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Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)/Epiphanias 04

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Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)
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Am vierten Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.

Evang. Matth. 8, 23–27.
23. Und er trat in das Schiff, und Seine Jünger folgten Ihm. 24. Und siehe, da erhob sich ein groß Ungestüm im Meer, also daß auch das Schifflein mit Wellen bedeckt ward; und Er schlief. 25. Und die Jünger traten zu Ihm, und weckten Ihn auf, und sprachen: HErr, hilf uns, wir verderben! 26. Da sagte Er zu ihnen: Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam? und stand auf und bedräuete den Wind und das Meer; da ward es ganz stille. 27. Die Menschen aber verwunderten sich und sprachen: Was ist das für ein Mann, daß ihm Wind und Meer gehorsam ist?

 DIeses Evangelium eröffnet uns eine Aussicht auf den schönen See Genezareth, an dessen Ufern der HErr so gerne wandelte und wohnte. Rings eingefaßt von fruchtbaren Bergen, wird er von keinem Wind noch Sturm aufgeregt. Sein süßes, klares, tiefes Gewäßer ruht in seinem paradiesischen Bette so still, und| stimmt zur Stille. − Und was sehen wir auf dem stillen See? Ein Schifflein, von mehreren seines gleichen begleitet, fährt dem jenseitigen, gadarenischen Gestade zu. Es ist kein Schiff auf allen Meeren dem Schifflein zu vergleichen: denn der HErr ist drinnen und Seine Jünger folgten Ihm in dasselbe, sind bei Ihm. Es ist kein See, kein Meer dem See Genezareth zu vergleichen, denn dieser trägt das Schifflein Christi, die Schale, in welcher die kostbare Perle Himmels und der Erde glänzt. Drum ist er wohl so schön, der See von Genezareth! Dachte der HErr daran, als Er ihn schuf, daß der Eingeborene an ihm wohnen, auf ihm fahren würde? Ist deshalb der See so feierlich und freundlich still, wie die Seele des heiligsten Erlösers selbst, deß Angesicht sich in seinen Waßern spiegelt. − Es ist sehr still! Der HErr ist müde, und Er entschläft. Sein heiliges Haupt ruht auf einem Kißen, Seinen heiligen Gliedern genügt das harte Lager im Hinterraume des Schiffs. Er entschläft auf dem Meere, das Ihn feiernd trägt. Engel und Menschen gelüstet es, diesen Schlafenden zu schauen. − Da erhebt sich mit einem Male ein Windwirbel und erregt ein Ungestüm im Meere. Der Wind wirft die Wellen ins Schiff, es wird voll und mit Wellen bedeckt und schwebt in großer Gefahr. Wer misgönnt dem Heiligen Gottes Seine Ruhe? Wars, wie die Alten sagten, der Satan, der solchen Unfrieden wirkte, und Christi Schifflein in den Sturm brachte? Merkte er, daß ihm und seiner Legion, die in dem Beseßenen jenseits am Gadarenerufer wohnte, eine Niederlage drohte? Wollte er Christi Wunder an dem Beseßenen vereiteln? − Es wird ihm nicht gelingen. Ungewohnter Sturm rast durch die Luft, der stille See ist wie eitel Brandung um das Schifflein her, das Schifflein ist voll Wellen: aber der HErr schläft mitten im Sturme. Alle Ruhe ist weggenommen: Seine Ruhe nicht, denn siehe, noch schläft Er. Ihm droht kein Sturm, denn Er ist heilig. Er kann im Sturme schlafen, denn Sein Werk ist noch nicht gethan, Seine Stunde ist noch nicht kommen. Ists der Satan, der das Ungewitter brachte, so hilfts ihm nichts, zu wüthen; die Zuversicht des heiligen Schläfers spottet sein. Es ist nichts zu fürchten. Einst werden Himmel und Erde mit großem Krachen vergehen und eine Feuerfluth wird die Welt verzehren − und der HErr wird thronen in großem Frieden, und die selige Ruhe des kommenden Menschensohnes, Seine tiefe Seelenstille wird unangefochten bleiben. Der in Feuerfluthen ruhig thronen wird, kann in Waßerfluthen schlafen, süße schlummern: