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Eine Großthat der Wissenschaft

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Textdaten
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Autor: Dr. Max Salomon
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Titel: Eine Großthat der Wissenschaft
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aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 818–821
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Eine Großthat der Wissenschaft.

Robert Koch und die Heilung der Lungenschwindsucht.

Acht Jahre sind es her, seit Robert Koch durch die Entdeckung des Tuberkelbacillus allgemeines Aufsehen in der medizinischen Welt erregte, und sieben Jahre sind es, seit er durch die Auffindung des Cholerabacillus der berühmteste unter den Aerzten der Gegenwart wurde. Als seinerzeit die „Gartenlaube“ im Jahrgang 1884 ihren Lesern Kenntniß gab von diesen epochemachenden Erfolgen des großen Forschers, durch welche zunächst einmal die Ursachen bisher für unheilbar geltender Krankheiten festgestellt wurden, da hat sie ihrer festen Zuversicht Ausdruck gegeben, daß nunmehr auch die Frage der Heilung dieser Leiden ihrer Lösung sicher entgegengehe. Und diese Hoffnung ist nicht getäuscht worden. Ein gutes halbes Jahrzehnt eifrigster, gewissenhaftester, aber dabei auch von einem genialen Geiste gelenkter Forschung haben Robert Koch, den heute 47jährigen Mann, dahin geführt, das Mittel zu finden, welches den Tuberkelbacillus, jenen entsetzlichen, schleichenden Zerstörer des menschlichen Körpers, zu überwinden vermag, welches Hunderttausenden, ja Millionen das Leben zu retten, die Gesundheit wiederzugeben berufen ist. Ein Segen ohne gleichen wird ausgehen von dieser wissenschaftlichen Großthat, die auf solchen Ehrentitel um so mehr Anspruch hat, als sie nicht aus einem glücklichen Zufall, wie z. B. die Schutzpockenimpfung, sondern auf planmäßigster, angestrengtester Arbeit aufgebaut ist, und es will uns scheinen, als ob sie gerade damit den Stempel der deutschen Wissenschaft trüge. Da, wo es sich um das Heil der Menschheit handelt, giebt es keine Schranken der Nationen. Ehre dem Guten, es komme, woher es komme! Aber stolz können wir Deutsche doch darauf sein, daß wir diesen Mann, der so Großes vollbracht hat, den unsern nennen dürfen, daß es ein Sohn unseres Vaterlandes ist, den alle Völker als ihren Wohlthäter verehren werden. Ein Werk der Menschenliebe, so erhaben wie selten eines, geht von dem bescheidenen Manne in der Berliner Gelehrtenstube aus, und ein erlösender Lichtstrahl fluthet von dort in die Welt, die das Fest der Liebe zu begehen sich rüstet. Möge die Weihe solcher Geburtstunde fortan schweben über dem Werke Robert Kochs!

Und nun geben wir einer berufenen sachverständigen Feder das Wort, daß sie uns über das Wesen der Kochschen Entdeckung eingehender unterrichte.


