Fleiß und Faulheit. Siebentes Blatt

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Fleiß und Faulheit. Sechstes Blatt W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Erste Abtheilung (1840) von Franz Kottenkamp
Fleiß und Faulheit. Siebentes Blatt
Fleiß und Faulheit. Achtes Blatt
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Fleiß und Faulheit.


Siebentes Blatt.



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FLEISS UND FAULHEIT.
INDUSTRY AND IDLENESS.
Leviticus Chap. XXVI. V. 36.
VII.

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Fleiss und Faulheit.
(Industrie and Idleness.)




Siebentes Blatt.
Der faule Lehrling nach seiner Rückkehr von der Flotte.
The idle ’Prentice returned vom sea.

Bei Tom Idle hat die königliche Flotte, oft genug die Pflanzschule für ungerathene Söhne, die Wirkung nicht geäußert, wie bei manchem jungen Mann von schlechten Gewohnheiten und mit Neigung zur Faulheit, welcher, halb gezwungen von Verwandten, auf ein Schiff abgeliefert wurde. Weder die immerwährende Thätigkeit, noch die strenge Disciplin am Bord des Schiffes hat seine schlimme Neigung überwunden. Er ist nach einer längeren Reise zurückgekehrt, mit dem Dienst am Mastbaum, sowohl wegen der regelmäßigen Arbeit, als auch wegen der oft empfundenen neunschwänzigen Katze und wegen des Tauendes unzufrieden, und hat sich, entlassen oder desertirt, den Verbrechern der Hauptstadt angeschlossen, und zwar derjenigen Gilde von Spitzbuben, deren Mitglieder [558] ihr Leben selten anders als mit dem Stricke beschließen. Zum Taschendieb und zum Schwindler fehlt ihm die Schlauheit und Gewandtheit. Er ist Highwayman, ein Räuber, welcher die Reisenden auf der Heerstraße brandschatzt, eine gegenwärtig in England seltenere, aber zu Hogarth’s Zeiten sehr gewöhnliche Person. Man sieht dies aus den Pistolen, welche am Boden liegen und stets das nothwendigste Attribut eines solchen Helden bilden.

Er lebt mit einem verworfenen Weibe, dem Gegensatz zu Goodchilds liebenswürdiger Gemahlin, und zwar in jenem Elend, welchem Räuber, trotz mancher glücklichen Unternehmung, auf die Dauer stets ausgesetzt sind. Die Bettstelle ist nur zum Behelf zusammengefügt; an den Wänden einer Dachstube von derjenigen Art, wie man sie nur in den Pöbelquartieren London’s findet, ist kaum eine einzige unbeschädigte Stelle zu entdecken; der Reifrock, jene abgeschmackte Mode aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, ist wahrscheinlich dort hingehängt, um den Zugwind, welchen ein Riß in der Mauer bewirkt, vom Haupte des Paares abzuhalten; ein anderes Loch dicht darneben dient als Fenster; auf einem Teller am Bett befinden sich die Reste eines elenden Nachtessens, welche sicherlich auch als Frühstück dienen sollen, woran jedoch die fliehende Ratte wahrscheinlich Theil genommen hat. Alle Geräthe, ein Bierkrug, der wahrscheinlich noch zu anderm Zwecke dient, eine Branntweinflasche, ein Glas, ein Napf auf dem Kaminsims ist in solchem Zustande, daß es selbst in den niedrigsten Pöbelkneipen für unbrauchbar erklärt werden müßte; auf dem Kaminsims steht ferner eine Obertasse, wovon die untere fehlt; dicht darneben zwei Medicingläser, welche die Andeutung geben, das ruhende Paar sei an den Folgen des Lasters erkrankt.

Es ist Morgen; nach dem einbrechenden Lichte zu schließen, steht die Sonne schon hoch am Himmel. In der vergangenen Nacht hat Tom Idle einen Raub, vielleicht sogar einen Mord ausgeführt. Die geraubten Gegenstände, Uhren, Ohrringe, Flacons und zwei Ringe liegen über den Beinkleidern auf dem Bette. Der Gerechtigkeit verfallen, schwebt er in beständiger Furcht vor dem Galgen; er hat deßhalb die durch ein Schloß und durch zwei Riegel verschlossene Thür ohnedem [559] mit zwei aus dem Fußboden gerissenen Balken verrammelt und seine Furcht durch Branntwein zu betäuben gesucht, denn neben dem Lager steht eine Flasche und ein Branntweinglas. Voll Schrecken erwacht er plötzlich aus dem Schlafe. Eine Katze springt nämlich durch den Kamin in das Zimmer, wobei sich zwei Ziegel von dem verfallenen Kamine gelöst haben. Das dadurch bewirkte Gepolter hat Tom Idle erweckt. Er glaubt offenbar, sein letzter Ausweg zum Entkommen, die Flucht durch den Kamin auf das Dach, im Fall er entdeckt würde, sei ihm von seinen Verfolgern abgeschnitten. Daher der grausenhafte Schrecken, und das Motiv des Künstlers: 3. Buch Mosis, Cap. 26, V. 36: „Das Rauschen eines Blattes soll sie verjagen.“ Gewissensangst, wie mehre Ausleger glauben, scheint sein Ausdruck nicht anzudeuten, denn man muß ihn bereits für abgestumpft und gegen Verbrechen verhärtet halten. Seine Geliebte bietet dagegen einen vollkommenen Contrast; sie bleibt durchaus ruhig, betrachtet mit innerem Wohlgefallen den Schmuck, welchen Tom für sie geraubt hat. Ihre Eitelkeit ergibt sich ebenfalls aus dem über ihrem Kopfe hängenden Reifrock, denn ein solches, damals fashionables Kleidungsstück wurde von Frauenspersonen niedern Standes jener Zeiten nicht getragen, wenn diese sich nämlich durch Putz über ihres Gleichen nicht erheben wollten. Ueber Tom’s Schicksal scheint sie vollkommen gleichgültig; obgleich ihr Geliebter in Gefahr schwebt, läßt sie sich durch das Geräusch nicht stören, welches wenigstens die Nähe derselben andeuten könnte. Man ahnet somit das Schicksal, welches unserm Tom von ihrer Seite bevorsteht, nämlich Verrath aus Gewinnsucht.