Fleiß und Faulheit. Elftes Blatt

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Fleiß und Faulheit. Zehntes Blatt W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Erste Abtheilung (1840) von Franz Kottenkamp
Fleiß und Faulheit. Elftes Blatt
Fleiß und Faulheit. Zwölftes Blatt
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Fleiß und Faulheit.


Elftes Blatt.



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FLEISS UND FAULHEIT.
INDUSTRY AND IDLENESS
Proverbs Ch. I. V. 27. 28.
XI.

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Fleiss und Faulheit.
(Industry and Idleness.)




Elftes Blatt.
Der faule Lehrling wird in Tyburn hingerichtet.
The idle ’Prentice executed at Tyburn.


Tom Idle schließt endlich, von der Jury für schuldig befunden, seine Laufbahn in Tyburn, einem kleinen Dörfchen nördlich von Hydepark, wo sich bis auf die neuesten Zeiten das Hochgericht der Grafschaft Midlesex befand[1]. Er wird in der damals gewöhnlichen Procession von der mit Spießen bewaffneten Sheriff’s-Garde auf dem Sünderkarren, mit dem Sarge hinter sich, zum Galgen geleitet, wo ihn Jack Ketch, behaglich seine Pfeife rauchend, erwartet. Idle’s Züge wie [578] dessen Haltung deuten in der Art die Todesfurcht an, daß er schon halb bewußtlos zu seyn scheint, und nur mechanisch die von einem ihn begleitenden methodistischen Prediger vorgelesenen Gebete nachspricht. Daß letzterer ein methodistischer und im Lande herumwandernder Prediger ist (an itinerant minister), erkennt man sowohl am Haarschnitt, wie an einem Buche von Wesley, des Gründers jener populären Sekte, das er in der Hand hält. Er ist der Einzige, welcher dem Verbrecher Trost gibt, denn der Gefängniß-Prediger von Newgate aus der aristokratischen Hochkirche hält es wahrscheinlich unter seiner Würde, mit einem armen Sünder zu sprechen, und wird wohl nur, um der Form zu genügen, einige Worte auf dem Schaffot an ihn richten. Er scheint ein Geistesverwandter jenes Predigers von Newgate zu seyn, welchen Fielding im Jonathan Wild, während der hier dargestellten Procession, einschlafen läßt. Höchstens zeigt er hier einen vornehmen Verdruß über den Pöbel, der, um das Experiment des Hängens besser sehen zu können, die der Kirche gehörige Kutsche benutzt und auf den Deckel hinaufklettern will, ein Verfahren, welches der Kutscher mit Schlägen seiner Peitsche zu verhindern sucht.

