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Eine Ruderfahrt auf der Themse

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Textdaten
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Autor: Wilhelm Ferdinand Brand
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Titel: Eine Ruderfahrt auf der Themse
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 538-540
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Eine Ruderfahrt auf der Themse.

Von Wilh. F. Brand. Mit Illustrationen von Richard Püttner.

Es ist recht erfreulich wahrzunehmen, daß der Rudersport in Deutschland in den letzten Jahren einen so wesentlichen Aufschwung genommen, allein den in dieser Hinsicht in England herrschenden Zuständen kommt derselbe doch noch lange nicht gleich. Das mag auch Manchen gar nicht wünschenswerth erscheinen – namentlich Solchen, die nie ein Ruder in der Hand gehabt. Es mag Einzelnes in dieser Beziehung bei den Engländern in der That auf die Spitze getrieben sein, aber das Rudern hat doch auch seine außerordentlichen Vortheile und Annehmlichkeiten mittelbar und unmittelbar. Deß ward ich jüngst so recht auf einer dreitägigen Themsefahrt inne. Ein verheiratheter Freund, der als trefflicher Ruderer bekannt und einmal sogar zur Mitwirkung an der ganz England alljährlich in Aufregung versetzenden Oxford and Cambridge boat race von seinen Kommilitonen ausgewählt worden war, hatte mich aufgefordert, diese Fahrt mit ihm, seiner Frau, zwei anderen Damen und einem dritten Herrn zu unternehmen. Da ich schon verschiedene kleine Ruderfahrten mit ihnen gemacht und mich allemal herrlich vergnügt hatte, so nahm ich die Einladung gern an.

Forsthaus in den Wäldern von Cliveden.

Unser Boot, die „May“, war aus Mahagoni geschnitzt, mit Gold reich verziert und so leicht und elegant, wie man selten eins auf dem Kontinent zu sehen bekommt. Man brauchte nur einen schiefen Mund zu machen, so fing es schon an zu schaukeln. Hätte aber Jemand ein wenig den Kopf hängen lassen, es wäre unfehlbar umgestürzt. So sagte wenigstens mein Freund, und die Folge war denn auch die heiterste Laune auf allen Seiten. Derselbe wachte mit unerbittlicher Strenge darüber, daß kein irgendwie entbehrliches Gepäck das Boot beschwerte. Ich glaube, er hatte von vornherein die vulgäre Absicht, mit jedwedem Boote zu wettrudern, jedenfalls aber von keinem sich überholen zu lassen. Nur in Bezug auf Mitnahme von Proviant gab es für ihn keine Schranken, um so mehr aber in Bezug auf die Kleidungsstücke, von denen kein Extrastück erlaubt wurde. Als die Damen sich hiermit nicht zufrieden geben wollten und ohne ein zweites Kleid nicht glaubten fertig werden zu können, mußten sie sich dazu verstehen, dieses an einen Gasthof, wo wir für die zweite Nacht Zimmer genommen, vorauszusenden, um es dort für das erstere umzutauschen.

Wir waren sammt und sonders in Weiß gekleidet, wie Tausende von anderen Ruderern, die wir auf dem Flusse trafen. Unsere Damen trugen eine Art Finette, während die Herren nur mit der allgemein üblichen dünnen Flanellblouse, entsprechendem Beinkleide und Schuhen bekleidet waren. Gürtel, Halsbinden und Hutbänder waren Oxford(dunkel)-blau und harmonirten genau mit dem Besatze der Damenkleider. Ja, wir müssen ein „pretty sight“ (netter Anblick) gewesen sein! – Nur die nothwendigsten Regenmäntel und Decken waren gestattet, und als reiner Luxusartikel nur eine kleine englische und eine – deutsche Flagge, eine Aufmerksamkeit, auf die ich zu Anfang nicht wenig stolz war. Ahnte mir doch nicht, welches Ungemach sie mir hinterdrein bereiten sollte.

