Fleiß und Faulheit. Zehntes Blatt
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Zum ersten Mal nach längerer Zeit treffen sich wieder die beiden früheren Lehrlinge. Nach dem ersten Blatt konnte sie der Künstler nicht wieder zusammenführen, denn ihre Laufbahn, worin sie sich ihre besonderen Stellungen im Leben erwarben, lag weit auseinander. Letztere sind jetzt gesichert; der eine ist durch Rang und Reichthum geehrt, der andre im Begriff, aus der Gesellschaft gestoßen zu werden. Goodchild ist nach der Shrievalty (Sheriff’s-Würde) zum Alderman gewählt, am Scharlachmantel so wie an der goldenen Kette kennbar, und repräsentirt den Lord-Mayor im Polizeigericht von S. Albans in Woodstreet, wie man aus den Feuereimern an der Gallerie sieht, die mit S. A. bezeichnet sind; Tom Idle dagegen wird mit gebundenen Händen als Mörder vor sein Gericht gebracht, um von dort auf Befehl des
[578] ehemaligen Freundes nach Newgate-Gefängniß transportirt zu werden, worauf zuerst die Assisen mit dem präsidirenden Lord-Oberrichter und dem Jack Ketch (Collektiv-Name des Henkers) das Uebrige zu seiner weiteren Beförderung beitragen müssen.
Tom Idle ist in einer furchtbaren Aufregung, als er seinen ehemaligen Genossen wieder erkennt. Seine Knie wanken, mit gefalteten Händen fleht er um Gnade. Er würde stürzen, wenn er nicht auf der Barre lehnte. Todesfurcht, vielleicht auch Vorwürfe des Gewissens, im Augenblick, wo er sein unabwendbares Schicksal und die jetzige Stellung des ehemaligen Gefährten zum ersten Mal vor Augen sieht, gewiß aber auch der Schmerz über den Verrath seiner Geliebten und seines Genossen im Verbrechen haben bei ihm die Stimmung bewirkt, welche sicherlich auf Mitleid Anspruch macht. Sein Freund hat nämlich die englischen Gesetze benutzt und seinen Hals aus der Schlinge gezogen. Er ist als Königszeuge aufgetreten und auf seinen Eid hin über Idle’s Mord wird derselbe vorerst nach Newgate geschickt, um später von den Assisen als „Schuldig“ erkannt zu werden. Goodchild ist über das Schicksal seines Jugend-Gefährten gerührt, denn er bedeckt die Augen mit der einen Hand; die abwehrende Bewegung mit der andern, sowie der Ausdruck der Entschlossenheit der Mundwinkel geben jedoch genügende Andeutung, daß er seine Pflicht aus Schwäche nicht vergessen wird. In beiden Figuren hat Hogarth offenbar seine Meisterschaft in dramatischer Zeichnung erwiesen, und der auch als Kunstkenner ausgezeichnete Lord Orford (Horace Walpole) hebt sie deßhalb auch mit Recht in den Anecdotes of painting als bewunderungswerth hervor. – Uebrigens bezieht sich auch das doppelte Motto des Künstlers auf jenen Contrast: 3. Buch Mosis 9, 15. „Ihr sollt nicht Unrecht Thun im Gericht“, und Psalm 9, 16: „die Heiden (in der englischen Uebersetzung die Gottlosen, the wicked) sind versunken in die Grube, die sie sich zugerichtet haben.
