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Ferdinand Freiligrath – Lebensskizze mit Portrait

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Titel: Ferdinand Freiligrath – Lebensskizze mit Portrait
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aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 617-620
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ferdinand Freiligrath.

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Ferdinand Freiligrath.
(Lebensskizze mit Portrait.)


Als ich im Juli 1838 mit einer Empfehlung von Fouqué aus Halle nach Berlin übergesiedelt war, galt es vor allen Dingen, Chamisso persönlich kennen zu lernen. Sein speciellster Freund und Biograph, der alte, getreue Julius Eduard Hitzig, damals literarischer Mittelpunkt Berlins, führte mich zu ihm unten in der Friedrichsstraße, unweit des Halleschen Thores, und ließ mich mit ihm allein. Der kleine, alte, in seiner grauen, engen Jacke und mit dem langen, weißgrauen Haar hinter Büchern auf dem Sopha sitzende ehrwürdige, leidende Greis schüttelte grimmig sein Haupt, als ich ihn wegen meiner ihm zugeschickten Gedichte befragte. Ohne Hehl und offen erklärte er sie für Maculatur, was sie wirklich waren und geblieben sind. Aber es ging mir nicht allein so; er sagte, nach Ueberwindung eines seiner furchtbaren Hustenanfälle, daß wir uns Alle könnten begraben lassen. „Da nehmen Sie dieses Buch mit!“ rief er, „und sehen Sie, wie man jetzt singen muß.“

„Gedichte von Ferdinand Freiligrath.“ Ich las sie zu Hause durch, laut, wiederholt, und dankte Chamisso und diesem Dichter, daß sie mich auf einmal von der Einbildung vieler Studenten und Candidaten gründlich geheilt. Als ich dem ehrwürdigen Vater des damaligen Musen-Almanachs den Band zurückgeben wollte, machten sie eben in seinem Hause Anstalt, ihn zu begraben.

Er wird eben so wenig sterben, als Freiligrath. Aber damals ging mit ihm eine lyrische Epoche unter die Erde, und in meiner Hand hielt ich den von ihm freudig und begeistert erkannten und anerkannten Apostel einer neuen, in Wort und Form, Tonfall und Reim, Anschauungsweise und Empfindung gewaltigen, weiten, die ganze Welt mit ihren fremdesten und fernsten Klängen reimenden, kosmopolitischen Lyrik.

Die einzeln und zerstreut früher erschienenen Gedichte waren, wenigstens in unserm damaligen Kreise, mehr wie originelle Curiosa angesehen worden. Die erste Gesammtausgabe von 1838 aber gab dem Dichter mit einem Male eine Stellung ersten und ganz eigenthümlichen Ranges unter den deutschen Lyrikern.

Wir sahen ihn um diese Zeit zum ersten Male im Portrait, einen feisten, kraftstrotzenden, großäugigen, vollblühenden Jüngling, der in Amsterdam Kaufmann gewesen und kurz vorher in eine ähnliche Stellung nach Deutschland zurückgekehrt war. Später trat er aus seinem still gewachsenen Ruhme plötzlich eine Zeit lang in die Tagespresse: er war ja auf einmal der deutsche Dichter, der von Preußen Pension bezog. Kurz darauf neue Ueberraschung: „Glaubensbekenntniß,“ Aufgeben der Pension, Anklage, Flucht. Wir finden den Schöpfer einer neuen, grandiosen, deutschen Lyrik in einem dunklen Hofe einer dunkeln Straße der City von London hinter dem Contobuche.

März 1848: Freiligrath in einem Flammenmeere deutscher Begeisterung, in Aller Herzen, in Hunderttausenden von Exemplaren in Aller Händen, auf allen Straßen jubelnd ausgeschrieen und – Freiligrath im Gefängnisse.