Solchermaßen ausgestattet, war die „May“ mit der Bahn nach Oxford gesandt, sodaß wir nur flußabwärts zu rudern hatten. Von hier bis Richmond, wo meine Freunde zu Hause sind und das in geringer Entfernung oberhalb Londons liegt, beträgt die Entfernung ungefähr hundert englische Meilen – gerade genug für drei Tage! Nach Oxford fuhren denn auch wir mit der Bahn, und hier in der altehrwürdigen hübschen Universitätsstadt gingen wir an Bord. Das rechte Flußleben fängt indeß hier erst ganz allmählich an. Nur wenige Dutzende von Booten trafen wir den ersten Tag. Beginnt doch die eigentliche Themse erst 17 Meilen abwärts von Oxford und wird bis dahin vielfach nur als Isis oder Ouse bezeichnet. Erst wo die Thame sich mit der Isis verbindet, wird die „Thamesis“ oder „Thames“ daraus.

Die Gegend ist hier idyllisch einfach und still, wie sie uns die Illustration von der Hand C. Lawson’s vorführt. Der Künstler hat sich mit den dürftigsten Anhaltspunkten begnügt und doch ein Bild entworfen, das auf den ersten Blick die Themse erkennen läßt, die Themse mit ihren klaren Fluthen, die nur hier und dort von Feldern von Wasserlilien bedeckt wird, die Themse mit der üppigen Vegetation ihrer lieblichen Uferpartien, mit dem reichen frischen englischen Grün, das so viel grüner ist, als in anderen Landen, denn wie die Frauen und Mädchen Englands durch die zarte Frische ihres Teint sich auszeichnen, so ist für eine englische Landschaft das frische Kolorit, das darüber ausgehaucht, charakteristisch. Und warum sollte nicht das Eine von dem Andern sich herleiten!

Die erste Nacht brachten wir in dem kleinen Ort Goring zu. Die Gegend wird nun immer schöner. Wohlgepflegte Parkanlagen mit kurzgeschorenen, spiegelglatten Rasenflächen wechseln ab mit blumigen Wiesen und malerischen Hügelketten. Wie mundete es doch da, wenn wir nach einer scharfen Fahrt auf einem schön gelegenen Inselchen oder am schattigen Gestade unser Lager aufschlugen und einen rechten englischen Picknick abhielten!

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Eton-College.

Und wie sich die englischen Damen auf ein solches Leben verstehen! Ganz irrig wäre es aber, ihnen deßhalb die Eigenschaft, die sie selbst so passend mit „fast“ bezeichnen, zuschreiben zu wollen, nur weil sie das Ruder zu handhaben und einem Picknick vorzustehen wissen. Wohlgesittetere Mädchen und Frauen, als diejenigen, die uns begleiteten, giebt es gewiß nicht. Dagegen erhöhte ihre Gegenwart an sich schon die Freuden und Annehmlichkeiten der Fahrt in hohem Grade, um so mehr, als wir durch keinerlei Verpäppelung ihrerseits in der Erreichung des uns vorgesteckten Zieles bedingt wurden.

Mit Zunahme der Schönheiten des Flusses wurde auch das Leben auf demselben ein regeres. Das zeigte sich nun vornehmlich bei den vielfachen Schleusen, die, auf der Strecke von Oxford bis London in einer Anzahl von nicht weniger als 40 errichtet, das Gefälle des Flusses auf ein Minimum beschränken und so selbst das Rudern flußaufwärts zur Leichtigkeit machen. Hier trafen wir oftmals mit 30 bis 40 Booten zusammen. Mehr vermochte eine einzige Schleuse selten zu fassen. Es mußten also manche Fahrzeuge noch außerhalb derselben bleiben. Diejenigen aber, welche hineingekommen waren, fanden drinnen, nicht selten eng aneinander gedrängt, Muße genug, sich gegenseitig genauer Musterung zu unterziehen. Sobald aber das untere Wasserthor sich öffnete, ging’s mit rastlosem Eifer – ja hin und wieder auch mit rücksichtslosem Ungestüm! – durch dasselbe hindurch, sodaß die außerhalb harrenden Boote, die flußaufwärts wollten, klüglicher Weise sich hart an den Ufern hielten, um dem Anprall möglichst auszuweichen.