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Als Robert Koch im Jahre 1882 seine Forschungen über den Krankheitserreger der Tuberkulose, der Lungenschwindsucht, veröffentlichte, in denen er den Nachweis führte, daß ein kleines Lebewesen, ein dem Pflanzenreiche angehöriger Mikroorganismus von Stäbchenform, ein Bacillus, als die Ursache der Krankheit anzusehen sei, bemächtigte sich eine tiefe Erregung der ganzen Welt, denn es waren nicht nur die wissenschaftlichen Kreise, die mit diesem neuen überraschenden Thatsache zu rechnen hatten, nein, die ganze Menschheit durchzitterte eine nur zu berechtigte Aufregung. Handelte es sich doch um eine Krankheit, die als eine der schlimmsten Geißeln Gesundheit und Leben bedrohte, auf deren Rechnung die ungeheure Zahl von 1/7 aller Todesfälle zu setzen ist! Während aber das Laienpublikum aufathmend die Kochsche Entdeckung als erster Schritt auf dem Wege zur wirksamen Bekämpfung der bis jetzt nur ganz ausnahmsweise und eigentlich mehr zufällig geheilten furchtbaren Krankheit jubelnd begrüßte, stellte sich ein großer Theil der Aerzte der neuen Auffassung zweifelnd, ja geradezu ablehnend gegenüber. Aber der stolze Schluß Kochs, „daß die Tuberkelbacillen nicht bloß eine Ursache der Tuberkulose, sondern die einzige Ursache derselben sind, und daß es ohne Tuberkelbacillen keine Tuberkulose giebt“, ging in kurzer Zeit aus allen Anfechtungen der Kritik siegreich hervor, und es konnte sich zuletzt nur darum handeln, die gewonnene Thatsache auch in Betreff der Behandlung der Lungenschwindsucht richtig zu verwerthen, ein Mittel zu finden, die kleinen verderblichen Lebewesen, die „pathogenen Mikrobien“, im Körper zu vernichten, sie wenigstens unschädlich zu machen, ihrer zerstörenden Einwirkung auf den Organismus Einhalt zu thun. Und aller Orten in der ganzen civilisirten Welt wurden denn auch zahlreiche Versuche angestellt und wieder und wieder vorgenommen, ohne jedoch zu dem gewünschten Ende zu führen. Man drang immer tiefer in die Lebensverhältnisse, die Daseinsbedingungen des Mikroorganismus ein, lernte erkennen, welche Umstände sein Wachsthum, seine Vermehrung zu fördern imstande sind, welche Luft-, Wärme- etc. Verhältnisse, welche Arzneimittel ihn im bakteriologischen Laboratorium, der Werkstatt für Untersuchungen über die Bakterien (der Gattungsname für alle derartige Pilzbildungen) zu schädigen, zu tödten vermögen – allein praktische Erfolge in Bezug auf die Heilung der Tuberkulose [819] wurden damit nicht erzielt. Sobald man nämlich ein Mittel, das sich bei den Züchtungsversuchen, den sogenannten Kulturen, als die Tuberkelbacillen im Wachsthum hemmend oder zerstörend erwiesen hatte, bei Thierversuchen in Anwendung brachte, versagte es entweder in seiner Wirkung vollständig oder tödtete mit den Mikrobien zugleich das Versuchsthier.

Auf diesem Wege war nach der überwiegenden Ansicht der Aerzte dem Parasiten der Lungenschwindsucht und damit dieser Krankheit selbst nicht beizukommen, man versuchte es daher, wenn auch einzelne Forscher auf dem einmal beschrittenen Wege weiter wandelten, mit einem andern Verfahren. Vermochte man nicht unmittelbar dem Bacillus zu Leibe zu gehen, so konnte man doch hoffen, auf mittelbarem Wege ihn erfolgreich zu bekämpfen, dem so schwer durch die schreckliche Krankheit heimgesuchten Menschengeschlechte ersprießliche Dienste zu leisten. Dies ließ sich auf zweierlei Weise bewerkstelligen, einmal durch Vorbeugemittel gegen die Weiterverbreitung der Krankheit und sodann durch Stärkung, Kräftigung des Körpers in seinem Kampfe mit dem tückischen Feinde.

Der Erreichung des ersteren Zieles widmete sich besonders Cornet, welcher durch außerordentlich scharfe und mühsame Untersuchungen nachwies, daß der Auswurf der Phthisiker, der Lungenschwindsüchtigen, einer der vornehmlichsten Ansteckungsträger sei. Nicht allein, daß er durch zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten in der ärztlichen und in der Laienwelt die Anschauung von der Ansteckungsfähigkeit immer mehr zur Geltung brachte, er wirkte auch für die allgemeine Einführung eines geeigneten Vorbeugungsmittels. Dies besteht darin, daß die tuberkulösen Kranken dazu angehalten werden, ihren Auswurf stets nur in mit Wasser gefüllte oder auch, nach Verlassen der Wohnung, in besonders angegebene trockene Speinäpfe abzusondern und so Fußboden und Taschentücher, an denen die bacillenhaltigen Massen trocknen und von da aus pulverisirt sich der Athemluft beimischen können, rein zu halten.

