Erwacht
Es steht ein Baum verdorrt auf grüner Haide,
In Trümmern von dem Berge blickt ein Schloß.
Die Welt ward alt und Deutschland ward’s im Leide,
Seit jenem Baum der letzte Frühling sproß;
Doch eine Sage geht: ein neues Blühen
Wird einst den Stamm mit frischer Kraft durchglühen.
Im Berge schläft mit träumerischer Miene
Der Kaiser Rothbart an dem Tisch von Stein,
Es schlummern um ihn seine Paladine,
Die schlachtenfrohen, Truchseß und Wardein,
Es schläft der Page knieend ihm zu Händen
Und flimmernd leuchtet’s von den erznen Wänden.
Und eine feierliche Stille waltet,
Der Schläfer Athem nur durchweht den Raum.
Mit weicher Schwinge, farbenreich gestaltet,
Umspielt ihr Haupt entschwundner Zeiten Traum,
Und hell und trüber in des Kaisers Haaren
Erglänzt der goldne Kronreif der Cäsaren.
Da, horch! beginnt die Wölbung leis’ zu tönen,
Als ob ein Schwert der Krieger Schilde traf,
Und lauter klingt es und die Felsen dröhnen:
Auffährt der Rothbart aus dem Zauberschlaf,
Er hebt das Haupt und lauscht, noch traumbefangen,
Er lauscht, und roth erglühen seine Wangen.
„So schlug denn endlich die ersehnte Stunde,
Und Deutschland hat der Zwietracht obgesiegt?
Hinaus, hinaus, mein Page, schau und kunde,
Ob noch die Rabenschaar den Berg umfliegt?“
Der Kaiser spricht’s, der Knabe geht in Eile
Und spähend steht er an des Felsens Steile.
Da grüßt ihn nah und fern in mächt’gen Chören
Der Dichterfeier heller Glockenton.
Indeß gen Himmel flammend rings die Föhren
Im Morgenroth auf allen Bergen loh’n.
Als ob ein Ostern brach des Grabes Hülle,
So festlich froh erbraust des Klanges Fülle.
Und durch die Seele schauert es dem Knaben;
Ein Geist der Liebe hat die Schuld gesühnt,
Von dannen, trägen Flugs, zieh’n die Raben
Und, sieh, der Baum, der dürre Baum, er grünt!
Aufrauschend sprüht aus dem verjüngten Stamme
Des neuen Lebens heiter schöne Flamme.
Da tritt gewappnet vor dem Ingesinde
Der Kaiser Rothbart aus dem Felsensaal,
Sein Banner flattert hoch im Morgenwinde
Und freudig blitzt sein helles Aug’ zu Thal,
Bis auf die Brust wallt ihm der Bart hernieder
Und gülden Erz deckt schimmernd seine Glieder.
„Zu mir, mein Volk!“ so ruft er durch die Gauen
Und schwingt empor das Schwert mit Heldenkraft,
„Nur auf dies Zeichen sollst du fürder bauen,
Die Zeit ist stählern, blutig, was sie schafft
Die Welt befreiend, hast du Rom zerschlagen:
Ein neues Rom seh’ ich im Westen ragen.
Nicht welscher Dünkel soll der Welt gebieten!
Heraus das Schwert! Ein Kleinod lichten Scheins,
Die Freiheit gilt’s, das Vaterland zu hüten,
Sein Hort, der liegt im Schooß des deutschen Rheins!“
Und ehern klirrt’s, wie Waffen, im Gefilde,
Die Recken aber heben hoch die Schilde.
Zum Fest der Eintracht ward die Dichterfeier,
Nicht Welf, nicht Waibling mehr! In Frieden sang
Der Brüder traurig langen Streit die Leyer,
Die einst gewaltig von dem Rütli klang.
Durch Eintracht wird die Freiheit nur errungen,
Und einig hat das Volk sich aufgeschwungen.
Nun mag es dräuen rings, nun mag es wettern,
Nun mag zum Kampfe denn der Franken Heer
Aufrasen bei der Kriegstrompete Schmettern:
Ein einig Volk steht gleich dem Fels im Meer!
Schon einmal brach’s der Franken Macht in Trümmer,
Ein einig Deutschland zwingt der Franke nimmer!