Erbarmt euch der darbenden Vögel!

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Titel: Erbarmt euch der darbenden Vögel!
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aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 802–803
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Erbarmt euch der darbenden Vögel!

Wie oft finden wir während der Wintermonate diesen Ruf in den Spalten der Tageszeitungen abgedruckt und wie Viele kommen ihm freudigen Herzens nach! Die Bestrebungen der Vogelfreunde haben nach jahrelanger Agitation reiche Früchte getragen; und es geschieht gegenwärtig viel, um den gefiederten Scharen, welche durch ihren Gesang Wald und Flur beleben und durch Vertilgung von Insekten dem Landwirth und dem Gärtner unberechenbaren Nutzen bringen, den nöthigen Schutz angedeihen zu lassen. In der langen Reihe der Schutzmaßregeln ist aber die Fütterung der Vögel im Winter eine der beachtenswerthesten. Ihr Erfolg ist sehr bedeutend, wenn die Fütterung in passender Weise vorgenommen wird; denn auch auf diesem Gebiete des Wohlthuns darf man nicht allein dem Zug des Herzens folgen, sondern man muß sich durch vernünftige, gewisse Zwecke verfolgende Grundsätze bestimmen lassen. Viele legen im Winter auf gut Glück Futterplätze an, bemerken aber zu ihrer Ueberraschung, daß dieselben von den gefiederten Gästen nicht besucht werden, und gelangen in Folge dessen zu der irrthümlichen Meinung, daß solche Futterplätze unnöthig sind.

Das ereignet sich sehr oft bei Leuten, welche die Lebensart der Vögel nicht kennen und darum auch nicht wissen, daß ein Vogeltischchen besonders gedeckt werden muß.

Sperlinge und Tauben, die an Menschen gewöhnt sind, erscheinen auf jedem Futterplatz und lassen sich auch auf dem Fenstersims nieder; andere Vögel aber verlassen nur ungern oder gar nicht das ihnen Deckung gewährende Gestrüpp. Man muß darum ihre Gewohnheiten beim Nahrungsuchen belauschen und die künstlichen Futterplätze derart anlegen, daß sie den natürlichen, an welchen die Vögel sonst Nahrung finden, ähnlich sind. Ein und derselbe Platz wird niemals von allen Vogelarten besucht; es müssen für verschiedene Arten verschiedene Plätze angelegt werden, und wir wollen dies an einigen Beispielen erläutern.

Fassen wir die große Sippe der Meisen, die kleineren Spechte, Baumläufer, Spechtmeisen, zunächst ins Auge! Für diese bewegliche und muntere Gesellschaft werden sogenannte „Hochplätze“ angelegt. Ueber mannshoch bringt man im Geäst eines Baumes ein mit vorstehenden Latten benageltes, horizontales Brett an oder man benutzt in derselben Höhe in einem gut bewachsenen Spalier eine Latte oder auch ein Fensterbrett, falls davor ein höherer Baum steht. Es ist dafür zu sorgen, daß die kleinen Wintergäste von etwaigen Feinden nicht leicht überrascht werden können. Dichtes Gezweig in der Nähe des Brettes bietet ihnen genügenden Schutz; wo ein solches aber fehlt, muß man den Futterplatz unter einigen Dornen verstecken, was ja nur geringe Mühe verursacht. An einem solchen Plätzchen fühlen sich die genannten Vögel sicher, besuchen dasselbe gern und erfreuen den Thierfreund durch ihr bewegtes Treiben.

Andere Arten, wie Finken, Leinfinken, Zeisige, Feldsperlinge, Grünlinge, Goldammern, Spornammern, Bergfinken, Berghänflinge etc., müssen mit sogenannten „Feldplätzen“ versorgt werden. Diese sind stets etwas fern von dem lauten Treiben menschlicher Thätigkeit, am besten in der Nähe von Feldgehölzen oder Obstplantagen, zu errichten. Auch diese Plätze besteckt man mit einigen Dornen. Nothwendig ist es aber, daß man die Vögel von Weitem her dorthin „zusammenruft“. Dies geschieht, indem man dünne Pfählchen in die Erde schlägt und um diese Sträucher von Disteln, Cichorien, Spargel und Halme von Nesseln, Haferstroh in aufrechter Lage festbindet, sodaß diese Büsche einigermaßen ganz dünnen, aufrechtgestellten lockeren Garben gleichen. Die Feldplätze sind ungemein wichtig, werden aber leider viel zu wenig angelegt: sie eignen sich vorzüglich für die Feldmarken der Dörfer, namentlich die Areale der Rittergüter.

In ähnlicher Weise werden noch „Straßenplätze“, „Gartenplätze“ für Amseln, Drosseln und Staare, und „Zaunkönigplätze“ errichtet. Besondere „Gelegenheitsplätze“ bilden beerentragende Sträuche oder Sonnenrosen, die man in günstig gelegenen Gärten zieht und, an einen Pfahl gebunden, den Winter über stehen läßt. Man reiht auch Kürbis- und Gurkenkerne auf dünne Schnuren und wirft diese hoch hinauf in die Zweige der Bäume, wo sie sich sofort so verschlingen, daß sie hinreichend befestigt sind. Das sind auch kleine Gelegenheitsplätze.

In der Wahl der Nahrung, mit welcher die Futterplätze beschickt werden, muß gleichfalls sorgfältig vorgegangen werden. Es giebt [803] „Vogelfreunde“, welche gelochte Kartoffeln und Semmel- und Brotkrumen ausstreuen. Sie ahnen nicht, daß sie unter Umständen ihren Schützlingen einen schlechten Dienst erweisen. Kartoffeln und Brot werden auf dem Erdboden feucht und sauer, und sie erzeugen bei den Vögeln Durchfall – eine für die kleinen Geschöpfe stets sehr gefährliche Krankheit. Entsprechende Samen, gekochtes, nicht gesalzenes Fleisch sind die Speisen, mit welchen man den winterlichen Tisch der Vogelwelt zu beschicken hat.

Aber wir können hier nicht ausführlich auf alle Einzelheiten eingehen. Der aufmerksame Leser wird schon aus dem Vorstehenden ersehen haben, daß die Fütterung der Vögel im Winter besondere Vorkenntnisse erheischt, wenn sie nicht in eine unnütze Spielerei ausarten soll. Diese Vorkenntnisse sind sehr leicht zu erwerben. Im Aufträge der „Gesellschaft von Freunden der Naturwissenschaften“ in Gera ist eine Flugschrift „Futterplätze für Vögel im Winter“ von K. Th. Liebe (Theodor Hofmann, Gera u. Leipzig) erschienen. Sie kostet nur 20 Pfg. und bietet in klarer Weise jedem die nöthige Belehrung darüber, wie er für die kleinen Vögel zu sorgen hat, welche selbst in der harten Winterzeit unsre Heimath nicht verlassen. Wer die Flugschrift aufmerksam gelesen hat, der wird uns für diesen Wink Dank wissen; denn er wird an der Beobachtung des Vogellebens viel Freude haben. Er wird manche angenehme Ueberraschung erleben; er möge nur versuchen, die kecken Goldhähnchen vor sein Fenster zu locken; er wird alsdann mitten im Winter an kalten sonnigen Tagen zu seinem Erstaunen einen munteren kräftigen Gesang vernehmen. Frühlingsfreuden im Winter – die dankbare Vogelwelt vermag sie uns zu bringen! *