung, die er eben gehabt, und sie gewann die Oberhand. Er hatte ja nur aus Nothwehr gehandelt; er oder Rupert hieß es damals. Hätte Rupert’s Kugel nicht gefehlt, so säße dieser jetzt an seiner Stelle und er läge dort im Kirchhof.

„Anna!“ fing er an.

Diese erhob ihr Antlitz und sah ihm in die Augen.

„Anna, Du hast mi früher, eh’ der Jaga komma is, gern g’habt – i woaß’s, wannst mir’s a net g’sagt hast. Kunnt’s net wieda so werd’n? So viel wia der bin i a, und wenn mei Bruader a mal das Zeitliche segn’t, hab’ i a Bisl was! Was hast mir d’rauf d’sag’n? Red’ off’n!“

„Es is eigentli a Schand’,“ erwiederte sie, „daß Du’s jetzt scho wag’n kannst, von so was mit mir z’ reden, Mathias, wo erst a halb’s Jahr über d’n schrecklich’n Tag um is; aber i muaß Dir wohl a Veranlassung geb’n hab’n dazu! I bin eb’n a recht’a schlecht’s Madel, die si gar net z’ruckhalt’n kann, wia And’re. I hab’ Di net ungern und i kunnt mir Di grad scho als mei Mann vorstell’n! Aber wennst mi liab hast, so red’ jetz nix mehr davo! Wart’ wenigst’ns no a Zeit lang, westigst’ns bis ’s Jahr un is und Gras g’wachs’n is über’m Rupert sein Grab.“

Mathias sah sie mit glänzenden Augen an. Alle Vorwürfe seines Innern verstummten plötzlich; die erhaltene Antwort machte ihn ganz glücklich.

„Wart’n will i ja gern, so langst D’ willst, wennst mir a Hoffnung laßt; aber nur die nimm ma net; es is das Oanzige, was i no hab’!“

Er umfaßte sie stürmisch und drückte den ersten Kuß auf ihre Lippen; sie ließ es ruhig geschehen, aber entwand sich rasch seinen Armen, als von drinnen die Mutter nach ihr rief. Anna eilte hin und öffnete die Thür. Das Licht beleuchtete gerade ihr erregtes, tiefgeröthetes Gesicht; ein Zopf war ihr aufgegangen bei der Umarmung. Die Mutter sah sie forschend an.

„Warum bist D’ auf eimal so roth und so unordentli’ beisamm?“ sie beugte sich auf die Seite und sah Mathias. Da erhob sie warnend den Finger, und Thränen standen in ihren Augen.

„Anna,“ sagte sie, „i warn Di! Du hast an unglückselig hitzig’s Bluat! Gieb Obacht auf Di! Wirf Di net weg! Denk’ an den armen Rupert! Denk’ an mei böse Ahnung von damals! I hab ’s jetz wieda! Du hast koan Glück in Deiner Liab’ und ’s zweite Mal ertrag’s i net und Du net, wenn’s schief geht!“

Anna konnte nichts erwiedern, unendliche Scham überkam sie vor ihrer Mutter, in ihrem Wankelmuth so bloß gestellt zu sein. Sie knieete am Bett nieder und verbarg schluchzend ihr Antlitz an der Brust der Greisin, welche die Hände faltete zum Gebet für ihr schwaches Kind!

Mathias schlich aus der Stube wie ein Dieb. Zu Hause hielt es ihn nicht. Frohe Hoffnung, Stolz, das Mädchen gewonnen zu haben – dann wieder ein Grauen vor sich selbst, vor dem Betrug, den er zu spielen im Begriffe war, kämpften in ihm, und so rannte er brennenden Kopfes in die Nacht hinaus; die eisige Kälte that ihm wohl. Er eilte durchs Dorf aufs Gerathewohl und kam an dem Wirthshaus vorbei; der Klang einer Cither, Gejod’l drang heraus. Er trat ein – da gab’s Zerstreuung!

[174] In der Wirthsstube saß David mit mehreren Kameraden. Mathias wollte zurück, als er ihn bemerkte, doch es war zu spät. David rief ihm schon zu, und er mußte gehorchen. Seine Kette rasselte wieder! Er setzte sich mit an den Tisch und ließ Bier kommen.

„Di siecht mia so gar net mehr,“ sagte der Kleine, „immer bei den Weibsleut’n! Du muaßt ja ganz fromm werd’n, und wie guat Du ausschaust, muaßt im guat’n Futta steh’n – hat d’ Anna den Rupert scho vergess’n?“ setzte er lauernd hinzu, „das geht ja schnell bei so oaner!“

Mathias lief es kalt über den Rücken, er versuchte dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, doch David kam immer wieder darauf zurück.

„Jetzt schwimmst wohl Du ob’n im Langbauernhof! Hat der Mensch a Glück, wird eam der Jaga g’rad zur recht’n Zeit wegputzt! Du darfst dem dankbar sei, der ’s ’than hat!“ sagte er spöttisch, „schad daß man net woaß –“

„Da wird a nix mehr ’raus kumma!“ sagte einer der Anwesenden.

„Wer woaß,“ entgegnete David, eine bedenkliche Miene annehmend. „So a Sach’ braucht oft lang, und wann’s oaner am wenigst’n vermuth, wird er packt! Der ’s ’than hat, hat do koan Ruah bei Tag und Nacht, und vor jed’n Gendarm muß er Angst hab’n! Glaubst net, Mathias?“

Der rückte unruhig hin und her und wechselte zusehends die Farbe. „Dös glaub’ i a, daß er koan Ruah hat,“ erwiederte er, [175] „und er soll a koane hab’n, und bess’r war’s, er zeiget si selb’n an, liab’r in Zuchthaus als all’weil in dera Angst leb’n müass’n!“

David stutzte, er war zu weit gegangen, im Zuchthaus wollte er den Mathias nicht. Er mußte wünschen, daß er wohlhabend sei, um seinen Reichthum mit zu genießen, darum lenkte er sofort ein.

„A dumm’s G’schwätz! so g’fährli is net, wann a oaner davo wiss’n sollt, wer wird denn d’ Anzeig mach’n woll’n! Wozua so was? Da hilft do ender oaner dem andern!“

Mathias athmete auf. Nur jetzt nicht verrathen werden, wo er so voll Freuden, so voll Hoffnung war! Er wollte ja gern die That sühnen durch ein gutes Leben, durch Almosen und Wallfahrt, nur nicht als Verbrecher gefaßt werden vor Anna’s Augen! Lieber sollte ihn der David treten und mißhandeln, nur schweigen sollte er, wenn er wirklich was wußte.

Das Gespräch wich nicht mehr von diesem Thema, unzählige Wildererstückeln wurden erzählt, und Mathias war froh, nach einiger Zeit gehen zu können, unbemerkt, wie er glaubte. David indessen folgte ihm auf dem Fuße.

„Wia weit bist mit d’r Anna?“ fragte er leise.

Mathias gab ihm nur mit Widerwillen Antwort auf die Frage. „Wenn d’ Muatter nix dageg’n hat, d’ Anna sagt ja!“ preßte er heraus. „Aber –“

„Aber Du traust Di net, feiger Tropf!“ brauste David jetzt auf, „weil’st an d’n Rupert denkst! Fürchst Di am End, er könnt’ wieder komma! Dafür hast guat g’sorgt, der liagt fest da d’rüb’n!“

Diese direkte Anklage konnte Mathias nicht ruhig anhören. Er mußte sich gewaltsam zusammennehmen, um David nicht an den Leib zu gehen.

„Du red’st so, als wenn’st dabei g’wes’n wärst, und glaubst wohl, mi d’mit z’schreck’n! Nix woaßt Du, gar nix und kannst nix wiss’n! Jetzt hab’ i die G’schicht a mal satt! I hab’ nur das G’red z’fürcht’n, das durch Di umma kumma kann, weiter nix! Jetzt heb’ Di weg, sonst packt mi d’ Wuath und nacher könnt’s wirkli sei’, daß i an Mord beging’!“

Er hatte sich so in den Zorn hineingesprochen, als wenn er wirklich unschuldig verdächtigt worden wäre.

