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Vom Nordpol bis zum Aequator/Adlerjagden des Kronprinzen Rudolf von Oesterreich

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Textdaten
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Autor: Alfred Brehm
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Titel: Adlerjagden des Kronprinzen Rudolf von Oesterreich
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 3, 5, 8, 11, S. 48–50, 78–79, 127–128, 170–172
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Vom Nordpol bis zum Aequator.

Populäre Vorträge aus dem Nachlaß von Alfred Edmund Brehm.
Adlerjagden des Kronprinzen Rudolf von Oesterreich.
I.

Ungarn war von je und ist und bleibt ein Ziel der Sehnsucht deutscher Vogelkundiger. Günstiger gelegen als irgend ein anderes Land Europas, zwischen Nordsee und Schwarzem Meere, Ostsee und Mittelmeere, der großen nordosteuropäischen Ebene und den Alpen sich erstreckend, Norden und Süden, Steppen und Gebirge, Wälder, Ströme und Sümpfe in sich vereinigend, bietet es seßhaften wie wandernden und ziehenden Vögeln gleich erhebliche Vortheile und Annehmlichkeiten und weist daher einen Vogelreichthum auf wie kaum ein, vielleicht kein anderes Land unseres Erdtheils. Begeisterte Schilderungen dieses Reichthums, [50] der Feder unserer hervorragendsten Forscher und Meister entflossen, tragen nicht wenig dazu bei, jene, ich möchte sagen, angeborene Sehnsucht aller Vogelkundigen Deutschlands zu mehren und zu verstärken. Aber sonderbar – das schöne, reiche Land liegt uns so nahe, und wird dennoch so selten von uns Deutschen besucht.

Auch ich hatte nur seine Hauptstadt und sonst noch das gesehen, was man von einem Eisenbahnwagen aus sehen kann; ich theilte daher im vollsten Maße die Sehnsucht, von welcher ich eben sprach. Sie sollte erfüllt werden, aber nur, um brennender wieder aufzuleben. „Niemand wandelt ungestraft unter Palmen,“ und kein Vogelkundiger verlebt, ohne später sehnsüchtig Wiederkehr zu verlangen, Maientage in der Fruschkagora.

„Wollen Sie mich,“ frug mich mein gnädiger Gönner, Kronprinz Rudolf, „zu Adlerjagden nach Südungarn begleiten? Ich habe bestimmte Nachrichten von vielleicht zwanzig Adlerhorsten und glaube, daß wir Alle viel werden lernen können, wenn wir sie besuchen und dabei fleißig beobachten.“

Zwanzig Adlerhorste! Man muß jahrelang an die in dieser Hinsicht arme Scholle Norddeutschlands gebannt gewesen sein, muß freudige Ereignisse ähnlicher Art aus dem Wanderleben eines Vogelkundigen sich vergegenwärtigen können, um die Freude zu würdigen, mit welcher ich zusagte. Zwanzig Adlerhorste, in nicht allzugroßer Entfernung von Wien, in geringer von Pest: ich müßte nicht meines Vaters Namen führen, wäre ich gleichgültig geblieben![1] Zu Stunden kürzten sich die Tage bei allerlei Vorbereitungen, und zu Wochen wollten sie sich verlängern bei der Ungeduld, mit welcher ich die Abreise herbeiwünschte.

Es war eine kleine, aber heitere, hoffnungsvolle, waidwerkskundige und strebsame Reisegesellschaft, welche am zweiten Osterfeiertage des Jahres 1878 von Wien aufbrach. Außer unserem hohen Jagdherrn und seinem erlauchten Schwager befanden sich nur Obersthofmeister Graf Bombelles, Eugen von Homeyer und ich als Jagdgenossen auf dem schnellen und behaglichen Schiffe, welches uns einen Tag später von Pest aus der Mündung der „blauen“ Donau entgegen trug. Lenzduftig übergossen von der Morgensonne lag die stolze Kaiserburg in Ofen vor uns; im ersten Grün des jungen Jahres prangten die Gärten des Bloxberges, als wir in früher Morgenstunde von Ungarns Hauptstadt Abschied nahmen.

Mit einer Fahrt auf dem Rheine, der oberen und, wie man sagt, auch der unteren Donau, läßt sich die Strecke, welche wir jetzt durcheilten, nicht vergleichen. Wenige Kilometer unterhalb der Schwesterstädte verflachen die Ufer; rasch sinken zumal die Berge der rechten Stromseite zu ausdruckslosen Hügeln herab, und nur die blau überduftete Ferne zeigt dem Auge noch sanft bewegte Linien mäßig hoher Züge. Am linken Ufer breitet sich die weite Ebene aus. Unabsehbar, ohne Wechsel, gleichförmig, eintönig liegt sie vor den schweifenden Blicken; kaum daß eines der großen reichen Dörfer letztere zu fesseln vermag. Hier und da lehnt ein Hirt in Schäfertracht auf seinem gewichtigen Stabe; aber nicht das fromme Volk der wolligen Schafe ist seiner Obhut anvertraut, sondern grunzende Borstenträger umdrängen den sonnengebräunten Mann oder liegen reihenweise um ihn her, behaglicher Ruhe sich freuend. Um die durch Hochfluthen gefüllten Lachen gaukelt der Kiebitz; über die weiten Flächen schwankt der Kornweih; vor den in steil abfallenden Wänden eingegrabenen Nisthöhlen schweben Uferschwalben auf und nieder; auf den Schindeldächern der zahllosen Schiffsmühlen schreiten, schwanzwippend, zierliche Bachstelzen einher; vom Strome stehen polternd Enten und Scharben auf; über seinem Spiegel kreisen und fliegen Milane und Nebelkrähen. So etwa ist das Bild dieser Gegend beschaffen.

Bald aber ändert sich die Landschaft. Noch mehr verflacht sich die Ebene, welche der Strom einst gebildet und jetzt durchfurcht. Auf weiten noch nicht eingedeichten Flächen, welche jede Hochfluth der Ueberschwemmung aussetzt, theilt er sich in zahl-, meist auch namenlose Arme. Ueppig aufgeschossener Wald bedeckt deren Ufer und die Inseln dazwischen; dichte Ufersäume wehren dem Auge jeden Einblick in das Innere dieses Auwaldes, welcher auf meilenweite Strecken ringsum den Gesichtskreis abschließt. Bei aller Eintönigkeit gleichwohl wechselvolle Bilder entstehen und vergehen, gestalten, verschieben und lösen sich auf, je nachdem das Schiff sich mit dem Strome wendet. Weiden, Weiß-, Silber- und Schwarzpappeln, Ulmen und Eichen, erstere in überwiegender Menge, letztere oft spärlich eingesprengt, bilden den Bestand. Den dichten, fast ausschließlich aus Weiden bestehenden Ufersaum überhöhen ältere Bäume derselben Art; tiefer im Innern der oft weit in das Land einspringenden Waldungen erheben riesige Silber- und Schwarzpappeln ihre ausdrucksvollen Kronen, recken alte knorrige Eichen dürre Wipfelzweige in die Luft. Vom sprossenden Weidenschößlinge an bis zum absterbenden Baumriesen umfaßt ein einziger Blick alle Stufen des Baumlebens: entkeimende, erstarkende, in der Fülle des Wachsthums strotzende, wipfeldürre, vom himmlischen oder irdischen Feuer gefällte und halb verkohlte, auf dem Boden liegende, vermorschende und vermodernde Bäume. Dazwischen glitzert fließendes oder stehendes Wasser hervor; darüber wölbt sich der Himmel. Aus heimlichem Dunkel tönt der Schlag der Nachtigall, des Finken, der Gesang der liederreichen Singdrossel, gellt der Schrei des Falken oder Adlers, jauchzt der Specht, krächzt der Rabe, kreischt der Reiher. Dann und wann reißt eine Lichtung, ein noch nicht wieder überwucherter Schlag eine Lücke durch den Wald und gestattet einen Blick auf die ferne Landschaft dahinter, auf die weite Ebene des rechten Ufers und den sie begrenzenden Hügelsaum, auf endlos scheinende Felder, auf ein Kirchdorf, eine Stadt. Im Sommer, wenn das Blattgrün wesentlich dieselbe Färbung zeigt, im Spätherbste, Winter und Vorfrühlinge, wenn die Bäume unbelaubt sind, mag diese Uferlandschaft ermüdend wirken; jetzt erscheint sie zwar gleichförmig, aber nicht reizlos; denn alle die Weiden- und Pappelarten stehen gegenwärtig im jugendlichen Blätterkleide, meist auch im Schmucke der Blüthenkätzchen, und lassen die Waldungen, hier und da wenigstens, förmlich bunt erscheinen.

