Der Vogelfreund im Pfarrhause
Der Vogelfreund im Pfarrhause.
Es war ein Kirchenrath und Professor einer Hochschule, welcher alles Ernstes einmal seine Zuhörer und Jünger „vor dergleichen Allotria“ verwarnte, „wie sie der alte Pastor Brehm in Renthendorf treibt, den sie nun sogar zum Ehrendoctor der Medicin creirt haben!“ Der Mann hatte von seinem Standpunkte Recht, denn die Naturwissenschaft ist allerdings fähig, solche Menschen zu schaffen, wie mein Vater einer war, dessen Lebensbild ich den Lesern der Gartenlaube [662] vorführen will, nachdem er selbst vor wenigen Wochen zu den Todten gegangen ist.
Ja, vor wenigen Wochen habe ich meinen geliebten Vater zu Grabe geleitet. Und nicht blos den Vater habe ich hinabsenken sehen in die Gruft: auch den Erzieher, den Lehrer und Rathgeber, den Freund, den Mann, welcher das Samenkorn mir in das Herz gelegt hat, das später aufgegangen, welcher vor und mit mir nach demselben Ziele gestrebt, den Priester, dessen Worten ich in der Jugendzeit ehrfurchtsvoll nachgelebt, mit dem ich als Mann so oft verschiedene Meinungen und Ansichten ausgetauscht und mit dem ich mich immer verständigt!
Sein Lebensbild habe ich mir gerade rücksichtlich des Leserkreises der Gartenlaube nicht nehmen lassen wollen. Von den vielen Freunden des Heimgegangenen an dieser Stelle haben sich mehrere erboten, anstatt meiner von dem Altmeister der deutschen Vogelkundigen zu reden; ich aber habe meinen Freund Keil gebeten, mir die wehmüthige Freude zu gönnen, von ihm Denen zu erzählen, welche mit ihm und mit mir bekannt geworden sind, so wenig ich auch verkenne, daß die Liebe des Sohnes zum Vater wohl befangen machen kann. Ich fürchte jedoch nicht, befangen zu werden; denn ich will weniger von dem Vater, als von dem Priester reden, welcher der Vater war, von dem Priester in doppelter Hinsicht: innerhalb seiner Gemeinde und draußen in der Natur, die er verehrte und liebte, in der er lebte und von der er lehrte, wie Keiner besser.
Ueber das, was man „den Lebenslauf“ eines Menschen nennt, habe ich, wenn ich nicht in die Einzelnheiten des Entwickelungsganges meines Vaters eingehen will, wenig zu sagen. Er, Christian Ludwig Brehm, war am 21. Januar 1784 zu Schönau vor dem Walde, einem thüringischen Dorfe unweit Gotha, geboren. Seine erste geistige Regung verrieth die ihm angeborene Liebe zu den Vögeln, zum Walde, zur Natur. Man möchte sagen, daß der ornithologische Sammeleifer bei ihm von Kindesbeinen an begonnen, denn als vierjähriger Knabe schon trug er alle Vogelfedern zusammen, die er finden konnte, im elften Jahre lernte er das Ausstopfen der Vögel, und von da begründete er eine Sammlung, die auch während seines Aufenthaltes auf der Gelehrtenschule in Gotha wuchs und, als der Jüngling die Universität Jena beziehen sollte, auf 230 Stück angewachsen war, aus deren Verkauf ein Sümmchen gelöst wurde, das die Sorgen des nur an Kindern reichen Großvaters für meinen Vater wenn auch nicht aufhob, so doch milderte. Im Jahre 1810 wurde der Vater Candidat des Predigtamtes, 1812 Pfarrer in Drakendorf bei Jena und am 1. Juni 1813 zog er als Pfarrer nach Renthendorf im Neustädter Kreise des Großherzogthums Sachsen-Weimar, wo er bis an sein Lebensende blieb; also über fünfzig Jahre wirkte und im Sommer 1864 starb.