Außer dem Alderman Goodchild erweist nur noch eine Figur Theilnahme für den Verbrecher, denn alle übrigen Anwesenden offenbaren allein Gleichgültigkeit oder Neugier. Es ist Idle’s Mutter, die er [579] auf dem fünften Blatt so grausam verhöhnte, daß zwei rauhe und ehrliche Matrosen (honest tars) darüber ärgerlich, ihm mit dem Galgen und mit der neunschwänzigen Katze drohten. Sie wendet sich weinend an den wohlgenährten Gerichtsdiener, der im Selbstgefühl seiner Amtspflicht seine ganze Wichtigkeit begreift; sie bittet ihn wahrscheinlich, er möge sich mit seinem Einfluß für ihren Sohn verwenden, allein er gibt offenbar zur Antwort: Wir besitzen Staatsämter und vollführen ohne persönliche Rücksicht die Gesetze. Zwei andere Beamte des Gerichtshofes haben ebenfalls ihren Antheil an der Handlung; der eine, neben dem Alderman, vielleicht ein Recorder[1], ist, wie die Engländer sagen, ein „wahres Pergament-Gesicht“ (a true vellum face), und in diesem Augenblick damit beschäftigt, den Mittimus oder den Befehl, wodurch Idle nach Newgate abgesandt wird, in gehöriger Form zu entwerfen, wobei er wahrscheinlich einen Blick auf das Formular wirft, damit der Advokat des Verbrechers, durch Auffindung eines Formfehlers, das Verfahren bei den Assisen nicht umstoßen oder erschweren kann. Der zweite Gerichtsbeamte, der an der Handlung Antheil hat, ist der Schreiber (Clerk), welcher dem Königszeugen den Eid abnimmt. Mit der einen Hand hält er das Evangelienbuch, worauf nach englischer Form der Eid abgelegt wird, die andere hat er sich dadurch frei gemacht, daß er die Feder hinter’s Ohr steckte. Dabei hat er seinen bestimmten Zweck, denn die am Rücken ruhende Hand nimmt von einem Weibe eine Guinea als Bestechung an, während der Königszeuge die linke Hand anstatt der rechten, wie es die Formel erfordert, auf das Evangelienbuch legt. Dieser Punkt hat den Auslegern einige Mühe gemacht. Ireland bemerkt, was die Auflegung der linken Hand betrifft, so hielten diejenigen, welche falsche Eide, erkauft, oder aus anderem Grunde, vor Gericht leisteten, [580] jene Abweichung von der Formel häufig für eine vollkommene Sicherung hinsichtlich ihres Gewissens, durch Umgehung. Diesen Umstand hat Hogarth offenbar im Auge gehabt. Allein wie steht derselbe mit der Handlung im Zusammenhang, weßhalb läßt sich der Schreiber bestechen, und welcher Art ist jenes Frauenzimmer? Einige Erklärer meinen, der Königszeuge habe aus falschen Eiden öfter ein Gewerbe gemacht, er sey ein dealer in perjury, gewissermaßen ein Kaufmann mit Meineiden gewesen, und habe dabei die Gewohnheit angenommen, die linke Hand auf das Evangelium zu legen. Hier thue er dieß, ohne etwas dabei zu denken; das Frauenzimmer habe mit dem Proceß nichts zu schaffen und besteche den Schreiber zu einem andern Zwecke. Diese Annahme scheint jedoch nicht richtig, denn sie würde die Einheit der Handlung aufheben, ein Umstand, der sich bei Hogarth nicht leicht erwarten läßt. Wir möchten die Sache auf folgende Weise erklären: der Königszeuge schwört einen Meineid, indem er Tom’s Mitschuldige, mit Ausnahme seiner selbst, verheimlicht, und diesen als den einzigen Verbrecher angibt. Tom’s Geständnisse werden sich natürlich nicht auf ihn selbst beschränken, aber ohne Eingeständniß des Königszeugen ohne Folgen seyn. Die Geliebte eines seiner Mitschuldigen besticht deßhalb den Schreiber, damit er das Manöver nicht sieht, wodurch sich der Zeuge sein Gewissen retten will.
Im Hintergrunde befinden sich, nebst den Gerichtsdienern, drei Neugierige, von denen sich Einer Tom Idle von einem Gerichtsdiener zeigen läßt. Ein anderer Gerichtsdiener, dicht hinter Idle, hält die bei demselben gefundenen Attribute eines Highwayman, die Pistolen und den Degen, gewissermaßen als Zuthat zu der Aussage des Königs-Zeugen in die Höhe.
- ↑ Bei den Gerichten der Städte, worin eine Magistratsperson präsidirt und das Urtheil spricht, befindet sich neben derselben zugleich ein Rechtsgelehrter von Profession, gewöhnlich ein Advokat, welcher in der Regel als Hauptperson die Geschäfte leitet und den Titel Recorder führt.