Eine bulgarische Madame Adam
[184] Eine bulgarische Madame Adam. Wer kennt nicht die fanatische Gegnerin der Deutschen, die besonders zur Zeit Gambetta’s in ihrem Salon eine vielfach tonangebende Rolle spielte! Madame Adam, die Nachfolgerin der Madame Tallien auf dem Gebiete der politischen Egerien, zugleich Herausgeberin einer chauvinistischen Revue, Missionärin der Republik an der Newa, und an der Donau in Pest von den Magyaren gefeiert, außerdem eine stattliche Schönheit, nicht eine interessante Häßlichkeit, wie Louise Michel, die Politikerin der Boulevards und der rauchumqualmten Arbeiterversammlungen, hat auf der Balkanhalbinsel eine Nachfolgerin gefunden. Spiridion Gopcevic, der Augenzeuge des serbisch-bulgarischen Krieges, der darüber in „Unsere Zeit“ berichtet, erzählt uns von einer politischen Dame, die in Sofia und Philippopel eine Rolle spielt. Es ist dies die Frau des bulgarischen Ministers Karawelow, die nach manchen Abenteuern in den Hafen dieser Ehe eingelaufen ist und nicht bloß in ihrem Salon, sondern sogar im Ministerkonseil, dem sie beizuwohnen pflegt, in wichtigen Fragen ihre oft entscheidende Stimme abgiebt. Sie soll die Audienzen bei ihrem Gemahl vermitteln und manches diplomatische Aktenstück selbst inspirirt oder verfaßt haben. Das Schicksal der Welt wird freilich nicht in den Boudoirs von Sofia entschieden: die Fäden, an denen sich die kleinen Balkanstaaten bewegen, sind nicht allzu lang und ruhen zuletzt doch in den Händen der großen Kabinette.