Aber freigesprochen! Richtig. Die deutsche Nation ehrt und liebt ihn mit warmem Herzen bereits in der sechzehnten Auflage, aber diesen edelmüthigsten und volksthümlichsten Dichter selbst hat sie seit zehn Jahren nicht auf deutschem Boden sehen können, und wer ihm seitdem die Hand reichen wollte, mußte weit in den Nordosten Londons hinaus, oder ihn im Geschäft hinter der Londoner Börse stören. Wer ihn einst in St. Goar unmittelbar am Spiegel des lichten, lachenden Rheins besuchte, und jetzt über einen schauerlichen Kirchhof vor einem mit Einsturz drohenden Thurme vorbei wandern muß, um ihn in seinem grünem Versteck aufzufinden, dem schlägt das Gewissen allerdings qualvolle Wunden bei Vergleichung der neuen, freien, einheitlichen Bestrebungen Deutschlands und dieser alten, eingewohnten, wenn auch so freundlichen Exilwohnung eines deutschen Dichters und anderer deutscher Dichter und Männer. Kaum hat sich hier und da eine klägliche, schwächliche Zeitungsstimme erhoben, daß „dem Vernehmen nach“ eine Art von Amnestie in Aussicht stehen solle. Und als diese Aussichten verschwanden, blieben auch die sporadischen Amnestie-Gerüchts-Notizen in den Zeitungen aus. Mit seinen eigenen Organen sprach das Volk kein kräftiges Wort. Doch das soll uns nicht zu Täuschungen verleiten. Das Volk hat auch ein Herz-Organ, mit welchem es während der letzten zehn Jahre öffentlich zu sprechen verlernen mußte. Aber es war nie todt, es schlug und redete sehr viel und sehr heiß im Stillen, und selbst Geheime Räthe fragten sehr ernstlich, aber freilich sehr im Stillen den von London Kommenden: „Was macht Freiligrath?“ Und eine schöne, liebende Braut schrieb unlängst an ihren Bräutigam:

„O lieb’, so lang’ Du lieben kannst,
O lieb’, so lang’ Du lieben magst,
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo Du an Gräbern stehst und klagst!“

und setzte hinzu, daß sie den Dichter solcher Lieder freudig und herzlich küssen würde, wenn und wo sie ihn fände.

Und wie viele edle Frauen und Jungfrauen Deutschlands würden sie darum beneiden! Wer könnte die Jünglinge und Männer zweier Generationen zählen, die durch den Zauber seiner bald herkulisch, bald apollonisch schönen, kräftigen und elastischen Gedankenschritte und Versrhythmen erhoben, gestärkt und geläutert wurden? Sie Alle würden das wärmste Wort der Verehrung, den kräftigsten Händedruck für ihn haben, könnten sie ihn auf dem Boden seines Vaterlandes begrüßen.

Keine Sentimentalitäten. Deshalb sprechen wir hier die kalte Thatsache aus, daß sich unser Dichter in sein Vaterland, wie es jetzt ist, eben so wenig zurücksehnt, als die meisten andern seiner Schicksalsgenossen. Ein Mann, dessen ganzes Leben ununterbrochen in edelster Männlichkeit, bürgerlicher Ehrenhaftigkeit und geschäftlicher Tüchtigkeit blühete und fruchtete, dessen Poesien im besten Herzblute seines Volkes pulsiren, kann nicht – amnestirt werden. Wer mit Ehren in die Vierziger gekommen, zu dem kann man nicht noch endlich zu guter Letzt sagen: Wir wollen Dir das Verbrechen verzeihen, daß Du kein Heuchler geworden und gewesen.

Die wirkliche Persönlichkeit des Dichters wird sich also vorläufig nicht in Deutschland einfinden. Wir suchen diesen Mangel [619] hier durch sein lebensgetreues Portrait und eine aus Leben und Umgang gewonnene Lebensskizze zu ersetzen, welche durch die nicht exilirten und nie ausweisbaren Gedichte, die Jedem im Herzen wohnen oder leicht aufzufrischen sind, ergänzt und mit Fleisch und Blut erfüllt werden mag. Eine wirkliche Biographie und vollwürdigende Charakteristik des Dichters zu schreiben, dessen Erlebnisse und Entwickelungen ganz wesentlich dem Allerheiligsten des Herzens angehören, kann hier weder beabsichtigt noch erwartet werden. Diese Aufgabe bleibt zunächst etwaigen Memoiren, einer Selbstbiographie überlassen.