David lachte nur dazu, das machte Mathias ganz toll. Wie ein wildes Thier stürzte er sich auf ihn und warf ihn zu Boden. Aus der Schenke eilten die Leute heraus. David entwand sich wie ein Aal den Händen seines Angreifers und sprang in die Thür – dann riß er aus der innern Tasche ein kleines Büchelchen und schwenkte es gegen Mathias.

„Da steht’s drin, schwarz auf weiß!“

Dann verschwand er mit den Uebrigen. Mathias blieb in sprachlosem Schreck zurück. Er griff sich an die Stirn, ob er recht gehört und gesehen, und starrte noch immer gegen die Thür, wo David verschwunden war. Dann schüttelte es ihn wie Fieberfrost, und er eilte in die Nacht hinaus.

In diesem Buch stand schwarz auf weiß, daß er der Mörder! War denn ein Wunder geschehen? Die Todten können doch nicht mehr schreiben! Die Todten? – war er denn auch wirklich gleich todt? Er selbst floh ja gleich nach dem Schuß, von Entsetzen gepeitscht! Konnt’ der Jäger nicht noch ein Wort geschrieben haben? Aber man fand ja nichts bei ihm! Und der Erste, der zum Leichnam kam, konnte der nicht? Wer war der Erste? – David!! – Wie Blitze kreuzten sich diese Gedanken in seinem Hirn – jetzt sah er deutlich! David hatte das Buch gestohlen – er war ganz in seiner Hand!

Das warf ihn zu Boden, das war ärger als der Tod selbst – eine furchtbare Strafe des Himmels! In Angstschweiß gebadet, trotz der grimmigen Kälte, kam er nach Hause und schloß sich in seine Kammer.

Eine schlimme Nacht kam für ihn – ein Schlaf noch schlimmer als das Wachen. Da sah er immer wieder den todten Rupert – oder er kämpfte mit David, der immer größer und größer wurde, zu einem Ungeheuer, das ein flammendes Buch in seinen Krallen drohend schwang und ihn damit zu Tode schlug. Ueber ihm schlief Anna einen ruhigen Schlaf – das Leid war vergessen, und eine neue Liebe füllte ihr Herz aus.

Mathias erwachte mit einem festen Entschluß. So ging es nicht fort, er mußte mit David ins Reine kommen; am Ende war doch die Geschichte eine geschickte Erfindung, um ihn zahm zu machen; sollte aber doch etwas daran sein, so mußte er David’s Stillschweigen jetzt um jeden Preis erkaufen.

Dieser kam eben mit dem Holzschlitten den Berg herabgefahren, als Mathias auf dem Arbeitsplatz erschien.

„Hast Dei Wuth scho ausg’schlaf’n?“ rief er ihm zu, „wär’ i gar net nöthi g’wes’n, weg’n so an elendig’n Büach’l!“ Er lachte wieder höhnisch.

Mathias rief ihn auf die Seite.

„I will das Büch’l a mal selb’r seh’n,“ sagte er, „was drin steht, und wenn das a drin steht, mit was D’ mir allweil drohst, so is do net wahr, nachher hat si’ halt der Rupert selb’r g’irrt! Z’widerkeit’n kannst mir freili mach’n damit beim G’richt, und d’rum bin i kumma, um Di z’frag’n, was D’ verlangst für das Büch’l und für Dei Stillschweig’n?“

„Aha, jetzt wirst scho zahm’r! Ja, d’ Hitz hilft nix bei so oaner Sach’! Gieb’ Dir koa Müah, dös Büachl geb’ i net, aber sag’n thua i a Niemand was davo, das versprich’ i Dir, so langst Di guat halt’st mit mir! Was hätt’ i davo? Bin selb’r net so guat ang’schrieb’n beim G’richt! Wannst a mal Langbauer bist, und Du wirst ’s ja g’wiß, nachher nimmst mi in Dein Haus als Knecht oder wia’s Du’s nenna willst, und die G’schicht hat si g’hob’n!“

„Das hoaßt,“ entgegnete Mathias, „i soll Di abfuttern Dei Lebzeit, damit ’s still bist! Und was wird d’ Anna dazu sag’n?“

„Das is Dei Sach,“ entgegnete David, „i moan, i verlang net z’viel für so a G’heimniß, das Dir zehn Jahr Zuchthaus kost’n kon! Ueberleg’ Dir’s!“

Er fuhr mit dem Schlitten fort und ließ Mathias in verzweifelter Stimmung zurück. Da war nichts zu machen, er war und blieb dem David unterthan sein Leben lang.

„Liaber net heirath’n,“ dachte er sich, „nacher trag i’s wenigst’ns alloa, und wenn’s mir z’ arg wird, zeig i mi selb’r an.“

Mit diesem Entschluß ging er heim.

Er vermied, mit Anna allein zusammenzukommen; er versuchte, mit Gewalt die Neigung zu ihr sich aus dem Herzen zu reißen; aber Anna, die nun selbst Feuer gefangen, schürte dieselbe, nichts Schlimmes ahnend, immer von Neuem. Jeder ihrer Blicke war für ihn verhängnißvoll, hieß ihn nur zugreifen, um sein Glück zu erfassen; jeder Händedruck schürte die Gluth in seinem Innern. Er besaß nicht die moralische Energie, immer zu widerstehen; die Aufgabe war zu schwer für seinen ungeschulten Kopf und sein leidenschaftliches Herz. In Kurzem war Mathias in dem innern Kampf erlegen, er faßte den Entschluß, jetzt Alles aufs Spiel zu setzen, um Anna zu gewinnen.

Die Alte bemerkte wohl die innigen Blicke, die warmen Händedrücke; sie warnte und warnte in den Wind!

Mathias blieb den ganzen Winter im Hause, er gehörte fast schon dazu. Im Februar kam die Nachricht vom Tode seines kinderlosen Bruders, jetzt war er Besitzer eines kleinen Anwesens – Grundbesitzer! Das gab ihm Muth und Selbstgefühl.

Eines Tages trat Anna mit Mathias vor die Mutter hin und bat, wie damals, um ihre Einwilligung zur Heirath. Diese war nicht überrascht.

„S’ is no koan Jahr her,“ sagte sie bitter, „bist g’rad a so dag’stand’n Anna, vor mir mit an Andern und hast g’sagt: der oder koaner, obwohl Du g’seh’n hast, daß mir ’s Herz bluat hat! I hab’ damals glaubt an Dei Liab, hab’ mei’n Stolz ’nunter druckt und hab’ ‚Ja‘ g’sagt! Jetzt aber fehlt mir der Glaub’n, ma’ wechselt d’ Liab net wia a G’wand! Wer das kann, der hat net an Mann richti liab g’habt, bei dem war’s halt a Rausch! ’s Bluat stift dös an, net d’ Liab! Und so war’s a bei Dir und d’n Rupert, Anna, und – i fürcht – es is a jetz’ so, und für so an Rausch –“ sie stand auf und wandte sich zur Thür, „is der Muatterseg’n z’ guat! Heirath’s, i kann Euch net wehr’n und thua a nix geg’n Euch – aber mi laßt’s aus ’n Spiel! I will koa Verantwortung hab’n!“ und draußen war sie.

In Anna erwachte ein böser Trotz.

„Kann i denn der Muatter nia was recht thuan? Z’erst war der Jaga net recht, jetzt Du! No, da müaß ma ’s in Gott’s Nam alloa versuach’n! Mathias, magst?“

Sie faßte ihn bei der Hand und sah ihn liebestrunken an.

Er umfaßte sie und drückte sie begehrlich an sich.

„Für Di verschreib’ i mei’ Seel!“ keuchte er, „für Di begeh’ i a Verbrech’n! I bin Dei’, thua mit mir, was D’ magst!“

Die Mutter hatte Recht, das war ein Rausch!




