Epistel an das Leben
II.
Epistel an das Leben.
Gabe! die mir ward gegeben,
als mein Auge, halbgebaut,
noch mit Dunkel war umgeben,
Huldgeschenk! mir anvertraut,
dich besiz ich lange schon
und ward dich nicht überdrüßig,
sprach dir keinen bittern Hohn,
wenn das Unglük riesenfüßig
mir mein Herz zernagen wollte,
und der Tag mich wekken kann
daß ich Kummer weinen sollte;
niemals hab ich meinen Haß
wer von meinem Bissen aß;
niemals hab ich Gott gebeten
dich zu nehmen, wenn ein Sturm
über mir ist losgebrochen,
einen Kürbis hat gestochen
dessen Laub mir Schatten gab.
Einmal nur hab ich dich minder
lieb gehabt, du theures Gut!
bei mithingesunknem Muth
warst du mehr als dreißig Tage
mir gleichgültiger als jezt
da ich Alterslasten trage,
etwas weniger, als heute,
aber in der Seele blieb
doch die Hofnung dir zur Seite,
flüsterte so sanft, so lieb
das Gewölk der Traurigkeit,
wie am Firmament die Sonne
dikken Erdedunst zerstreut
wenn ihr Lichtstrom neue Wonne
Hofnung flüstert dir zum Besten
wenn, gleich unwillkommnen Gästen,
Gicht und Fieber in mir weilt
und Geschmak und Schlaf entfliehen,
daß die Rosen wieder blühen,
daß durch ihren Balsam du
frische Kraft wirst in dich saugen,
daß bei junger Weste Wehen
wieder schatticht würde sehn,
wieder grün die Lindenwipfel
und der Freundschaft Laubendach,
und der Traubenberge Gipfel
Ihr Geflüster nimmt zur Hülfe
noch das Lispeln der Geduld
lieblich, wie die Luft im Schilfe
unter Frühlingssonnenhuld. ─
nimmer müde, nimmer satt;
Leute, die dich von sich stießen,
weil ihr Kopf geschwindelt hat
das zu tragen, was dein Geber
nenn ich tolle Widerstreber
seiner väterlichen Hand,
oder, blöde, feige Memmen
die, verzagtes Herzens, nicht
an den Stab der Zuversicht,
und aus deinem Gleise wanken
unbefohlen in ihr Grab.
Ich behalte dich mit Danken,
und mit willigem Entschlusse
wenn dein Herr dich wieder nimmt,
der tief unter seinem Fuße
aller Sterne Gang bestimmt,
mir ein Leben giebt, so lang,
daß ich ganz kann kennen lernen
seinen, hier verborgnen, Gang.