Ferdinand Freiligrath wurde am 17. Juni 1810 in einer Stadt geboren, in deren Straßen der Teutoburger Wald hereinblickt, in Detmold. Südlich hinauf labyrinthet sich das waldige, felsige, schluchtige Schlachtfeld des ersten Sieges deutscher Freiheitskraft, wo Hermann die römischen Legionen des Varus schlug; daneben windet sich die Werra und weiter hinaus winken luftige Sennen mit rothen Erica’s und halbwilden Pferden, die auf dem berühmten Pferdemarkte von Detmold verkauft werden. Detmold besteht aus drei Städten, in denen zusammen 4000 Menschen, darunter brave Leineweber, tüchtige Gerber und fette Brauer wohnen, auch ein deutscher souverainer Fürst, welcher von einem prachtvollen Residenzschlosse aus über ganz Lippe-Detmold herrscht. Auch ist Detmold, wie ich aus dem Conversations-Lexikon erfahren habe, „Sitz der höchsten Landesbehörden“ und hat ein Gymnasium, zu dessen Lehrern der Vater Freiligrath’s gehörte. Die Stadt ist klein, hat alles Mögliche in und ungewöhnliche landschaftliche Scenerie um sich, Alles leicht zugänglich, dicht beisammen und wird so auch dem Kinde, dem die Wiege noch eine ganze Welt ist und das hernach als Mann die unendliche Welt oft zu eng findet, bald ein vertrauter Tummelplatz. Deshalb darf man auch die Wiege großer Männer und deren Umgebung nie unbeachtet lassen, wenn nicht wesentliche Elemente in ihrer spätern. Entwicklung unverstanden bleiben sollen.

Bis zum siebenten Jahre wuchs das Kind in einem vollen, lieben Familienkreise auf, feist, blühend, volllockig und strotzend von übermüthiger Knabenfülle, ein wahres Bacchusmodell. Aber dem siebenjährigen Kinde starb die Mutter! Weder der vielbeschäftigte Vater, noch dienende Personen konnten dem Waisenkinde die Unersetzliche ergänzen, und so lernte er sich einsam und allein in seinem Herzen, in der anregenden Umgegend, ja selbst schon in Versen und Reimen zurechtfinden. Das zehnte Jahr brachte ihm eine zweite Mutter und ihn zugleich auf’s Gymnasium, wo er bald als fleißiger, edelmüthiger und witziger Knabe bei Lehrern und Mitschülern herzlich beliebt ward. Er nannte mir besonders einen Lehrer, Falkmann, mit welchem er in das vertrauteste Verhältniß kam und der einen ganz besonders wohlthätigen Einfluß auf sein Herz und seine Studien ausübte. Er war und hatte sich für eine akademische Carriere bestimmt, die aber durch den Bruder seiner verstorbenen Mutter, Kaufmann in Edinburg, unterbrochen ward. Der Onkel bat, man möchte ihm den Ferdinand als Adoptivsohn anvertrauen, doch müsse er zu diesem Zwecke Kaufmann werden. Zureden, das winkende Vaterland eines Walter Scott und Burns entschieden ihn für den Plan. Um zunächst „Kaufmann zu lernen,“ kam er in die Lehre zu Soest in Westphalen. Aber der Bankerott des Onkels und der Tod des Vaters (1829) wiesen ihn auf einmal darauf an, sich auf eigenen Füßen und durch eigene Arbeit eine Lebensbahn zu schaffen. Nach einigen Versuchen führte ihn der Zufall nach Amsterdam in ein Banquierhaus, wo er sechs Jahre blieb. Die großen Seeschiffe aus aller Welt, die Kisten und Waarenballen mit fremden, weit umher auf beiden Halbkugeln liegenden Städtenamen, die braunen, gelben, rothen und schwarzen Matrosen auf den Decks und in den Takelagen – diese grandiose Scenerie und Kaleidoskopie des Seehafens – erklang bald in jener gewaltigen, unerhörten, hinreißenden Auslands- und kosmopolitischen Poesie aus verschiedenen Zeitschriften und dem Chamisso’schen Musen-Almanach durch Deutschland.