[176] Im Frühjahr war große Hochzeit auf der „Post“ in S. Da ging’s lustig her! Das ganze Dorf war daran betheiligt, es war ein allgemeiner Feiertag. So ein schmuckes Paar wie Anna und Mathias hatte man lange nicht gesehen. Er hatte sich den Vollbart abnehmen lassen und sah jetzt viel jünger und sauberer aus. Sie schien so glücklich, als hätte nie ein Leid ihr Dasein getrübt. David war Brautführer. Anna wollte es nicht; sie konnte den kleinen verkniffenen Menschen nicht leiden, auch hatte er so gar kein Anrecht dazu; aber Mathias bestand darauf, und wegen einer solchen Kleinigkeit wollte sie nicht streiten.

Alles war voll Lustbarkeit – bis auf die Mutter! Die saß ernst und in sich gekehrt beim Pfarrer am Ehrentisch.

Die Hochzeit verlief ohne Störung, es wurde getanzt, geschuhplattelt, getrunken und gegessen nach Herzenslust. Jedermann verließ befriedigt mit dem „B’schoadessen“ (das Essen, das heimgetragen wird) in geblümten Tücheln das Fest. „Das war a noblichte Hochzeit,“ war das allgemeine Urtheil.

Mathias hatte sein höchstes Ziel erreicht; auf welchem Wege er es erreicht, daran dachte er an diesem Tage nicht! Auch David schien so freundschaftlich gesinnt, daß alle seine Besorgniß schwand.

„Mach’s nur mit der Bäurin weg’n meiner jetzt in Ordnung!“ sagte er ihm noch beim Abschied, „nacher fehlt Dir g’wiß nix weg’n der dumma G’schicht, da brauchst koan Angst z’ hab’n! I hätt’s ja g’rad a so g’macht!“

Mit einem Gefühl der Sicherheit, wie er es schon lange nicht mehr gehabt, ging Mathias mit Anna nach Hause. Nur eines drückte ihn noch: er mußte Anna dazu bestimmen, David ins Haus zu nehmen, und sie konnte ihn nicht ausstehen, das wußte er. Er beschloß bei sich, sie heute noch darum anzugehen; heute konnte sie ihm gewiß nichts versagen, und in der That war David am andern Tage im Hof als Oberknecht.

Alles ließ sich gut an, die Mutter hatte sich in das Unvermeidliche geschickt. Mathias war unermüdlich in der Sorge für die Wirthschaft, im Wirthshaus war er selten zu sehen. Seine Befürchtung, daß David sich übernehmen werde, traf bis jetzt noch nicht ein, auch machte er einen tüchtigen Knecht. Es schien endlich Friede eingezogen zu sein im Hause und Segen. Mathias hatte sein kleines Anwesen gut verkauft und ließ nun für das Geld den ganzen Langbauernhof neu herrichten, daß man kein schöneres Haus sehen konnte in S.

Das freute auch die Alte und söhnte sie vollends aus, ihr ganzes Herz hing ja daran, und was würde jetzt der Hannes dazu sagen, wenn er das zweistöckige schmucke Haus sehen könnte!

„Dösmal hat am End’ do das Mäd’l Recht g’habt!“ dachte sie oft bei sich.

Anna war eine strenge Bäuerin, sie war von Jugend auf an tüchtige Arbeit gewöhnt und verlangte dasselbe auch von ihren Leuten; ihr scharfes Auge war überall, bemerkte Alles!

David’s Fleiß aber hielt nicht lange an, er wollte nur erst warm sitzen, zum Arbeiten war er ja nicht hergekommen, das konnte er auch ohne Mathias und ohne – das „Büch’l“!

Er stellte sich wieder öfter auf der „Post“ ein, kam oft spät in der Nacht angetrunken nach Hause. Anna sah lange stillschweigend zu.

„Der Mathias wird es ihm schon verbiet’n!“ dachte sie.

Aber Mathias drückte immer die Augen zu, obwohl sie ihn öfters darauf aufmerksam machte.

Die Heuernte war im Gange. Das Wetter war immer regnerisch gewesen, das Heu drohte schon zu verderben – endlich kam ein schöner Tag, der mußte benutzt werden. Anna und Mathias waren schon bei Tagesanbruch bei der Arbeit, das Heu umzukehren und in Haufen zusammenzurechen. Aber David fehlte noch immer. Anna erklärte ihrem Manne, das ginge mit dem faulen Menschen nicht so fort. Mathias beruhigte sie, er sei vielleicht krank. Da kam er vom Hause, sich die Augen reibend, die Spuren einer durchschwärmten Nacht im Gesichte.

Anna war wie eine Brandfackel, sie glühte vor Zorn.

„Is das a a Manier, daß der Knecht nach die Herr’nleut’ zur Arbe’t kimmt?“ schrie sie ihm entgegen, „schamst Di net selb’r, Du Faulpelz?“

David lachte höhnisch und zündete gemüthlich seine Pfeife an. Das reizte die Bäuerin zum Aeußersten. Sie schlug ihm mit dem Rechenstiel die Pfeife aus dem Mund, daß sie weit davon flog.

„Willst mi am End’ no verhöhn’a, Du Nixnutz! Mach’ daß D’ aus mein Haus kimmst! Da is koan Platz für solche Strolch!“

David war krebsroth geworden und sah drohend auf Mathias, der mit Todesangst im Herzen weiter arbeitete.

„Guat,“ sagte David, „i geh’, aber –“ und er machte eine drohende Geberde – „i sag Dir’s, Bäuerin, Dei Mann holt mi bald wieder z’ruck, der kan mi net entbehr’n!“ Hohnlachend ging er davon.

Anna war starr über diese Frechheit sie sah auf ihren Mann und fand unbegreiflich, daß er, der sonst leicht aufbrauste, heute ganz ruhig blieb. Sie kannte ihn so gar nicht mehr.

„Mathias,“ sagte sie mit vor Zorn erstickter Stimme, „hast den Lump g’hört, und das laßt Du Dir g’fall’n? Drohn möcht’ er a no, ja mit was denn – mit was denn? Das wär mir die richtige Wirthschaft! Mathias,“ sagte sie energisch, „der David muaß jetzt erst recht aus’n Haus, sonst müaßt i ja selb’r glaub’n, Du hast was z’ fürcht’n von eam!“

Da wars wieder! Der dumpfe Flügelschlag der ungesühnten Schuld rauschte wieder über ihn her. Vorbei war’s mit Ruh und Glück – die sind nur für die Schuldlosen!

„Was soll i denn von dem z’ fürcht’n hab’n?“ sagte er anscheinend ruhig, „a unverschämt’r Bursch is er, dem i den Kopf scho z’recht setzen werd! Du bist halt’ a an Bisl z’ hitzi g’wes’n, Anna! Wer wird denn glei zuaschlag’n!“

„Ganz d’erschlagen hätt’ i ’s am liabst’n, das Un’ziefer, das allweil herumschleicht im Haus, wia ’s Unglück! Mir kehrt’s Alles um, wenn i den Mensch’n nur anschau’. Red’ mir nix mehr davo, heut no sagst eam auf!“

Da gab’s keine Widerrede, wenn er die Sache nicht noch verschlimmern wollte. Mathias stürzte sich mit wahrem Fanatismus in die Arbeit, nur um nicht an den Abend denken zu müssen, wo er David aufsagen sollte, aber der finstere Ausdruck in seinem Gesicht ließ nichts Gutes ahnen. Anna sprach kein Wort mehr darüber, sie hielt es für abgemacht, daß David ging.

Mittags wurde die Mahlzeit schweigend eingenommen; Beide waren nicht zum Reden aufgelegt. Das war die erste Verstimmung seit der Hochzeit. Dann wurde wieder gearbeitet im glühenden Sonnenbrand, bis der Tag wich und der letzte Haufe verschwunden war.