Die Stärkung des ganzen Körpers als wichtigste Grundbedingung der Schwindsuchtsheilung hatte als erster, schon lange vor der Entdeckung der Tuberkelbacillen, der bekannte Leiter der Heilanstalt Görbersdorf, Brehmer, aufs nachdrücklichste betont und zur Grundlage seines therapeutischen Verfahrens gemacht. Doch drang er, da er seine praktischen Regeln mit einer Menge von der Wissenschaft nicht anerkannter theoretischer Ansichten verwob, nicht recht durch. Erst in der neueren Zeit, unter dem Einflusse der neu gewonnenen Anschauungen, schälte man den guten brauchbaren Kern aus der deckenden theoretischen Hülle heraus und folgte den von Brehmer gegebenen Anregungen. Besonders der berühmte Berliner Kliniker Ernst Leyden trat mit dem ganzen Gewichte seines Könnens und seiner Stellung für diese Seite der Schwindsuchtsheilung ein. Er war es auch, auf dessen Anregung hin in diesem Jahre die verschiedenen Berliner medizinischen Gesellschaften sich zur Absendung von Delegirten zu einer Kommission verstanden, deren Aufgabe es sein sollte, die nöthigen Schritte zur Erbauung von Heilanstalten für weniger bemittelte Tuberkulöse in der Nähe Berlins zu thun, Heilanstalten, in denen besonders der ganze Apparat einer vernunftgemäßen Hygieine und Ernährungsweise in den Dienst der Schwindsuchtsbehandlung gestellt werden sollte (vergl. „Gartenlaube“ 1890, S. 570). Anfang dieses Sommers trat die Kommission unter dem Vorsitze Leydens zum ersten Male zusammen, und als erster Punkt wurde darüber berathen, ob überhaupt solche „Heilstätten für Tuberkulöse“ errichtet werden sollten. Nachdem wir uns fast ausnahmslos in diesem Sinne ausgesprochen hatten, erhob sich Robert Koch und erklärte seine Zustimmung zu dem ganzen Plane, konnte sich aber mit der Bezeichnung der Anstalten als „Heilstätten“ nicht befreunden. Wir seien nicht imstande, so meinte er, die Tuberkulose zu heilen; wenn auch mal ab und zu derartige Fälle zur Heilung kämen, so wären diese mehr als Zufallsheilungen anzusehen denn als gewollte Erfolge einer systematischen Therapie. Man möge nicht durch solchen Namen in den Kranken Hoffnungen erwecken, die doch nicht erfüllbar seien.

Wenige Wochen nach diesem viel besprochenen Vorfall trat in Berlin der X. internationale medizinische Kongreß zusammen. Den zweiten Vortrag in der ersten allgemeinen Sitzung am 4. August d. J. hielt Robert Koch: „Ueber die bakteriologische Forschung.“ Er gab in derselben in seiner knappen, klaren Redeweise einen geschichtlichen Ueberblick über die Entwicklung der noch jungen, kaum fünfzehn Jahre alten Wissenschaft der Bakteriologie und ging vornehmlich auf den Punkt ein, der für die Aerzte ja der wichtigste sein mußte, auf das Verhältniß der Mikroorganismen zu den Infectionskrankheiten. Zum Nachweise, daß solche Gebilde als Ursache einer Krankheit aufzufassen seien, verlangte Koch die Erfüllung folgender Bedingungen. 1. daß der Parasit in jedem einzelnen Falle der betreffenden Krankheit anzutreffen sei; 2. daß er bei keiner anderen Krankheit als zufälliger und nicht pathogener Schmarotzer vorkomme; 3. daß er, in Reinkulturen auf ein anderes Thier übergeimpft, imstande sei, von neuem die Krankheit zu erzeugen. Diesen Bedingungen werde bei einer Anzahl von Infectionskrankheiten, dem Milzbrand, der Tuberkulose, dem Erysipelas (Rose), dem Tetanus (Wundstarrkrampf) vollständig entsprochen, so daß deren parasitäre Natur nicht mehr in Frage stehe. Aber auch für eine Anzahl anderer Infectionskrankheiten, in denen nur die beiden ersten Bedingungen, diese indessen regelmäßig, ausnahmslos erfüllt würden, die Ueberimpfung dagegen noch nicht oder nur unvollkommen erreicht worden sei, müsse derselbe Zusammenhang angenommen werden. Hierher gehören besonders der Unterleibstyphus, die Diphtheritis und die asiatische Cholera. – Später auf die praktischen Erfolge der Bakteriologie übergehend, gestand Redner ein, daß wir bis jetzt noch keine unmittelbar wirkenden therapeutischen Mittel gegen die durch die Schmarotzer hervorgerufenen Krankheiten besäßen. Schon bald nach der Entdeckung der Tuberkelbacillen habe er angefangen, nach Mitteln zu suchen, die sich gegen die Tuberkulose therapeutisch verwerthen ließen, und im Laufe der Jahre eine große Anzahl von Substanzen darauf geprüft, welchen Einfluß sie auf die in Reinkulturen gezüchteten Tuberkelbacillen ausübten. Es habe sich ergeben, daß gar nicht wenige Stoffe imstande sind, schon in sehr geringer Menge das Wachsthum jener Mikrobien zu verhindern. Alle diese Substanzen blieben aber vollkommen wirkungslos, wenn sie an tuberkulösen Thieren versucht wurden. Trotz dieser Mißerfolge habe er sich von dem Suchen nach entwicklungshemmenden Mitteln nicht abschrecken lassen und habe schließlich Substanzen getroffen, welche nicht allein im Reagensglase, sondern auch im Thierkörper das Wachsthum der Tuberkelbacillen aufzuhalten vermochten. Diese Versuche, welche ihn bereits fast ein Jahr beschäftigten, seien noch nicht abgeschlossen, er könne über dieselben daher nur so viel mittheilen, daß Meerschweinchen, die bekanntlich für Tuberkulose außerordentlich empfänglich seien, wenn man sie der Wirkung einer solchen Substanz aussetze, auf eine Impfung mit tuberkulösem Gifte nicht mehr reagiren, und daß bei Meerschweinchen, welche schon in hohem Grade an allgemeiner Tuberkulose erkrankt seien, der Krankheitsprozeß vollkommen zum Stillstand gebracht werden könne, ohne daß der Körper von dem Mittel etwa anderweitig nachteilig beeinflußt würde.