Aus den Gedichten jener Zeit sind zu erwähnen: „Barbarossa“, „Amphitrite“, das „Wetterleuchten der Pfingstnacht“, die „Stimme vom Senegal“ und die „Auswanderer“, der „Mohrenfürst“ und der „Wüstenkönig“ und alle die wilden, sprühenden, stolzen Fremdlinge und Gedanken und Reime, die ihn 1833, besonders auf Chamisso’s und Schwab’s Anmahnungen, als berühmten Dichter aus dem Amsterdamer Banquierhause triumphirend zum freien Musen-Cultus zurückriefen. Wenigstens gab er eine zwischen 1833 und 1839 angenommene kaufmännische Stellung bald wieder auf und lebte nach dem ersten Erscheinen seiner damals sämmtlichen Gedichte unabhängig in Darmstadt. Hier und am Rhein fand sich auch Liebe ein, mit der sich nicht spaßen ließ, so gewaltig und tief ergriff ihn die Neigung zu einer blonden Tochter Weimars, die als Kind Goethe’s Liebling gewesen war, auf dessen Schooße sie gespielt, aus dessen Tasche sie Zuckerwerk genascht hatte. Oft, wenn sie mit den Schwestern unter seinem Fenster spielte, warf er Früchte und Näschereien herunter und immer mit dem Zurufe: „der Aeltesten,“ wofür er sie immer hielt, da sie die größte war. Diese Liebe brachte ihm 1841 am Rhein die Gattin, die ihn bei aller Zartheit und Weichheit des Weibes bisher stark und treu durch ein oft von Gefahren und niederdrückenden Schicksalen getrübtes Leben begleitete, ihm vier herrliche, liebe Kinder gebar und als liebende, reich gebildete Mutter erzog. Die ersten Monate ehelichen Lebensglücks wurden in St. Goar in einem unmittelbar vom Rheine aufsteigenden Hause, in der anmuthigsten Umgebung und mit den mannichfaltigsten berühmten und lieben Gästen genossen. Durch den Kanzler Müller und A. v. Humboldt fand sich auch die Pension für ihn ein, welche durch einen Todesfall vacant, nicht aber vom Könige von Preußen für ihn creirt worden war. Dem Könige gebührt dabei das Verdienst, die aus Verehrung für den Dichter von einem Alexander von Humboldt ausgegangene Befürwortung nicht zurückgewiesen zu haben. Dies verdient beiläufig mit beachtet zu werden, da weder die älteren classischen, noch die neuesten Dichter, noch Dichter überhaupt jemals von den Hohenzollern besondere Beweise der Anerkennung und Gunst erfuhren. Freiligrath macht davon um so weniger eine Ausnahme, als er die ihm zu Neujahr 1842 wie einen rothen Adlerorden vierter Classe zuerkannte kleine Pension, deren Verleihung ihn überraschte, mit Neujahr 1844 schon in den Händen des Königs zurückließ, sie aufgab und dafür seinerseits durch „eines Büchleins kecken Schuß in die Stickluft dieser Tage“ die Welt und die in’s Stocken gerathenen preußischen Illusionen überraschte.

