Fortuny und seine „Spanische Hochzeit“

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Autor: C. B.
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Titel: Fortuny und seine „Spanische Hochzeit“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 808–809, 812–813
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[808–809]

Spanische Hochzeit.
Nach dem Oelgemälde von José Maria Fortuny.
Photogravure im Verlag von Goupil u. Comp. (Boussod, Valadon u. Comp.) Berlin und Paris.

[812]

Fortuny und seine „Spanische Hochzeit“.

(Mit Illustration Seite 808 und 809.)

Der Tag, an dem Fortuny’s „Spanische Hochzeit“ in Paris ausgestellt wurde, steht so lebhaft vor mir, als ob er soeben erst vergangen wäre. Und doch sind eine gute Anzahl Jahre seitdem verflossen. Es war ein Frühlingstag mit veränderlichem Wetter. Etwa um die Mittagszeit ging ich vom Quai des Grands Augustins, wo ich damals wohnte, über den Pont des Sts. Pères nach den Tuilerien zu. Ein paar Regentropfen fallen, als ich die Brücke betrete, und ich will umkehren; da kommen zwei mir bekannte Maler, von denen der eine Spanier ist, mir entgegen.

„Haben Sie den Fortuny bei Goupil schon gesehen, der seit heut Morgen aufgestellt ist?“ fragt der Erste.

„Nein.“

„So müssen Sie sogleich hingehen; geben Sie Acht, neben diesem Fortuny wird nicht viel bestehen können!“ ruft der Spanier mit Stolz, denn er ist zufällig aus derselben Provinz gebürtig wie Fortuny.

„Kommen Sie – wir kehren mit Ihnen noch einmal um,“ drängt der Erste.

Jetzt regnete es wirklich. Aber vergeblich wende ich ein, daß ich keinen Schirm habe. Der Spanier, der keinen Augenblick verlieren will, um mit seinem Landsmann vor mir zu prahlen, ruft die nächste Droschke an. In fünf Minuten sind wir bei Goupil. Wer das Lokal kennt, weiß, daß man eine Anzahl größerer Räume durchschreitet, ehe man zu einem kleineren Gemach mit Oberlicht kommt, in welchem werthvollere Bilder ausgestellt werden. In den Vorzimmern hing allerlei Buntes durch einander; kein Bild von besonderer Qualität und das wohl mit Absicht. Man sagte, Goupil wolle Fortuny mit der „Spanischen Hochzeit“ lanciren, und das Auge sollte darum durch Mittelmäßigkeiten darauf vorbereitet werden. Wir sahen aber weder rechts noch links, sondern drängten vorwärts. Der Spanier schlug die dunkle Portière vor dem letzten Gemach zurück, wo der Fortuny allein ausgestellt war, und da hatte ich das wunderbare Bild vor mir, wie ich es jetzt noch in meine Erinnerung zurückrufen kann. Kein modernes Bild hat mir einen lebhafteren Eindruck hinterlassen.

Von der Komposition, der guten Vertheilnng der Gruppen und der scharfen Charakteristik wird die beigefügte Abbildung unseren Lesern eine Vorstellung geben. Von der Leuchtkraft des Ganzen, vom Zauber des Kolorits kann bei einer Uebersetzung in Schwarz natürlich nicht die Rede sein.

Den nächsten Tag war es Theophile Gautier – die große Glocke der Kritik – der in einem Feuilleton des „Journal des Dèbats“ darauf hinwies, daß der Spanier Fortuny ein Malergenie ersten Ranges sei und daß sein Gemälde eine „Offenbarung“ in der Kunst bedeute. Es versteht sich, daß die kleineren und kleinsten Glocken der Kritik in das Geläute mit einstimmten. Das Publikum aber war herzlich froh, endlich einmal etwas Neues, das ihm sehr gefiel, schon weil es ganz apart und originell war, von Anfang an bewundern zu dürfen, ohne befürchten zu müssen, sich durch seine Anerkennung zu blamiren. Gautier hatte gesprochen – der Beifall war patentirt.

Mit einem Schlage wurde nun der bis dahin fast Unbekannte – er hieß mit seinem vollen Namen Mariano José Maria Fortuny, und war 1839 in Rëus, der Hauptstadt der spanischen Provinz Tarragona, geboren – zum berühmten Manne. Eine ganze Woche lang war er der Gegenstand aller Künstlergespräche. Wer sein Bild noch nicht gesehen, hatte überhaupt noch nichts gesehen; wer an seinem Werthe zweifelte, hatte kein Urtheil.