Nach der kurzen Rast in der Schleuse tauchten nun die Ruder mit erneuter Kraft in die Fluth, und in dem entstehenden Gewirre wollte Niemand gern zurückbleiben. Bald aber ward es uns klar, daß man unserem Boote insonderheit den Vorrang nicht gewähren wollte. Es war offenbar die deutsche Flagge auf demselben, welche die wettruderbegierigen Engländer reizte wie das rothe Tuch des Toreador den Stier in der Arena. Es giebt viele Ruderer, die, wie die Bauern auf der Brautfahrt, die Omnibuskutscher auf der Suche nach Passagieren, es nicht über sich ergehen lassen können, daß Jemand sie überholt. Was Wunder, wenn man da eine ausländische Flagge auf den heimischen Gewässern nicht vorüber lassen wollte. Meine Freunde und Bootsgenossen waren aber nicht minder eifersüchtig. Ohne ein Wort, ohne einen Blick mit den Insassen anderer Boote auszutauschen, ruderten sie, anscheinend mit äußerster Nonchalance, in Wirklichkeit aber oft meilenweit unter entsetzlicher Anstrengung, nur um sich nicht überholen zu lassen. Sie waren aber – selbst die Damen – so rudergewandt, daß ich mich im Stillen einer gewissen schnöden Freude nicht erwehren konnte ob der Triumphe, die unsere deutsche Flagge auf englischen Gewässern davontrug, eine Freude, die – es war gewiß unrecht von mir – durch den Umstand, daß es Engländer waren, die unter der deutschen Flagge Engländer besiegten, keineswegs vergällt wurde, denn so oft ich an die Reihe kam, mit Jemand zusammen zu rudern, änderte sich die Sache regelmäßig. Dann schienen unsere Rivalen stets besonders geschickt zu sein. Ich weiß nicht, wie es kam – aber wir blieben dann meistens zurück! Das hätte mir nun wenig ausgemacht, wäre die deutsche Flagge nicht gewesen. Ach, die Flagge, die Flagge! Schon dachte ich ernstlich daran, zu proponiren, daß wir dieselbe einzögen – wenigstens wenn ich mitruderte; aber konnte ich mich so erniedrigen? – Keineswegs! – Und so habe ich denn gerudert und gerudert – fürs Vaterland! fürchte aber, demselben wenig Ehre gemacht zu haben.

Zu dem Platze, wo alljährlich die großartigste internationale Regatta der Welt stattfindet, Henley, kamen wir noch an demselben Tage. Wie es zur Zeit der Regatta dort aussieht, davon dürfte unsere Illustration S. 545 ein anschauliches und zugleich naturwahres Bild geben.

Auch deutsche Ruder-Vereine – wie der Frankfurter und Hamburger – haben zu wiederholten Malen ihre Vertreter hierher geschickt und sich oft durch ihre tüchtigen Leistungen in den Wettkämpfen Anerkennung erworben.

In Great Marlow verbrachten wir die zweite Nacht. Von hier kamen wir am nächsten Morgen bald an die schönsten Strecken, welche die Themse aufzuweisen hat. Cookham und Cliveden, der prächtige Landsitz des Herzogs von Westminster, sind reizende Punkte. Das Schloß selbst ist vom Flusse aus leider nicht sichtbar, doch wird das Auge durch die dazu gehörigen prächtigen Waldungen nebst einigen Försterhäuschen genügend entschädigt. Nicht minder schön sind Maidenhead und Burnham Beeches, der Lieblingsaufenthalt des Dichters Gray. Daran reiht sich in einiger Entfernung die königliche Residenz Windsor, deren prächtige Lage schon Wilhelm dem Eroberer dermaßen gefiel, daß er sich ein Schloß daselbst errichtete. Dieses wurde später von Heinrich I. vergrößert und Georg IV. verausgabte nahezu eine Million Pfund Sterling zur Verschönerung desselben. Und ein gar herrlicher stolzer Bau ist es geworden. Auf der anderen Seite des Flusses liegt Eton, bekannt durch das von Heinrich VI. gegründete Eton-College, die vornehmste Hochschule Englands.