Es wehte jetzt eine wohlthuende frische Luft und der würzige Duft der abgeschnittenen Grashalme lag über der glatt geschorenen Wiese, der letzte hochgeladene Wagen voll Heu bewegte sich langsam dem Hof zu. Hinter ihm gingen Anna und Mathias, die Gabel auf den Schultern neben einander her. Als sie am Hof ankamen, saß David rauchend auf der Hausbank und machte gar keine Miene zu grüßen. Das wurmte Anna von Neuem.

„I muaß in d’n Stall, um ’s Vieh zu versorg’n! Bis i ferti bi, schau, daß ’n drauß’n hast!“ sagte sie zu Mathias.

Der ging in die Stube. Nebenan lag die Mutter; sie hatte wieder ihr altes Leiden und dazu noch heftige Herzkrämpfe, die ihr oft den Athem nahmen.

Jetzt mußte er handeln! Anna gab nicht nach, und am Ende kamen einmal die zwei an einander, dann wäre er sicher verloren. Er sah nach der Mutter, die schlief schwer athmend, dann rief er David herein. Er nahm alle Energie zusammen.

„Du hast g’hört, was d’ Bäurin verlangt: daß D’ gehst, heut’ no gehst! I kann’s net ändern, ihr g’hört der Hof!“

David’s Augen glänzten katzenhaft. „Und glaubst wirkli, daß i mi von dera wegjag’n laß! Hast denn ganz vergess’n –“

„Sei do stad (still),“ entgegnete dieser, mit einer warnenden Bewegung gegen die Kammer; „deßweg’n hab’ i Di ja ruaf’n lass’n. Was verlangst für a Entschädigung, wenn’s D’ glei gehst?“

„Gieb D’r koa Müah, Mathias! I geh’ net, um koan Preis, oder Du gehst mit – aufs Landg’richt! Mach’s mit d’r Bäurin aus wie D’ magst, sag’ ihr weg’n meina die ganz’ G’schicht! Wenn’s no a mal so is mit mir, wia heut’ fruah, nacher sag i ’s ihr selb’r! Nacher wird sie si’s wohl überleg’n! Ins Zuchthaus mag’s den Langbauer do net bringa!“

Mathias knirschte vor Wuth bei dieser frechen Rede, seine ganze Mannesnatur bäumte sich auf gegen ein solch’ entsetzliches Verhältniß. Noch einmal versuchte er seine Bande zu sprengen.

„Ja, und für was denn eigentli,“ fiel er ein, „lass’ i mir dös Alles g’fall’n? Weg’n an Büachl, das Du g’fund’n hab’n willst? Dös is einfach d’ erlogen! Und was steht denn in dem Büchl, dös möcht’ i do seg’n?“

[178] „Wehr’ Di net,“ entgegnete David, „’s is umsonst – seg’n möcht’s? Den G’fall’n kann i Dir thua, i hab’s all’weil bei mir!“

Er langte in die Tasche seines Rockes. Mathias trat der Angstschweiß auf die Stirn. David weidete sich an dem verstörten Anblick des Andern und zog es nur langsam heraus. Es war ein Notizbuch in grünem Leinwandeinband, wie es nur die Forstleute mit sich zu führen pflegen. David ging ans Licht und schlug das Buch auf. Vorn war ein gedruckter Kalender, dann folgten mit Bleistift beschriebene Seiten, kurze Notizen – er blätterte ruhig weiter. Mathias ging es durch Mark und Bein, dieses Blättern!

„Da schau her,“ sagte David mit teuflischem Hohne, indem er das letzte Blatt umschlug. „Siehgst den blutigen Finger da und die Schrift: ‚Mathi..‘? Weita is er nimma komma, der Tod hat ihm ’s Schreib’n g’legt, aber ’s langt, daß a Jeda seh’n kann: Du hast ihn umbracht!“

Mathias starrte mit gläsernen Augen die zitterigen, verzerrten Buchstaben an, es dröhnte in seinem Hirn, als seien es die Donner des jüngsten Gerichts. Keuchend rang er nach Luft; sein Athem ging pfeifend aus und ein – plötzlich fuhr er auf, stürzte sich auf David und faßte nach dem Buch.

„Gieb’s her,“ keuchte er, „oder i erwürg’ Di, Schlang’, elende!“

Dieser röchelte nun unter den eisernen Griffen des Mathias, der ihm die Gurgel zusammenschnürte. Das Buch hatte er krampfhaft umklammert; er schien entschlossen, sein Leben an die Vertheidigung zu setzen. Da ließ ihn plötzlich Mathias los und stand wie vom Schlag gerührt. David war selbst erstaunt und – erbleichte auch, als er die Ursache davon erblickte.

Unter der Kammerthür stand eine weiße Gestalt, die sich gespensterhaft von der Dunkelheit hinter ihr abhob. Sie schien dem Grabe entstiegen mit ihren erstorbenen starren Zügen, nur die Augen bewegten sich unheimlich. Es war die Alte, die im höchsten Entsetzen über den wüsten Lärm herausgeeilt war. Ein Betttuch hatte sie umgeschlagen und hielt sich zitternd am Thürpfosten aufrecht.

„Mörder!“ schrie sie Mathias entgegen, drohend die Hand erhoben, „verfluchter Mörder!“

Der sank in die Kniee vor Grauen und Entsetzen!

In diesem Augenblick öffnete sich die Stubenthür und Anna trat ein; sie hatte eben ihre Arbeit beendet und im Stall von dem Lärm oben nichts gehört. Sie sah Mathias am Boden, die Mutter unter der Thür – etwas Furchtbares mußte sich ereignet haben – aber was denn um Gotteswillen?

Einen Augenblick schwieg Alles – wie Gewitterluft lag es schwül in der Stube.

Plötzlich trat die Alte vor, riß dem zitternden David das Buch hinweg, das er noch immer in der Hand geöffnet hielt und deutete mit dem Finger auf das verhängnißvolle Blatt. „Lies!“ flüsterte sie der Tochter zu.

Anna las und las, ihre Züge waren wie aus Blei gegossen.

„Dös is net mögli!“ stöhnte sie, „so schlecht kann koa Mensch sei!“ Dann sah sie auf Mathias, wie um Aufklärung bittend! Der stand zerknirscht da und sprach kein Wort.

„Also, do is mögli! Es giebt wirkli so a Thier, und Du bist’s, Mathias – mei Mann!“ sie schauderte zusammen wie von Ekel erfaßt, dann stöhnte sie auf wie eine schwer Verwundete.

„Den Mörder heirath’n! o! o! das is z’ viel!“

Sie sank in die Kniee.

Die Alte warf das Buch auf den Tisch und wankte wieder zurück nach der Kammer – ihr Athem stockte hörbar – vor der Thür fiel sie plötzlich zusammen. Anna erwachte darüber aus ihrem Taumel und eilte hin. Die Alte röchelte nur noch – David sprang ihr bei – Mathias war nicht mehr lebendig zu nennen – sie schleppten sie zum Bett.

„Muatter! Muatter!“ rief Anna, „nur jetzt net, nur jetzt verlaß’ mi net, Dein arm’s elend’s Kind! I ertrag’ sonst net all das Elend!“

Keine Antwort! – Der Gehirnschlag hatte sie getroffen!

Anna hing an ihren erschlaffenden Zügen, ihre Hand ruhte auf dem guten alten Herzen, das so treu, so warm für sie geschlagen – das sie gebrochen!

Schauerlich tönte das Röcheln der Sterbenden durch den Raum; dann verstummte es plötzlich – sie hatte es überstanden! – Mit einem Aufschrei, wie er nur aus einer gemarterten Seele tönt, stürzte Anna über das Bett.

David schlich der Thür zu; das hatte er nicht gewollt! Mathias war an Allem schuld. Er sah sich um. Auf dem Tische lag noch immer das Buch; Niemand dachte daran, es zu nehmen, selbst Mathias nicht, der stumpf und gebrochen bei Seite stand. David wollte das Spiel nicht verloren geben, griff danach und steckte es wieder zu sich.