Es ließe sich Vieles sagen über meines Vaters Wirksamkeit gerade als Geistlicher, wenn wir hier nicht vorzugsweise den Naturforscher hervorzuheben hätten. Das Eine darf hier jedoch nicht unerwähnt bleiben, daß „der alte Pastor Brehm“ weit über sein Kirchspiel hinaus ein geliebter und verehrter Mann war sowohl als Prediger, wie als stets bereiter Helfer in allen Verlegenheiten und Nöthen. „Geh’ zum Renthendorfer, – der hilft, wenn es möglich ist“ – war fast sprüchwörtlich in der ganzen Umgegend. Man wußte: der Mann scheute keine Mühe und keinen Schritt bis zu den Stufen der Gekrönten, wenn ein Bedrängter dessen würdig war. Und wie treu sein Herz im Volke lebt, so stand doch sein Geist über dessen Schwächen, wie er auch tapfer den Schwächen gewisser Glaubensrichtungen der Zeit widerstand. „Ich warte, bis die Modekrankheit vorüber sein wird“ – tröstete er einen vor der Kopfhängerei besorgten Amtsbruder. Und wer das gerechteste Urtheil über des Vaters Predigergabe hören will, dem giebt es ein Bauer aus einem Nachbardorf seines Kirchspiels, welcher äußerte: „der Renthendörf’sche saet in finf Minuten märre, as en Annerer in ehner Stunne.“ Wenn ich dazu bemerke, daß der Vater fast zwei Generationen seiner Beichtkinder getauft, copulirt und zum Theil wieder zu Grabe geleitet hatte, so wird man ein Bild von der Patriarchenwürde haben, mit welcher er in seinen Gemeinden waltete, wie er Jedermann Du nannte, weil er Alle als Kinder gekannt, wie selbst die ältesten Männer es als eine Ehre sich erbaten, von ihm Du genannt zu werden, und welche Liebe und aufrichtige Thränen den Sarg begleiteten, der „den alten Pastor Brehm“ barg.
Gewiß, er war ein treuer Priester der Kirche, aber mehr noch ehren wir in ihm einen hohen Priester der Natur. Den „alten Pastor Brehm“ hat nur die Umgegend seines Wohnortes kennen gelernt, den „alten Brehm“ die Welt. In Spanien, wie in Norwegen sprangen uns, meinem Bruder und mir, die Pforten der Tempel einer herrlichen Wissenschaft auf, wenn wir den Namen nannten, welchen der Vater sich erwarb. Der einfache thüringische Landgeistliche war nicht blos einer der Altmeister deutscher Wissenschaft, sondern auch Einer von Denen, welche das Feld urbar machen halfen, auf welchem jetzt Andere Früchte ernten. Naumann, Thienemann, Gloger[WS 1] und Brehm, diese Vier sind es, welche nach Bechstein als die eigentlichen Begründer der Kunde unserer Vogelwelt angesehen werden müssen. Der Vater war einer der Ersten, welche das Feld bebaueten, und hat seinen Platz am längsten behauptet. Es ist ein kleiner Zweig des Baumes, Naturwissenschaft genannt, welchen die Vier gepflegt haben; aber auch dieser Zweig hat dazu beigetragen, die Blüthe des ganzen Baumes zu zeigen. Dem Vater gebührt wenigstens ein Theil des Verdienstes, die Wissenschaft, welcher er sein Leben widmete, zu der ihr gebührenden Geltung gebracht zu haben. In Hinsicht auf die Mittel, welche ihm zu Gebote standen, hat er Großes geleistet: er hat eben schaffen helfen. Es fehlte ihm die Gelegenheit, sich mit dem einschläglichen Schriftthum so vertraut zu machen, wie er oft, sehr oft gewünscht hat; deshalb wandte er sich unmittelbar an die Natur selber, – und sie hat ihn denn auch nie verlassen. Er hat sich deshalb seinen Meisterruhm bewahrt bis zu seinem Tode.