Nur an wenigen Stellen ist solcher Wald zugänglich, weil er im großen Ganzen nichts Anderes ist als ein ungeheurer Bruch. Versucht man, bald auf trockenen Pfaden, bald auf Wasserstraßen und Gewässern anderer Art vordringend, in das Innere zu gelangen, so erreicht man früher oder später eine Wildniß, wie Deutschland keine ähnliche aufzuweisen hat. Auf den am höchsten über dem Stromspiegel gelegenen Stellen, da wo fetter, theilweise schlammiger Boden sich findet, wird man noch am ersten an deutsche Auwaldungen erinnert. Hier stellen Maiblümchen einen saftig grünen, durch die weißen, duftigen Glöckchen wunderherrlich verzierten Teppich dar, welcher oft auf weite Strecken hin den Boden deckt; aber schon hier wuchern geilwüchsige Nesseln und Brombeeren in solcher Fülle auf, verschlingen verschiedene kletternde Rankengewächse ganze Waldestheile so vollständig, daß dem Fuße fast unüberwindliche Hindernisse entgegentreten. Auf anderen Stellen aber wird der Wald thatsächlich zum Bruche, aus und über welchem sich die Riesenbäume erheben. Mächtige Stämme, vom Alter, vom Sturme, vom Blitze, vom leichtsinnig entzündeten Feuer des Hirten gefällt, liegen vermorschend im Wasser, oft schon zum Nährboden jüngeren, üppig aufgeschossenen Buschwerkes geworden; andere, noch weniger von Verwesung ergriffen, sperren Weg und Steg. Abgefallenes Holz, von dicken Aesten an bis zu den schwächsten Zweigen herab, ist vom Winde zusammengeschwemmt worden und stellt schwimmende Inseln und vorspringende Zungen dar, welche dem kleinen Boote oft nicht geringere Hindernisse bereiten wie dem watenden Fuße. Aehnliche Schwimminseln, aus Rohr und Schilf bestehend, bilden auf weithin eine schlotternde Decke freierer Wasserflächen. Erhöhte Schlammbänke, auf denen Weiden- und Pappelarten den geeigneten Boden für ihre Samen fanden, stellen undurchdringliche Dickichte her und machen selbst den Rohrwaldungen, welche geographische Geviertmeilen bedecken können, den von ihnen bewachsenen Grund streitig; Zwergweiden, jugendfrische und greisenhafte Horste zugleich darstellend, treten tiefer in den Rohrwaldungen als dunklere Flecke hervor. Was der dichtere Wald mit seinen Brüchen und Dickichten, was das Röhricht bergen mag, bleibt dem suchenden Auge des Forschers größtentheils verborgen; denn nur die Säume dieser Waldwildnisse vermag er zu durchspähen.

Auf solchem Gebiete begannen wir die Jagden, welche in erster Reihe den Beherrschern der Lüfte gelten sollten.



[78]
II.

Am ersten Reisetage durch das Gebiet der Urwaldungen kamen uns die Adler noch nicht vor das Gewehr, nicht einmal zu Gesicht; dafür aber besuchten wir die weltberühmte Reiherinsel Adony und hatten Gelegenheit genug, das Leben ihrer Brutvögel zu beobachten. Seit zwei Menschenaltern horsten auf den Hochbäumen dieses Eilands unter den weit länger angesessenen Saatkrähen Reiher und Scharben oder Kormorane, und wenn auch die letztgenannten seit Beginn der sechziger Jahre erheblich abgenommen haben, sind sie doch nicht gänzlich verschwunden. Vor vierzig Jahren horsteten hier nach Landbeck’s Schätzung etwa tausend Paare Nacht-, zweihundertundfünfzig Paare Fisch-, fünfzig Paare Seidenreiher und hundert Paare Kormorane. Heutzutage bilden die Saatkrähen wiederum bei Weitem den Hauptbestand mit fünfzehnhundert bis zweitausend Paaren; die Fischreiher aber sind bis auf etwa anderthalb Hundert, die Nachtreiher bis auf dreißig oder vierzig Paare zusammengeschmolzen, die Seidenreiher gänzlich verschwunden, und nur die Kormorane haben sich in annähernd derselben Anzahl wie früher erhalten. Gleichwohl klingt uns wenigstens noch ein Nachhall des früheren Lebens in die Ohren, wenn wir die Insel betreten, und hier und da bietet der Wald sogar wohl noch ziemlich genau das alte Bild.

Scheinbar in bester Eintracht leben auf solchem gemischten Reiherstande die verschiedenen Vögel zusammen, und dennoch herrscht weder Friede noch Freundschaft unter ihnen. Der eine bedrängt und unterstützt, brandschatzt und ernährt den anderen. In den Siedelungen der Saatkrähen finden sich die Reiher ein, um der eigenen Arbeit des Nestbauens sich zu entziehen; jene schleppen die Reiser herbei und bauen die Nester auf; diese, zunächst die Reiher, vertreiben die Raben vom Neste, um letzteres, mindestens dessen Baustoffe, gewaltsam in Besitz zu nehmen; die Scharben endlich machen wiederum den Reihern die gestohlene Beute streitig und werfen sich schließlich zu Gewaltherrschern in dem gemischten Brutstaate auf. Aber auch sie, die Diebe und Räuber, werden bestohlen und beraubt; denn Krähen und Milane, welche letztere solchen Siedelungen selten fehlen, ernähren sich und ihre Jungen zu nicht geringem Theile von den Fischen, welche Reiher und Scharben zur Atzung ihrer Weibchen und Jungen herbeitragen. Die erste Begegnung der verschiedenartigen Brutvögel ist feindlich. Heftige, langwierige Kämpfe werden ausgefochten, und der zehnmal Besiegte erneuert zum elften Male den Streit, bevor er sich in das Unvermeidliche fügt. Mit der Zeit aber bessern sich die Verhältnisse in demselben Maße, wie die einzelnen Mitglieder des Verbandes erkennen, daß aus dem Zusammenleben doch auch Vortheile erwachsen und daß für friedliche Nachbarn Raum genug vorhanden ist. Kämpfe und Streitigkeiten enden allerdings niemals gänzlich; aber der erbitterte Krieg der einen Art gegen die andere weicht allgemach mindestens erträglichen Zuständen. Man gewöhnt sich aneinander und nutzt die Leistungsfähigkeit des Gegners so viel als möglich. Ja, es kann geschehen, daß der Beraubte schließlich dem Räuber folgt, wenn dieser sich veranlaßt sieht, seinen Brutplatz an einer anderen Stelle aufzuschlagen.