Redner schließt mit folgenden Worten: „Sollten die im weiteren an diese Versuche sich knüpfenden Hoffnungen in Erfüllung gehen, und sollte es gelingen, zunächst bei einer bakteriellen Infektionskrankheit des mikroskopischen, aber bis dahin übermächtigen Feindes im menschlichen Körper selbst Herr zu werden, dann wird man auch, wie ich nicht zweifle, sehr bald bei anderen Krankheiten das gleiche erreichen. Es eröffnet sich damit ein vielverheißendes Arbeitsfeld mit Aufgaben, welche werth sind, den Gegenstand eines internationalen Wettstreites der edelsten Art zu bilden. Schon jetzt die Anregung zu diesen Versuchen nach dieser Richtung zu geben, war einzig und allein der Grund, daß ich, von meiner sonstigen Gewohnheit abweichend, über noch nicht abgeschlossene Versuche eine Mittheilung gemacht habe.“

Den Eindruck dieser Rede zu schildern, ist eine schwierige Aufgabe. Es war, als ob eine Bombe in die Versammlung eingeschlagen hätte, so erregt, ja verblüfft schauten alle Theilnehmer drein. Man hatte einen interessanten wissenschaftlichen Vortrag erwartet und stand nun auf einmal vor geheimnißvollen Eröffnungen und Andeutungen, welche Aussichten von unendlicher Tiefe und Weite eröffneten, Aussichten auf künftige Heilerfolge, wie sie die kühnsten Träume nicht hatten vorgaukeln können. Diese Rede Kochs war das Ereigniß des Tages, beherrschte die Gemüther während des ganzen Kongresses fast ausschließlich, ließ allen übrigen noch so hervorragenden Vorgängen der glänzenden Vereinigung nur ein untergeordnetes Interesse abgewinnen. Denn darüber war alle Welt sich klar, wenn ein so vorsichtiger Forscher wie Koch sich in der Weise mit einer gewissen Zuversichtlichkeit [820] aussprach, so mußte er in seinen glücklichen Ergebnissen schon weit gelangt sein. Politische wie Fachzeitungen bemächtigten sich eifrigst des Themas, und durch manche wenn auch unbestimmte Nachrichten, daß der große Forscher seine Versuche jetzt auch an Menschen anstelle, wurde die Spannung in der ganzen Welt aufs höchste gesteigert. Bald kamen nun auch mehr oder weniger authentische Berichte über Behandlung Tuberkulöser durch Koch in Krankenhäusern und Privatkliniken, dann schilderten Zeitungen aus Frankfurt a. M. die Erfolge der Therapie bei Lupus (fressender Flechte), ein Leiden, das als Hauttuberkulose aufzufassen ist und bei dem auch die specifischen Tuberkelbacillen nachgewiesen sind. Man erfuhr, daß das Verfahren darin besteht, eine kleine Menge einer bestimmten Flüssigkeit den Patienten unter die Haut zu injicieren, daß schon nach einer einzigen Einspritzung oftmals eine heilende Wirkung zu beobachten sei. Mit fieberhafter Ungeduld wartete alles auf einen darauf bezüglichen Vortrag Kochs, den er, wie behauptet wurde, in einer der nächsten Sitzungen der großen „Berliner medizinischen Gesellschaft“ zu halten gesonnen sei – da plötzlich erschien am 13. November eine Extraausgabe der „Deutschen medizinischen Wochenschrift“ und brachte als ersten Artikel: „Weitere Mittheilungen über ein Heilmittel gegen Tuberkulose. Von Professor R. Koch, Berlin.“