es ist nichts zu fürchten − und dieß Antlitz fürchtet auch nichts − der stille Odem, der von Seinen schlafenden Lippen weht, ist stärker als der Sturm und sein Gebraus. − Er ruht, aber Seine Jünger? Der Aufruhr der Kreatur hat sie angesteckt und ergriffen, noch sind sie nicht Herren der Creatur, denn sie ruhen noch nicht, wenn alles tobt. Sie kennen den See, sie wißen seine sonstige Stille, sie wohnten ja an seinen Ufern oder doch ihnen nahe: es ist ihnen unheimlich im ungewohnten Brausen, es ist ihnen, als drohe der Tod. Sie sind Männer, auch wohl kühne Männer, aber es hat sie überwältigt. Was fangen sie an? Ihr Herz, ihr Auge sucht den HErrn und in Ihm die Ruhe − ihr Auge findet Ihn und ihr Herz, obwohl es von Ihm Ruhe erwartet, begreift Seine Ruhe nicht. Sie hätten denken sollen: „Schläft Er, so hats keine Gefahr!“ Aber sie sind des Gedankens jetzt nicht fähig. Sie müßen Ihm etwas Ruhe nehmen, indem sie Ihn aufwecken, um selbst ein wenig Ruhe zu bekommen. „Meister, Meister, wir verderben!“ (Luc. 8.) rufen sie. „Meister, fragst Du nichts darnach, daß wir verderben?“ (Marc. 4.) „HErr, hilf uns, wir verderben!“ (Matth. 8.) So rufen, so beten sie, und das Schifflein im Sturm wird zum Orte sehnlichen Gebetes und ängstlicher Anrufung. Hätten die Jünger des Windes und der Wellen nicht geachtet, sich neben den heiligen Schlafenden gesetzt, aus dem ruhigen Anblick des Schlafenden Zuversicht geschöpft, Ihn mehr gelobt als den Sturm gefürchtet, das Schifflein im Sturm durch stilles Lob geweiht: es wäre schöner und herrlicher gewesen. Aber es ist doch auch schön, daß nun alles, was unruhig ist, um Ihn, den Mittelpunkt aller Ruhe, den König des Friedens, im Gebet um Ruhe versammelt ist. − Das ängstliche Flehen der Jünger erweckt den HErrn aus Seinem Schlafe. Und Sein Erwachen ist, wie Sein Schlafen, furchtlos, ruhig. Weniger berührt Ihn das Brausen und Toben der Elemente, als die unruhige Angst Seiner Jünger; darum ist ein Wort der Misbilligung für sie das erste, was Er spricht. Hätte Er die Beruhigung Seiner Jünger nur durch Beschwichtigung der Natur für möglich gehalten; hätte Er nicht Ruhe mitten im Sturme bei den Seinigen voraussetzen zu können geglaubt; wäre es nicht Seine Forderung gewesen, daß| von innen heraus alle Beruhigung des Menschen geschehen, erst aus den Seelen, dann aus der Creatur die Angst des Lebens vertrieben werden sollte; so würde Er nicht vor Beschwichtigung des Windes und Meeres die Seelen der Jünger gestraft und zur Ruhe gewiesen, Er würde vor allen Dingen geholfen haben. Nun aber war Sein erstes Wort nach dem Erwachen: „Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam?“ und man hört es deutlich aus Seinem Munde, daß der Glaube nicht kleinmüthig und furchtsam, sondern geduldig in Trübsal und fröhlich in Hoffnung sein soll. − Und nach dem tadelnden Wort steht Er auf und bedräuet den Wind und das Meer. Wie bedräuet Er Wind und Meer? Das erzählt St. Marcus. „Schweig und verstumme!“ sprach Er zum Element. Wunderbares Dräuen! Ist Sinn, Ohr und Verstand bei Wind und Meer, daß Er ihnen befiehlt, wie man lebendigen Wesen zuruft und befiehlt? Ist in der Bewegung des Windes und der Wellen ein Wille, der gesündigt hat? oder ist es zwar nicht ein böser Wille der Natur, was sie erhebt und aufregt, ists eine fremde, feindliche sündige Gewalt? Ist es etwa wirklich der Satan, welcher die unschuldige, des HErrn wartende Creatur wider Willen zwingt, sich mit ihm gegen Christum zu empören? Was es auch sei, der HErr gebeut, bedräuet, und Sein Gebot wird erkannt, angenommen, befolgt: „es ward ganz stille“. Wenn sonst ein Sturm vorüber, geht die See noch lange hoch empor, bis sie das Gleichgewicht und die völlige, spiegelglatte Stille wieder gefunden hat, von welcher