Als der Vater nach Renthendorf kam, waren die Wälder der Umgegend Urwaldungen zu vergleichen. Das Schrotgewehr, welches er meisterhaft zu handhaben verstand, reichte oft nicht bis zu den Wipfeln der Bäume hinauf. In diesen Wäldern hat er Jahre seines Lebens verlebt. Der „Herr Pastor aus Renthendorf“ war allen Grünröcken der Umgegend eine befreundete Persönlichkeit. Man hegte damals andere Ansichten von der geistlichen Würde, als jetzt: kein Mensch nahm es dem Pfarrer übel, daß er mit dem Gewehr über der Schulter durch die Wälder zog, zumal da man wußte, daß solche Waldgänge weniger der Jagd, als der Wissenschaft galten. Im Kreise der Geistlichen wußte er sich seine Würde zu wahren – im Walde war er ein Waidmann, welchen die Grünröcke als einen der Ihrigen anerkannten, obgleich er an den eigentlichen Jagden nicht theil nahm. Auch die forstamtlichen Behörden kamen ihm freundlich entgegen: in den Thüringer Landen hat kein Privatmann je ein größeres Revier beschossen, als der Vater. Er jagte, wo er wollte, und war in jedem Forsthause der Umgegend eines freundlichen Willkommens im Voraus gewiß. Mit dem Morgengrauen zog der jagende Naturforscher aus, und gar nicht selten kehrte er erst Abends wieder. Aber die Jagd war immer nur eine nebensächliche Beschäftigung meines Vaters: Beobachtung, Belauschung, Erforschung des Lebens seiner Jagdthiere blieb unter allen Umständen die Hauptsache. Er verfolgte den Vogel im Walde durch alle Abschnitte seines Lebens, wie er ihn später, mit Hülfe der Freunde, durch alle Strecken seines Verbreitungskreises verfolgte. Als er die genügende Kunde der deutschen Landvögel erlangt zu haben vermeinte, sandte er seinen Schüler Schilling nach den Gestaden der Ostsee, um dort an seiner Statt das Leben der Meeresvögel zu erforschen, und später ließ er mich hinausziehen nach Süden und Norden hin, ein volles Sechstheil der Erde durchstreifen, damit ihm auch aus ferneren Landen Kunde werde über das Treiben seiner Lieblinge. Man verstehe mich recht, wenn ich sage: „Er ließ mich ziehen“ – denn er hat mich nicht aufgefordert zum Reisen, sondern mir nur seine Genehmigung dazu ertheilt und seine väterlich warmen, frommen Wünsche auf die Reise mitgegeben.
In den Jahren 1820 bis 1822 erschien sein erstes Werk, „Beiträge zur Vögelkunde“. Ich habe es gerade vor mir liegen, nachdem es mir gelungen, dasselbe auf antiquarischem Wege zu erlangen; denn vergriffen ist es schon seit Jahren. Das Buch, welches auch Schilling’s Beobachtungen enthält, beweist, daß der Vater nicht umsonst die Wälder durchstreift. Es ist heute noch als mustergültig anzusehen. Naumann, der berühmteste deutsche Vogelkundige (Ornithologe), der 1857 in Köthen gestorben ist, hat in seiner zwölfbändigen „Naturgeschichte der Vögel Deutschlands“ viele, viele Seiten aus ihm fast wörtlich wiedergegeben, und viele Forscher unserer Tage nehmen, wenn sie es lesen, zu ihrem Erstaunen wahr, daß dieses Buch zum [663] Schatze ihres Wissens den Grund legen half. Es begründete den Ruf des späteren Altmeisters und führte ihn in alle Kreise der damaligen Forscherwelt ein. Das Buch hat aber, meines Erachtens, noch ein weit größeres Verdienst. Es ist bei aller Wissenschaftlichkeit so volksthümlich geschrieben, daß sein Verfasser wohl als einer der Bahnbrecher in dieser Richtung bezeichnet werden darf. Die Beschreibungen der Vögel, zumal die Schilderung ihres Lebens, zeichnen sich namentlich durch eine wohlthuende Kürze aus.