Koch.
Nach einer Photographie von J. C. Schaarwächter in Berlin.

Im Eingange der Arbeit sagt der Verfasser, er habe mit seiner Veröffentlichung eigentlich bis zum vollen Abschlusse der Untersuchungen warten wollen, allein es sei trotz aller Vorsichtsmaßregeln schon so viel davon, und zwar in entstellter und übertriebener Weise in die Oeffentlichkeit gedrungen, daß ihm eine orientierende Uebersicht über den augenblicklichen Stand der Sache schon jetzt geboten erscheine. Ueber die Herkunft des Mittels könne er, da die Arbeit noch nicht abgeschlossen, hier noch keine Angaben machen, sondern behalte sich solche für eine spätere Zeit vor. Das Mittel besteht aus einer bräunlichen klaren Flüssigkeit, die zum Gebrauch mehr oder weniger verdünnt werden muß; vom Magen aus wirkt es nicht, sondern nur als Einspritzung unter die Haut; die geeignetsten Einstichstellen sind die Rückenhaut zwischen den Schulterblättern und die Lendengegend. Eigenthümlicherweise erwies sich der Mensch außerordentlich viel empfindlicher für die Wirkung des Mittels als das Meerschweinchen, mit dem bisher experimentiert worden war; schon 1/8 von der Menge, welche bei letzterem noch keine merkliche Wirkung hervorbringt, ist für den Menschen sehr stark wirkend.[1] Die untere Grenze der Wirkung des Mittels liegt für den gesunden Menschen ungefähr bei 0,01 kcm; die auf diese Dosis folgende Reaktion besteht meistens nur in leichten Gliederschmerzen und bald vorübergehender Mattigkeit, während nach größeren Gaben heftiger Schüttelfrost mit Erbrechen und hoher Körpertemperatur eintritt. Die wichtigste Eigenschaft des Mittels ist seine specifische Wirkung auf tuberkulöse Prozesse, welcher Art sie auch sein mögen. Der gesunde wie auch der nicht tuberkulöse kranke Mensch reagiert auf eine Injektion von 0,01 kcm gar nicht oder unbedeutend, bei Tuberkulösen dagegen tritt auf dieselbe Dosis sowohl eine starke allgemeine, als auch eine örtliche Reaktion ein. Die allgemeine Reaktion besteht in einem Fieberanfall, welcher, meistens mit Schüttelfrost beginnend, die Körpertemperatur über 39°, oft bis 40 und selbst 41° steigert; daneben bestehen Gliederschmerzen, Hustenreiz, große Mattigkeit, öfters Uebelkeit und Erbrechen. Der Anfall, von dem die Kranken auffallend wenig angegriffen werden, beginnt in der Regel 4–5 Stunden nach der Injektion und dauert 12–15 Stunden.