der Evangelist spricht. Dies mal ist es anders. Plötzlich war der Sturm auf den stillen See gefallen, schnell war aus Ruhe und Friede die höchste Empörung gekommen; eben so schnell tilgt der HErr die Spur der feindlichen Gewalt − und die noch einen Augenblick zuvor zagten, bebten, wurden nun so schnell aus dem Sturm in die gewohnte, tiefe Stille des Gewäßers versetzt, daß ihr Gemüth nicht mit gleich schnellen Schritten von der Angst und Noth zum ruhigen Behagen kommen konnte. Eine solche Aenderung in einem Augenblick! Es war unerhört. Und das auf zwei Worte eines Mannes! Die Verwunderung kam dem Gefühl der Errettung und das Lob dem Dank zuvor − und wer nur ein wenig sich in die Geschichte vom Schifflein Christi zu versetzen vermag, der kann es auch begreifen, der würde es unnatürlich und ungeziemend finden, wenn die von tödtlicher Gefahr Erretteten eher an das gewonnene Heil des eigenen Leibes, als an die Größe des Heilandes gedacht hätten. Ganz der gnädigen Ueberraschung und plötzlichen Hilfe gemäß sind die Worte der Reisenden: „Was ist das für ein Mann, daß ihm Wind und Meer gehorsam ist!“ − Was ist das für ein Mann? Ein Mann, dem keiner gleich. Hast du Ihn schlafen sehen? Wie süß ist Sein Schlaf, − wie menschlich schön ist Er gewesen. Es ist ein wahrhaftiger Mensch, der so schlief. Hast du Seines Schlafes geachtet, wie heilig Er war, welch eine Ruh der Seelen auf den ruhigen Zügen lag. Heilig, ein heiliger Mensch, aber heilig, wie kein anderer, ist Er. Hast du Ihn aufstehen sehen vom Schlafe und hast du Sein Wort vernommen: „Schweig, verstumme!“ Und wie es wirkte!? Ist das nur ein Mensch? Fällt dirs nicht ein, daß Er Immanuel, Gott-mit-uns heißt? Heilig und hehr ist Sein Name. Was ist das für ein Mann? Engel haben, alle Engel haben Ihn angebetet und besungen, da Er in die Welt eingeführt wurde, – Maria, Joseph, Hirten, Weise, Simeon und Hanna, die Rabbinen im Tempel, die Hochzeitleute von Cana, der Aussätzige und der Hauptmann, − und die Wellen und die Winde und die Leute im Schiff: sie sind alle Seine Zeugen. Hier ist Gott im Fleisch! Selig sind zu preisen, die mit Ihm im Sturme sein durften, daß sie Seine Hilfe schauten, „die Seine Werke erfahren haben und Seine Wunder im Meer, − da sie gen Himmel fuhren und in den Abgrund fuhren, daß ihre Seele vor Angst verzagte, daß sie taumelten und wankten wie ein Trunkener und wußten keinen Rath mehr, − und sie zum HErrn schrieen in ihrer Noth und Er sie aus ihren Aengsten führte, − und stillete das Ungewitter, daß die Wellen sich legten und sie froh wurden, daß es stille geworden war!“ Ps. 107. − Brüder! Können wir die Geschichte vom Schifflein Christi lesen, ohne zu Freud und Lob gestimmt zu werden? Laßt uns hie die Hände falten und Angesichts der großen That Christi uns an Seinen Zuruf erinnern, da Er spricht: „Rufe Mich an in der Noth, so will Ich dich erretten, und du sollst Mich preisen.“
 Die heilige Schrift lehrt uns, die Arche Noah als ein Vorbild der Kirche Gottes zu betrachten, − und es liegt gar zu nahe, theure Brüder, das Schifflein| Christi, in welchem der wahre Noah, der Fürst des Trostes und der Ruhe, mit den Seinen fuhr, mit denselben Augen anzuschauen. Die Christen der ersten Jahrhunderte haben ihm die schöne Deutung auch gegeben, haben das Schifflein gerne auf ihre Becher gemalt und eingegraben, haben es in die Lüfte und Wolken versetzt und gen Himmel fahren laßen, nicht zum Port der Gadarener. Hatten sie Unrecht? Waren nicht ER und die Seinen im Schifflein − und war also nicht im Schifflein Gottes Kirche? Ich spiele nicht, ich tändele nicht mit dem Schiff, in welchem Er gefahren ist, ich übe heilige Gedanken und lehre Wahrheit, wenn ich euch nun die Geschichte vom Schifflein Christi auf Seine Kirche deute.