Das ist „ein Glaubensbekenntniß, Zeitgedichte“ (1844). Der gewaltigste politische Dichter war hiermit von jener „höheren Warte“ auf die „Zinnen der Partei“, über die er sich einem Herwegh gegenüber gestellt hatte, herabgestiegen. „Und darin muß ich ihnen allerdings Recht geben,“ sagt er im Vorwort. „Fest und unerschütterlich trete ich auf die Seite derer, die mit Stirn und Brust der Reaction sich entgegenstemmen. Kein Leben mehr für mich ohne Freiheit! Wie die Loose dieses Büchleins und meine eigenen auch fallen mögen: – so lange der Druck währt, unter dem ich mein Vaterland seufzen sehe, wird mein Herz bluten und sich empören, sollen Mund und Arm nicht müde werden, zur Erringung besserer Tage nach Kräften das Ihrige mitzuwirken. Dazu helfe mir, nächst Gott, das Vertrauen meines Volks. Mein Gesicht ist der Zukunft zugewandt!“

Das Volk jauchzte, die preußische Regierung suchte ihn für den Kerker und zwar wegen „Freiheit! Recht!“ und „Am Baume der Menschheit!“

„Der Knospe Deutschland auch, Gott sei gepriesen!
Regt sich’s im Schooß! Dem Bersten scheint sie nah –
Frisch, wie sie Hermann aus den Weserwiesen,
Frisch, wie sie Luther auf der Wartburg sah.

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Ein alter Trieb! doch immer muthig keimend,

Doch immer lechzend nach der Sonne Strahl,
Doch immer Frühling, immer Freiheit träumend –
O wird die Knospe Blume nicht einmal?

Herr Gott im Himmel, welche Wunderblume

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Wird einst vor allen dieses Deutschland sein!“

Wegen dieser Hoffnungen suchte man ihn für den Kerker, dem er sich durch die Schweiz und später London entzog. Die Knospe barst wirklich. Statt des Dichters steckte man die große Blume hinein.

Nach einem kurzen Aufenthalte in der Schweiz fand er in der City von London einen Wirkungskreis für seine kaufmännische Thätigkeit, bis ihn der erste Dichter Amerika’s, Longfellow, Freunde von ihm und Deutsche überredeten, für eine vom Volke gesicherte Stellung in die neue Welt hinüberzukommen. Am Abende vor der Abreise kam aber ein Brief, der ihn zurückhielt, ein März 1848, der ihn nach Deutschland zurückrief. Die Blume war aufgebrochen. „Die Todten an die Lebenden“ waren ihm vorausgeeilt. Man setzte ihn zu Düsseldorf zwei Monate in Untersuchungshaft. Die ersten Geschwornen Preußens sprachen ihn frei (October 1848). Er betheiligte sich hierauf an der „Neuen Rheinischen Zeitung“ des Dr. [620] Karl Marx, des Meisters in Erregung und Verbreitung grimmigen Abscheues vor Demokratie, die er in wahnsinnigster communistischer Verirrung und in giftspritzendem Hasse gegen alle, auch demokratischen Nichtcommunisten giftig und geistreich zu vertreten suchte.

Wir können mit unserer heiligen Verehrung des Dichters keine Abgötterei verbinden. Deshalb muß es hier gesagt werden, daß Freiligrath unter dem Einflusse dieses unglückseligen Virtuosen des Hasses, der viel Geistreiches, aber nie einen edeln Gedanken geschrieben, seine Stimme, seine Freiheit, seine Charakterstärke verlor. Seitdem ihn Karl Marx angehaucht, sang Freiligrath nicht oft mehr.