Die örtliche Reaktion kann am besten an solchen Kranken beobachtet werden, deren tuberkulöses Leiden sichtbar zu Tage liegt, wie z. B. bei den an fressender Flechte (Lupus) Leidenden. Einige Stunden nach der Injektion beginnt eine Schwellung und Röthung der lupösen Stellen, die allmählich einen ganz bedeutenden Grad erreichen, sodaß das kranke Gewebe stellenweise abstirbt. Nach 2–3 Tagen ist die Schwellung in der Regel verschwunden, die Lupusherde selbst haben sich mit Krusten von aussickernder und an der Luft vertrockneter Flüssigkeit bedeckt, sie verwandeln sich in Borken, welche nach 2–3 Wochen abfallen und mitunter schon nach einmaliger Injektion des Mittels eine glatte rothe Narbe hinterlassen. Gewöhnlich bedarf es aber zur völligen Heilung mehrerer Einspritzungen. Die angegebenen Veränderungen beschränken sich durchaus auf die lupös erkrankten Hautstellen, die gesunde Haut wird nicht afficiert.

Die geschilderten Reaktionserscheinungen sind, wenn irgend ein tuberkulöser Prozeß im Körper vorhanden war, auf die Dosis von 0,01 kcm in den bisherigen Versuchen ausnahmslos eingetreten, sodaß das Mittel in Zukunft ein unentbehrliches Hilfsmittel zur Erkennung der Krankheit bilden wird. Man wird damit imstande sein, zweifelhafte Fälle von beginnender Schwindsucht selbst dann noch zu erkennen, wenn es nicht gelingt, durch irgend welche andere Untersuchungen eine sichere Auskunft über die Natur des Leidens zu erhalten.

Die wichtigste Bedeutung des Mittels aber ist seine Heilwirkung. Nach der subcutanen Injection wird das Lupusgewebe, wie [821] wir oben beschrieben, mehr oder weniger zerstört und verschwindet. In welcher Weise dieser Vorgang sich vollzieht, läßt sich augenblicklich noch nicht mit Bestimmtheit sagen, nur so viel steht fest, daß es sich nicht um eine Abtödtung der im Gewebe befindlichen Tuberkelbacillen handelt, sondern daß nur das Gewebe, welches die Bacillen einschließt, von der Wirkung des Mittels getroffen wird. Zur richtigen Ausnutzung der Heilwirkung des Mittels muß also zunächst das noch lebende tuberkulöse Gewebe zum Absterben gebracht und dann alles aufgeboten werden, um das todte sobald als möglich, z. B. durch chirurgische Nachhilfe, zu entfernen. Da aber, wo dies nicht möglich ist und nur durch Selbsthilfe des Organismus die Aussonderung langsam vor sich gehen kann, muß zugleich durch fortgesetzte Anwendung des Mittels das gefährdete lebende Gewebe vor dem Einwandern der etwa noch vorhandenen lebenden Parasiten geschützt werden. Da das Mittel nur auf das tuberkulöse lebende Gewebe einwirkt, so kann es in sehr schnell gesteigerten, in etwa drei Wochen auf das fünfhundertfache der Anfangsgabe getriebenen Dosen gegeben werden, denn nach jeder Injection verringert sich ja die Menge des reaktionsfähigen Gewebes. Ist der Tuberkulöse soweit gebracht, daß er nur noch ebensowenig reagirt wie ein Nichttuberkulöser, so kann er wohl als geheilt betrachtet werden.

Die Erfolge, die erzielt worden sind, erstrecken sich für Lupus-Kranke dahin, daß bei zwei Kranken durch drei beziehentlich vier Injectionen die lupösen Stellen zur glatten Vernarbung gebracht, die übrigen derartigen Patienten der Dauer der Behandlung entsprechend gebessert sind. Alle diese Kranken haben ihr Leiden schon viele Jahre getragen und sind vorher in der verschiedensten Weise erfolglos behandelt worden. Das Gleiche gilt für Drüsen-, Knochen- und Gelenktuberkulose.

