Eine „Bibliothek deutscher Geschichte“
[835] Eine „Bibliothek deutscher Geschichte“. Unter diesem Titel erscheint im J. G. Cotta’schen Verlag in Stuttgart ein Unternehmen, welches auf die allgemeinste Theilnahme rechnen darf. Der Zweck desselben ist, eine Geschichte der Deutschen von ihrem ersten Auftreten bis zur Aufrichtung ihres neuen Kaiserreichs zu geben und zwar in einer zusammenhängenden Reihe einzelner Werke. Dem Verleger und dem Herausgeber, H. von Zwiedineck-Südenhorst, schwebte offenbar das Vorbild der Oncken’schen Weltgeschichte vor, die ebenfalls aus einer Sammlung selbständiger Einzelwerke besteht, vor welcher das Cotta’sche Unternehmen indessen den Vorzug hat, daß es nicht einzelne Epochen aus der deutschen Geschichte behandelt, die sich nicht ganz lückenlos an einander schließen, sondern die einzelnen Theile so organisch verbindet, daß schließlich eine zusammenhängende deutsche Geschichte entsteht. Was an der einheitlichen Fassung und Haltung dabei verloren gehen könnte, wird reichlich aufgewogen durch die Sicherheit und Vertrautheit, welche sich aus der anhaltenden Beschäftigung mit einem bestimmten Zeitraum ergiebt und welche eine anschauliche Darstellung ermöglicht, deren Bilder sich dem Geist und der Phantasie des Lesers einprägen. Daß derartige Werke jetzt von den Schriftstellern, den Buchhändlern und dem Publikum bevorzugt werden, hängt mit der ganzen Richtung unserer Zeit auf die Specialforschnng zusammen. Wenige Historiker der Gegenwart wären im Stande, wie Altmeister Ranke, eine von großen Gesichtspunkten ausgehende Weltgeschichte zu schreiben.
Sehr erfreulich ist es, daß auch im Prospekt dieser neuen Geschichtsbibliothek, welcher bereits früher unserem Blatte beigelegen hat, die Absicht hervorgehoben wird, die früher in Deutschland übliche Darstellungsweise zu vermeiden, welche durch den in den Bibliotheken aufgewirbelten Staub der Forschung und Untersuchung die Klarheit und Durchsichtigkeit einer in künstlerisch abgeschlossener Form sich gebenden Geschichtserzählung verdunkelt. Das Werk will nicht zu Fachgelehrten und Kritikern sprechen, sondern zur deutschen Nation, die ein Recht hat zu verlangen, daß sie von den Leistungen der gelehrten Welt in einer allgemein faßbaren, nicht ermüdenden Form unterrichtet werde.
Den Zeitpunkt für das Erscheinen eines solchen Geschichtswerkes erklären die Herausgeber als besonders günstig, da heute eine wahrhaft nationale Geschichtschreibung möglich geworden ist. „Die entscheidende Wandlung, welche die Geschicke des deutschen Volkes in unseren Tagen erfahren haben, die Vereinignng der Mehrheit seiner Stämme in dem neuen Kaiserreiche und der enge Anschluß der aus dem alten Reichsgefüge losgelösten, aber von deutschen Bürgern und einer deutschen Dynastie gegründeten und erhaltenen österreichisch-ungarischen Monarchie an dieses neue Deutsche Reich geben der Beurtheilung der historisch gewordenen Verhältnisse eine Sicherheit und Bestimmtheit, wie sie vordem niemals gedacht werden konnte.“
So sind es auch österreichische und deutsche Historiker im Verein, welche die dreizehn selbständigen Werke verfassen werden, aus denen die Sammlung bestehen soll: der Herausgeber von Zwiedineck-Südenhorst in Graz, Engelbert Mühlbacher in Wien, Viktor von Kraus in Wien, August Fournier in Prag, Jastrow in Berlin, Oskar Gutsche in Danzig, K. Th. Heigel in München u. A. Das erste Werk ist eine deutsche Geschichte von der Urzeit bis zu den Karolingern; das letzte: der deutsche Bund und das neue Reich. Die Gliederung des Werkes in einzelne Abtheilungen ist eine durchsichtige und geschichtlichen scharf abgeschlossenen Zeiträumen entsprechende. Die erste vorliegende Lieferung beginnt mit der Schrift: „Die deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges von Moritz Ritter.“ So sei das neue, von patriotischem Geist eingegebene Unternehmen von vornherein der Gunst des Publikums warm empfohlen. †