Einem „Lehrbuch der Naturgeschichte aller europäischen Vögel“ und einer Zeitschrift „Ornis“ folgte 1831 das „Handbuch der Naturgeschichte aller Vögel Deutschlands“, in welchen, sich die eigenthümliche Anschauung des Vaters zum ersten Male bekundet, indem es Arten beschreibt, welche in den Augen der meisten Forscher höchstens Abarten sind, und Unterarten (subspecies), mit welchen die Leute gar nichts anzufangen wissen; das Handbuch wird heute noch kopfschüttelnd bei Seite gelegt. Wohlwollende Beurtheiler der Neuzeit meinen, daß es eine andere Auffassung der Darwinschen Lehrsätze bekunde. Wo nämlich mein Vater die geringste Abweichung im Gefieder eines Vogels erkannte und fand, daß solche Verschiedenheiten nicht auf einzelne Vögel sich beschränkten, sondern mehreren gemeinsam waren, so sah er in diesen eine selbstständige Form und diese nannte er „Unterart“ oder „Gattung“, während Andere von „Racen“ sprechen; das ist der ganze Unterschied zwischen ihren und seinen Ansichten. Einer unserer Altmeister der Thierkunde aber, der hochverdiente Reichenbach, urtheilt anders. „Er schöpfte,“ sagt er von meinem Vater, „immer aus ungemein reichen Quellen, und die Summe seiner Beobachtungen gestaltete freilich eine Fülle von Objecten zu specieller Unterscheidung, welche manche seiner Gegner darum nicht begriffen, weil es ihnen an ähnlichem Reichthum von Objecten gebrach.“ Gewiß, so war er. Es mag sein, daß auch der Vater manchmal zu weit gegangen; Folgerichtigkeit, beharrliche Gleichmäßigkeit der Anschauungen und Auffassung, ist ihm aber nicht abzusprechen, und – selbst weil er Widerspruch hervorrief, hat er die Wissenschaft unendlich gefördert.
Außer den genannten und noch einigen andern größeren Werken, führt die „Bibliotheca zoologica“ von Larus und Engelmann noch einige achtzig verschiedene naturwissenschaftliche Aufsätze seiner Feder an, die ungerechnet, welche er für volkstümliche Zeitschriften verfaßte, weil von diesen die Wissenschaft keine Kenntniß nimmt. Diese kleineren Arbeiten verdienen den Ruhm, welchen ihnen Reichenbach zuerkannt hat, in den nachstehenden warmen Worten: „Sein tiefes Gemüth waltete thätig in seinen Beschreibungen mit, und rührend sind seine Schilderungen von der Liebe und Treue der Vögel, von ihrem Familienleben und von ihren Freund- und Feindschaften, von ihrem immer thätigen Treiben in der freien Natur und von ihrer Bedeutung für die große Oekonomie in der Regierung des Weltalls. Sein amtlicher Beruf als geistlicher Lehrer in seiner Gemeinde verlieh auch seinen Berichten aus dem Naturleben jene eigenthümliche Weihe, welche dem selbst beobachtenden und erfahrungsreichen Naturforscher die Ueberzeugung von einer Harmonie des allgemeinen Naturlebens immer gewährt. Seine unablässige Erforschung der Naturgesetze stimmte ihn zu milder Gesinnung, und sein Grundprincip beruhte auf der steten Anschauung einer Veredlung des Menschenlebens durch die Hingabe an die Erforschung der ursprünglich reinen Natur.“ Ja, wahrlich – diese milde Gesinnung, welche ihm eigenthümlich war, er hat sie auch in seinen Schriften stets bewährt. Er ist oft auch angegriffen worden wegen seiner wissenschaftlichen Thätigkeit, und nicht blos von seiner würdigen, sondern auch von seiner unwürdigen Gegnern, der erfahrungsreiche Meister von unreifen Lehrlingen; er aber hat jene Milde nie verleugnen und sich deshalb zwar Gegner, niemals aber Feinde schaffen können!