Der Anblick eines gemischten Reiherstandes ist im hohen Grade fesselnd. „Wechselvolleres, Anziehenderes, Schöneres,“ schildert Baldamus, „giebt es schwerlich, als diese ungarischen Sümpfe mit ihrer Vogelwelt, welche ebenso sehr durch die Anzahl der Einzelwesen wie durch die Verschiedenheit in Gestalt und Farben ausgezeichnet ist. Man sehe sich nur die hervorstechendsten dieser Sumpfbewohner in einer Sammlung an und denke sie sich dann stehend, schreitend, laufend, flatternd, fliegend, kurz lebend, und man wird zugeben müssen, daß solches Vogelleben ein wunderbar anziehendes ist.“ Diese Schilderung ist selbst dann noch richtig, wenn man sie auf die verarmte Insel Adony bezieht. So zusammengeschmolzen die einst sehr reiche Bevölkerung auch ist, noch immer handelt es sich um Tausende und andere Tausende. Auf weite Strecken des Waldes hin trägt jeder Hochbaum Horste, mancher deren zwanzig bis dreißig, und um sie wie auf ihnen regt und bewegt sich das lärmende Volk der verschiedenartigen Siedler. Auf den Horsten sitzen brütend die Weibchen der Saatkrähen, Fisch- und Nachtreiher und Scharben und lugen mit ihren dunkeln, schwefelgelben, blutrothen, seegrünen Augen auf den Störenfried herab, welcher ihr Heiligthum betritt; auf den höchsten Aesten der Riesenbäume hocken und klettern, über ihnen flattern, fliegen und schweben die schwarzen, braunen, grauen, einfarbigen und bunten, glanzlosen und schimmernden Vogelgestalten; über ihnen ziehen Milane ihre Kreise; an den Stämmen hängen und arbeiten Spechte; in den Blüthen eines Birnbaumes suchen glatte geschmeidige Grasmücken, im Wipfel der bereits belaubten Traubenkirschbäume Finken und Waldlaubsänger ihr tägliches Brot. Der an einzelnen Stellen so wunderherrliche Maiblümchenteppich [79] am Boden ist auf weite Strecken hin übertüncht und beschmutzt vom Geschmeiße der Vögel, verunziert durch zerbrochene Eier oder deren Schalen und aus den Restern herabgefallene verwesende Fische.

Der erste Schuß aus dem Gewehr unseres Jagdherrn ruft unbeschreiblichen Wirrwarr hervor. Kreischend erheben sich die erschreckten Reiher, unter sinnbethörendem Krächzen die Krähen; mutwillig knarrend verlassen auch die Scharben ihre Horste. Eine Wolke von Vögeln bildet sich über dem Walde, schwebt hierhin und dorthin, auf und nieder, überschattet, sich verdichtend, die Wipfel und löst sich in einzelne Theile auf, welche zögernd zu den eben verlassenen Horsten hernieder sinken, sie zeitweilig förmlich umhüllen und dann wiederum mit der Hauptmasse sich einigen. Jeder einzelne schreit, knarrt, krächzt und kreischt, daß die Ohren gellen, jeder flieht, und jeder wird durch die Sorge um Horst und Eier wieder herbeigezogen. Der ganze Wald geräth in Aufruhr, unbekümmert um diesen, um das wüste Gelärm aber schmettert der Fink seinen Frühlingsgruß durch den Wald, jauchzt ein Specht, schlagen Nachtigallen ihre herrlichen Weisen, offenbaren sich Dichterseelen unter Dieben und Räubern.

Reich mit Beute beladen, kehren wir nach vier- bis fünfstündiger Jagd zu dem wohnlichen Schiffe, unserem gemüthlichen Heim zurück, um während dessen Weiterfahrt unsere gewonnenen Schätze wissenschaftlich zu verwerten. Stundenlang fahren wir durch Auwaldungen, wie ich sie geschildert, dann und wann auch an größeren oder kleineren Ortschaften, Städten und Dörfern, vorüber, bis die zunehmende Dunkelheit Halt gebietet. In der Dämmerfrühe des nächsten Morgens erreichen wir Apatin. Böllerschüsse, Musik und freudige Zurufe begrüßen den geliebten Thronerben. Allerlei Volk drängt sich um das Dampfboot, eingeborene Jagdgehilfen, Horstsucher, Baumsteiger, Abbälger kommen an Bord , mehr als ein Dutzend kleiner Kähne, „Czikeln“ genannt, werden aufgeladen. Dann wendet der Dampfer, um wieder stromaufwärts zu fahren und uns in der Nähe eines breiten Stromarmes abzusetzen. Auf letzterem dringen wir zum ersten Male in die nassen Auenwälder ein. Dem größeren Boote, welches uns trägt, folgen alle die kleinen, welche wir in Apatin aufgeladen, wie Küchlein der Mutterente nachziehen. Heute gilt Aller Jagd dem Seeadler, welcher in diesen Wäldern so häufig brütet, daß im Umkreise einer Geviertmeile nicht weniger als fünf Horste erkundet werden konnten. Mit Waidmannsheil trennen wir uns, um diesen Horsten in verschiedener Richtung uns zuzuwenden.