Etwas anders gestalteten sich die Verhältnisse bei der Hauptmasse der Kranken, bei den Schwindsüchtigen. Kranke mit ausgesprochener Lungentuberkulose sind nämlich gegen das Mittel weit empfindlicher als die mit chirurgischen tuberkulösen Leiden behafteten. Die Anfangsdosis mußte daher auf 0,002 und selbst 0,001 kcm herabgesetzt, dann aber bald wieder erhöht werden. Als Wirkung des Mittels zeigte sich anfangs gewöhnlich eine mäßige Zunahme von Husten und Auswurf, die dann aber allmählich geringer wurden, um in den günstigsten Fällen schließlich ganz zu verschwinden; auch verlor der Auswurf seine eitrige Beschaffenheit, er wurde schleimig. Die Zahl der Bacillen nahm gewöhnlich erst dann ab, wenn der Auswurf schleimiges Aussehen bekommen hatte, und verschwanden schließlich mit dem Auswurfe vollständig. Gleichzeitig hörten die Nachtschweiße auf, das Aussehen besserte sich, und die Kranken nahmen an Gewicht zu. Die im Anfangsstadium der Phthisis behandelten Kranken sind sämmtlich im Laufe von vier bis sechs Wochen von allen Krankheitssymptomen befreit, so daß man sie als geheilt ansehen konnte; Schwerkranke wurden gebessert. „Nach diesen Erfahrungen möchte ich annehmen, daß beginnende Phthisis durch das Mittel mit Sicherheit zu heilen ist. Theilweise mag dies auch noch für die nicht zu weit vorgeschrittenen Fälle gelten.“ Befindet sich aber die Krankheit schon in einem späten Stadium, sind erst nicht mehr zu beseitigende krankhafte Folge-Veränderungen in anderen wichtigen Organen eingetreten, dann ist natürlich auf Herstellung nicht mehr zu rechnen, wenn auch hier noch vorübergehende Besserung wohl meistens zu erreichen ist. Der Schwerpunkt des Heilverfahrens liegt daher in der möglichst frühzeitigen Anwendung, und um dies zu erreichen, ist eine höchst sorgfältige Untersuchung verdächtiger Kranker, besonders auf Tuberkelbacillen, dringendes Erforderniß. –

Dies der wesentliche Inhalt der epochemachenden Veröffentlichung unseres großen Forschers. Wir stehen hier vor einer Thatsache, deren Tragweite in medizinischer und socialer Beziehung noch gar nicht zu ermessen ist. Ich sage Thatsache, denn den positiven Angaben eines Mannes wie Koch gegenüber, der die Technik des Experimentirens aufs feinste ausgebildet hat, der mit der peinlichsten Selbstkritik bei seinen Forschungen zu Werke geht, der nur mit größter Vorsicht Resultate als gegeben erachtet und nur mit Ueberwindung mit diesen Resultaten vor die Oeffentlichkeit tritt – den positiven Angaben eines solchen Mannes, sage ich, läßt sich meiner Ueberzeugung nach ein berechtigter Zweifel nicht entgegenstellen. Nicht viele Jahre werden vergehen und wir werden die Tuberkulose nur noch in älteren Büchern beschrieben finden – die Krankheit selbst besteht nicht mehr, mordet nicht mehr die Blüthe der Jugend dahin, bringt nicht mehr unsäglichen Jammer und Elend in Palast und Hütte. Ein neues kräftiges Geschlecht wird erblühen, unbehelligt von dem tückischen Tuberkelbacillus. – Allein damit ist’s nicht geschehen, eine viel weitere, umfassendere Perspektive eröffnet sich uns. Wenn gegen den Mikroorganismus der Lungenschwindsucht das wirksame, heilkräftige Mittel gefunden ist, da kann es ja nur eine Frage der Zeit sein, auch gegen die Parasiten der anderen akuten Infectionskrankheiten, wie Diphtherie und Typhus, oder gegen chronische Infectionskrankheiten, wie z. B. den Krebs, die geeignete Injectionsmasse zu entdecken. Hat doch Koch selbst in seinem Vortrage auf dem internationalen medizinischen Kongresse solche Aussichten angedeutet.

Die Folgen der Kochschen Entdeckung auszudenken sind wir, wie gesagt, nicht imstande, aber das vermögen wir und das ist unsere Pflicht, unsere höchste Bewunderung dem genialen Manne auszudrücken, der, ein wahrhaft großer Mann, wohl der größten einer, die je gelebt, als Wohlthäter der ganzen Menschheit geliebt und verehrt werden muß. Dr. Max Salomon.


  1. Auf Körpergewicht berechnet ist 1/1500 von der Menge, welche beim Meerschweinchen noch keine merkliche Wirkung hervorbringt, für den Menschen sehr stark wirkend.