Eine schreckliche Eisenbahnfahrt

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Textdaten
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Autor: H. H.
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Titel: Eine schreckliche Eisenbahnfahrt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 567–568
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[567] Eine schreckliche Eisenbahnfahrt. Nach des Tages Last und Mühen versammelten wir uns des Abends um das lodernde Prairiefeuer, um welches wir unsere Wigwams errichtet hatten. Der Platz war zwischen zwei ehemaligen Ansiedlungen, Boonesville und Julesburg gelegen, welche alsdann beide verlassen sind und erst durch die Vollendung der Union- Pacific-Bahn wieder aufblüheten. Unser Camp war in der Nähe einer ganz kleinen unbedeutenden Station der Union-Pacific-Bahn, deren Name mir sogar wieder entfallen ist, die aber nur deshalb errichtet worden war, weil sich auf diesem Punkte täglich die von Osten nach Westen und umgekehrt gehenden Züge kreuzten. Dieser Umstand war Veranlassung, daß wir häufig Besuch von den Maschinenführern erhielten, denen wir eine Menge anregender Erzählungen aus dem Eisenbahnleben im fernen Westen verdankten. Eine dieser Erzählungen gebe ich in den folgenden Zeilen wieder, weil sie eine Art von Gefahren betrifft, die man in Europa kaum kennt.

James Mc. Barron, ein Mann von etwa fünfzig Jahren, Maschinist der Union-Pacific-Eisenbahn erzählte uns eines Abends wie folgt:

Als junger Mann von etwa fünfunddreißig Jahren war ich Locomotivführer auf der Buffalo-, Corry- und Pittsburg-Eisenbahn, welche bei Brocton Junction im Staate Pennsylvanien die Lake-Shore-Bahn kreuzt und dann direct in die Oelregionen Pennsylvaniens führt. Von Mayville Summit bis Brocton Junction beträgt die Entfernung in der Luftlinie kaum zehn Meilen, aber, da die Bahn zahlreiche Curven beschreibt, so ist die richtige Entfernung vierzehn Meilen; die Steigung ist nahe an 15 Meter pro Kilometer.

Im Jahre 1869 wurden mit der Corry-Bahn ungeheure Massen von Petroleum verfrachtet, und in der Nacht vom 17. August 1869 war ich mit einem Lastzuge von einem Pferdewagen und sechs mit Petroleum gefüllten Oelwagen unterwegs bei Summit. Diese Oelwagen sind große eiserne Kasten, sogenannte Tanks, in welche das Oel hineingepumpt wird, wie es noch heute vielfach in den Pennsylvanischen Oelregionen geschieht. Der Pferdewagen war direct hinter dem Tender der Locomotive, und ich hatte den Zug in Bewegung gesetzt, der auch schon rasch ging, als ich zu meinem Schrecken bemerkte, daß aus einem der Oelwagen Flammen aufschlugen.

Sofort gab ich das Signal zum Bremsen, und es gelang, die Oelwagen von dem Pferdewagen zu entkuppeln.

Dann fuhr ich mit Locomotive, Tender und Pferdewagen unter einem Dampfdrucke die Steigung hinab, welchen die Maschine bisher noch nicht gekannt hatte, um nur außer dem Bereich der brennenden Wagen zu kommen und den Pferdewagen zu retten, in welchem sich zwei werthvolle Rennpferde mit ihren Aufsehern befanden. Natürlich dachte ich, daß die Bremser die Bremsapparate an den Oelwagen angezogen hätten, aber in [568] ihrer Angst waren die Leute von den brennenden Wagen herabgesprungen, sobald die Entkoppelung gelungen war, und hatten die Apparate weiter nicht angerührt, sodaß die Oelwagen mit immer zunehmender Geschwindigkeit hinter uns dreindonnerten. Bevor ich mich dessen versah, saßen mir die Oelwagen, von denen jeder einzelne nunmehr einen Flammensee bildete, auf dem Nacken, und als ich gerade wieder um eine Curve flog, zerschmetterten sie die Rückwand des Pferdewagens. Merkwürdiger Weise blieben sowohl die brennenden Wagen wie der Rest des Zuges trotz der Collision im Geleise.