Ich kannte den kühnen und raubfähigen, wenn auch unedlen, Raubvogel von früher her recht gut, denn ich hatte ihn in Norwegen und Lappland wie in Sibirien und in Aegypten oft gesehen, jedoch noch niemals an seinem Horste beobachtet; die jetzt sich dazu bietende Gelegenheit war mir daher hoch willkommen. Seinem Namen entsprechend, bewohnt er mit Vorliebe die Seeküsten, außerdem die Ufer größerer fischreicher Seen und Ströme. Vertreibt ihn der Winter aus seinem Gehege, so wandert er so weit nach Süden hinab, als er eben muß, um auch in den kalten Monaten sein Leben fristen zu können. In Ungarn ist er der häufigste aller größeren Raubvögel, verläßt das Land auch im Winter nicht und unternimmt nur in seinen jüngeren Jahren, vor seiner Mannbarkeit, weitere Streifzüge, gleichsam als wolle er sich in der Fremde versuchen. Während des Frühjahrs sieht man daher in unserem Jagdgebiete ausschließlich alte, ausgefärbte oder, was dasselbe sagen will, erwachsene, fortpflanzungsfähige Seeadler, wogegen im Herbste und Winter neben den wenige Monate früher ihrem Horste entflogenen Jungen auch zugewanderte Seeadler die Uferwälder der Donau beleben. So lange diese nicht mit Eis bedeckt ist, wird es ihnen nicht schwer, sich zu ernähren, denn sie jagen im Wasser nicht minder geschickt, vielleicht geschickter, als auf dem Lande, kreisen über der Fluth, bis sie einen Fisch erspähen, stürzen sich wie ein Wetterstrahl auf ihn herab, verschwinden, ihm nachtauchend, zuweilen förmlich unter den Wellen, arbeiten sich mit Hilfe ihrer mächtigen Schwingen aber rasch wieder empor, tragen die Beute, welcher sie die unwiderstehlichen Fänge durch den Schuppenpanzer schlagen, einem ruhigen Platze zu und verzehren sie hier in aller Gemächlichkeit. Ebenso finden sie sich, da man ihre Räubereien in Ungarn nicht so streng verdammt, wie bei uns zu Lande, regelmäßig in der Nähe der Fischerhütten ein und lungern hier oft in nächster Nachbarschaft derselben auf Bäumen sitzend, bis der Fischer ihnen die in seinem Hälter abgestandenen Fische zuwirft oder sonst etwas für sie abfällt. Wie der Fischer, sorgt auch der ungarische, serbische und slavonische Bauer für sie, indem er gefallene Thiere nicht verscharrt, sondern frei auf das Feld wirft und es unserem Adler und den Geiern oder Hunden und Wölfen überläßt, das Aas wegzuräumen. Entzieht die Eisdecke dem Seeadler seine gewöhnliche Beute und findet er zufällig auch kein Aas, so leidet er dennoch nicht Mangel, denn, wie der edlere und kühnere Steinadler, jagt er auf alles Wild, welches er überwältigen zu können glaubt. Er schlägt den Fuchs wie den Hasen, den Igel wie die Ratte, den Tauchvogel wie die Wildgans, nimmt der Seehundsmutter das säugende Junge weg, geht in blinder Raubgier so weit, daß er seine mächtigen Fänge in den Rücken von Delphinen oder Stören klammert und dafür von den einen wie von den anderen in die Tiefe gezogen und, bevor es ihm gelingt, die Klauen wieder zu lösen, ertränkt wird, er greift unter Umständen sogar den Menschen an. So kann es ihm kaum jemals fehlen, und, wenn er vollends nicht regelmäßig verfolgt wird, führt er ein geradezu beneidenswertes Leben.

Bis gegen die Brutzeit hin lebt der Seeadler mit seines Gleichen in Frieden; gegen Eintritt der ersteren regt sich auch in seinem Herzen, in den meisten Fällen wohl durch Eifersucht hervorgerufen, Kampflust und Streitsucht. Um des Weibchens wie um des Horstes willen ficht er erbittert mit anderen seiner Art. Wohl währt die einmal geschlossene Ehe eines Adlerpaares so lange wie einer der Gatten lebt, – aber nur dann so lange, wenn der Adler im Stande ist, die Adlerin gegen die Werbungen anderer seines Geschlechtes zu schützen und seinen eigenen Horst sich zu erhalten. Begehrlich richtet ein mannbar gewordenes, seiner Vollkraft bewußtes Adlermännchen Auge und Sinn auf des anderen Weibchen und Horst, und beide sind diesem verloren, wenn es dem ersteren gelingt, ihn zu besiegen. Der rechtmäßige Gatte kämpft daher auf Tod und Leben mit jedem Eindringlinge, welcher das eheliche und häusliche Glück zu stören trachtet. In hoher Luft wird der Kampf begonnen und oft erst am Boden ausgefochten. Mit Schnabel und Fang stößt bald dieser, bald jener auf den Gegner herab, bis es dem einen gelingt, den anderen zu packen, und er sofort wiederum des letzteren Krallen in seinem Leibe fühlt. Als wirrer Federballen stürzen dann beide aus hoher Luft herab in die Tiefe, entweder ins Wasser oder aufs feste Land, entkrallen sich gegenseitig, aber nur, um sofort einen neuen Kampf auszufechten. Wie erboste Hähne balgen sich die edlen Recken, wenn sie auf dem Boden weiter kämpfen, und zurückgelassene Federn und Blut bezeichnen die Wahlstatt, wie sie den Ernst der Kämpfer bezeugen. Das Weibchen kreist über den beiden Kämpfern oder steht von einem Hochsitze aus dem Streite anscheinend gleichmütig zu, liebkost den Sieger jedoch jedesmal, wenn er nach beendetem Kampfe zu ihm zurückkehrt, gleichviel ob dieser Sieger der erwählte Gatte oder der Eindringling ist. Wehe dem ersteren, wenn das Kriegsglück dem letzteren hold bleibt! In den Augen einer Adlerin gebührt nur dem Starken die Krone.

Nach siegreich zurückgeschlagenen Anfechtungen und Kämpfen solcher Art, welche keinem Adlermännchen erspart bleiben und in Ungarn alljährlich sich wiederholen dürften bezieht das Paar, voraussichtlich das längstverbundene, den alten Horst und beginnt bereits im Februar mit der Ausbesserung desselben. Die dazu erforderlichen Stoffe lesen beide Gatten vom Boden ab oder fischen sie aus dem Wasser heraus, brechen sie wohl auch von den Bäumen ab und tragen sie in den Fängen manchmal von weither zum Horste, um sie hier so kunstgerecht zu verbauen, als ein Adler vermag. Da solcher Ausbau alljährlich stattfindet, wächst der Horst nach und nach zu beträchtlicher Höhe heran, und man erkennt schon an dieser sein Alter, ebenso wie man von letzterem aus die Dauer einer Adlerehe schließen darf, denn die ältesten Horste haben auch die ältesten Adlerpaare inne. Der Horst steht nicht immer in den Wipfelzweigen, in allen Fällen aber hoch über dem Boden, mehr oder minder nahe am Stamme und stets auf starken Aesten, welche das schwere und immer schwerer werdende Gebäude zu tragen vermögen. Knüppel oder schwächere Zweige, alle sperrig durch- und übereinander gelegt, bilden Unter- wie Oberbau und gewähren vielen Feldsperlingspaaren , welche sich dreist und zuversichtlich in die Nähe des Gewaltigen drängen geeignete Höhlungen für Nester und Schlupfwinkel.




[127]
III.

Zu Ende des Februar oder im Anfange des März legt das Adlerweibchen zwei, höchstens drei Eier in die flache Nestmulde und beginnt nunmehr eifrig zu brüten. Der Adler versorgt die solcherart beschäftigte Gattin mit Atzung, entfernt sich, beutesuchend, aber auch jetzt noch ungern weit, und sitzt, wenn er für das Weibchen und für sich selbst gesorgt, als treuer und aufmerksamer Wächter in der Nähe des Horstes auf einem bestimmten Baume, welcher ebenso als Warte wie als Ruhe- und Schlafplatz dient. Nach etwa vierwöchentlicher Brutzeit entschlüpfen die Jungen; anfänglich sind sie weißen Wollklumpen, aus deren äußerer Umhüllung ein schwarzer Schnabel, dunkle Augen und bereits recht scharfkrallige Fänge hervorragen oder hervorlugen, vergleichbar und ebenso niedliche wie in frühester Jugend schon selbstbewußte Geschöpfe. Nunmehr giebt’s Arbeit genug für Vater und Mutter. Beide wechseln mit einander ab, um auf Beute auszuziehen und die Jungen zu bewachen; aber nur die Mutter übernimmt ihre Pflege. Wohl thut auch der Vater redlich das Seinige, um sie erziehen zu helfen; aber einzig und allein die Mutter ist im Stande, ihnen jene Dienste zu leisten, welche ich Ammendienste nennen möchte. Würde sie ihnen in den ersten Kindheitstagen entrissen: sie müßten ebenso verkümmern wie junge Säugethiere, denen man ihre Erzeugerin geraubt hat. Mit der eigenen Brust deckt die Adlermutter sie gegen Frost und Regen; aus dem eigenen Kropfe spendet sie ihnen erwärmte, erweichte, vorverdauete Atzung. Solche Ammenpflichten zu üben, versteht der Adlervater nicht; wohl aber übernimmt er, wenn die jungen Adler größer geworden, etwa halb erwachsen und in dieser Zeit ihrer Mutter beraubt worden sind, unweigerlich die alleinige Sorge um ihre Erziehung und atzt sie, vielleicht unter aufopferndster Mühe, vollends auf. Sie, die Jungen, wachsen rasch heran. In der dritten Woche ihres Lebens deckt sich ihre Oberseite mit Federn; gegen Ende des Mai sind sie ausgewachsen und flügge. Nunmehr verlassen sie ihren Horst, um unter Führung ihrer Eltern für ihr Gewerbe sich vorzubereiten.