 Das Schifflein auf dem See Genezareth ist ein Bild der Kirche, denn es trägt Christum und Seine Jünger. So ist auch die Kirche umgekehrt jenem Schifflein zu vergleichen, denn auch sie umfaßt Christum und Seine Jünger. Wo Christus und die Seinen sind, da ist die Gemeine der Heiligen, Seine Kirche. Christus ist immer bei den Seinen, denn Er hat gesagt: „Siehe, Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Und die Seinen sind immer bei Ihm. Wie das Haupt vom Leibe, der Leib vom Haupte unzertrennlich ist, so sind auch Christus und Seine Gemeine unzertrennlich vereinigt. Er ist kenntlich, wo Er ist, und die Seinigen sind es auch. Er ist erkennbar an Seinen großen Thaten, den Sacramenten, und an Seinem heiligen Worte, − und die Seinen sind erkenntlich an ihrer Nachfolge, daß sie an Seinem Wort und Sacramente hangen und gerne thun nach Seinem Befehl und Vorbild. Wo der HErr ist, fehlts an Seinen Zeichen nicht; − und wo die Seinen sind, bekennen sie sich mit Wort und Wandel zu Ihm und zu Seiner Gnade und Wahrheit. Wem ER Sein Wort und Sacrament nicht reicht, wer Ihm nicht nachfolgt im Bekenntnis des Wortes und Wandels, der ist nicht im Schifflein Christi, das durch die Waßer dieses Lebens fährt.

 Das Schifflein Christi auf dem See Genezareth bleibt nicht lange ungestört auf seiner Fahrt. Auch wenn es sonst ruhig ist, fällt Sturm und Wirbelwind aufs Meer, so wie das Schifflein Christi geschwommen kommt. Christi Schifflein ist ein Fahrzeug im Sturm. Es stürmt umher um seinen Bord, und innerhalb desselben ist durch den Sturm von außen − Verwirrung, Angst und Noth. − So ist es mit der Kirche Christi. Zuweilen ist Ruhe und es scheint, als wäre Freude in der Welt, daß es eine Gemeinschaft der Heiligen gibt. Aber trau dem Meere nicht und nicht der Welt! Wie oft ist, wie vom heitern Himmel, ein Sturm gekommen! Wie oft sind Wellen der Noth über die heilige Kirche „hereingefallen“ und ringsum tobten die Völker und die Leute redeten so vergeblich, die Könige im Lande lehnten sich auf und die Herren rathschlagten mit einander wider den HErrn und Seinen Gesalbten! Dann hieß es: „Deine Fluthen rauschen daher, daß hier eine Tiefe und da eine Tiefe brausen; alle Deine Wellen und Waßerwogen gehen über mich.“ (Ps. 42.) „HErr, die Waßerströme erheben sich, die Waßerströme erheben ihr Brausen, die Waßerströme heben empor die Wellen, die Waßerwogen im Meer sind groß und brausen greulich!“ (Ps. 93.) Und wenn es von außen brauste und die Kirche in Druck und Unglück war; dann entschwand oft auch die Ruhe aus der Mitte ihrer Kinder! Sie fiengen an zu schwanken in Angst und Noth und aus äußeren Stürmen wurden innere. Dann jammerten die Kinder des Friedens in den Sturm hinaus: „Warum muß ich so traurig gehen, wenn mein Feind mich dränget? Es ist als ein Mord in meinen Beinen, daß mich meine Feinde schmähen, wenn sie täglich zu mir sagen: Wo ist nun dein Gott?“ − Indes, so oft es auch also geworden ist, und so oft es auch noch so werden wird; wenn auch gleich das Meer wallet und brauset; die Jünger im Schifflein dürfen dennoch singen: „Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde Ihm noch danken, daß Er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist!“