Da wir auf die anderweitigen literarischen Producte des Dichters nicht zurückkommen, seien sie hiermit eben kurz erwähnt. Der ersten Ausgabe der Gedichte folgte eine Nachlese: „Zwischen den Garben“. Er betheiligte sich an dem „Rolands-Album“ (Köln, 1840), am „Rheinischen Odeon“ und dem „Rheinischen Jahrbuch“. Das „romantische Westphalen“ war hauptsächlich sein Werk, ebenso „Blätter der Erinnerung an Karl Immermann“ (1842) mit vortrefflichen Commentaren Kinkel’s und Schücking’s zum „Merlin“. Dem Glaubensbekenntnisse folgten die „Sechs Gedichte Ça ira“ und „Neuere politische und sociale Gedichte“ (1850). Später bekundete er sich als unübertrefflichen Meister in lebendiger Uebertragung der besten Dichtungen aus dem Englischen und Französischen, wie dem Schottischen des Burns. Dadurch ist die in New-York bei Fr. Gerhard erschienene Gesammtausgabe seiner Werke zu sechs starken Bänden angewachsen. In London rief nur ein Tod (Johanna Kinkel’s) und eine Geburt (Schiller’s) seinen schaffenden Dichter-Genius wach. Das von Deutschen in Amerika von ihm erbetene Gedicht zur Feier des hundertsten Geburtstages Schiller’s wird von allen deutschen Gemeinden und Vereinen der freien Staaten Amerikas nach Einer Melodie, an Einem Tage und zu derselben Stunde gesungen werden. So reichen sich deutsche Dichter aus verschiedenen Jahrhunderten die Hände, um den neuen, idealen, kosmopolitischen Boden des deutschen Vaterlandes und dessen Einheit zunächst im Gesange, in der unsterblichen, über die Erde leuchtenden deutschen Poesie (die also vergebens auf heimathlicher Scholle mit Kerker verfolgt und „unschädlich“ gemacht wurde) zu verwirklichen.

Er fand nach seiner Flucht vor den Verfolgern der „Neuen Rheinischen Zeitung“ in London bald erträgliche kaufmännische Beschäftigung und kann als Sachwalter der Schweizer Bank, was äußere Lebensstellung betrifft, verhältnißmäßig glücklich gepriesen werden. In dem nobeln Bureau derselben, in der Mitte der königlichen Börsengebäude, der respectabelsten und schönsten Geschäftsgegend der City, ist er Meister und oberster Leiter mit einem geräumigen Privatzimmer. Nach Geschäftszeit lächeln und jauchzen ihm im fernen, stillen Nordosten Londons die liebende Gattin und fröhliche, liebe Kinder entgegen. Grüne Bäume rauschen vor dem Fenster, und aus dem langen, geräumigen Garten duftet der Frühling Blumen und schüttelt der Herbst Früchte. Freunde und Verehrer, die gar fleißig zuströmen, finden immer herzliche, gastliche Aufnahme, biedern Händedruck, ein treues, offenes Auge und den herzlichsten, unbefangensten Ton in seiner kräftigen, sonoren Baßstimme. In der unbefangensten, treuherzigsten Weise unterstützt ihn in Erhaltung dieser wohlthuenden heimischen Atmosphäre die Frau. Der bausbäckige Kleinste spielt den liebenswürdigen Schalck und zieht gelegentlich plötzlich eine Rauchwolke aus der Havannah des Vaters. Bruder und Schwester in der Mitte lesen und studiren still. Ersterer ist auch stolz auf seine kleine Menagerie im Garten und auf seine Photographien. Die älteste Tochter, das sinnigste, süßeste Mädchengesicht, das ich je gesehen, gleitet wie ein verkörperter Sonnenstrahl durch das Haus und liest schon Homer in der Ursprache. Ich und mein Haus rechnen den Frühlingsabend, als sie mit dem Vater zu uns kam und aus einem grünen Körbchen mit Moos ein junges Kätzlein aus der Menagerie des Bruders für Adelheid Kinkel springen und spielen ließ, für einen der schönsten unserer Erlebnisse in London.

Wir schließen mit diesen heitern Andeutungen aus dem gücklichen Familienkreise des Dichters und scheiden im Zweifel, ob sein Herz noch blutet über Deutschland, oder ob ihn die Hoffnung verließ, daß die schöne Knospe und Blume neu und kräftiger aus dem alten Triebe hervorbreche.