Dies ist, mit flüchtigen Strichen gezeichnet, das Lebensbild des Adlers, welchem in den nächsten Tagen unsere Jagden galten. Nicht weniger als neunzehn besetzte Horste wurden von uns besucht und mit wechselndem Glücke bejagt. Manchmal zu Fuße, manchmal in kleinem Boote, manchmal springend und watend, manchmal kriechend und schleichend, versuchten wir, ungesehen und ungehört den Horstbäumen uns zu nähern; erwartungsvoll hockten wir stundenlang in rasch errichteten Laubhütten unter ihnen und schauten gespannt nach den Adlern aus, welche, durch uns oder Andere verscheucht, in hoher Luft ihre Kreise zogen und gar nicht wieder zum Horste zurückkehren wollten, aber doch zurückkehren und günstigenfalls uns zum Opfer fallen mußten. Eine Beobachtung reihte sich an die andere, und diese Adlerjagden gewannen infolgedessen unnennbaren Reiz für uns Alle.

Abgesehen von Adlern und anderen Raubvögeln, welche nebenbei erbeutet wurden, waren oder erschienen die so viel versprechenden Waldungen arm an gefiederten Bewohnern. Allerdings war es noch früh im Jahre und der Zug der Wandervögel noch in vollem Gange. Freilich vermochten wir kaum mehr als den Saum der Waldungen zu durchforschen: allein auch die Anzahl der Vögel, welche zurückgekommen und in jenen Räumen angesiedelt sein mußten, entsprach nicht unseren Erwartungen. Und dennoch beklagten wir Eins noch mehr als diese Armuth in unseren Augen: den Mangel an guten Sängern. Wohl jauchzte die Singdrossel ihre reichen Lieder in den frühlingsduftigen Wald hinaus; wohl schlug hier und da auch eine Nachtigall; wohl schmetterte der Fink uns überall seinen Lenzgruß entgegen; wohl probte auch schon eine Grasmücke ihre Kehle: aber weder der eine noch die anderen waren im Stande, unseren geschärften Ohren zu genügen. Wir vermochten in allen, welche sangen oder schlugen, immer nur Stümper, nicht aber Meister zu erkennen. Und so wollte es uns zuletzt bald scheinen, als gehöre der genannte Gesang gar nicht in diese ernsten Wälder und seien Adler- und Falkenschrei, Uhu- und Waldkauzgeheul, Rohrhuhn- und Seeschwalbengeknarre, Reihergekreische und Spechtgelächter, Kukuksruf und Hohltaubenruksen die zu ihnen passende Melodie und daneben höchstens noch der im Röhricht und Schilfe hausende Rohrsänger, welcher den größten Theil seines verworrenen Liedes den Fröschen abgelauscht, der einzig berechtigte Singvogel.

Der vierte Jagdtag galt dem einige Meilen vom Donauufer entfernten Keskeeder Walde. Eine weite, erst in ziemlicher Ferne von Höhenzügen begrenzte Ebene nahm uns auf, als wir die Auwälder verlassen hatten; durch trefflich bebauete Felder der großen, musterhaft bewirthschafteten Herrschaft Bellye führte uns der Weg, den wir mit raschen Pferden wie im Fluge zurücklegten. Hier und da sumpfige Wiesen mit Teichen und Wassergräben, ein hainartiges Wäldchen, ein großes, von knorrigen Eichen umstandenes Wirthschaftsgebäude, ein Weiler, ein Dorf, sonst nur baumlose Felder: dies war das Gepräge der Gegend, welche wir durcheilten. Von den Feldern stiegen singend zahllose Lerchen auf; auf den Straßen trippelten zierliche Bachstelzen umher; auf den Hecken am Wege saßen Würger und Grauammer; in den Kronen der Eichen lärmten und sangen dort nistende Dohlen und Staare; über den Weihern zogen fischende Flußadler ihre Kreise und tummelten sich niedliche Seeschwalben im Zickzackfluge; im Sumpfe trieb sich der Kiebitz umher; von anderen Vögeln bemerkten wir wenig. Auch der Keskeeder Wald, welchen wir nach zweistündiger Fahrt erreichten, ein wohlgepflegter Forst, war trotz seines gemischten Bestandes arm an Arten; in diesem Walde aber horsteten Schrei- und Fischadler, Schlangen- und Mäusebussarde, Falken und Eulen und vor allem Waldstörche in überraschender Anzahl, und unsere Jagd fiel daher über alle Erwartung glänzend aus. Und doch kannten die Forstleute, welche erst vor wenig Tagen von dem in Aussicht stehenden Besuche unseres hohen Jagdherrn Kunde erhalten, den Wald [128] nach Horsten durchstreift und sie auf einer rasch angefertigten Karte verzeichnet hatten, keineswegs alle in diesem einen Walde horstenden Raubvögel und Schwarzstörche. „Es sind Zustände wie im Paradiese,“ bemerkt Kronprinz Rudolf und bezeichnet mit diesen wenigen Worten das Verhältniß, welches zwischen den Menschen und den Thieren Ungarns besteht, klar und treffend. Wie der Morgenländer, kennt auch der Ungar glücklicher Weise jene Mordsucht nicht, welche die außerordentliche Scheu der Thiere und ebenso die so schmerzlich fühlbare Thierarmuth Westeuropas bewirkte: er gönnt selbst dem Raubvogel, welcher auf seinem Besitzthum sich ansiedelte, gern eine Heimstätte und greift nicht fortwährend roh und grausam ein in die thierische Welt, welche um ihn her lebt und webt. Nicht einmal der schnöde Eigennutz, welcher gegenwärtig alljährlich Räuberfahrten habsüchtiger Federhändler nach den Sümpfen der unteren Donau veranlaßt und um der Schmuckfedern willen Hunderttausende von frischfröhlichen, theilnahmswerthen Vogelleben opfert, hat den Magyaren bewegen können, von seiner alten guten Sitte abzuweichen. Mag auch Gleichgültigkeit gegen die ihn umgebende Thierwelt ihren Antheil haben an der Gastlichkeit, welche er übt: die Gastlichkeit ist thatsächlich noch vorhanden und der Verfolgungssucht noch nicht gewichen. Vertrauensvoll siedeln sich die Thiere, zumal die Vögel, in unmittelbarer Nähe des Menschen an, unbekümmert um dessen Treiben gestalten sie sich das ihrige. Der Adler horstet am Waldwege, der Kolkrabe im Feldhölzchen; der Waldstorch zeigt sich kaum scheuer als der geheiligte Hausstorch; das Wild steht nicht vom Lager auf, wenn der Wagen auf Schußweite an ihm vorüber fährt. Es sind wirklich Zustände wie im Paradiese.