Außer diesen bei der Haupthandlung unmittelbar betheiligten Personen bietet die zum Anschauen der Hinrichtung zu einem Feste versammelte Volksmenge, so weit sie im Vordergrunde sichtbar ist, genug humoristisch dargestellte Gruppen dar. Ein Karren unter dem Gerüste scheint hauptsächlich für das schöne Geschlecht bestimmt. Hier wird nicht wenig Branntwein verbraucht; die vordere Dame schlürft ihr Glas mit frommem Anstand, wahrscheinlich mit einer Bemerkung über Idle’s Ruchlosigkeit. Einer zweiten wird ein Glas hinaufgereicht, und eine dritte scheint ebenfalls Branntwein sehr eifrig zu verlangen, indem sie die Hand auf die Schulter ihrer Nachbarin legt; eine vierte wird in den Karren von einem Manne und zwar nicht auf sehr anständige Weise gehoben. Neben demselben befindet sich ein anderer Karren, worauf Idle’s weinende Mutter. In den Gesichtszügen des Knaben, der sie zu trösten sucht, wollen einige Ausleger Aehnlichkeit mit Tom Idle bemerken, so daß derselbe demnach ein Sohn des Letzteren wäre. In [579] diesem Falle möchte er vielleicht seine Großmutter mit der Versicherung trösten, daß er ein besseres Leben, wie sein Vater, führen wolle. Auf dem Karren stehen noch zwei gleichgültige Männer, vielleicht Verwandte Tom’s, denn jener wird vielleicht dazu bestimmt sein, diesem den letzten Dienst zu erweisen, nämlich seine Leiche vom Galgen abzuholen. Unter dem Karren befindet sich ein damals in London bekannter Kuchenverkäufer, welcher seine Waare, mit einem Federhute geschmückt, in einer Ballade singend feilzubieten pflegte, und deßhalb, nach dem in Volksliedern häufigen Refrain Dollderoll (ein Refrain ohne Bedeutung), den Namen Tiddy Doll erhielt. Ein Straßenjunge hinter ihm benutzt seine poetische Begeisterung, leert ihm die Taschen, und wird den Inhalt sogleich einem bereits darauf wartenden Gefährten übergeben, damit dieser denselben desto schneller verberge. Seitwärts von dem ersten Karren herrscht ein solches Gedränge bei einer Schlägerei, daß ein schon ziemlich ausgewachsener Junge über den Schiebkarren einer Orangen-Verkäuferin stürzt, und denselben mit umreißt. Dafür wird er von der energischen Eigenthümerin im Gesichte gehörig gezeichnet. Ueberhaupt bietet dieses Blatt so wie Beispiele weiblicher Zärtlichkeit für den Branntwein, ebenso Beweise weiblicher Tapferkeit, denn etwas weiter rechts hat eine Amazone einen erwachsenen Mann zu Boden geworfen, und bearbeitet dessen Gesicht mit derben Faustschlägen, eine Scene, wovon eine Branntweinverkäuferin im höchsten Wohlgefallen die Zuschauerin bildet. Die Ursache des Streites ist wahrscheinlich das Kind der Amazone, welches der Mann umgestoßen hat; die Hitze des Gefechtes hat jedoch dessen Dasein aus ihrem Gedächtnisse verwischt, und es ist in Gefahr, erdrückt zu werden. Vor dieser Gruppe verkauft ein Weib Idle’s letzte Rede auf dem Galgen (last dying speech), die am vorhergehenden Tage bereits gedruckt ist. Ein dicht daneben stehender Mann hat einen Hund am Schwanze ergriffen, und will denselben aus orthodoxem Eifer dem methodistischen Prediger an den Kopf schleudern. So sagt wenigstens Ireland. Vielleicht aber zielt der Wurf allein auf das Gesicht der Rednerin, denn der Kerl ist ihr bei weitem mehr zugewendet, wie dem Karren, und ohnedem sucht sie die der Gefahr ausgesetzte Seite des Gesichts mit dem Arme zu [580] schützen. Etwas weiter rechts richtet ein Fleischer, an dem hinten herabhängenden Schlachtmesser kennbar, seinen Blick bereits erwartungsvoll zum Galgen, und trägt seine Perücke am Stock. Ireland, welcher, von Hogarth’s Zeit nicht sehr weit entfernt, häufig Ueberlieferungen von diesem Künstler mittheilt, erklärt die Perücke als die eines Juristen, welcher Stand bekanntlich dies Abzeichen ihrer Würde trägt, und das Ganze als eine Andeutung auf die blutige Beschaffenheit der englischen Gesetze. Hat Hogarth diese Absicht gehabt, so war die Anspielung zu seiner Zeit nicht am unrechten Orte, wo sogar kleinere Vergehen hinsichtlich des Eigenthums mit dem Strange bestraft wurden. Allein gegenwärtig wäre dieselbe, seit der durch Robert Peel begonnenen Gesetz-Reform, nicht mehr am richtigen Platze, da sogar die Todesstrafe bei Testaments-Verfälschungen abgeschafft ist, und nur noch bei Mord, Nothzucht, Brandstiftung und Hochverrath stattfindet, und selbst in letzterem Falle nur noch selten angewendet werden möchte. – Hinter dem Schlächter ist ein Soldat in eine Pfütze bis an die Knie gewatet, in der Absicht, eine mit dem Rücken ihm zugekehrte Frauensperson auf nicht anständige Weise zu begrüßen. Zwei hoffnungsvolle Straßenjungen am Rande des Blattes finden dieß Verfahren höchst interessant und witzig, und scheinen überhaupt zu mancherlei Unfug Anlagen zu besitzen.

Was endlich die Taube betrifft, welche an der Gallerie hinter dem Galgen losgelassen wird, so sagt Trusler, es sei eine Brieftaube aus Newgate, welche nach alter Sitte dorthin zurückgesandt werde, um dem Wächter des Gefängnisses die Nachricht von der Hinrichtung des Verbrechers oder von dessen Ankunft am Schaffott zu überbringen. Mit der Veränderung des Platzes der Hinrichtung hat dieser Gebrauch natürlich aufgehört.

An den Seiten hat Hogarth bei der ersten Herausgabe diese Platte mit Todtengerippen eingefaßt, und als Motto Sprüchw. Sal. 1, 27. 28. hinzugefügt: „Wenn über Euch kommt, wie ein Sturm, das Ihr fürchtet, und Euer Unfall als ein Wetter, wenn über Euch Angst und Noth kommt: dann werden sie mir rufen, aber ich werde nicht antworten; sie werden mich frühe suchen, aber nicht finden.“





  1. Gegenwärtig ist der perpetuirliche Galgen in Tyburn schon länger als dreißig Jahre nicht mehr vorhanden. Die Verbrecher werden vor dem Gefängniß von Newgate hingerichtet, wo die Nacht vor der Hinrichtung der Galgen aufgeschlagen wird. Die Erinnerung an das ehemalige Verfahren, welches übrigens den Kennern der englischen Literatur genug bekannt seyn wird, ist gegenwärtig nur noch in dem sogenannten Tyburn ticket aufbewahrt, einem Schein, wodurch diejenigen, welche einen Verbrecher vor Gericht verfolgen, von mehreren bürgerlichen Pflichten, z. B. von der Jury, entbunden werden.