Fleiß und Faulheit. Neuntes Blatt

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fleiß und Faulheit. Achtes Blatt W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Erste Abtheilung (1840) von Franz Kottenkamp
Fleiß und Faulheit. Neuntes Blatt
Fleiß und Faulheit. Zehntes Blatt
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


[Ξ]
Fleiß und Faulheit.


Neuntes Blatt.



[Ξ]

FLEISS UND FAULHEIT.
INDUSTRY AND IDLENESS.
Proverbs Chap. VI. V. 26.
IX.

[Ξ]
Fleiss und Faulheit.
(Industry and Idleness.)




Neuntes Blatt.
Der faule Lehrling wird verrathen, und in einem Wirthskeller mit seinem Mitschuldigen verhaftet.
The idle ’Prentice betrayed, and taken in a Night-cellar with his accomplice.


Tom’s Laufbahn nähert sich ihrem Ende. Sein Schicksal ist das gewöhnliche des Lasters und des Verbrechens; Freundschaft und Liebe bleiben ihm fremd; er wird von seinen Genossen und seiner Geliebten verrathen. Letztere überliefert ihn vorerst der Polizei, und zwar um sehr geringen Lohn, denn der Chief Constabler, welcher mit seinen Diebsfängern, von den Verbrechern unbemerkt, hereintritt, drückt derselben nur eine Guinea in die Hand. Daher das Motto des Künstlers: Sprüchw. Sal. 6, 26.: „Eine Ehebrecherin fängt das kostbare Leben.“

Die Scene der dargestellten Handlung ist, wie die englischen Ausleger sagen, der Keller eines Hauses in Smithfield, welches zur Zeit, als Hogarth diese Blätter componirte (1747), unter dem Namen: [572] Haus zur Blutschale (blood-bowl-[1]house) bekannt war. Der Name deutet zur Genüge die Beschaffenheit an. Selten verging damals eine Woche, wo nicht irgend eine scheußliche That dort vollbracht wurde, und blutige Schlägereien fanden täglich statt. Besonders war eine Kneipe im Keller als ein Aufenthaltsort der verworfensten weiblichen und männlichen Gauner berüchtigt, wie man sieht, die Scene der hier dargestellten Handlung.

Auf dem dritten Blatt, welches, wie der Leser weiß, die Spielgenossen Tom Idle’s, dessen Gesellschaft und somit auch dessen tägliches Treiben als Lehrling andeutet, war ein Knabe mit dem Ausdruck der Schlauheit, durch ein Pflaster auf einem Auge kennbar. Hier erscheint derselbe auf’s Neue. Als Tom von der Flotte zurückkehrte, hat er also diesen ehemaligen Spielgenossen wieder aufgefunden, und ist wahrscheinlich durch ihn in die Spitzbubengilde aufgenommen worden. Mit diesem hat er so eben ein Verbrechen verübt, er theilt die Beute, während die Leiche des wahrscheinlich von Tom als Highwayman Ermordeten von einem Dritten in ein Loch mit einer Fallthüre, um sie für den Augenblick zu verbergen, versenkt wird. Der Ermordete, mit Wunden am Kopf und an der Brust, ist vielleicht in der Nähe des Hauses, durch Zufall verirrt, oder durch Schlauheit verlockt, getödtet worden. Zu Hogarth’s Zeiten war nämlich die Londoner Polizei noch nicht so wirksam, wie gegenwärtig, so daß die Highwaymen selbst auf den Straßen der Stadt ihr Handwerk trieben. Dergleichen Räubereien, oft verbunden mit Ermordung, fanden häufig des Nachts in den Straßen der Stadtviertel statt, wo der Pöbel wohnte. Einst ward sogar die Königin (Gemahlin Georg’s II.), als sie, um den Weg abzukürzen, durch ein Pöbelquartier fuhr, von einer Bande Highwaymen angehalten, und trotz ihrer zahlreichen Begleitung ausgeplündert.

Der Genosse Tom’s, welcher mit größter Behaglichkeit und im Bewußtsein der Ueberlegenheit über seinen Zögling dasitzt, scheint denselben [573] bei der Vertheilung zu betrügen; Tom ballt wenigstens die Faust, und hat eine Stellung eingenommen, worin er auf den Angriff nicht unvorbereitet seyn kann. Er scheint übrigens noch der Beste aus der ganzen im Wirthskeller versammelten Gesellschaft, im Vergleich zu den Anderen ein Gentleman, und somit auch wohl der einzige Highwayman der Bande, denn Letzterer steht in der Rangordnung der Diebe bei weitem über dem Gauner und Taschendieb. Sein Genosse wird nicht genug Muth besitzen, um beim Raube seine Person einzusetzen; er wird sich ferner im Fall der Entdeckung durch die Benutzung eines englischen Gesetzes als Königszeuge[2] (king’s evidence) zu retten wissen. Die Geliebte Tom’s, die ihn verräth, wechselt ferner mit dem Chèf Constabler solche Blicke, daß man zu dem Schlusse berechtigt ist, sie habe mit ihm bereits in vertrautem Verhältnisse gestanden, mit anderen Worten, sie habe ein Gewerbe getrieben, welches die Polizei überall braucht, welches aber in der öffentlichen Meinung noch tiefer steht, als wirkliche Verbrechen, nämlich die Espionage. Hinter Tom und seinem Gefährten kommt eine alte Kellnerin mit einem Porterkruge zum Vorschein, deren früheres Leben man aus der verlorenen Nase erkennt. Im Hintergrunde wird ein Gefecht mit Stühlen, Feuerschaufeln und Feuerpokers geliefert, welches den Namen des Hauses eben so rechtfertigt, wie die versenkte Leiche. Dergleichen Sachen sind hier so gewöhnlich, daß ein dicht daneben sitzender Gast ruhig schlummert, und ein Anderer seine Pfeife, ohne umzublicken, weiter raucht. Ueber Ersterem, oder vielmehr über Beiden, hängt der bedeutungsvolle kurze Strick (a halter), jener Halfter, welcher nach englischem Sprachgebrauch einen Euphemismus für den Galgen bildet. Ein Grenadier, welcher übrigens vielleicht nicht zur täglichen Gesellschaft [574] gehört, weil er ihr den Rücken zudreht, vertreibt sich mit künstlerischer Beschäftigung die Zeit; er zeichnet nämlich mit einer Kohle Zoten an die Wand. Das Gesicht desjenigen, welcher die Leiche in das Loch versenkt, wird zwar nur im unteren Theile sichtbar, allein dieser gibt genügende Andeutung. Der gleichgültige Zug am Munde gibt zu erkennen, er sei schon lange Zeit an ähnliche Handlanger-Dienste gewöhnt. Endlich sieht man rechts im Winkel des vordern Grundes drei Karten auf dem Boden liegen, wovon ein Aß an der einen Ecke beschädigt ist, offenbar durch häufiges Umknicken derselben, um die Karte auf der Rückseite zu erkennen. Also falsches Spiel ist in diesem Keller eben so gewöhnlich, wie die andern bereits erwähnten Tugenden.





  1. Wie man sieht, ist blood-bowl grammmatisch hier eben so gebildet, wie punch-bowl (Punsch-Schale).
  2. Derjenige Theilnehmer an geheimen Verbrechen, welcher gegen seine Mitschuldigen Zeugniß ablegt, erhält die königliche Gnade, daher der Name Königszeuge. Zwar wird hiedurch die Entdeckung erleichtert und die Gemeinschaft der Verbrecher höchst unsicher, allein gewöhnlich entziehen sich die Schlechteren so der Strafe.