Paradiesische Zustände sollten wir übrigens auch außerhalb des Keskeeder Waldes kennen lernen. Nachdem wir letzteren nach verschiedenen Seiten hin durchstreift, über zwanzig Schlangen- und Fischadler- sowie Schwarzstorchhorste besucht und bejagt, an einem uns gebotenen trefflichen Frühstück und noch mehr an den köstlichen Weinen der Umgegend uns gestärkt und erquickt hatten, traten wir, zur Eile gemahnt durch drohendes Gewittergewölk, unsere Rückreise nach dem Schiffe an, auch jetzt noch jagend und sammelnd, so viel Zeit und Gelegenheit gestatteten. Der Weg, auf welchem wir dahinfuhren, war ein anderer, als der, welcher uns zum Walde geführt hatte, eine recht gute Hochstraße nämlich, welche verschiedene Dörfer verband. Mehrere der letzteren hatten wir hinter uns, als wir von Neuem zwischen Häuser einbogen. An den Gebäuden war nichts Absonderliches zu sehen, an den Bewohnern dagegen mehr, als ich mir jemals hätte träumen lassen. Die Bevölkerung des Dorfes Dalyok besteht fast ausschließlich aus Schokazen oder katholischen Serben, welche zur Zeit der Türkenherrschaft von der Balkan-Halbinsel hierher gewandert, beziehentlich von den Türken hierher geschleppt worden sein sollen. Es sind schöne, schlanke Menschen, diese Schokazen, die Männer groß und kräftig, die Frauen den Männern mindestens ebenbürtig, äußerst wohl gebaut und, wie es scheint, auch ziemlich hübsch. Ueber ersteres konnten wir ein Urtheil fällen; hinsichtlich des letzteren mußte die Phantasie einigermaßen nachhelfen; denn die Schokazinnen tragen eine Gewandung, wie sie gegenwärtig innerhalb Europas Grenzen schwerlich sonst noch vorkommen dürfte: eine Tracht, welche unser hoher Jagdherr, findig und bezeichnend wie immer, mythologisch nannte. Wenn ich sage, daß Kopf und Gesicht großentheils in eigenartig, jedoch nicht unmalerisch gewundene und geknotete Tücher eingehüllt sind und der Rock durch zwei buntfarbige, schürzenartige, nicht mit einander verbundene Tuchstücke vertreten wird, darf ich im Uebrigen reger Einbildungskraft vollste Freiheit gestatten, ohne befürchten zu müssen, daß sie so leicht dennoch vorhandene Grenzen überschreiten werde. Ich meinestheils wurde lebhaft an ein Lager arabischer Wanderhirten erinnert, welches ich einstmals in den Urwäldern Innerafrikas betreten hatte.

[170] Unter strömendem Regen erreichen wir mit Eintritt der Dunkelheit unser gemächliches Schiff. Regnerisch ist auch der folgende Morgen, trübe der ganze Tag, verhältnißmäßig unergiebig die Jagd. Dies Alles treibt zur Weiterreise, und wiederum rauscht unser schnelles Schiff donauabwärts. Nach wenigen Stunden erreichen wir Draueck, die Mündung der Drau, welche fortan die Richtung des Donaubettes zu bestimmen scheint. Eines der großartigsten Strombilder, welches ich je gesehen, liegt vor dem Auge. Eine weite Wasserfläche breitet sich aus; nach Süden hin begrenzen sie lachende Hügel, nach allen übrigen Seiten Auwälder, wie wir bisher sie gesehen. Weder der Lauf des Hauptstromes noch das Bett des Zuflusses läßt sich verfolgen; die ganze ungeheure Wasserfläche gleicht einem rings umschlossenen See, dessen Ufer nur an der erwähnten Hügelkette deutlich hervortreten; denn zwischen dem Grün der Wälder hindurch sieht man da, wo Lücken Einblick gestatten, wiederum Wasser, Dickicht und Röhricht, letzteres, den meilenweiten Sumpf Hullo überkleidend, in endlos scheinender Ausdehnung. Riesige Baumstämme, von dem einen wie von dem anderen Strome herbeigeführt und nur theilweise überfluthet, nehmen phantastische Formen an; es will scheinen, als reckten sagenhafte Thiere der Vorwelt ihre beschuppten Leiber über die dunklen Fluthen empor. Denn dunkel, fast schwarz fluthet die „blonde“ Donau dahin, während unser Schiff das Draueck durcheilt. Grauschwarz und schwarzblau hängen Gewitterwolken am Himmel, anscheinend auch zwischen dem hundertfach schattirten Grün der Wälder und über den gleichmäßig fahlgelben Rohrflächen: Blitze beleuchten grell das ganze Bild; der Regen rauscht prasselnd hernieder, der Donner rollt dazwischen, der Sturm heult in den Wipfeln der alten Hochbäume, wühlt die Wasserfläche auf und krönt die dunklen Wellenkämme mit grauweißem Gischt; unten, im Südosten, aber bricht die Sonne durch das schwarze Gewölk, säumt es mit Purpur und Gold, erhellt und erleuchtet es, daß die tiefen Schatten noch schärfer hervortreten, und strahlt flimmernd auf den bunten Hügeln [171] wieder, welche in weitester Gesichtsferne zu einem Gebirge aufsteigen. Dort unten, dort drüben, liegen auch Weiler und Dörfer, hier oben unterbricht höchstens eine kegelförmige, rohrgedeckte Fischerhütte die Ursprünglichkeit des großartigen, in seiner Wildheit und der augenblicklichen Beleuchtung und Bewegung unnennbar erhabenen Bildes.

Vom folgenden Tage an durchstreifen wir jagend und beobachtend ein wundervolles Gebiet. Die blauen Berge, vor und auf denen gestern während der Gewitternacht heller goldiger Sonnenschein lag, sind die Höhen der Fruschkagora, eines waldigen Mittelgebirges der köstlichsten Art. Graf Rudolf Chotek hat in der umsichtigsten Weise Alles zu würdigem Empfange unseres hohen Jagdherrn vor- und damit uns Allen unvergeßliche Tage bereitet.

Die Gegend, welche wir vom Dorfe Czerowitz tagtäglich durchstreifen, ist sehr anmuthig. In der Nähe des Dorfes breiten sich Felder aus; über diesen beginnt der Gürtel der Weinberge, welcher bis zu dem Waldsaume reicht; in den Thälern und Schluchten dazwischen blühen und duften jetzt zahllose Obstbäume, denen die ganze Gegend einen ungemein freundlichen Anblick verdankt, an den Hängen am Wege, welcher in der Regel den Thälern folgt, wuchert dichtes Gebüsch, und eine um so reichere Blüthenpracht erquickt das Auge, als es den Thälern auch an murmelnden Bächlein oder doch tropfenden Wässerlein nicht mangelt. Von den ersten Höhen aus bietet sich dem Auge ein überraschend schönes Bild der Landschaft. Unten im Vordergrunde baut sich das Dorf Czerowitz malerisch auf; dann folgt die breite Donau mit ihren Auwaldungen am anderen Ufer; hinter ihr und ihnen breitet sich, endlos erscheinend, die ungarische Tiefebene aus und zeigt dem Beschauer ihre Felder und Wiesen, Wälder und Sümpfe, Dörfer und Marktflecken in der unsicheren, wechselvollen und gerade deshalb so fesselnden Beleuchtung; nach Osten hin endlich haften die Blicke an der Feste Peterwardein.

