Epilepsie

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Autor: Johann Nepomuk von Nußbaum
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Titel: Epilepsie
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aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 540-542
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Epilepsie.

Eine kleine Mittheilung von Geheimrath von Nußbaum in München.


Nur weil ich darum ersucht bin, über diese Krankheit Mittheilungen zu machen, thue ich es, denn es ist nicht gut, über eine Sache zu schreiben, von welcher man sehr wenig Bestimmtes weiß und über welche verschiedene bedeutende Gelehrte sehr verschiedene, einander geradezu widersprechende Ansichten haben.

Ich will deßhalb meine Mittheilung recht kurz machen und nur das sagen, mir zweifellos erscheint.

Wir verstehen unter Epilepsie klonische Krämpfe (Zuckungen), Konvulsionen, welche zu jeder Tageszeit und auch bei Nacht oft ganz plötzlich, ohne alle Vorläufer eintreten, manchmal aber eine sogenannte Aura haben, ein Vorläuferstadium, das dem Kranken die Gewißheit giebt, daß jetzt bald ein epileptischer Anfall kommen wird. Eine solche Aura besteht oft in einem Kitzeln oder Ziehen in einem Gliede, oder in einem Schwindel- oder Schauergefühl im Kopfe, oder Ohrensausen und vielem Anderen. Viel häufiger stürzt aber der Kranke ohne alle Vorläufer plötzlich mit einem Schrei wie vom Blitze getroffen ganz bewußtlos mit stieren Augen, den Kopf hinten übergebogen, zusammen und hat nicht mehr Zeit, eine scharfe Ofenkante oder einen harten Eckstein etc. zu vermeiden. Während er Schaum vor dem Munde hat und die Daumen kräftig einzieht, starre Pupillen und ein violettrothes Gesicht zeigt, wirft und wälzt es ihn drei bis fünf Minuten lang unbarmherzig am Boden herum, bis das unregelmäßige, meist verlangsamte röchelnde Athmen ruhiger wird, das Dunkelroth im Gesicht einer auffallenden Blässe Platz macht und ein tiefer Schlaf eintritt. Dieser dauert oft einundeinhalb bis zwei Stunden und thut dem Kranken sehr wohl, obgleich er aus ihm noch müde erwacht. Während des Anfalls kommen die Kranken selten in Lebensgefahr, außer sie zerschlagen sich den Kopf an einer Mauer oder stürzen von großer Höhe und knicken sich die Wirbelsäule und das Rückenmark. Nur ganz selten entsteht durch gehemmten Blutrückfluß im Kopfe eine Apoplexie. Ueberhaupt sterben Epileptische meist an anderen Krankheiten, welche vor dem Eintritt der Epilepsie schon vorhanden waren, worunter die Tuberkulose eine Hauptrolle spielt. Es sind ja gewöhnlich kränkliche junge Leute, welche von dieser gefürchteten Krankheit ergriffen werden.

Wenn man Epileptische nach dem Tode untersucht, findet man keine bestimmten Veränderungen. Einmal werden diese, das andere Mal jene Hirntheile krank gefunden. Blutüberfüllung, Verhärtung, Erweichung, Ergüsse, eindringende Knochenwucherung des Schädels – das verschiedenste wird gesehen. Noch mannigfaltiger aber sind die Ursachen, welche Epilepsie erzeugen.

Besonders disponirt hierzu sind Kinder, namentlich rhachitische und skrophulöse, junge Leute des weiblichen Geschlechts mehr als das männliche, ferner Kinder von Eltern, welche der Trunksucht ergeben waren. Endlich kann die Epilepsie von Krankheiten der verschiedensten Organe erzeugt werden, Hirn- und Rückenmarkskrankheiten stehen oben an, aber auch Krankheiten von Brust, Bauch, Nieren u. s. w. können Epilepsie erzeugen, Kopfverletzungen, welche mit unverschiebbaren Narben geheilt sind, fand man schon sehr oft als Ausgangspunkt dieser Krankheit. Tiefgehende Narben anderer Körpertheile wurden auch schon Ursache der Epilepsie. Eine ganz große Rolle spielt aber die Erblichkeit. Ganze Stammbäume verzeichnen dieses Unglück. Furcht, Zorn, Schrecken, namentlich Schrecken über einen gesehenen Anfall werden oft auf das Bestimmteste als Ursache bezeichnet. Es ist recht schwer, herauszufinden, welche dieser vielen Ursachen in diesem oder jenem Falle Veranlassung gab, und weil die Heilung der Epilepsie meist nur nach Entfernung der Ursache gelingt, ist auch die Heilung eine recht seltene. Man rechnet im Durchschnitt, daß von 20 Kranken nur Einer geheilt wird. Jene Fälle, welche während des Zahnens entstanden sind, bieten die hoffnungsvollsten Aussichten. Als ein günstiges Zeichen wird auch aufgefaßt, wenn ein Ausschlag oder eine Blutung wieder zurückkehrt, bei deren Verschwinden Epilepsie aufgetreten war.

