Eine Riesensprengung im „Höllenthor“ bei New-York
Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit.
In der guten alten Zeit, als der Mensch noch mit dem gemüthlichen Schießpulver vorlieb nahm, als die rastlosen Chemiker noch nicht auf Dynamit, Nitroglycerin, Panklastit u. dergl. verfallen waren, als man sich die Elektricität nicht in dem Maße wie jetzt dienstbar gemacht hatte, gehörten Felsensprengungen unter Wasser zu den schwierigsten Aufgaben der Technik. Aeltere Zeitgenossen erinnern sich vielleicht des Aufsehens, welches die verhältnißmäßig leichte Sprengung der Felsen am Binger Loch erregte, und die Erschließung des Eisernen Thores an der unteren Donau galt und gilt noch in einem gewissen Sinne für ein technisches Meisterstück.
Heutzutage hat es freilich der Sprengtechniker erheblich leichter. Er besitzt Sprengstoffe, die auch unter Wasser brennen, und der elektrische Funke liefert ihm ein bequemes Mittel, um, von einem sicheren Standpunkte aus, eine beliebige Anzahl Minen blitzschnell zur Explosion zu bringen, während andererseits die Fortschritte der Wasserbaukunst und der Tauchergeräthe die Vorarbeiten zu Felsensprengungen nicht unwesentlich erleichtern.
Damit soll übrigens nicht gesagt sein, daß die Riesen-Sprengung, deren Vorbereitungen wir unseren Lesern im Bilde vorführen wollen, zu den leichteren Aufgaben der Technik gehört. Im Gegentheil. Wir werden sehen, daß der Oberingenieur der Armee der Vereinigten Staaten, General J. Newton, dem die Leitung der Arbeiten oblag, recht bedeutende Schwierigkeiten zu überwinden hatte. Wir wollen uns zuvörderst den Schauplatz des am 10. Oktober glücklich erfolgten, alles Dagewesene in den Schatten stellenden Knalleffektes etwas näher ansehen.
Der New-Yorker Hafen gehört zu den verkehrsreichsten der Welt und steht wohl nur dem Londoner nach. Sehr störend ist es unter solchen Umständen, daß die eine Einfahrt in diesen Hafen, das sogenannte Höllenthor, nicht nur durch kleinere Riffe, sondern auch durch einen ungeheuren Felsen versperrt war, die den New-Yorker Lotsen viel zu schaffen machten und zahlreicher Schiffe Untergang auf dem Gewissen haben.
Es wurde daher vor nunmehr zwanzig Jahren beschlossen, die Hindernisse, welche das Höllenthor so gefährlich machen, gründlich zu beseitigen, nachdem die seit 1848 unternommenen Sprengversuche mit den damals zu Gebote stehenden unzureichenden Mitteln so gut wie ergebnißlos verlaufen waren. Im Jahre 1866 begann man zunächst mit der Wegräumung der verhältnißmäßig kleinen Riffe Pot-Rock (Kessel) und Frying pan (Bratpfanne). Der letzteren ging man mit den gewöhnlichen Mitteln: Taucherglocke, von welcher aus Löcher in den Felsen gebohrt wurden, zu Leibe, [712] der „Kessel“ aber wurde von den im Innern abgeteuften Schichten aus mit Patronen gespickt, die 25000 Kilogramm Dynamit enthielten, und 1876 mit einem Schlage nicht in die Luft, sondern ins Wasser gesprengt. Es drang in der That kein einziges Felsstück bis an die Wasseroberfläche, und es verrieth nur ein dumpfes Geräusch und eine 50 Meter hohe Wassersäule, daß in der Tiefe eine grausige Katastrophe sich vollzogen. (In Nr. 46 des Jahrganges 1876 der „Gartenlaube“ ist eine ausführliche Schilderung des seltenen Ereignisses gegeben.)
Damit war indessen der Schifffahrt nicht viel geholfen. Es verblieb, wie wir oben sahen, der Hauptfelsen — Flood Rock genannt — und drohte nach wie vor den Schiffen mit dem Untergang. Der Beginn der Arbeiten zur Beiseiteschaffung des Ungethüms verzögerte sich dadurch, daß die Volksvertretung der Vereinigten Staaten mit der Bewilligung der erforderlichen vier Millionen Mark lange zögerte, und so ist es gekommen, daß die Sprengung des 360 Meter langen, 180 Meter breiten Riffs so lange auf sich warten ließ.
Eine solche Masse könnten die Ingenieure begreiflicherweise mit den gewöhnlichen Mitteln nicht wegräumen. Es kam hier vielmehr das bei dem „Kessel“ bereits mit Erfolg angewendete Verfahren, mit einigen wesentlichen Verbesserungen, wieder zu Ehren. Wir wollen nunmehr dieses Verfahren an der Hand der beifolgenden Abbildungen, die nach dem „Scientific American“ hergestellt wurden, unseren Lesern klar zu machen suchen.