Mein Heizer und ich, wir hätten ganz gut den Zug verlassen und uns durch einen Sprung retten können, aber die Eisenbahncompagnie hatte uns für 20,000 Dollars Werth anvertraut, welchen wir derselben erhalten wollten, wenn es nur halbwegs thunlich war.

Ich sah, daß es sich um eine Fahrt auf Leben und Tod handelte, und riß daher den Regulator so weit auf, wie es nur möglich war. Wir flogen mit solcher Geschwindigkeit die Steigung hinab, daß die Maschine gar nicht pumpen konnte. In dem Momente, als die Oelwagen die Rückenwand des Pferdewagens eindrückten, schrieen die Pferde buchstäblich vor Angst; die Hitze wurde unerträglich, und die Aufseher, die im Pferdewagen waren und deren Gesichter die Farbe des Todes trugen, baten mich um Gotteswillen, „mehr Dampf zu geben“.

Bei der Blitzesgeschwindigkeit, mit welcher wir um die scharfen Curven flogen, erwartete ich jeden Augenblick, daß die Maschine aus dem Geleise springen und über den Bergabhang geschleudert werden würde.

Die Nacht war sehr finster. Die Maschine donnerte vorwärts mit einer Geschwindigkeit, wie in diesem Lande wohl noch nie eine Maschine gegangen ist, durch Waldungen, tiefe Felseneinschnitte und am Rande von unermeßlichen Abgründen vorbei. Die armen Pferde stampften und wieherten vor Schrecken, und nur wenige Fuß hinter denselben kam die flammende Masse den Hügel hinabgeflogen, wie ein schreckliches Meteor. Die Flammen von den Tausenden Gallonen von brennendem Oel waren wohl sechszig Fuß hoch und beleuchteten die Gegend auf eine Meile in der Runde. Der ganze Horizont war erleuchtet, und der Anblick der großen Feuersbrunst, die durch die Luft zu fliegen schien, war, wie man mir später sagte, von Brocton aus überwältigend.

Meine Idee war, den Leuten in Brocton das Signal zu geben, die Weiche der Lake Shore-Strecke zu öffnen, wo die Bahn sanft aufstieg und wo dann die brennenden Wagen die vorwärtsbewegende Kraft verlieren und zurückbleiben würden. Aber der Expresszug von Cincinnati müßte um diese Zeit auf der Lake Shore-Strecke in Brocton Junction eintreffen und, um die Schrecken meiner Lage noch zu vergrößern, war gerade jetzt ein nach dem Westen gehender Lastzug auf der Lake Shore-Strecke daran, dem jede Minute erwarteten Erpreßzuge aus dem Wege zu fahren. Mir blieb nur das Eine zu thun, das Signal für „offene Weiche“ zu geben, zu riskiren, ob der Lastzug rechtzeitig ausweichen könnte, und zu hoffen, daß der Expreßzug sich um die eine Minute verspäten würde.

Ich wußte, daß man mich von Brocton Junction aus gesehen und die Ursache der merkwürdigen Erscheinung erkannt hatte und daß man nicht zögern würde, auf mein Signal hin zu handeln. Ich pfiff daher das Signal für „offene Weiche“. Dem Lastzug gelang es, ein Seitengeleise zu erreichen, und in diesem Momente flogen wir auf das Lake Shore-Geleise, an der Station vorbei, durch das Städtchen hindurch und die sanft ansteigende Strecke hinan. Die brennenden Oelwagen kamen allmählich zum Stehen und konnten unschädlich gemacht werden. Die Maschine mit ihrem Gefolge von Tender und Pferdewagen stand hundert Yards vor dem Expreßzug, der sowohl verspätet wie auch signalisirt war.

Als mein Heizer und ich sahen, daß wir gerettet waren, sanken wir ohnmächtig auf die Maschine. Die Pferde waren ruinirt, und ihre Aufseher wurden besinnungslos aus dem Wagen gehoben. Die Oelwagen brannten noch drei Stunden; nachdem sie zum Stehen gebracht.

Als man uns von der Maschine nahm, waren erst 12 Minuten seit unsrer Abfahrt von Mayville Summit verflossen, sodaß wir mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 145 Kilometer per Stunde gefahren waren. H. H.