Manchmal werden viele Heilversuche ohne jeden Erfolg gemacht, wahrscheinlich, weil man die wahre Ursache der Krankheit nicht entdeckte. Geht es besser, so werden die Anfälle seltener und weniger heftig; es kommt auch vor, daß die Epilepsie plötzlich aufhört und nie wiederkehrt, obwohl Niemand weiß, warum sie verschwunden, und Niemand weiß, warum sie kam. Manche Menschen haben überhaupt nur Einen epileptischen Anfall in [541] ihrem ganzen Leben, andere haben wieder alle drei bis vier Jahre einen Anfall, während viele in wenigen Jahren Tausende von Anfällen haben bei Tag und bei Nacht, bei Leid und Freud.

Oft halten die Anfälle bestimmte Zeiten ein, so daß die Aerzte zu dem falschen Glauben kommen, es handle sich um eine Art Wechselfieber. Bei vielen kommen nur Anfälle, wenn sie sich verderben: erkälten, stark aufregen, eine Indigestion zuziehen etc. Die Folgen der epileptischen Anfälle sind oft sehr traurige, namentlich wenn die Anfälle in sehr kurzen Intervallen auftreten. In armen Familien, wo man die Kranken nicht überwachen kann, giebt es natürlich in Folge des plötzlichen Zusammenfallens viele Beinbrüche, Verrenkungen, Wunden u. dgl. m.

Die Kranken werden nach und nach elend an Körper und Geist, verlieren das Gedächtniß, werden sogar ganz blödsinnig. Doch geht es nicht bei allen so übel. Es giebt sogar eine große Anzahl von Beispielen, wo sich der Geist trotz vieler epileptischer Anfälle staunenswerth entwickelte und Großes leistete.

Die Geschichte erzählt von ganz hervorragenden Männern, welche beständig an Epilepsie gelitten haben. Julius Cäsar, Peter der Große, Mohammed, Karl V., Rousseau, Napoleon I. und selbst der weltberühmte Newton waren davon befallen.

Von Laien werden öfters die krampfhaften Zuckungen nervöser Frauen mit Epilepsie verwechselt. Aufmerksamen Aerzten dürfte dies wohl kaum begegnen, denn hysterische nervöse Frauen verlieren das Bewußtsein gewöhnlich nicht ganz, stürzen nicht so plötzlich zusammen, schäumen nicht und drehen die Daumen nicht so ein. Auch folgt der Schlaf nicht so unmittelbar auf den Anfall wie bei Epileptikerinnen. Eine große Uebung und Aufmerksamkeit erfordert es aber hier und da, simulirte Anfälle von wahren zu unterscheiden. In einem Zuchthause lernte ich einen Simulanten kennen, der den sehr tüchtigen Hausarzt jahrelang täuschte.

In Zuchthäusern bekommen nämlich solche Sträflinge, welche an Epilepsie leiden, mancherlei Erleichterungen. Man giebt ihnen ein weiches Bett, nährt sie besser und schont sie in verschiedener Weise. Der eben besprochene Simulant hatte jahrelang alle Wochen zwei bis drei Anfälle, so daß ihm vom Hausarzt jede erlaubte Erleichterung verschafft wurde. Im Uebermuthe theilte derselbe seinem Nebensträflinge mit, daß er ganz gesund sei und die Epilepsie nur simulire. Der Nebensträfling denunzirte ihn beim Arzte, und dieser ließ den Simulanten kommen und stellte ihn mit dem Bemerken zur Rede: wenn er Alles offen eingestehe, so werde er nicht angezeigt und könne alle seine Erleichterungen behalten, wenn er aber lüge, so lasse man ihn bestrafen. Darauf hin erwiderte der Sträfling, daß er ganz gesund sei, diese epileptischen Anfälle aber in seinem zehnten Jahre schon gelernt habe und seit dieser Zeit mit vielem materiellen Nutzen fortübe. Als zehnjähriger Knabe sei er mit einem Stück Brot in der Hand auf der Landstraße gegangen; ein reisender Bursche habe ihm das Brot abgebettelt, und als er es hergegeben, sagte der Reisende: siehe, jetzt lehre ich Dich die hinfallende Krankheit, übe sie recht ein, dann kannst Du immer essen und trinken ohne zu zahlen, und brauchst nicht Soldat zu werden.