Mit der schriftstellerischen Wirksamkeit meines Vaters war eine andere Thätigkeit unzertrennlich verbunden, die stete, sorgenvolle Arbeit, welche seine Vögelsammlung beanspruchte. Diese Sammlung ist nicht blos der Theilnahme werth, welche sie bei den Naturforschern aller Länder gefunden hat – sie verdient mehr: sie verdient die Beachtung unseres gesammten Volkes, denn sie ist ein des deutschen Fleißes und der deutschen Gelehrsamkeit würdiges Denkmal; sie hat ihres Gleichen nicht. Wir, die Söhne ihres Gründers, kennen sie von unserer Jugend an, und wir mußten erstaunen immer von neuem, als wir nach des Vaters Tode die traurige Pflicht erfüllten, sie zu ordnen, in der Absicht, sie, dem Wunsche des Verstorbenen gemäß, dem Vaterlande zu erhalten. Diese Vögelsammlung, d. h. der Kern, die „Hauptsammlung“, wie wir sie nennen, enthält siebentausend europäische Vögel, diese aber nicht blos in beiden Geschlechtern, sondern auch in allen Unter-, Ab- und Spielarten, in allen Kleidern und aus allen Ländern, in denen die betreffenden Arten vorkommen. Ich will einige genauere Zahlen geben, um die Gesammtmenge verständlicher zu machen. Die Sammlung wird gebildet durch gegen 700 Raubvögel, ungefähr 400 Würgvögel (Schwalben, Würger), 450 Rabenvögel, über 3000 Singvögel, 300 Tauben und Hühner, 900 Sumpf- und gegen 800 Schwimmvögel. Diese Sammlung ist ein ganz unschätzbarer Stoff für die Wissenschaft; sie ist ein Museum für die Thierkunde der Zukunft, dessen Wichtigkeit erst begriffen wird, nachdem Darwin den alten Sauerteig wieder einmal aufgerührt und die ganze deutsche und englische Forscherwelt in gährende Aufregung versetzt hat. Jetzt, gerade jetzt bedarf die Wissenschaft einer solchen Rüstkammer! Und deshalb ist es unser ernstes Streben, sie dem Vaterlande und zwar, wo möglich, unserer thüringischen Hochschule, dem vom Vater und uns, den Söhnen, gleich warm geliebten Jena zu erhalten. Wir dürfen Hoffnung hegen, daß der alten Ehrenkrone Jenas diese Perle eingereiht werde – und wenn nicht, so würde ich bei allen übrigen deutschen Hochschulen betteln gehen, bevor ich mich entschließen könnte, dem geldreicheren Ausland einen Schatz auszuliefern, den ich mir selbst nun einmal nicht erhalten kann. Außer diesen 7000 Vogelbälgen sind aber noch über 2000 andere vorhanden, welche der Hauptsammlung unmöglich eingereiht werden können, weil sie dieselbe nur beschweren würden. Sie sollen später nach und nach an Schulen abgegeben werden, damit wir dem Manne, welcher unablässig für seines Volkes Bildung arbeitete, in jeder Hinsicht gerecht werden.
Und diese Sammlung von mehr als 9000 Stück hat der Mann, welcher sein beschwerliches Amt treu verwaltete und noch immer Zeit fand, Anderen zu helfen, welcher nebenbei als Schriftsteller thätig war, durch seine eigene Arbeit zusammengebracht – ohne jemals zu kaufen! Er hat weitaus die größere Anzahl dieser Vögel erlegt, zubereitet und durch fünfzig Jahre bewahrt vor dem Verderben; er hat die außerdeutschen Vögel durch deutsche ertauscht. Ein Grundsatz von ihm erklärt seinen späteren Reichthum. Er ließ Nichts „umkommen“ von dem, was er zu wissenschaftlichen Zwecken in seine Hand bekam. Ihm war der von ihm oder von Anderen getödtete Vogel ein heiliger Gegenstand, mit welchem er, wie er sich ausdrückte, nicht freveln durfte. Deshalb saß er oft noch in später Nachtstunde ausstopfend an seinem Arbeitstische, um eine Vogelleiche zu „erretten“, d. h. um sie nicht der natürlichen Zerstörung preiszugeben. Seine Wissenschaft war ihm Gottesdienst: „Ich habe,“ sagte er schon vor nunmehr vierundvierzig Jahren, „in diesen Beiträgen nur da auf den Schöpfer hingewiesen, wo ich dem Drange, dies zu thun, nicht widerstehen konnte. Doch bin ich mir bewußt, bei Abfassung des Ganzen Gott im Herzen gehabt zu haben … und trüge dieses Werkchen etwas dazu bei, unseren Forschungen in der großen Natur die Richtung zu geben, daß man bei ihnen mehr, als bisher, den Einzigen, der Alles erfüllt und belebt, suchte und fände, dann wäre sein höchster Zweck auf das Vollkommenste erreicht!“ Es bedarf keines Wortes weiter, um die „Allotria“, welche der alte Pastor trieb, zu kennzeichnen.