Ein Triumph wie dieser gehört selbst in Paris zu den Seltenheiten; trotzdem blieb er auf den Charakter des Künstlers ohne Einfluß, denn Fortuny – eine seltene Ausnahme – liebte die Kunst mehr als den Erfolg. Ich glaube nicht, daß mit seinem Willen je eines seiner Gemälde auf eine öffentliche Ausstellung geschickt wurde. Geräuschvolle Anerkennung – er war damals in Paris anwesend und sprach sich darüber aus – war ihm in der Seele zuwider. Fortuny hatte nur Sinn für seine Arbeit und malte oder skizzirte überall – bei Tag, am Abend; im Atelier, im Feld, auf dem Krankenlager. Es lief damals ein Gerücht, daß er keinen anständigen Hut besitze, um des Zwanges überhoben zu sein, in Gesellschaften mitgenommen zu werden.

Wie die meisten Maler, die Hervorragendes geleistet haben, war er von bescheidener Herkunft. Mit zehn Jahren Waise, hatte er seinen Großvater, der ein kleines Wachsfigurenkabinett besaß, auf den Wanderungen begleitet, bis ein Bildhauer, Talarn, zufällig sein Zeichentalent entdeckte. Der ebnete ihm die ersten Schritte; Fortuny’s Fleiß und Energie thaten das Uebrige. Der Weg war steinig und Armuth seine Begleiterin, aber Fortuny kam ans Ziel.

Vom Bekanntwerden seiner „Spanischen Hochzeit“ an flossen ihm Geld und Ehren von allen Seiten zu. Kein moderner Maler – Meissonier eingerechnet – hat solche Preise erzielt, besonders während der Zeit, wo in Paris das Fortuny-Fieber grassirte. Es brach nach des Malers Tode aus, der leider schon ein paar Jahre nach seinen Pariser Triumphen, am 21. Oktober 1874 in Rom erfolgte. Die „billigste“ seiner Atelierskizzen – ein paar Federstriche, die ihm Minuten gekostet – wurde im Hôtel Drouot bei der Versteigerung seines Nachlasses mit 900 Franken bezahlt. Danach ein definitives Urtheil über den Werth seiner Arbeiten auszusprechen wäre vermessen. Hohe Preise sind nur der Beweis, daß ein Künstler das Glück hatte, in die Mode zu kommen – weiter nichts. Freilich kann man zum Lobe der Fortuny’schen Bilder anführen, daß die feingebildetsten Kunstkenner bei ihrem Anblick einen ebenso hohen Genuß zu empfinden schienen, wie ihnen nur je ein altes Bild, dessen Werth durch hundertjährige Pergamente verbrieft ist, gewähren konnte. Aber Dichter wie Turgenieff oder Bret Harte, Maler wie Fortuny oder Makart hängen mit ihrer Zeit so unmittelbar zusammen, sie tragen ihre Vorzüge und Schwächen so scharf ausgeprägt, daß man befürchten muß, der Zauber, den sie auf uns ausüben, liege zum Theil in der Atmosphäre begründet, aus der sie hervorgingen. Kenner und Laien aber werden durch den Einfluß ihrer Zeit getäuscht, wie die Erfahrung lehrt. Eins jedoch ist nicht zu bestreiten – neben dem echten Künstlertemperament verrathen Fortuny’s Bilder in der korrekten Durchführung auch den gewissenhaften Menschen, der im Künstler steckte.

Doch zurück zu unserer „Hochzeit“! Fortuny hat das Bild nie so genannt; er taufte es „La Vicaria“, nach dem Raum, in welchem die Handlung stattfindet. Vicaria ist etwa mit Sakristei zu übersetzen, obgleich die beiden Worte sich nicht ganz decken. Die Kostüme weisen auf die Zeit des Direktorats. Wir haben hier die französischen „Merveilleux“ in der spanischen Uebersetzung vor uns. Die Trauung hat soeben stattgefunden, und man ist vom Altar durch das noch geöffnete Thor in die Sakristei getreten, um der kirchlichen Weihe die weltliche Beglaubignng durch Eintragung der Namen ins Kirchenbuch zu geben. Die Gesellschaft ist vornehm, und ihrer würdig ist der Raum, der sie umgiebt. Das eiserne Gitter im Geschmack der Spätrenaissance ist echt vergoldet. Echt ist sonder Zweifel auch das Bild Zurbaran’s: „Die Vision des heiligen Felix“, die rechts vom Beschauer an der Wand hängt, und ebenso echt ist der Barockrahmen des Spiegels, der sich genau in der vorschriftsmäßigen Höhe vom Boden befindet.