Da der Flood Rock nur bei Ebbe mit der Spitze ein wenig aus dem Wasser ragt, so war die erste Arbeit die Herstellung eines dem nassen Elemente unzugänglichen Raumes auf der höchsten Stelle, von welchem aus die Werkleute mit aller Sicherheit zunächst einen senkrechten, 18 Meter tiefen Schacht in das Innere treiben konnten. Der Vorhof zu diesem Schachte, dessen Inneres die erste unsrer Abbildungen veranschaulicht, war nicht bloß zum Ausladungsplatze für das herauszufördernde Gestein, sondern auch für die Aufstellung von mächtigen Pumpen bestimmt, weil der Felsen sich als wasserdurchlässig herausstellte und die Arbeitsplätze bald „ersoffen“ wären, hätte man für die Entfernung des eindringenden Wassers nicht gesorgt.
Von dem Schachte aus gruben sich alsdann die Arbeiter weiter in das Gestein durch gewöhnliches Sprengen hinein. Zunächst ging es an die Herstellung der Sammelrinne für das durchsickernde Wasser, über welche in geringen Abständen Holzbrücken führen. Darauf wurden, der Länge und Breite des Felsens nach, wagerechte Gänge gebohrt, die so dicht bei einander liegen, daß die Felsendecke, wie bei den berühmten indischen Tempeln in der Nähe von Bombay, nur noch auf ausgesparten Säulen ruht. Eine Anzahl solcher Gänge veranschaulicht an der Stelle, wo sie die Sammelrinne kreuzen, unsre zweite Abbildung. Dieser Theil der Arbeit war sehr schwierig und gefahrvoll. Einmal bedrohte das eindringende Wasser häufig das Leben der Bergleute; sodann erwies sich das Gestein vielfach als so bröcklig, daß Einstürze nur mit großer Mühe durch Stützen der Decke mit Balken abgewendet werden konnten. Die Felsendecke über den Gängen hatte eine Mächtigkeit von etwa fünf Metern, die Gänge selbst aber eine Gesammtlänge von über 6500 Metern, waren also etwa halb so lang, wie der Gotthardtunnel. Die Decke trugen 467 Felsensäulen.
Mit dem Graben der 70 Gänge war aber das Werk keineswegs vollendet. Es galt nunmehr, die Wände der unterirdischen Gassen wie auch die Decke für die Aufnahme der Sprengladungen herzurichten. Wenn auch das Bohren des Gesteins, Dank den mächtigen Bohrmaschinen der Neuzeit, überraschend schnell und leicht vor sich ging, so beanspruchte immerhin die Durchlöcherung des Felsens mit nicht weniger als 13286 Bohrlöchern von durchschnittlich 2,70 Meter Tiefe einen großen Aufwand an Zeit und Mühen. Diese Bohrlöcher waren im September vollendet, und ihre Gesammtlänge betrug über 36 Kilometer.
Hierauf erfolgte das Laden der Bohrlöcher. Auf kleinen Schienen bewegte sich ein Karren, dessen Aufsatz sich nach Bedarf hoch oder niedrig stellen ließ, und von welchem aus die Bergleute die Einführung der Patronen in die Minenlöcher bequem besorgen konnten. Diese Patronen bestanden aus einem Gemisch von Schießpulver und Dynamit. Interessant ist die Art und Weise, in welcher die Arbeiter ihr Licht an der Hutkrempe leuchten ließen!
Das nicht ungefährliche Laden der Minen wurde Anfangs Oktober vollendet, und hierauf erfolgte die Verbindung sämmtlicher Patronen durch eine Reihe von Kupferdrähten, die weitab, am gegenüberliegenden Ufer von Long Island, in eine elektrische Batterie mündeten. Alsdann wurde zur Vergrößerung der Sprengwirkung das Wasser in den mächtigen unterirdischen Bau eingelassen, nachdem die Baulichkeiten und Maschinen über dem Schachte entfernt worden waren. Nunmehr genügte ein Druck auf einen Knopf an der elektrischen Batterie, um die 13286 Patronen mit ihrer Ladung von etwa 150000 Kilogramm Dynamit und Schießpulver zu zünden und damit den Flood-Rock hoffentlich für immer zu beseitigen.
Den Schauplatz, auf welchem diese Riesensprengung stattgefunden, haben wir bereits in Nr. 4 dieses Jahrgangs der „Gartenlaube“ unsern Lesern vorgeführt, als wir den eigenartigen elektrischen Leuchtthurm am „Höllenthor“ besprachen, der mit dem Licht von 54000 Kerzen den East River beleuchtet.
Während wir diese Zeilen niederschreiben, liegen nur kurze
telegraphische Berichte aus New-York vor, nach welchen die Riesen-Explosion
glücklich abgelaufen ist. Schon die Sprengung des „Kessels“ hat
bewiesen, daß bei dieser Art von Minenentladungen kaum eine Gefahr für
die Umgebung vorhanden ist, weil die Wasserschicht über dem Felsen den
Anprall bedeutend abschwächt. Dagegen steht zu befürchten, daß die
Sprengung keine so vollständige geworden ist, wie die Betheiligten
hoffen, und daß das nachherige Herausfischen größerer Felsentrümmer,
welche ebenso viele neue Riffe bilden würden, viel unvorhergesehene
Mühe und Kosten verursachen wird. Das ganze Werk ist indessen so
meisterhaft gedacht und angelegt, daß wir wohl das Beste hoffen dürfen.
G. von Muyden.