Nach kurzer Wanderung schwinden Strom, Dörfer und Felder, und irgend eines der heimlichen Waldthäler des Gebirges nimmt uns auf. Steil fallen von beiden Seiten die Bergwände zu ihm ab, zwar nicht besonders hoher, aber dichter Wald deckt sie wie ihre Rücken und Grate. Eichen und Linden, Ulmen und Ahorne bilden auf weite Strecken hin, Rothbuchen und Hornbäume an anderen Stellen den Bestand, dichte niedere Gebüsche, in denen ein Nachtigallpaar neben dem anderen haust, umsäumen die Ränder. Nicht großartige Fernblicke lohnen den Wanderer, welcher die höchsten Rücken erklimmt und nach Norden hin Ungarn, im Süden Serbien vor sich liegen steht; aber heimliches Waldesdunkel umschmeichelt ihm Herz und Sinne. Von dem Hauptkamme, welcher höchstens bis zu neunhundert Meter unbedingter Höhe aufsteigen mag, zweigen sich in mehr oder weniger senkrechter Richtung nach beiden Seiten viele Ketten ab. Sie fallen zu Thälern ab oder umschließen Kessel, deren Wände bis jetzt noch Abfuhr gefällten Holzes verwehren und daher in urwüchsiger Waldespracht prangen. Riesenhafte, gerade aufgeschossene, bis zum weit ausgelegten Wipfel glattstämmige Buchen erheben sich aus moderndem Laube, in welches der Fuß des Jägers bis zu den Knieen einsinkt, knorrige Eichen recken ihre Wipfelzacken in die Luft, als ob sie alle Raubvögel einladen wollten, auf ihnen den Horst zu gründen; wölbige Linden bilden streckenweise ein so geschlossenes Blätterdach, daß der Sonnenstrahl nur als vielfach gebrochener Widerstrahl zum Boden herabzittert. Singdrossel und Amsel, Pirol und Rothkehlchen, Edelfink und Waldlaubvogel sind neben der allerorts angesessenen Nachtigall die Sänger dieses Waldes; der Kukuk ruft seinen Frühlingsgruß von Berg zu Berge, Schwarz- und Grünspecht, Kleiber und Meisen, Ringel- und Hohltaube lassen sich vernehmen

Unsere Jagden galten hier hauptsächlich dem größten europäischen Raubvogel, dem Kuttengeier, dessen nördlichste Brutgebietsgrenze die Fruschkagora zu bilden scheint. Ihm hatte sich neuerdings, wohl herbeigezogen durch die unglücklichen Opfer des Krieges in Serbien, der zweite große Geier Europas gesellt, und beide brüteten hier unter erklärtem Schutze des thierkundigen und thierfreundlichen Grundherrn.

Der Kuttengeier, dessen Verbreitungsgebiet nicht allein die drei südlichen Halbinseln Europas, sondern auch West- und Mittel-Asien bis Indien und China in sich begreift, ist Standvogel in der Fruschkagora, unternimmt aber nach der Brutzeit gern weitere Ausflüge, welche ihn regelmäßig bis in das nördliche Ungarn, nicht allzu selten auch bis Mähren, Böhmen und Schlesien führen. Gewaltige Flugwerkzeuge setzen ihn in den Stand, derartige Ausflüge ohne jegliche Beschwerde zu unternehmen. Nicht an Eier oder hilfsbedürftige Junge gekettet, erhebt er sich in den ersten Vormittagsstunden von dem Baume, welcher ihm Nachtruhe gewährte, steigt in Schraubenwindungen zu Höhen empor, in denen er dem unbewaffneten Menschenauge entschwindet, überschaut von hier aus mit seinem unvergleichlich scharfen, beweglichen, für verschiedene Entfernungen einstellbaren Auge überaus weite Flächen mit bewunderungswürdiger Sicherheit, erkennt selbst ein kleines Aas noch und läßt sich, sobald er solches entdeckte, aus der Höhe herab, um es zu verzehren und zu verdauen, mindestens vorläufig im Kropfe aufzuspeichern worauf er den Rückzug zur altgewohnten Stelle antritt oder seine ziellose Wanderung fortsetzt. Ebenso wie er das unter ihm liegende, vielleicht viele geographische Geviertmeilen umfassende, seinem Auge jedoch vollkommen erschlossene Gelände absucht, achtet er auch auf das Gebahren, zumal auf die Bewegungen anderer seiner Art oder großer aasfressender Raubvögel überhaupt, um aus deren Handlungen Vortheil zu ziehen. So nur erklärt sich das plötzliche und gleichzeitige Erscheinen mehrerer, selbst vieler Geier auf einem größeren Aase, und auch in solchen Gegenden, in denen sie nicht ansässig sind. Nicht ihr an und für sich stumpfer Geruch, sondern ihr Gesicht leitet sie bei ihren Raubzügen. Einer fliegt dem anderen nach, wenn er sieht, daß dieser eine Beute erspähete, und die Schnelligkeit seines Fluges ist so bedeutend, daß er in der Regel noch rechtzeitig beim Schmause eintreffen kann, wenn er sieht, daß der Entdecker der Beute, noch schwankend, über letzterer seine Kreise zieht. Zögern darf er freilich nicht, denn nicht umsonst heißt er, heißt jener Geier: die Gier seines Geschlechtes spottet jeder Beschreibung. Wenige Minuten genügen drei oder vier Geiern, um den Leichnam eines Hundes oder Schafes bis auf unerhebliche Reste in den Kröpfen zu bergen, die Mahlzeit verläuft also mit beinahe unbegreiflicher Schnelligkeit, und wer zu spät kommt, hat das Nachsehen.

Für die Geier der Fruschkagora bot die Umgegend übrigens auch außer einem Schmause an einem größeren Aase manches für Kropf und Magen erwünschte Thier, denn in den Verdauungswerkzeugen der von uns erlegten und zergliederten Geier fanden wir die Ueberreste von Zieseln und großen Eidechsen, welche von jenen schwerlich bereits verendet gesunden, vielmehr aller Wahrscheinlichkeit nach ergriffen und getödtet worden waren.

Entsprechend der nördlichen Lage der Fruchkagora und der geordneten für Geier also wenig günstigen Zustände des umliegenden Landes, saßen die Kuttengeier während unseres Aufenthaltes noch brütend auf den Eiern, wogegen die weiter unten im Süden hausenden Paare derselben Art unzweifelhaft bereits Junge haben mußten. Ihre Horste standen auf den höchsten Bäumen des Waldes, die meisten wohl im oberen Drittheil der Höhe der Bergwände. Viele waren Graf Chotek und dessen Jägerei wohl bekannt, weil sie seit mindestens zwanzig Jahren regelmäßig zur Brutstätte eines, vielleicht desselben Paares gedient, alljährlich nette Zufuhr an Baustoffen und daher eine gewaltige Ausdehnung erhalten hatten; andere schienen jüngeren Ursprungs, die einen wie die anderen aber von den Geiern selbst errichtet zu sein. In den ältesten und größten hätte sich wohl ein erwachsener Mann niederlegen können, ohne mit Kopf oder Füßen den Rand erheblich zu überragen.

