Friedrich Haase als Richelieu
[803] Friedrich Haase als Richelieu. (Mit Illustration S. 793.) Mehr als zehn Jahre sind verflossen, seitdem wir in dieser Zeitschrift ein Lebens- und Charakterbild des hervorragenden Darstellers gaben (Jahrgang 1876, Nr. 40). Nachdem er von der Leipziger Direktion nach Ablauf seines Kontraktes im Jahre 1876 zurückgetreten war, wandte er für einige Wintermonate der Berliner Hofbühne seine künstlerische Thätigkeit zu. Dann widmete er Jahr für Jahr seinen Gastreisen und führte seine Hauptrollen auf den meisten deutschen Bühnen vor. Im Jahre 1882/1883 unternahm er eine große Tournee nach den Vereinigten Staaten Nordamerikas, die ihn bis nach San Francisko führte; überall erntete er Lorbeeren in Fülle. Nach diesem Ausflug in den äußersten Westen schien er das Bedürfniß zu empfinden, für seine Kunst wieder eine sichere Heimstätte zu gewinnen und zugleich seinem Streben nach einer Theaterleitung, wie er sie in Leipzig jahrelang mit Erfolg verwaltet, Genüge zu thun. Als das Deutsche Theater in Berlin begründet wurde, um neben der Hofbühne der vornehmen Kunst noch eine Stätte zu bereiten, gehörte er neben L’Arronge, Dr. Förster, Barnay, Friedmann zu den Societären, welche das neue Unternehmen gemeinsam leiteten; doch schied er schon im März 1884 aus der Societät wieder aus. Seitdem hat Friedrich Haase wieder Gastrollencyklen an den verschiedensten deutschen Bühnen durchgeführt, immer des Beifalls gewiß, der vollendeten Kunstleistungen niemals fehlen wird. Einige seiner Rollen sind anerkannte Kabinetsstücke; wir haben die meisten derselben schon früher besprochen.
In neuester Zeit bevorzugt er eine Rolle, die allerdings zu den interessantesten Aufgaben gehört, wenngleich das Schauspiel, in dessen Mittelpunkt sie steht, nur ausnahmsweise auf den deutschen Bühnen erscheint: den „Richelieu“ in dem gleichnamigen Drama Bulwer’s. Unser Bild zeigt uns, welche vortreffliche Maske der Künstler gewählt hat, eine Maske, die sich mit dem historischen Portrait vollständig deckt.
Bulwer’s „Richelieu“ ist ein Schauspiel, das in hohem Maße interessirt; gleichwohl ist der Eindruck des Stückes kein reiner. Das Komische und Tragische darin ist zu sehr gemischt; es geht nicht, wie bei Shakespeare, das eine neben dem andern in selbständigen Scenen her: beides ist so in einander verschmolzen, daß die Haupthandlung bald nach der einen, bald nach der andern Seite hinüber schillert. Den Inhalt des Stückes bildet eine Verschwörung des Herzogs Gaston von Orleans, deren Leiter Baradas, des Königs Günstling, ist. Das erste Opfer derselben sollte Richelieu sein; dann aber richtete sie sich auch gegen den König Ludwig XIII. Richelieu hat sein Mündel, Julie de Mortemar, an einen tapferen Officier, Chevalier de Mauprat, verheirathet. Diese Julie wird aber auch von dem König und von dem intriganten Baradas geliebt. Mauprat, in der Meinung, daß diese Liebeshändel von Richelieu unterstützt würden, stellt sich an die Spitze der Verschwörer und will den Minister tödten; doch dieser überzeugt ihn, daß er sich geirrt, und Mauprat muß jetzt den Kardinal vor seinen Mitverschworenen schützen, denen er das Märchen von der Ermordung des Kardinals erzählt. Dies verbreitet sich bei Hofe; der König und Alle sind bester Laune; sie fühlen sich von dem Alpdrucke des Mächtigen erlöst. Da erscheint der Kardinal plötzlich, macht das Ansehen der Kirche geltend, als Alles über seinen Fall jubelt, und im letzten Akte gelingt es ihm, die Verschwörer zu entlarven.
Das Drama ist, trotz seiner Schwächen, geistreich und glänzend: Richelieu ist keine Rolle im großen, geschichtlichen Stil, aber wie sie ist, gerade für Friedrich Haase durchaus geschaffen. Sie bietet dem Darsteller, da der Kardinal in den verschiedenartigsten Situationen erscheint, Gelegenheit, eine fast unerschöpfliche Fülle von Nüancen zu entwickeln. Darum ist die Rolle auch ausnehmend beliebt bei englischen Darstellern. Für Friedrich Haase’s künstlerisches Genie ist ein historischer Charakter mit genrehaften Zügen willkommener als einer, der sich nur auf dem Piedestal seiner geschichtlichen Größe, auf einer durch nichts Anekdotisches herabgestimmten dichterischen Höhe hält; sein Richelieu ist eines der vorzüglichsten von seinen ernsten Charakterbildern. In seiner äußern Erscheinung ist er jeder Zoll ein Kardinal. Ueber die ganze Leistung ist eine Fülle von charakteristischen Feinheiten ausgestreut, welche die Kunst der Detailmalerei, die Haase eigen ist, ins vollste Licht setzen.
Friedrich Haase vollführt nach wie vor mit Frische und Rüstigkeit seine künstlerischen Thaten und wird gewiß noch durch manche neue Rolle erfreuen, neben den Charakteren, die unlösbar mit seinem Namen verknüpft sind. †