Der Vater arbeitete in seinem Greisenalter, wie er in seiner Jugend gearbeitet hatte, unablässig, unermüdlich. In seinen letzten Lebensjahren vermehrte sich seine Sammlung außerordentlich rasch. Von allen Seiten kamen Geschenke – ganze Kisten voll. Man kannte seine Art zu sammeln, und man ehrte sie und dadurch sich. Wir Beiden, mein Bruder und ich, haben auch das Unsrige beigetragen, dem alten Herrn die Lösung mancher Fragen zu erleichtern. Er wünschte von mir, als ich in Afrika reiste und sammelte, Thurmfalken zu haben, ich brachte ihm 362 Stück derselben mit; er verlangte Schafstelzen, ich sammelte gegen fünfhundert von ihnen. Mit diesen Schätzen erwarb er sich tauschweise neue. Spanien, Norwegen, Lappland brachten ihm auch ihren Zoll. Es war eine Freude für uns, dem geliebten Mann Freude zu bereiten, eine Lust, ihn beim Auspacken einer seiner Kisten zu beobachten, ihn das Neuangekommene prüfen, vergleichen zu sehen. Nicht blos der Sohn, auch der Künstler konnte sich dann an dem Eifer des greisen Forschers begeistern.
Unser Bild ist der Beweis dafür. Karl Werner, der Vielgerühmte, einer unserer größten Architekturmaler, wollte gerade ihn, den forschenden Priester, durch eine seiner Schöpfungen verewigen. In das [664] alte, malerische Zimmer, welches er irgendwo – im Renthendorfer Pfarrhause wahrhaftig nicht! – entdeckt, da hinein zeichnete und malte er den alten Herrn, so wie er leibte und lebte. Eine von Heuglin gesandte Vogelkiste ist angekommen; die in ihr enthaltenen Schätze liegen noch auf den Dielen zerstreut; nur der Balaeniceps Rex hat bereits einen Platz gefunden, ein deutsches Blaukehlchen aber einen Ehrenplatz in seiner Hand. Das Bild, welches jetzt im britischen Museum hängt, ist treu und wahr; – nur das reiche Arbeitszimmer ist eine harmlose Lüge des Künstlers.
Soll ich nach diesem auch noch von dem Vater erzählen? Es bedarf der weiteren Worte nicht.
Ein Mann, welcher ein Priester war, wie er, muß auch als Vater und Gatte ein wahrer, voller, ganzer Mensch gewesen sein. Er hat nach meinem Dafürhalten nur einen Fehler gehabt: er war auch gegen uns so mild, so nachsichtig, wie gegen die übrige Menschheit, vielleicht zu mild, zu nachsichtig. Kommt es mir zu, deshalb mit ihm zu rechten?
Der Vater hat viel Schweres erlebt und ertragen. Er hat sein erstes, geliebtes Weib und acht seiner Kinder verloren; er hat von mir Nachricht erhalten, daß sein in Afrika mit mir forschender Sohn Oskar vor meinen Augen im Nile ertrank; er hat meine einzige Schwester in der Blüthe ihrer Jahre hinabsenken sehen in die kühle Erde; er hat den Schmerz ertragen müssen, daß nicht alle seine Kinder genugsam befähigt sind, um sich selbstständig durch’s Leben zu helfen: er hat das Schwere getragen mit der ihm eigenen Kraft und Geduld. Er hat aber auch große Freuden gehabt: Freude an der Natur und ihren Erzeugnissen, Freuden im Schooße seiner Familie und außerhalb derselben. Er ist beglückt worden durch Freundschaften, wie sie selten sind, und hat Ehren empfangen von nah und fern. Ein gewöhnlicher Maßstab ist nicht an ihn zu legen. Seinen Namen hat er sich selbst eingetragen in den Büchern der Wissenschaft, und uns hat er in diesem Namen ein Erbtheil hinterlassen, welches wir uns erst noch einmal verdienen müssen, bevor wir es als unser Eigenthum ansehen dürfen.
Ich weiß nicht, ob ich den Vater so beurtheilt habe, wie meine Pflicht den Lesern vorstehender Zeilen gegenüber es verlangt. Die, welche den Mann kennen lernten, als Geistlichen wie als Forscher, mögen entscheiden, ob ich zu viel über ihn gesagt. Leicht ist es mir nicht geworden, von ihm zu reden: es schreibt sich schwer, wenn das Auge sich trübt über der Arbeit.Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Glocher