Der Knabe übte nun alle Bewegungen, welche er von dem Reisenden gelernt hatte, zu Hause fleißig ein und machte alsbald damit die besten Geschäfte. Der Epilepsie wegen wurde der faule Bursche in seiner Lehre behalten, der Epilepsie wegen, welche vom Dorfschullehrer und Dorfpfarrer bestätigt war, wurde er militärfrei. In den Wirthshäusern aß und trank er nach Lust, und wenn es zum Zahlen kam, stürzte er zusammen, und der erschrockene Wirth ließ ihn noch schnell nach Hause tragen auch, weil er Sorge hatte, durch den ekelhaften Anblick seine Gäste zu vertreiben. Sein Leben war ein Gemisch von Betrug, Betteln und Stehlen. Er war bereits zum zweiten Male im Zuchthause, jedesmal mit jenen Milderungen, die man Epileptischen gönnt.

Der erstaunte Zuchthausarzt hielt sein Wort und verklagte den Sträfling nicht, nahm aber einen in Nervenkrankheiten geübteren Kollegen mit sich in das Zuchthaus und bat den Sträfling, vor ihren Augen einen Anfall zu produciren. Plötzlich stürzte derselbe mit einem grellen Schrei zusammen, drehte die Daumen ein, schäumte am Munde, verdrehte die Augen, bog den dunkelblauen Kopf starr nach rückwärts und wälzte und schlug um einander, daß beide Aerzte, die ihn überall beschauten und berührten, erstaunt waren. Nach ungefähr drei Minuten ließ der Anfall nach und trat ein ruhiger Schlaf ein, wobei der Sträfling plötzlich auflachte und frug: „Hab’ ich meine Sache gut gemacht?“

Bei näherer Betrachtung mußten aber die Aerzte doch gestehen, daß mit größerer Aufmerksamkeit die Simulation zu erkennen. war: Der Simulant fiel schon viel vorsichtiger zusammen, weil er sich den Kopf nicht zerschlagen wollte, die Pupillen hatten nicht die Unbeweglichkeit, der Puls nicht die Unregelmäßigkeit, wie bei einem Epileptiker; drehte man dem Simulanten die eingebogenen Daumen heraus, so zog er sie wieder ein, was bei wahrer Epilepsie nicht geschieht. Das dunkle Gesicht während des Anfalles war herrlich simulirt worden, aber die Blässe nach dem Anfall brachte er nicht zuwege. Scharfe Riechmittel machten den Simulanten niesen, während die wirklichen Epileptiker davon nicht gereizt werden.

Mit einem Wort, der Hausarzt mußte sich sagen: Hätte ich alle Hilfsmittel der ärztlichen Kunst zusammen genommen, so wäre mir die Simulation nicht entgangen. Uebrigens besitzen die Aerzte gegenwärtig im Chloroform auch ein Hilfsmittel, wirkliche Epilepsie und Simulation von einander zu unterscheiden. Epileptische bekommen im Chloroformrausch meist einen sehr heftigen Anfall.

Epilepsie wird ziemlich häufig simulirt, weil sie so viel Mitleid erregt, daß ein [542] erfolgreicher Bettel damit getrieben werden kann. In jedes Menschen Herz liegt die Neigung, einem Unglücklichen beizuspringen, und wenn auf der Straße, in der Kirche oder im Theater ein Epileptischer niederstürzt, läuft Alles zusammen und will Hilfe bringen. Leider kann man einem Epileptischen im Paroxysmus, das heißt während des drei bis fünf Minuten langen Anfalles nicht sehr viel nützen. Aerzte wie Laien müssen sich darauf beschränken, den Kranken zu schützen, daß er sich nicht schwer verletzt, mit dem Kopfe an eine Ecke hinfällt, mit den Armen in ein Fenster schlägt u. s. f. Das Eröffnen aller einschnürenden Kleidungsstücke ist sehr zu empfehlen. Halsbinden, Korsetts, Rockbänder sollen sofort gelockert oder besser ganz abgenommen werden. Endlich soll man einen Knoten des Taschentuches, ein Korkstück, irgend etwas Festes zwischen die Zähne stecken, damit sich die Kranken nicht in Lippen und Zunge beißen, und den Kranken vielleicht auf eine auf den Boden hingeworfene Matratze legen.