Windsor-Castle.

Doch Bauten ganz anderer Art zogen nun immer mehr unsere Aufmerksamkeit an: Häuser im Flusse selbst, schwimmende Häuser, die immer zahlreicher an malerischen Punkten des Ufers anzutreffen waren. Dieselben erinnern lebhaft an eine Arche Noah, doch sind sie meistens sehr elegant und mit einem platten Dache versehen, das vortreffliche Ruhesitze gewährt. Man sieht sie von den verschiedensten Größen. Zuweilen nur zwei, manchmal auch mehr als ein halbes Dutzend Zimmer enthaltend, scheinen sie wie für die Zeit der Flitterwocheu geschaffen. Werden ihre Bewohner des Aufenthalts an einer Stelle müde, so brauchen sie nur einen Dampfer vorspannen zu lassen. Und wohnen sie heute bei Windsor, [540] so steht ihr Haus morgen vielleicht bei Henley, ein Nomadenleben, das für ein paar Sommerwochen nicht idyllischer gedacht werden kann. Anders ist die Sache schon mit den kleinen Leinenzelten, die je näher bei London, in um so größeren Haufen auf Inseln und am Gestade aufgeschlagen sind. Wunderliche Liebhaberei! Es sind die Schlafstätten junger Leute, von denen manche Morgens und Abends eine weite Reise in die City und zurück nicht scheuen, nur um im Stande zu sein, die Nacht im Freien zuzubringen. Es geht in solchen Zeltlagern recht munter zu, namentlich bei Regenwetter, wo der Vorsicht halber eine mehr als doppelte Quantität des üblichen „brandy and soda“ eingenommen wird, ein derartiges Nachtlager mag abhärten in seiner Weise, ob es aber im allgemeinen der Gesundheit zuträglich, durfte doch zweifelhaft sein.

Inzwischen sind wir der Hauptstadt näher und näher gekommen. Immer zahlreicher werden allerart Boote, immer zahlreicher aber nun auch die Cockneys und noch gewöhnlichere Elemente der Hauptstadt, die in den Booten sitzen. Schon sind wir an den schönen Städtchen Weybridge und Walton vorüber, da steigt der prächtige Palast von Hampton Court vor unseren Augen auf. Ursprünglich vom Kardinal Wolsey erbaut, wurde derselbe, um nicht den Neid des Königs zu erregen, Heinrich VIII. von jenem zum Geschenk gemacht und ist seitdem oftmals der Wohnsitz königlicher Personen gewesen. An Hampton Court schließt sich der durch seine unvergleichlichen Alleen von Kastanienbäumen berühmte Bushey-Park. Etwas weiter stromabwärts liegt das schon aus der Sachsenzeit rühmlichst bekannte Kingston. So können wir kaum einen Ruderschlag thun, ohne durch hervorragende historische Erinnerungen gefesselt zu werden. Doch schon lächelt das trauliche Richmond freundlich zu uns herüber, und die vom Abendlicht vergoldeten Zinnen einzelner auf dem Hügel erbauter Herrenhäuser und vornehmlich des bekannten Star und Garter Hôtels erglänzen in stolzer Pracht. Doch noch ehe wir ihnen nahe kommen, ist der Goldglanz dem Silberschein gewichen. Der Mond ist aufgegangen. In geringer Entfernung unterhalb Richmond hören die Flußschönheiten auf. Das Lichtermeer von London erleuchtet das Firmament. Die Themse wird Weltstrom, aber für den Ruderer ist sie hier zu Ende.

Richmond an der Themse.