 Warum sollen sie nicht also singen? Der HErr ist ja im Schifflein. Er schläft, und drum ist Seine Hilfe nicht zu schauen; aber Er schläft nur, und bald wird Er erwachen; Er schläft nur, und auch schlafend verbürgt Er den Seinigen ihre Sicherheit. Er würde nicht schlafen, wenn es wirklich Gefahr hätte; und sobald Gefahr werden wird, wird Er erwachen, denn Er vollführt das Amt Seiner Liebe auch im Schlafe und Sein Erbarmen sammt Seiner Hilfe schläft und schlummert nicht. Es kann brausen um das Schifflein, in dem Christus schläft; aber von Untergang ist nicht zu reden. Glückselig das Schifflein, in dem Christus schläft: seine Stürme sind nicht zum Tod und Untergang, sondern zur Ehre Gottes. Ob Er schlafe, ob| Sein rechter Arm ruhe, ob Seine Hilfe fehle: wenn Er nur da ist; wenn nur die Zeichen Seiner Gegenwart vorhanden sind! − Er schläft, Er hilft nicht; aber siehst du nicht Seinen Leib, − und erkennst du nicht, wie am Leibe, so an Seinen Sacramenten, an Seinem Leib und Blute Seine Gegenwart? Er schläft − aber geht nicht von Seinen Lippen der Hauch Seines Mundes in tiefem Frieden, − und vernimmst du nicht zum Beweis, daß Er vorhanden, Sein süßes Evangelium? nicht das Wort von Seinem Tod und Auferstehen, damit Er dir für alles gut steht im Leben und Sterben? So lange der Hauch Seines Mundes unter uns wehet, Sein Leib und Blut bei uns bleibet, hat es keine Noth und wir können an das Bette Seiner Ruhe uns setzen, Seine Ruhe bewundern, sie zum Pfande unserer Sicherheit nehmen und über dem Schlafenden singen: „Wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde! wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtete; so bist Du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Theil!“ (Ps. 73.) „Ich werde Dir noch danken, daß Du meines Angesichts Hilfe und mein Gott bist.“

 Und ob dein Glaube zu klein ist zu solchem Gesang, so bete, denn kleingläubig können die Jünger im Schiffe wohl werden, aber nicht ungläubig; wer ungläubig ist, ist nicht im Schiff, und wer es wird, leidet Schiffbruch. Willst du also kleingläubig sein, so sei es zum mindesten wie die Jünger auf dem See von Genezareth, sei es also, daß du betest. Es sind im Schiffe, in der Kirche Christi allezeit mancherlei Gläubige: etliche weinen und klagen, etliche beten und flehen, etliche danken, etliche loben, etliche liegen in stummer, seliger Anbetung vor Dem, der schläft und dem kein Sturm der Hölle die Ruhe stört. Keiner, der auf geringerer Stufe steht, heuchelt sich höher; keiner, der stärker ist, hält es für Demuth, nicht zu sein, wie und was ihm Gott verliehen. Der Weinende eifert dem Anbetenden nach, sehnt sich neidlos nach seiner Ruhe; der Anbetende erkennt den Weinenden für seinen Bruder. Sie hangen alle an Einem HErrn und warten auf Ihn alle, − und wie im Gotteshaus die Orgeltöne von der Tiefe zu der Höhe harmonisch steigen und wieder nieder, so wird einer jeden Glaubensstufe in der Gemeine Gottes der Trost gelaßen, ihr Herz, so wie es ist, laut werden zu laßen und auszuschütten vor Gott. Nie fehlt ganz die Stille der Anbetung, nie ganz der Lobgesang, der Dankpsalm, nie Seufzer und Thräne, − und nie, bevor das Schiff zum Hafen gelangt, wird auf ihm der Hilferuf und das sehnliche „Kyrie, eleison,“ „HErr erbarme Dich“ verhallen. Es wird nicht und es soll nicht − und die Abwechselung großen und kleinen Glaubens wird nicht bloß in derselben Gemeinde, sondern zu verschiedener Zeit, ja selbst zu einer und derselben Zeit in einem und demselben Herzen sich finden. Denn so sind wir, bald sind wir guten Muthes, dann singen wir Psalmen; bald leiden wir, dann beten wir (Jacob. 5.); − und oft, o wunderbares Wesen! liegt uns beides hart an und es fließt neben der Wonnethräne des Dankes die Thräne der Angst, die um Erlösung weint. −