„Man muaß si net rühr’n lass’n, morg’n is All’s wieder anders!“ dachte er sich im Stillen. „Mathias,“ rief er dann, ihn beim Aermel zupfend, „da geh’ ’nein, da giebt’s z’ thuan für Di! Gieb mir net Schuld, von mir hätt’ koa Mensch was erfahr’n!“ Dann schlich er hinaus, hier war er überflüssig vor der Hand.

Mathias ging hinein, ein neues Opfer lag vor ihm – o! eine Blutschuld, sie wälzt sich fort wie ein vom Gewitter erregter Bergbach, immer mehr anschwellend, zuletzt Alles überfluthend!

„Anna!“ rief er bittend – sie gab keine Antwort. „Anna! ’s war ja Nothwehr – koa Mord! Er oder i – net aus Eifersucht hab’ i’s ’than, i schwör’s bei unserm Herrgott, der mi richt’n wird.“

Jetzt stand sie mit einem Ruck auf.

„Daß d’n Rupert umbracht hast, dös kann i begreif’n. D’ Menschen san a mal so schlecht, daß ananda d’erschiass’n weg’n an Stück Wild, aber daß Du, der Mörder – die Ang’lobte von Dei’m Opfer heirathst, dös schreit zum Himm’l! so verruacht is!“

„D’ unbändige Liab zu Dir, Anna, war’s ja, die mi dös begeh’n liaß – nix als die Liab zu Dir, die mi zerfress’n hat Jahr um Jahr – dabei hab’ i Alles verlor’n, den Verstand und ’s Gewiss’n!“

„Ja! der verfluachte Rausch! – Müatterl, Du hast ja so Recht g’habt!“ und wieder sank sie weinend über den Leichnam. „A i hab’n g’habt, wia hätt’ i sonst den Rupert so schnell vergess’n kenna! Dös is d’ Straf dafür, i fühl’s und sie wird no ärger werd’n! Und was soll jetzt g’scheh’n? Der Hof was wir hab’n – wir selb’n g’hören ja jetzt dem David!“

„I zeig’ mi selb’r an!“ sagte Mathias fest entschlossen, „nacher is aus mit d’m David, und Du bist wieder Herr auf’m Hof und i – i büaß’ mei Verbrech’n wia sich’s g’hört! Vielleicht wird’s nacher wieder ruhig da drinn!“

„Dös geht net!“ fiel sie ein, „um dera liab’n Todt’n net! Sie hätt’ im Grab koa Ruah, wann so a Schand’ kam über dös Haus! Na, dös geht net, lieb’r All’s. – I will mit dem David red’n – will eam das Büchel mit Geld aufwäg’n, wenn er mir’s giebt!“

„Und nacher?!“ redete Mathias, „was is mit uns Zwoa? Kannst mi no anschau’n ohne Haß? Kannst no leb’n neb’n an Mörder? Fürchst net den Fluach in Dei’m Haus?“

„Mit der Liab is freili vorbei, da is Alles erstorb’n da drinn! Es handelt si jetzt nur no um d’ Hausehr! So viel Kraft hab’ i no, daß i mei ganz Load verbeiß’ und vor der Welt mit Dir leb’, als war All’s beim Alt’n! In Wirklichkeit aber san ma von heut’ ab uns fremd und hab’n nix mehr mit ananda g’moa als ’s Dach über uns! So woll’n ma’s halt’n und standhaft das Unglück trag’n, dann kann do wenigst’ns mei arm’s Muatterl in Ehr’n ruahn und koan Schand’ kummt auf’n Hof. Jetzt geh und unser Herrgott verzeih’ D’r den Frevel, den’s than hast – drei Menschenleb’n, Mathias! – Drei Leb’n hast auf’m G’wiss’n – wenn’s dös nur Alles d’ertrag’n kannst!“

Sie ging in die Kammer der Alten und steckte geweihte Kerzen an, nahm das alte zerrissene Gebetbuch der Mutter und war bald versunken in innigem Gebet. Die Kerzen flackerten bei dem linden Luftzug, der durchs offene Fenster kräftigen Heuduft hereinwehte. Große Nachtfalter gaukelten um die Flammen und stürzten sich todesmuthig in das blendende Verderben.

Anna war eingeschlafen vor Ermattung; das Buch entglitt ihren Händen – ihr bleiches Haupt ruhte neben dem der Todten – nur ihre leisen Athemzüge, welche die silbernen Haare der Alten sachte bewegten, unterschieden das Leben vom Tode, die sich hier umschlungen hielten!

[189]
6.

Am andern Tage hatte Anna eine Unterredung mit David, der durch diese unverhoffte Entwicklung zahmer geworden war. Sie bot ihm eine große Summe, die sie wohl selbst ruinirt hätte, für Auslieferung der Schrift. Doch dazu ließ sich David nicht bestimmen, er befand sich zu wohl in seinem Machtgefühl über zwei Menschen, als daß er auf dasselbe verzichtet hätte. Anna mußte sich dazu bequemen, ihn im Hause zu behalten. Arbeiten sollte er nur so viel als nöthig war, um nicht die Aufmerksamkeit der Leute noch mehr zu erregen, die überhaupt schon über die Geduld des Langbauern, einem solchen Knecht gegenüber, den Kopf schüttelten.

Zum Glück war an dem verhängnißvollen Abend Niemand vom übrigen Gesinde im Hause, und als den andern Tag der Tod der Alten bekannt wurde, fiel es Niemand auf. Sie war ja in hohen Jahren und schon lange leidend.

Das ganze Dorf ging zu dem Begräbniß; sie hatte fast alle als Kinder schon gekannt, die jetzt hinter ihrer Bahre gingen.

Aeußerlich blieb Alles beim Alten im Langbauernhof. Man hätte glauben können, der tiefste Friede herrsche hinter diesen Mauern. Das leidende Gesicht, die verweinten Augen Anna’s erklärte man durch ihren Schmerz über den Tod der Mutter, die sie so lieb gehabt hatte; übrigens sah man die Beiden außer beim Sonntagsgottesdienst nie. Sie galten überall als fleißige ruhige Leute, die nichts kannten, als die Arbeit.

Anna blieb oft die ganze Woche auf der Alm, wo jetzt eine Sennerin eingestellt war. Dort fühlte sie sich noch am erträglichsten; dort sah sie wenigstens David nicht, der jetzt wieder der Herr im Hofe war. Dieses Verhältniß fraß der stolzen Bäuerin am Leben; jeder Versuch, die Last abzuschütteln, war vergebens gewesen: sie mußten sie wohl tragen bis an ihr Lebensende. Dazu kam die unaufhörliche Angst, all das könne doch vergebens sein, David könne doch plaudern! Sie war jetzt mit hereingezogen in diesen verbrecherischen Kreis, und wenn ein Gendarm sich dem Hof näherte, zitterten sie alle Beide, er möge zu ihnen eintreten.

Mathias ging umher wie ein Gespenst; der letzte Halt in seinem Leben, die Liebe Anna’s war ihm genommen. Nun stand er allein da mit der heimlichen, brennenden Qual in der Brust – das höhlte seine Wangen, beugte ihm den Kopf und hier und da zogen sich schon weiße Fäden durch seinen Bart. Es war ein unerträgliches Leben! Rupert war jetzt schon fürchterlich gerächt.

David allein gedieh in dieser Zeit; er wurde ordentlich rund bei der guten, kräftigen Kost, dem müßigen Leben; er arbeitete immer weniger, und die Bäuerin hielt ihn auch gar nicht mehr dazu an, sie war froh, wenn er nicht da war. Seines Schweigens konnte sie unter diesen Umständen sicher sein, keine verdächtige Aeußerung kam je über seine Lippen, mehr verlangte sie nicht von ihm. Allmählich wiegte man sich in eine gewisse Sicherheit, vielleicht konnte sich das Verhältniß mit der Zeit, die ja Alles vergessen macht, doch wieder bessern – dachte Mathias nicht mit Unrecht. Ein Weib kann nicht lange hassen, wo es geliebt wird, und Sünden, selbst Verbrechen aus Liebe werden gerne vergeben! So stahl sich doch noch immer ein Hoffnungsstrahl in seine Nacht, und so lang der noch leuchtet, wenn auch noch so spärlich, so lang ist man nicht ganz unglücklich.

