Eine Fälschung vorhistorischer Steingeräthe

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Titel: Eine Fälschung vorhistorischer Steingeräthe
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aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 871
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Fälschung steinzeitlicher Werkzeuge in Beauvais
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[871] Eine Fälschung vorhistorischer Steingeräthe. Die Geschichte der Naturwissenschaften weiß von einem deutschen Professor zu berichten, welcher sich eingehend mit Studien über Petrefacten (Versteinerungen) beschäftigte und dessen gutgemeinter Eifer von seiner lustigen studentischen Zuhörerschaft in witziger Weise zum Schaden seiner Katheder-Autorität ausgenutzt wurde. Die akademischen Bürger hatten Abdrücke verschiedenartiger ungeheuerlicher Thiere in Thon u. dergl. einbrennen lassen, gruben dieselben in die Erde ein und führten alsdann ihren Professor zu diesen „Fundstätten“. Nachdem sie ihn einmal in die Falle gelockt, trieben sie ihr tolles Spiel auf die Spitze und ließen nun Thonstücke mit hebräischen Buchstaben in die Erde eingraben. Nach der damals landesüblichen Anschauung hielt der biedere Herr alle diese Abdrücke thierischer Formen und auch die Buchstaben der Sprache, in welcher das Buch der Bücher ursprünglich geschrieben war, für Ueberreste mißlungener Versuche, welche der Weltschöpfer bei der Erschaffnug der Thierarten angestellt, also für stümperhafte Werke aus „Gottes Lehrjahren“.

Heute verzeichnet wiederum die Geschichte der Wissenschaft, in der, wie in allen irdischen Geschichten, der Ernst des Lebens mit dem Humor abwechselt, eine ähnliche Fälschung in ihren Annalen, aber der Schauplatz derselben ist nicht mehr Deutschland, sondern Frankreich; ihr Gegenstand sind nicht versteinerte Thiere und semitische Buchstaben, sondern vorhistorische Geräthe aus der Steinzeit, und ihr Zweck ist kein schlechter Witz, sondern, dem Geist der Zeit entsprechend, der materielle Nutzen.

Im vorigen Jahre fand man in der Umgegend von Beauvais beim Ausbeuten eines Steinbruchs eine große Anzahl anscheinend vorhistorischer Gräber mit verschiedenartigsten steinernen Waffen und Geräthen. Eine aus Alterthumsforschern des Landes zusammengesetzte Commission wurde sofort beauftragt, diese Grabstätten zu untersuchen, wie auch die in denselben gefundenen Gegenstände zu prüfen und zu bergen. Die Commission erfüllte sorgsamst ihre Aufgabe und legte das Resultat ihrer langwierigen Arbeit der französischen anthropologischen Gesellschaft vor.

Die Zahl der Fundstücke betrug mehr als tausend; ihre Anordnung in den Gräbern war wunderbar symmetrisch, und die Bearbeitung der steinernen Beile, Messer und Pfeilspitzen überstieg alles, was bis jetzt dagewesen. Sorgfältige Zeichnungen, welche die Commission angefertigt hatte, erklärten genau die Lage und Beschaffenheit der seltenen Grabstätte. Die anthropologische Gesellschaft theilte indessen keineswegs den Enthusiasmus der Herren aus der Provinz. Fachleute wendeten diese Prachtstücke aus der Vorzeit in ihren Händen nach allen Seiten um; der Eine behauptete, hier fehle etwas, der Andere dagegen meinte, dort sei es des Guten zu viel, bis schließlich die Erklärung abgegeben wurde, die prähistorischen Funde von Beauvais wären – gefälscht.

Aber die Archäologen von Beauvais dachten nicht im Geringsten daran, so leichten Kaufes den soeben erworbenen Ruhm fahren zu lassen. Sie forderten die Einsetzung einer neuen Sachverständigen-Commission, an welcher jetzt auch die Weisen von Paris theilnehmen sollten, und diese Commission brachte auch bald unter dem Vorsitze des Herrn de Mortillet die Wahrheit zu Tage: sie fand in der Umgebung von Beauvais nicht nur noch andere sehr antik angelegte Gräber mit den oben beschriebenen angeblich vorhistorischen Geräthen, sondern auch, was das Wichtigste war, den Menschen, welcher dieselben fabricirt hatte. Es war nunmehr kein Wunder, daß die Fundstücke im Vergleich mit anderen Geräthen aus der Steinzeit so auffallend künstlerisch gearbeitet waren; denn ihr Erzeuger war kein vorhistorischer Vorfahr der Einwohner von Beauvais, sondern ein Kind des neunzehnten Jahrhunderts, ein gewisser Polydore, ein Zuckerraffineur, welcher seine Muße zur Herstellung der oben erwähnten Steinwaffen benutzte. Den einen Theil seiner Fabrikate vergrub er in künstlich angelegten „alterthümlichen Gräbern“, um ihn dort durch die Gelehrten von Beauvais auffinden zu lassen, den andern und zwar weit größeren behielt er aber bei sich auf Lager in der Hoffnung, mit den berühmten „Beauvaiser Funden“ einst einen ergiebigen Handel betreiben zu können. Doch die Pariser Gelehrten haben sich findiger erwiesen als er und ihm das Handwerk gelegt.