Unter diesen Horsten saßen wir beobachtend und lauernd, das Leben und Weben des Waldes belauschend und die durch unsere Ankunft verscheuchten Geier erwartend, um ihnen einen sicheren Schrot- oder Kugelschuß beizubringen. Vier Tage nach einander zogen wir allmorgendlich in den herrlichen Wald hinaus, und an keinem Tage kehrten wir beutelos zum Strome zurück. Nicht weniger als acht große Geier, mehrere Adler und zahlreiches Kleingeflügel der verschiedensten Art fielen uns zu. Beute, und reichhaltige, uns Alle fesselnde Beobachtungen würzten und vergeistigten unsere Jagden. Wenn aber der letzte Sonnenstrahl verglomm, sammelte sich der jüngere Theil der Bewohnerschaft des Dorfes um unser Schiff. Geige und Dudelsack vereinten sich zu wundersamer, obschon höchst einfacher Weise, und Burschen und Mädchen schwangen sich, dem hohen Gaste zu Ehren, im volksthümlichen, ebenmäßig wogenden Reigen.

[172] Nachdem wir auch am anderen Ufer der Donau mit Erfolg gejagt hatten, schieden wir endlich am fünften Tage nach unserer Ankunft in Czerowitz von unserem aufopferungsvollen Wirthe, dem Grundherrn, und schwammen donauabwärts weiter, nach Kovil, dem Endziele unserer Fahrt.

In der Nähe dieses großen Dorfes liegen rings von Feldern umgebene Waldungen, in denen die Eiche zwar vorherrscht, deren Unterwuchs aber ein so dichter ist, daß, trotz der vielen Ortschaften ringsum, Wolf und Wildkatze in ihnen ein zwar vielfach bedrohtes, jedoch kaum gefährdetes Dasein führen können. Kein Wunder daher, daß auch Raubvögel aller Art, insbesondere See-, Kaiser-, Schrei- und Zwergadler, Schlangenbussarde, Milane, Habichte, Uhus und andere Eulen, sie zu Horstplätzen gewählt haben, und daß sie ebenso allerlei Kleingeflügel in Menge beherbergen. Ihnen zogen, im Voraus reicher Beute sicher, unser hoher Jagdherr und sein erlauchter Schwager zu, während Eugen von Homeyer und ich unser Jagdglück in einem oberhalb des Dorfes gelegenen, durch das gegenwärtig herrschende Hochwasser in einen weiten See verwandelten Sumpfe versuchten.

In diesem Sumpfe herrscht, obwohl kaum mehr als der geringste Theil seiner gefiederten Bewohnerschaft eingetroffen sein kann, der Zug der Vögel vielmehr noch in vollem Gange ist, überraschend reiches und vielgestaltiges Leben. In fast ununterbrochener Folge ziehen starke Flüge der Trauerseeschwalben den Fluthen des Stromes entgegen, manchmal zu dicht gedrängten Schwärmen sich sammelnd, manchmal wiederum beinahe über die ganze Breite der überschwemmenden Donau sich vertheilend; offenbar noch nach Horstplätzen suchend, wandern Hunderte von Sichlern oder dunklen Ibissen, im Flug die übliche Keilform bildend, stromauf und stromab, der nahen Theiß zustrebend oder von ihr herkommend; mit dem Fischfange sich beschäftigend, schreiten auf allen ihnen zugänglichen Stellen der weiten Wasserfläche Purpur-, Fisch- und Rallenreiher hin und wieder; lange Rohrstängel zum Horste tragend, befliegen Rohrweihen die altgewohnten Straßen; wiederum gepaarte Enten, deren Weibchen durch die Hochfluth ihrer Eier beraubt wurden, stehen beim Erscheinen unserer kleinen, flachen Boote polternd vom Wasser auf, wogegen Steißfüße und Taucherhühnchen in seiner Tiefe Zuflucht suchen: kurz, kein einziger Theil der weiten Fläche ist unbevölkert, unbelebt. Ein Förster, der des unter Wasser stehenden Waldes und der in diesem verlaufenden Wege kundig ist, erwartet uns in einem inselgleich das überschwemmte Land überragenden Hause und wird uns zum Führer in einer Waldwildniß, welche die früher besuchten aus dem Grunde weit hinter sich zurückläßt, weil das Hochwasser zu stets vorhandenen Hindernissen neue gehäuft hat. An viele sonst wohl in beträchtlicher Höhe über dem Boden sich reckende Zweige streifend, oft vor wegesperrenden Aesten uns bückend, versuchen wir, auf den breiteren Wasserstraßen zwischen halb oder gänzlich niedergestürzten Bäumen, schwimmenden Klötzen und Treibhölzern uns einen Pfad zu bahnen und in das Innere des Waldes vorzudringen. Ein Bild aus dem Vogelleben verdrängt hier das andere; jedes erscheint aber ungewöhnlich, weil es die obwaltenden Verhältnisse wesentlich verändert haben. Um zu einem Seeadlerhorste zu gelangen, müssen wir eine weite Strecke durchwaten, um einen Kolkrabenhorst zu besuchen, weite Umwege machen. Regelrechtes Jagen ist unter solchen Umständen nicht möglich, unsere Jagd jedoch trotzdem ergiebig und lohnend. Mir selbst bereitete dieser Ausflug die Freude, einen der hervorragendsten gefiederten Baukünstler Europas, die Beutelmeise, an ihrem Reste arbeiten zu sehen, sie überhaupt zum ersten Male in ihrem Thun und Treiben zu beobachten.

Der folgende Tag vereinigt die ganze Jagdgesellschaft in einem der erwähnten Feldgehölze. Ein ungarischer Förster hat ein großartiges Wolfstreiben veranstaltet, jedoch so wenig geschickt eingerichtet, daß Freund Isegrimm ungesehen und unbemerkt davon schleichen kann. Die aussichtslose Jagd wird daher bald abgebrochen und die wenige uns noch übrige Zeit einer lohnenderen Beobachtung der Vogelwelt des Waldes gewidmet.

Noch im Laufe des Nachmittags verlassen wir Kovil, erreichen gegen Sonnenuntergang Peterwardein, fahren in den ersten Nachtstunden an der Fruschkagora vorüber, verlassen am anderen Tage nur noch einmal das Schiff, um in dem Rohrsumpfe Hullo zu jagen und Beobachtungen zu machen, bekommen hier auch den bisher vergeblich gesuchten Edelreiher zu Gesicht, müssen jedoch der ablaufenden Zeit Rechnung tragen und weiter eilen, um den nach Wien abgehenden Schnellzug nicht zu versäumen. Dankbar der letztvergangenen Tage gedenkend und gleichwohl den eiligen Flug ihrer Stunden beklagend, fahren wir an allen den Auwaldungen, welche uns so Vieles geboten, vorüber, und mit dem heißen Wunsche, wiederzukehren und auf längere Zeit ihm uns zu widmen, nehmen wir für diesmal Abschied von dem reichen und eigenartigen Lande.



  1. Die Biographie und das Portrait des „alten Brehm“ findet der Leser in dem Artikel „Der Vogelfreund im Pfarrhause“ (Jahrgang 1861, Seite 661. Sie ist mit einem stimmungsvollen Bilde geschmückt und von dem Sohne Christian Ludwig’s, von Alfred Edmund Brehm, geschrieben.