 Sieh ins Schifflein auf dem See Genezareth! Wie fleht und jammert es um den Fürsten der Ruhe her! Und unter dem Flehen und Jammern erwacht Er, um die erbetene Hilfe zu gewähren. Aber bemerke, was Zeichen Seines Erwachens und Vorbote Seiner Hilfe ist: es ist Sein strafendes, Erkenntnis der Sünde wirkendes, Buße verleihendes Wort: „Ihr Kleingläubigen, wie seid ihr so furchtsam!“ − Wenn die Kirche um Hilfe schreit, predigt Er Buße: und diese Predigt sammt der Buße, die ihr folgt, sind gewisse Zeichen davon, daß sich der HErr aufgemacht hat, zu helfen. Klage über Unglück, Jammer um Erbarmung − sind ferner von der Hilfe, als die Bußpredigt, welche fremde, und das Beichtbekenntnis, welches eigene Sünden anklagt. Die Thräne der Buße ist reiner und feuriger und mächtiger bei Gott als die Thräne, die um Hilfe weint, und das Gebet um Gnade bringt mehr Heil, als der Schrei um Erbarmung. Elend sind alle Menschen und die Noth lehrt viele beten; wenn aber eine Errettung kommen und groß Hell aufgehen soll, so wird der HErr dazu bewogen durch den Thau, der vom Auge schmerzenreicher Bekenner ihrer Sünden auf die Erde fällt. Ach, daß wir das begriffen und nie vergäßen: Christi Kirche bekommt vor der Hilfe die Bußpredigt − der HErr sendet vor Sich selbst her immer die Stimme des Engels, der uns zur Buße ruft; Bußpredigt und Buße will Er Seinem Volke niemals fehlen laßen.

 Aber wahrlich, auch die Hilfe fehlt dem Schifflein Christi nie! Von dem Worte, das der Kirche Buße predigt, wendet Er Sich zu dem strengen Befehl, der dem Jammer wehrt und die Hilfe bringt. „Schweig| und verstumme!“ Dieß Wort von Seinen Lippen ist bekannt im Reiche der Natur und der Hölle; wenn es erschallt, greift es mächtig durch, schafft es Ruhe, bringt es Freude. Ach, wie oft ist die Kirche des HErrn seit achtzehen hundert Jahren in Noth und Gefahr gewesen, daß man ihr ein Grablied anzustimmen begann! Wie oft hat sie selbst im Gefühle schweren Drucks und großer Leiden, und im feurigen Schmerze der eigenen Verschuldung gerufen: „Wir verderben!“ Die Wolken schienen zu reißen: der Regenbogen zu lügen, eine Sündfluth, ein Vertilgungskrieg vom HErrn zu kommen, die Hilfe unmöglich zu sein – – und auf einmal wars anders; unbemerkt war eine Saat und Aernte göttlicher Erbarmung gereift, und erkannt mußte werden, daß die Hilfe längst bereitet war, daß wir sie nur nicht erkennen konnten, weil wir uns selbst noch nicht erkannt und unser Auge noch nicht in Thränen der Buße gebadet und hell gemacht hatten. Es wird immer so sein! Von Noth in Noth und von Hilfe in Hilfe werden wir wandeln bis die Schrecken der letzten Zeit erscheinen und der Sommer der Ewigkeit nahe kommt. Denn wenn die Noth am größten, wird die Hilfe am herrlichsten werden, und es wird geholfen sein für immer und ewig!

 Bis dahin wird es gehen, wie wir schon gesagt. Mancherlei Laut und Ruf, weil mancherlei Stufe des Glaubens, wird es in der Kirche geben, und die Klage wird mit dem Lobgesang wechseln. Dann aber wirds anders. Dann kommt das Schiff zum ewigen Ufer. Der Wechsel hört auf. Thräne, Klage, Hilferuf, Bitte verstummt − und Dankpsalm und Lobgesang und Anbetung werden ewig währen. Das Dreimalheilig und das Gloria der Engel und Auserwählten wird die Ankömmlinge empfangen und es wird geschehen, wie es geschrieben steht: Ewiger Jubel wird das Haupt umfangen − und unser Herz wird ewiglich leben.