Hiermit ist aber auch beinahe Alles erschöpft, womit wir während der Anfälle nützen können. Das Vorhalten von Niese- oder Riechmitteln an die Nase, das Zurufen, Anspritzen mit kaltem Wasser und Reiben, das Schütteln, das Aufdrehen der eingezogenen Daumen, das Drücken der großen Hals-Pulsader und Anderes ist eher schädlich als nützlich, so oft man es auch thun sieht.

Der Erregungszustand wird durch solche Betastungen nur noch mehr gesteigert, und die darauf folgende Schwäche wird um so größer. Der dem Anfalle folgende Schlummer soll ebenfalls durch nichts gestört werden, da er sehr zur Erholung des angegriffenen Kranken beiträgt.

In jenen Fällen, wo dem Anfalle eine sogenannte Aura (Vorläuferstadium) vorausgeht, kann der Anfall oft verhindert werden. Gehen Störungen der Verdauung voraus, so kann ein Brechmittel vielleicht den Anfall unterdrücken. Gehen nervöse Reizerscheinungen voraus, so kann eine Dosis Morphinm, Opium, Belladonna, Hirschhorngeist und Anderes manchmal den Anfall unmöglich machen. Werden an den Armen und Füßen Vorläufersymptome gefühlt, so hilft oft Binden und Knebeln der Glieder den Anfall hinaus zu schieben oder zu unterdrücken.

Wenn dies auch unter gewissen Verhältnissen sehr bequem und angenehm sein kann, so ist es doch nicht zu rathen, weil die Anfälle unverkennbar einen kritischen Charakter haben und das Unterdrücken einer Krise der Krankheit selbst nur schaden wird. In den meisten Fällen giebt es an und für sich kein Vorläuferstadium und der Anfall kommt so plötzlich, daß selbst eine fortwährende Ueberwachung nicht viel zu leisten vermag, weßhalb man in den Krankenzimmern Wohlhabender schon der ganzen Zimmereinrichtung eine ungefährliche Form giebt. Die Möbel haben keine scharfen Ecken, den heißen Ofen umgiebt ein Gitter, das Bett ist recht niedrig, und in Heilanstalten polstert man sogar Boden und Wände.

So wenig man während der Anfälle thun kann, um so viel mehr wird gegen die Krankheit in ihren zahlreichen Ursachen selbst unternommen. Wie ich schon Anfangs erwähnte, wird nur deßhalb so selten Epilepsie geheilt, weil deren Ursachen so zahlreich und oft schwer zu entdecken und schwer zu entfernen sind. Wenn man liest, was Alles schon geholfen hat, so kann man die Krankheit wirklich keine unheilbare nennen. Man sah schon entschiedene Heilungen von stärkenden und schwächenden Mitteln, von Unterbindung der großen Halsader, von Trepanation, von Wiederbringung der unterdrückten Schweiße und Hautausschläge, von Wurm- und Abführmitteln. Die kalten Klistiere bei Verstopfung, die kalten Bäder bei Blutarmuth haben sich großen Ruf erworben.

Ableitung von Gehirn- und Brustorganen auf die Haut und auf den Darm, reizmildernde Mittel für Nerven, ein gänzliches Umändern der Lebensweise, des Wohnortes und der Beschäftigung und vieles Andere wurden schon mit Erfolg benutzt.