Inzwischen fand David das müßige, gute Leben, welches er führte, langweilig. Als der Oktober kam, war er oft Tage lang aus; Niemand wußte wo. Das beunruhigte Mathias; er ahnte, wohin David ging. Die alte Leidenschaft war wieder erwacht, und als er in David’s Abwesenheit einmal in dessen Stube kam, sah er eine Drahtschlinge unter dem Bett hervorblitzen. Jetzt wußte er, daß seine Vermuthung richtig war. Aber wie! Wenn David erwischt wurde – er trug ja das Büchel immer bei sich – dann war er selbst doch verloren!

Als Jener einst wieder nach dreitägiger Abwesenheit heimkam, machte Mathias ihm darüber Vorwürfe. David leugnete auch nicht, daß er sich wieder mit Schlingenlegen befasse und erst heute früh sich eine Rehgais gefangen.

„S’ is mir wenga ums Geld als um d’ Hetz’, die ’s dabei giebt! Was geb’ i aufs Geld, fehlt mir ja nix bei Euch; aber dem Jaga, dem schlauen Reiser, der moant, eam kam nix aus, a Nas’n drah’n, das is a G’spaß für mi; dös riegelt mi ordentli auf, und der Posthalt’r is a froh, wenn er a billig’s Wildprett kriagt!“

„Wegen mein’r treibst, was D’ magst, aber wann’s Di a mal d’ erwisch’n sammt dem verflucht’n Büach’l, das D’ all’weil mit Dir tragst, was nacher? Nacher is mit Dir und mit mir aus!“

„Mi d’ erwisch’ns net! Mach’ Dir koan Angst! S’ Schlingaleg’n macht koan so dumma Lärm als Schiaß’n; ma kon’s bei der stockfinstr’n Nacht thuan – da derwisch oan!“

Das beruhigte aber Mathias wenig, und so oft David fort war, bemächtigte sich seiner die alte Bangigkeit.

David hatte Glück. Reiser und der Jäger hatten schon ein paar Mal Schlingen gefunden und dieselben abgeschnitten, aber vergeblich mühten sie sich ab, den schlauen Dieb zu erwischen. Paßten sie Nächte lang, so kam nichts – schauten sie nach einigen [190] Tagen wieder nach, war die Schlinge von Neuem aufgerichtet, oder es fanden sich die Spuren eines gefangenen und fortgeschleppten Wildes. Sie hatten es mit einem durchtriebenen Burschen zu thun. Reiser nahm sogar David in Verdacht, da er ihn öfters von ungefähr im Holz ohne Beschäftigung angetroffen. Er machte auch Mathias darauf aufmerksam, von dem er sich sonst ferne hielt. Der aber suchte es ihm auszureden: der David denke gar nicht an so was – im Innern aber erbebte er immer bei einem solchen Gespräch.

Es war schon Mitte Oktober. Die Berge waren längst angeschneit; die Hirsche schrieen die kalte Mondnacht hindurch in heißem Liebesverlangen, daß man es bis ins Dorf hinunter hörte. Da war gute Zeit für David, das Wildpret ist da den ganzen Tag unterwegs und geräth auf den vielbegangenen Wechseln leicht in die Schlingen. Es verging kein Abend, wo er nicht behutsam nach allen Seiten spähend aus dem Hause schlich.

Eines Abends saßen Anna und Mathias wie gewöhnlich schweigend beim Abendbrot, sie waren jetzt allein: um nicht immer beobachtet zu sein, hatten sie die paar Dienstboten, die früher da waren, entlassen. Das einsame Ticken der Uhr und das Klappern der Löffel waren das einzige Geräusch in der Stube. Auf Mathias’ Stirn lag tiefer Gram; sein Blick war scheu, nicht mehr so offen und männlich wie früher.

Anna war alt geworden, ein strenger Zug um die Mundwinkel nahm ihr den frischen Jugendreiz. Sie führte wie geistesabwesend den Löffel zum Munde; ihre Gedanken schienen in weite Fernen zu schweifen.

Eben schlug die Uhr mit schnarrendem Tone neun – da riß David die Thür auf, er schien in größter Eile, ohne Hut, ohne Rock; die heftigste Erregung spiegelte sich in seinen Zügen; auf den blassen Lippen stand Schaum, er rang nach Athem.

Mathias durchzuckte es bei diesem Anblick, es sauste in seinem Ohr, als ob das Haus einstürzte.

„Mathias,“ keuchte David, „mach’, daß D’ davo kimmst – der – der Reiser –“ der Athem ging ihm jeden Augenblick aus – „hat mi d’ erwischt – mein’ Rock mit d’ –“ er stockte.

Mathias traten die Augen aus den Höhlen, ein Schauer ging durch seinen Körper – auch Anna erblaßte.

„Mit’n Büach’l is hint’n blieb’n – gleich werd’ns da sei!“ –

Er stürzte auf die Bank, pfeifend ging’s aus seiner zum Zerspringen angestrengten Brust, er brachte für den Augenblick kein Wort mehr heraus. Mathias aber wußte genug – in einer Stunde war er verhaftet! Er sank förmlich in sich zusammen und blickte auf Anna; eine Thräne des tiefsten Schmerzes blitzte in seinem Auge.

„Also do – i hob g’moant, i hätt’ g’litt’n g’nua, i hätt’ all’s abbüaßt – aber das is all’s no nix, i hab mehr verdient – ’s Zuchthaus – d’ ewige Schand – dann erst wird a Ruah! Weg’n mir wär’s ja net, mir g’schechat ja recht, aber, Anna, Du, was kannst denn Du dafür – Du sollst die Frau sei von an Zuchthäusler! Das is ja g’rad’ so, als selber d’rin sei.“

Plötzlich fuhr er auf und raste im Zimmer herum in seiner fieberhaften Angst – „ja soll’s denn gar koan Rettung mehr geb’n, gar nix - koa Lug – koa neuche Unthat, die uns – die Di rett’n kunnt –“ er fuhr sich ins wirre Haar und riß daran – „wenn ma a mal so weit is – wenn ma so was ’than hat – nacher is ja all’s oans!“

Anna saß wie ein Steinbild am Tisch, rathlos, sie konnte nicht einmal weinen.

„Oan Ausweg giebt’s no,“ lispelte David.

„Was – was??!“ schrie Mathias, „red’, Unglückswurm!“

„Wann d’ Bäurin schwört, daß Du auf der Alm warst zur selbig’n Zeit! Nachher hat der Rupert si g’irrt und den falsch’n Namen geschrieben!“

Jetzt schnellte Anna in die Höhe.

„Also an Meineid soll i schwör’n! A neu’s Verbrech’n begeh’n! Den Mörder von mein Schatz hab’ i g’heirath, mei Muatter hab i in ’s Grab g’stoß’n und jetzt soll i no an Meineid schwör’n! Und glaubst’s denn, daß der was hilft – seht ’s denn net, daß ma der Vergeltung für so a That net ausweich’n kon? Na – jetzt nimma weita! Büaß Du, wia ’s d’ Gerechtigkeit verlangt – i büaß ja mit Dir mein Leichtsinn daham in ewig’r Schand und Schmach!“

Ihr Entschluß stand fest, das las man in ihren Zügen.