 Freunde, die Geschichte vom Schifflein Christi ist euch noch einmal in weiterer Aussicht vor die Augen gebracht worden, − und bei allem, was ich sagte, habe ich eins zurückgehalten − das möcht ich noch zum Schluß erwähnen. Der Evangelist Marcus erzählt uns, daß nicht bloß das Schifflein, auf welchem Christus fuhr, sondern zugleich mehrere mit ihm die Noth und Hilfe erfuhren. Die andern Schiffe fuhren wohl alle in Begleitung JEsu, aber der HErr und Seine Jünger waren auf einem beisammen. Sie kamen, weil sie mit JEsu schifften, alle in JEsu und Seiner Jünger Noth und Sturm, − und weil sie mit Ihm waren, sahen sie alle Seine Wunder, erfuhren sie alle Seine Hilfe, es werden auch auf allen Schiffen manche Seelen näher zu Ihm gezogen und mit Ihm vereinigt worden sein. Dennoch aber blieb das Schifflein, wo Seine Jünger waren, die Ihm allewege nachfolgten, Seine Wohnung, Seine Ruhe, Sein Ort der Verherrlichung, der Ausgangspunkt der Hilfe für alle. Soll ich euch das deuten? Auf dem Meere der Welt fahren, JEsum zum Ziele aller Seiner Thaten zu geleiten, manche Schiffe, und auf ihnen befinden sich die mancherlei Gemeinschaften, die sich Seiner und Seines Namens nicht schämen. Aber nur auf einem Schiffe wohnt Er, und dieß Schiff ist der segensreiche Mittelpunkt, der Ausgangspunkt des Heils für alle andern. Dieß Schiff der heiligen Mitte − es ist die Gemeinschaft, die wir vorzugsweise unsre Kirche zu nennen pflegen, sie, die in Schimpf und Ernst den Namen von dem edlen Schiffsmann Martin Luther trägt. Auch die Reisenden auf diesem Schiffe sind mangelhaft; der Sturm, den ihr Schifflein, wie alle, leidet, bewegt ihre Seelen tief, − die Ruhe und das Gleichgewicht ist ihnen oft verschwunden und sie haben manchen Jammerschrei ertönen laßen, da sie hätten können Frieden haben und ihre schönen Lobgesänge singen. Doch ist der HErr in ihrem Schiff und in ihrer Gemeine: Seines Mundes Hauch, Sein theurer Leib, Sein heiliges Blut, Sein guter Geist im Waßer sind bei und unter ihnen − und ihr Bekenntnis geht auch in der Angst zu Ihm, und nur zu Ihm schreit ihr Herz. Dieß Schiff ist Sein. Er schilt die Jünger, die auf demselben fahren, − aber Er hilft ihnen auch, − und sie loben Ihn dafür ohne Ende, und die Gnade, welche ihnen widerfährt, genießen alle andern Schiffe, je nach ihrem Antheil, mit. − So ist es! Schüttelt ihr die Häupter? Sehet ihr Den nicht, der unter euch schläft und bereits schilt? Schämt ihr euch eures Vorzugs vor den andern Schiffen und ihrem Neide? Um nicht beneidet und bescholten zu werden, wollt ihr etwa lieber sagen, trotz aller Zeichen Seiner Gegenwart, der HErr sei nicht in eurem Schiff? Wollt ihr den HErrn verleugnen? Daß Er nur euch nicht verleugne! Daß Er nur nicht von euch gehe! Daß ihr nur nicht Schiffbruch leidet! Thut Buße| für eure Sünden und seid nicht kleingläubig! Es wird die Hilfe auf unserm Schifflein geschehen und von Ihm ausgehen auf alle Schiffe, und der HErr wird alsdann von allen Seine Jünger holen und sie zum Hafen der ewigen Ruhe bringen. Er wird uns helfen und allen Seinen Kindern auf allen Seinen Schiffen. − Noch ruhst Du, HErr? Nein Du schläfst nicht mehr. Wir hören Deine Stimme, Dein treffendes Wort vom Kleinglauben. Richt uns auf, o Du Stärke Deiner Auserwählten, daß wir schauen Deine Ehre und das Werk Deiner Hände preisen. Laß uns schauen, daß Du, der rechte Gott, bist zu Zion − und laß uns und alle Schiffe in Zions Lichte segeln, bis wir ewig in Hütten des Friedens ruhen! Amen.




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