In neuester Zeit haben Nervendehnungen und das Ausschneiden unverschiebbarer Narben bei sogenannten Reflexepilepsien, wo Leiden der peripheren Nerven die Epilepsie erzeugt hatten, eine große Anzahl von Heilungen zu verzeichnen. Ein gutes Krankenexamen und eine genaue Untersuchung ist bei dieser Krankheit daher vom höchsten Werthe. Ich erinnere mich eines Falles, wo die weinende Mutter ihr zehnjähriges Knäbchen in Romberg’s Klinik brachte und klagte, daß der Knabe seit vier Jahren tägliche zwei bis drei epileptische Anfälle habe und schon sehr Vieles fruchtlos versucht worden sei. Eisen, Arsenik, Quecksilber, Kupfer, Zink, Baldrian, Artemisia, heilmagnetische, elektrische und Wasserkuren, alles Erdenkliche sei erfolglos angewendet worden. Geheimrath von Romberg examinirte nun Mutter und Kind auf das Genaueste. (Romberg’s Krankenexamen war ja weltberühmt.) Dabei wurde nicht das Geringste vergessen, nicht, ob der Knabe Leinwand oder Wolle am Körper trage, ob seine Zimmertapete etwa von einer arsenikhaltigen grünen Farbe sei, ob er auf einer Roßhaarmatratze oder einem Federbett schlafe u. A. m. Nachdem keine krankmachende Ursache herausexaminirt werden konnte, fragte Romberg die Mutter noch, ob der Knabe nicht einmal gefallen sei und eine Kopfnarbe habe? Auch dieses verneinte die Mutter mit dem Bemerken, daß auch die früher zu Rath gezogenen Aerzte nach Kopfnarben gefragt hätten. Nun ließ Romberg den Knaben ganz auskleiden, auf ein Bett legen und untersuchte ihn vom Scheitel bis zur Fußsohle auf das Genauste. An der Achillessehne des rechten Fußes endlich fand er eine verwachsene Narbe, welche gegen Druck etwas empfindlich war. Die Mutter des Knaben hatte dieser Narbe nicht die geringste Aufmerksamkeit geschenkt gehabt, weil dieselbe von einem schon in frühester Kindheit geschehenen Sensenhiebe geblieben war. Da Romberg am ganzen Körper nichts anderes Verdächtiges fand, so ließ er den Knaben chloroformiren und diese adhaerente Narbe ausschneiden. In wenig Tagen war die Wunde geheilt und nie mehr bekam der Knabe einen epileptischen Anfall, obwohl er bisher jährlich stets 7 bis 800 Anfälle gehabt hatte.

Findet man bei Epileptischen irgendwo am Körper festgewachsene Narben, so ist immer ein Hoffnungsstrahl vorhanden, durch Ausschneiden derselben die Epilepsie zu heilen. Auch eingewachsene fremde Körper können Epilepsie veranlassen. Ich nahm einem jungen Manne, welcher alle drei bis vier Wochen ein entzündetes Auge und jedesmal bald darauf einen epileptischen Anfall bekam, ein in die Hornhaut des Auges eingewachsenes ganz kleines Spitzchen eines Insektenstachels heraus, und von diesem Momente angefangen kam nie mehr ein epileplischer Anfall. Solche glückliche Heilungen kennt man verhält[niß]mäßig viele. Auch durch Nervendehnung gelingt es manchmal, Epilepsie zu heilen, wenn an den betreffenden Nerven jedesmal vor dem Anfalle ein abnormes Gefühl bemerkt worden war.

Wie ich wiederholt schon erwähnte, wird die Epilepsie so selten geheilt, weil sie so gar viele Ursachen haben kann und weil es nicht immer gelingt, die wahre Ursache zu finden und zu entfernen. Ist ein Magenleiden die Ursache und das Magenleiden wird gehoben, so ist damit auch die Epilepsie gehoben. So ist es auch bei Darmleiden, Nierenleiden, Herzleiden und vielen anderen. Wenn man nun für die Behandlung gar keinen Anhaltspunkt findet, nicht Ein krankes Organ entdeckt, wenn das Verschwinden von Fußschweißen und Hautausschlägen nicht nachzuweisen ist, auch keine verdächtige Narbe gefunden wird, kein anfallendes Vorläuferstadium, kein Fehler in der Lebensweise vorhanden ist, so bleibt nichts übrig, als einige Mittel abzuprobiren, unter deren Anwendung man die Epilepsie schon öfters heilen sah.

Einige Metalle: Silber, Eisen, Zinnober, Kupfer, Zink, Bromkali u. s. f., einige Mittel aus dem Pflanzenreich: Atropin, Morphin, Strychnin, Baldrian, Artemisia, Eichenmistel, endlich aus dem Thierreiche. Castoreum und Antilopenhaare haben sich einen gewissen Ruf erworben.

Viele dieser Mittel zeigen anfangs eine sehr günstige Wirkung, indem die Anfälle lange Pausen machen, nach einiger Zeit aber meist wieder häufiger werden. Das Bromkali und das Atropin neben kalten Waschungen und sorgfältiger Lebensweise leisten in dieser Richtung sehr häufig recht gute Dienste, und wie bereits erwähnt, ist es stets ein nicht zu verachtender Rath: Die ganze Lebensweise zu ändern, an einem anderen Orte mit guter reiner Luft eine der Konstitution der Kranken wohl angepaßte Ernährung, körperliche und geistige Thätigkeit anzuordnen und für Ruhe des Gemüthes zu sorgen.