„Und i will’s selbst net,“ sagte Mathias, „i will Di net weit’r ziag’n auf den Weg, i hab D’r ja scho g’nua anthan! I lauf’ a net davo, was nutzt’s denn – i hab’s ja so satt dös elende Leb’n! Offen eing’stehn will i all’s, nachher soll’n s’ mi verurtheil’n, wia si ’s g’hört für an Mörder!“

Er sank auf die Bank und krampfhaftes Schluchzen hob die gewaltige Brust. Anna fühlte ein plötzliches tiefes Erbarmen bei diesem Anblick; alles Gefühl der Rache, des gerechten Zornes schwand; nur kummervolles Mitleid mit dem Tiefgebeugten füllte ihr Herz aus und die alte Liebe regte sich wieder. Sie trat auf ihn zu und legte ihm sanft die Hand aufs Haupt.

„Mathias!“ sagte sie, „trag’s als Mann – i will’s ja mit Dir trag’n!“

Bei diesem längst ungewohnten milden Klang ihrer Stimme sank er vor ihr auf die Kniee und umfaßte leidenschaftlich ihre Hüften.

„Anna!“ schluchzte er, „kannst ma denn verzeih’n? Kannst mi denn no a Bisl liab hab’n? Sag’s – und i will all’s geduldi ertrag’n – sag’s,“ schrie er wild auf, „aus Liab zu Dir hab’ i’s ja than – sag’s – oder si fang’n mi net lebendi!“

Sein Auge suchte angstvoll aus ihren Blicken zu lesen. Sie zögerte einen Augenblick – dann zog sie ihn zu sich empor; eine Thränenfluth überströmte ihn, und er fühlte ihren Kuß auf seinem Munde.

„I vergeb’, i kann net anders!“ stammelte sie, und wortlos hielten sie sich lange umfaßt.

David hatte sich an allen Gliedern schlotternd auf die Ofenbank gesetzt, er besaß nicht die Kraft zu fliehen. Der Anblick packte sogar diese verdorbene Natur. Da wurden Stimmen laut draußen vor dem Hause – es pochte an die Thür.

„Sie[WS 1] kommen!“ zischelte David.

Mathias und Anna hielten sich noch in den Armen; jetzt schreckten sie auf – Mathias war weiß wie die Wand, Anna ging hinaus zu öffnen.

Ein Gendarm trat ein und Reiser.

„Ist Ihr Mann zu Haus?“ fragte Ersterer.

„In der Stub’n is er, geht’s nur ’nein!“

Sie traten ein.

„Da bin i!“ rief ihnen Mathias entgegen „i geh’ freiwilli mit, Ihr habt’s scho den Rechten!“

Reiser packte David.

„Hab’ i Di endli, Lump?“

„Hast lang g’nua dazua braucht!“ erwiederte höhnisch David, „nur koan G’walt, i geh’ scho selb’n!“

Der Gendarm erklärte Mathias verhaftet, als des Mordes an Rupert verdächtig. Niemand that Einsprache, die Sache ging nicht so schwierig wie der Mann gefürchtet hatte.

Mathias fragte nur: „Muaß i glei mit? heut no?“

Der Gendarm nickte. „Ohne Aufschub!“ entgegnete er ernsthaft.

„Guat! wann’s sein muaß, is a bess’r glei!“

Er nahm sichtlich allen Muth zusammen, als er jetzt auf Anna zutrat zum Abschied, er wollte nicht schwach erscheinen vor diesen Leuten. Stürmisch drückte er sie an sich und küßte sie. Die Anderen standen schweigend dabei – sprechen konnte auch er nicht, es nahm ihm die Stimme.

„Leb’ wohl, Mathias!“ klang es leise von Anna’s Lippen. „Gott stärk’ Di!“

Da brach sein Muth; seine Lippen bebten; Thränen fielen von Neuem in den blonden Bart, seine zitternde Hand umklammerte ihren Nacken.

„Anna, ’s is das letzte Mal, daß wir uns seh’n! I überleb’s ja do net! Denk’ an Dein’ unglücklich’n Mathias net in Haß, und wennst von mei Tod hörst, bet’ für mi! I hab’ bis dahin All’s richti abbüaßt!“

„Na, Mathias, net so! Wir seh’n uns wied’r; mir sagt’s mei Herz, und i wart’ auf Di, und wennst kummst, all’r Schuld ledi vor Gott und die Mensch’n, wennst ausg’litt’n hast, nacher ruahst aus – da!“ sie drückte seinen Kopf an ihr Herz, „von all Dei’m Leid, und All’s is vergessen!“

Wie eine Engelsstimme klang diese Verheißung in die Nacht seiner Verzweiflung hinein. Er richtete mit einem plötzlichen Aufwallen des Muthes den Kopf empor.

„Ja, wenn dös wär!“ sagte er, „wenn i no hoff’n könnt’, dann ertraget i All’s – das woaß i!“

[191] Noch einen Händedruck, einen Kuß, und er verschwand unter der Thür, gefolgt von dem Gendarm, Reiser und David, für welchen die Stunde der Abrechnung nun ebenfalls geschlagen hatte.

Anna sah sie nicht gehen, sie war auf der Ofenbank zusammengesunken, die Hände vors Gesicht geschlagen, die Hausthür nur hörte sie zufallen und dann die schweren Tritte auf dem Kies. – Da erfaßte sie ein unnennbares Weh, die Liebe zu dem Manne übertönte alle anderen Stimmen in ihr, sie dachte nicht mehr an die Schande. Das schwere Leid, das über ihn kam, hatte ihn in ihren Augen aller Schuld entledigt.

„Mathias! – Mathias!“ schrie sie in die Nacht hinaus. Keine Antwort kam zurück – die Schritte waren auch schon verhallt – plöhlich legte sich ein grauer Schleier um ihre Augen; Alles drehte sich um sie, dumpfes Brausen klang in ihrem Ohre wie von einem Wasserfall, schwer aufschlagend stürzte sie zu Boden.

Den andern Tag lag sie in schwerem Fieber und phantasirte, sie wollte den Leichnam Rupert’s immer aufheben, aber er war zu schwer – sie keuchte vor Anstrengung.

„Helft! helft do!“ rief sie unzählige Male, dann schrie sie wieder entsetzlich auf – „Mathias!“

Der Arzt schüttelte den Kopf bedenklich, lange durfte es nicht so fortgehen. –

Mathias war in Untersuchungshaft, er erfuhr nichts von der Krankheit seiner Frau. Vier Wochen darauf war schon die Verhandlung, und das Urtheil lautete: acht Jahre Zuchthaus und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, als mildernde Umstände wurden angenommen das offene Geständniß, die eigene Lebensgefahr, in der Mathias geschwebt, der lang genährte Haß zwischen Beiden.

Er hörte sein Urtheil mit Ruhe. Der Hoffnungsstrahl, den Anna ihm beim Abschied entzündet, leuchtete ihm voraus auf den Weg zum Gefängniß – er leuchtete ihm acht Jahre. Mathias klammerte sich an ihn in diesem trostlosen Leben, mitten unter dem Auswurf der Gesellschaft, und wenn er oft verzweifeln wollte, tönte Anna’s Stimme besänftigend:

„I wart’ auf Di. wennst ausg’litt’n hast – nacher ruahst aus – da!“




7.

Es war ein häßlicher Sommer im Jahre 1874! Nebel hingen wochenlang steif und unbeweglich bis ins Thal hinab, die Berge verhüllend. Kein Sonnenstrahl brach hindurch, es war trüb und kalt, daß man wieder nach dem Ofen sah. Um so schöner war’s oben auf der Höhe, wenn man ungefähr anderthalb Stunden gestiegen, tauchte man plötzlich aus dem Nebelmeer; tiefblauer Himmel spannte sich über die in klarer Luft ruhenden Bergkämme, und die vom Nebel zurückgeworfenen Sonnenstrahlen verbreiteten eine Glühhitze, daß die Luft zitterte.

That man einen Blick rückwärts, fluthete, so weit das Auge reichte, der Nebel, ein weißes, im Sonnenlichte grell erglänzendes Meer; es brandete an den Berghöhen empor, die wie schwarze Inseln daraus hervorragten. Auch die Rainalm lag schon über der Nebelregion im heißen Sonnenlicht.

