Fleiß und Faulheit. Zwölftes Blatt

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Fleiß und Faulheit. Elftes Blatt W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Erste Abtheilung (1840) von Franz Kottenkamp
Fleiß und Faulheit. Zwölftes Blatt
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Fleiß und Faulheit.


Zwölftes Blatt.



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FLEISS UND FAULHEIT.
INDUSTRY AND IDLENESS
Proverbs Ch. III. V. 16.
XII.

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Fleiss und Faulheit.
(Industry and Idleness.)




Zwölftes Blatt.
Der fleißige Lehrling wird Lord-Mayor von London.
The industrious ’Prentice Lord-Mayor of London.


Nachdem Idle zur Ruhe gebracht ist, erhält Goodchild die höchste Würde, welche die City übertragen kann: er wird Lord-Mayor und hält seinen Umzug, der sich auf vorliegendem Blatte östlich von St. Paul’s Cathedrale gerade nach Cheapside hineinwendet.

Hier ist Hogarth der Gewohnheit seiner Landsleute gefolgt, über den Umzug am Lord-Mayor’s-day zu spotten, obgleich alle Welt so eifrig dabei zuzuschauen pflegt, daß einzelne Fenster in Straßen, durch welche der Zug kommt, bei Vermiethung von Wohnungen für diesen einzigen Tag (im Nov.) besonders zurückbehalten werden. Uebrigens zeigt dieser Umzug natürlich manches Lächerliche, wie jede Festlichkeit der Art, wo alterthümliches Costüm verschiedener Zeiten und alte Sitte mit moderner Kleidung und mit modernen Formen zusammentrifft, eine Gelegenheit, die sich überall in England nicht selten darbietet.

[590] Mylord selbst ist zwar von der dem Zuschauer zugewendeten Seite seiner alterthümlichen Carosse mit drei Abtheilungen, sechs Pferden und vier gepuderten Lakaien hinten auf, für den Augenblick nicht recht sichtbar; allein dafür gibt der Schwertträger (sword bearer) mit einer Kopfbedeckung, die einem umgekehrten Suppenlöffel gleicht, einen genügenden Begriff von seiner Erhabenheit. Hinter ihm folgen (etwas im Hintergrunde) das Banner von London, der geharnischte Kämpfer der Stadt (Champion of the city), die Gilden mit fliegenden Fahnen u. s. w. Auch sind Fahnen als Verzierungen angebracht; die am vordern Gerüst ist die der Nadler, eine Gilde, welche freilich jetzt keinen einzigen Nadler mehr enthalten wird, aber noch immer genug Mitglieder erhält, weil jeder Bürger der City, er mag von hohem oder niederem Stande sein, in eine Handwerks- oder Handels-Gilde sich aufnehmen lassen muß.

Seine Herrlichkeit wird von dem Volke jeden Standes mit dem geziemenden „Hurra!“ empfangen. Der Wagen ist in diesem Augenblicke von der Metzgerzunft umringt, die den Lärm durch das wohlklingende Zusammenschlagen ihrer Insignien, des Beils und Markknochens, noch vermehrt. Ein Blinder, im Gedränge am Gerüste, stimmt auch in das allgemeine Halloh mit ein. Ueberall sind Zuschauer, sogar auf den Dächern. Das Paar unter dem Thronhimmel, auf dem mit Tapeten behängten Balkon des Hotels The King’s Head (Königshaupt), ist der Vater Georg’s III., Friedrich Prinz von Wales mit seiner Gemahlin, zur Zeit, wo dies Blatt herausgegeben wurde, der vermuthliche Thronerbe. Also auch ein Mitglied der königlichen Familie beweist Goodchild seine Hochachtung, indem es bei seiner Erhebung zuschaut.

Natürlich fehlt es bei dieser Gelegenheit nicht an Unfug. Ganz vorn sind zwei kleine Mädchen mit einem Gerüste, welches aus einem Brett, einem Faß und einem Schemel bestand, zu Boden gestürzt. Der daneben stehende und sich darüber freuende Knabe ist wahrscheinlich die Ursache dieses Falles. Auf dem Gerüste rechts will ein Mann ein Mädchen küssen, und erhält dafür einen Faustschlag auf’s Auge, so daß ihm der Hut vom Kopfe fliegt. Ein Dritter, daneben stehender, will dies liebende Paar noch näher zusammenbringen. Unter dem Gerüst [591] stehen oder wanken vielmehr zwei Soldaten von der City-Miliz, und zwar so schwer betrunken, daß sie ihre Kameraden an der entgegengesetzten Seite schwerlich erreichen werden.

Diese Kameraden hat der Künstler mit größter Vorliebe auf diesem Blatte behandelt, denn er hat in dem Corps der City-Miliz Fette, Magere, Lahme und Krüppel vereinigt. Besonders bildet der Zwerg eine komische Figur. Ein Anderer schießt seine Flinte ab, und fürchtet sich dabei so sehr vor dem Knall, daß er das Gesicht abwendet. Außer ihm und einem kleinen Kinde, das auf der Gallerie daneben sich an seine Mutter klammert, sind beide wohl die einzigen Personen, die darüber erschrecken. Ob Hogarth Recht hatte, die City-Miliz zu seiner Zeit auf diese Weise lächerlich zu machen, bleibt dahingestellt; sie war wenigstens seit den Bürgerkriegen des Parlaments, wo sie zuerst die königlichen Truppen schlug, nicht mehr im Feuer gewesen; gegenwärtig möchte sie aber wohl nicht mehr in schlechtem Rufe stehen. Wenigstens die Soldaten eines Regimentes, welches ausschließlich aus der City- und Midlesex-Miliz gebildet wurde, waren zwar in Spanien als Trunkenbolde und Marodeurs in der englischen Armee allgemein verschrieen, (ein Umstand der sicherlich viel sagen will) aber auch wegen ihrer Bravur berühmt. Dies Regiment verlor z. B. in der Schlacht von Albuera drei Viertel seiner Leute, und erhielt seitdem den Beinamen: Die-hards (die tapfer Sterbenden).

Neben dieser komischen Gruppe findet sich noch eine Erinnerung an Tom Idle. Ein öffentlicher Redner, und zwar ein Zwerg, bietet zum Verkauf aus: „den vollständigen und wahren Bericht vom Geiste Tom Idle’s, welcher Seiner Herrlichkeit dem Lord-Mayor erschienen ist.“

Goodchild’s Laufbahn ist aber noch lange nicht geschlossen; vielleicht wird er Parlamentsglied, denn der Künstler fügt als Motto hinzu Sprüchw. Sal. 3, 16.: „Langes Leben ist zu ihrer rechten Hand, und Reichthum und Ehre zu ihrer linken.“