Anna jagte eben die Kühe aus dem Stalle, die vor den Mückenschwärmen hier Schutz suchten.

Sie war bedeutend verändert, ihre üppigen schwarzen Zöpfe, die ihr früher förmlich den Kopf herabzogen, waren jetzt dünn, mit Grau gemischt. Das Gesicht war gar nicht mehr hübsch; herbe, tief gefurchte Züge gaben ihr ein fast männliches Aussehen; nur das schwarze Auge blickte noch eben so energisch wie früher. Es waren acht Jahre verflossen seitdem sie die schwere Krankheit überstanden, seitdem Mathias fort war. Sie hatte ihr Leid mit Entschlossenheit und einer gewissen Würde getragen. Der Hohn, den sie anfangs gefürchtet, blieb ihr erspart; es giebt Leiden, über die der gemeinste Mensch nicht spottet, die dem Dulder gewissermaßen eine Krone, eine Leidenskrone aufsetzen. Zu diesen Gekrönten gehörte auch Anna.

Sie erfuhr nur wenig von Mathias, das Wenige war aber nur Gutes – daß seine Aufführung musterhaft sei.

Ihre Eingabe um Begnadigung war fruchtlos, man konnte bei dem Ueberhandnehmen des Wildfrevels keine Gnade üben.

Sie hatte alles Schlimme, was er ihr zugefügt, längst vergessen, es war ja doch nur aus Liebe zu ihr geschehen. – Sie sah in ihm jetzt nur noch den Dulder und fühlte das innigste Erbarmen mit ihm. Die Liebe zu dem Manne war in der Einsamkeit stärker geworden, als je zuvor. An die Schmach des Zuchthausgewandes, dessen Geruch unaustilgbar sein soll, dachte sie nicht. Was kümmern sie die Leute?!

Sie hatte allein gelitten. geweint Jahr um Jahr; sie wollte sich auch allein freuen, wenn er zurückkam – und dieses Glück, nach dem sie lechzte die lange Zeit, sollte ihr Niemand rauben!

Die Sommer verbrachte sie die ganze Zeit über auf der Alm; im Winter schloß sie sich in ihrem Hofe ein; sie hatte Niemand, auch keine Dienstboten im Haus.

David hatte drei Monate Gefängniß bekommen und war dann spurlos verschwunden, wohl in seine Heimath Tirol; einmal ging das Gerücht, er sei verunglückt bei der Holzarbeit.

In zwei Wochen sollte Mathias das Zuchthaus verlassen dürfen! – Sie zählte jetzt schon nach Tagen, wie früher nach Monaten und Jahren, endlich sollte auch diese böse Zeit enden. Sie sollte ihn wieder sehen, wieder in ihren Armen halten! Es ließ ihr nirgends mehr Ruhe, immer stellte sie sich’s vor, wie sie ihn empfangen wollte, wie er alles ausgestandene Leid bei ihr vergessen sollte.

Auch jetzt war sie wieder in diese Gedanken vertieft – sie setzte sich auf die Bank und nahm das grobe Strickzeug zur Hand wie früher in besseren Tagen.

Unter ihr wogte das Nebelmeer im Kampf mit den Sonnenstrahlen, aber immer von Neuem thürmten sich die weißen Ballen empor. Plötzlich horchte sie auf, der Klang eines Bergstocks tönte durch die reine Luft aus dem Nebel heraus; es war noch weit entfernt, aber immer wiederholte es sich – nun kam es weiter herauf. Wer konnte das sein? Wer suchte sie wohl auf auf der Alm? Den ganzen Sommer kam ja Niemand, und Holzer waren auch keine in der Nähe.

Jetzt mußte der Wanderer bald auftauchen, der den Lärm verursachte – es klang immer näher.

Sie spähte angestrengt in die Tiefe. Jetzt löste sich eine Gestalt in verschwommenen Umrissen, es war ein Mann – ein großer Mann – ihr Herz schlug bis zum Hals herauf; eine förmliche Angst überkam sie.

Immer mehr trat er aus dem Nebel hervor. Jetzt traf ihn der erste Sonnenstrahl – ein Schrei entrang sich ihrer Brust, ein Juhschrei so kräftig, so frohlockend, wie sie ihn seit Jahren nicht mehr ausgestoßen, hallte gegen die Wände – von unten erscholl die Antwort – zerrissen – wie von Thränen erstickt.

„Mathias! Mathias!“ schrie sie und eilte den steilen Weg hinab dem Kommenden entgegen.

Dieser sah sie wohl herabfliegen wie einen Vogel, und eilte nun auch im Laufschritt nach oben. Mitten unter dem zackigen Felsgestein trafen sie sich. Sie sanken einander in die Arme, lautlos – sie küßte sein ergrautes Haar und legte sein Haupt an ihre Brust.

„Da ruah aus!“

Kein Lüftchen regte sich, die erhitzte Luft zitterte um die nackten Felsen! Die Felsschrofen im Sonnenlicht ringsum sahen ernst herab auf das weinende, glückliche Menschenpaar, das keine Worte fand für die gewaltige Bewegung dieses Augenblicks.

Endlich legten sie Hand in Hand und schritten aufwärts, der Hütte zu; oben angelangt, kamen sie erst zu sich. Da gab es tausend Fragen, die alle gethan wurden, ohne auf die Antwort zu warten. Des alten Leides gedachten sie mit keinem Wort; es sollte im Nebel versinken wie das Thal da unten.

„I hab’ Di ja erst in zwei Woch’n erwart’! I hab’ ja All’s aufputz’n woll’n, um Di z’ empfang’n, und da kummst so auf eimal daher aus ’m Neb’l ’raus, daß i bald g’storb’n wär’ vor Freud’! aber weilst nur da bist, jetzt is All’s recht, jetzt kann Alles no guat wer’n, und i hab’ vielleicht no a Glück in der Liab, das ma d’ guate Muatter so abg’sproch’n hat!“

„Anna!“ erwiederte er, überglücklich durch diesen innigen Empfang, „sieh, i hab’ oft zweifelt, ob ’s D’ mi a wirkli no gern hast nach All’m, was g’scheh’n! I hab’ g’fürcht, daß die acht Jahr den letzt’n Funk’n auslösch’n werd’n in Dir. Das war mei ärgste Qual – aber jetzt seh’ i, daß Dei Wort g’halt’n hast, daß i wirkli ausruah darf an Dei’m guat’n treu’n Herz – i fühl’s, daß mir Du und der liabe Herrgott und d’ Welt und a d’r Rupert vergeb’n hab’n, was i armer sündig’r Mensch [192] gethan in der Leidenschaft, und a Freud', a Glück ziacht jetzt ei da drinn bei mir, wia i’s nia mehr g’hofft hab’!“

Noch einmal stürzten Thränen aus seinen Augen – diesmal aus Ueberfülle der Seligkeit.

Sie setzten sich auf die Bank vor der Hütte, Eins im Arm des Andern und erzählten sich ihr Leben und Leiden, oft unterbrochen von heißen Küssen, zuletzt verschmolz die Erzählung in seliges Liebesgeflüster. Sie merkten nicht, daß darüber der Abend kam.

Kein Lüftchen regte sich – die Strahlen der sinkenden Sonne ließen die Nebelballen unten purpurn erglühen und legten einen feierlichen Glanz auf die Häupter der alten Bergriesen ringsum. Friede breitete sich aus über der weiten, stillen Landschaft, Friede und Seligkeit in den Herzen der beiden Wiedervereinigten.

Auf dem Langhof ging nun ein neues Leben an.

Das Jahr darauf wurde dem Bauern ein kräftiger Bub von Anna geschenkt, er erhielt in der Taufe den Namen „Rupert“!



  1. Kob’l gleich Rindenhütte.
  2. Loder gleich Geselle.
  3. Gewichtl gleich kleines Geweih.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Si