Der Bräutigam unterzeichnet seinen Namen. Er bückt sich dabei so tief herab, daß sein zierlicher Zopf wie ein Fragezeichen auf dem Rücken tanzt. Die Hast, mit der er seinen Eintritt ins eheliche Joch betreibt, erweckt bei dem gemessenen Vikar Bedenken. Er hat sich vom Stuhl erhoben und folgt prüfend der Hand mit der Feder, ob sie das Dokument auch nicht um einen Buchstaben betrüge. Drastisch ist die Figur des Küsters, der mit ausdrucksvoller Handbewegung auf einem andern Blatte dem Ungeduldigen die Stelle anzudeuten scheint, welche der Unterschrift vorbehalten ist. Sie ist nicht ungeduldig; das Glück an seiner Seite kommt ihr wohl früh genug. Vielleicht ist’s für sie gar kein Glück, was er so heiß ersehnt … Doch darf man darauf nicht aus dem Schluchzen der alten Wärterin neben ihr schließen, die sie voraussichtlich vor beinah achtzehn Jahren auf ihren Armen zur Taufe trug. Das sind Thränen, die bei jeder Hochzeit fließen. Die schöne junge Braut liest einen Brief; aber es ist keine tiefe Empfindung, die er erregt. Ein flüchtiges Lächeln der Eitelkeit ruft er nur hervor, denn es ist der erste – das Kouvert liegt am Boden – der ihrem Namen den ihres Gatten zufügt. In Spanien verliert eine Frau ihren väterlichen Namen in der Vikaria nicht, sondern erhält als Zeichen ihrer neuen Würde nur einen zweiten noch dazu. Enthielte der Brief Wichtiges, so würde sie ihrer Freundin, Alegria, kaum gestatten, ihn gleichzeitig zu lesen. Die allerliebste Alegria vergißt übrigens beim Lesen nicht, daß ein langes Kleid seine Nachtheile hat, wenn man einen der kleinsten Füße in Spanien besitzt; sie vergißt eben so wenig, daß der Arm eine ganz entzückende Linie beschreibt, wenn er durch Aufraffen der Falten dem Füßchen zu Hilfe kommt – am wenigsten aber vergißt sie, daß es nun hohe Zeit sei, nachzudenken, wo sich für sie ein solcher Ungeduldiger fände, wie ihn die Freundin bereits errungen. Unter den Hochzeitsgästen scheint er nicht zu sein. Das Herrenpersonal weist augenscheinlich zwar auch ein paar Ungeduldige auf, aber nicht von der Art des Bräutigams. Vielleicht kennt einer oder der andere das Menu des hochzeitlichen Frühstücks, oder ist willig den engen Staatsrock abzulegen. Ein paar Schritte hinter der Braut steht die noch jugendliche Mutter. Wie alle Mütter bei ähnlichen Gelegenheiten zieht sie die Augenbrauen in die Höh’ und läßt die Mundwinkel sinken. Es versteht sich ganz von selbst, daß sie meist mit gefalteten Händen dasteht. Eine Anverwandte des Hauses mit sehr vollem Halse, sehr schwarzen Haaren und sehr rothen Rosen ist das Bild der Grandezza. Weit lieber war mir aber jene Señora – auf dem Original wenigstens – welche, den Nacken uns ganz zuwendend, nur an der Wendung des Kopfes errathen läßt, daß sie über den Fächer hinaus ein feines, spöttisches Lächeln dem Supplikanten zuwirft, welcher sich in einem Aufzuge vor ihr verneigt, der [813] Nichtspaniern etwas allzu spanisch vorkommen dürfte. Er gehört zu einer religiösen Ordensgesellschaft und hat auf Grund eines alten Brauches die nur die Augen freilassende Kaputze über den Kopf geworfen, um mit halb entblößtem Oberkörper den bei Hochzeiten üblichen Zoll für die Kirche einzufordern.

In feinerer Weise wird der alte Herr vom Kapitel, welcher sich mit dem begüterten Vater der Braut, links vom Beschaner eifrig unterhält, für das Wohl der Kirche zu sorgen wissen. Hat er sich doch einen der großen Folianten dabei zu Hilfe gerufen, welche Bräuche und Mißbräuche mit gleicher Geduld durch die Jahrhunderte tragen. Die Gruppe der Dienerschaft, rechts im Vordergrund, ist fast mit Vorliebe behandelt. Uebrigens muß man spanische Domestiken im Lande selbst kennen gelernt haben, um ihre sprichwörtliche Nonchalance im Dienst zu begreifen. Das gilt besonders von den Kammerkätzchen, wie die reizende Zofe in der schwarzen Mantille mit den wunderbar gemalten Händen beweist. Sie erinnern noch häufig an die Soubrette Molière’s, die zwischen der Vertrauten und Dienerin schwankt.

Das eben besprochene Bild ist heutigen Tages Eigenthum von Madame de Cassin in Paris, deren Galerie moderner Gemälde, dem Publikum wenig zugänglich, auf 5 Millionen Franken geschätzt wird. Notorisch ist, daß sie unlängst eine Million Franken ausgeschlagen hat, welche ihr für die „Spanische Hochzeit“ und Henry Regnault’s nicht minder berühmte: „Salome“ (la femme jaune) angeboten wurde.

Wer Gelegenheit hatte, in Paris oder London – Deutschland hat davon wenig aufzuweisen – Bilder von Fortuny zu sehen, der wird in ihm einen der liebenswürdigsten und genialsten der modernen Meister kennen gelernt haben. Ich füge nur noch hinzu – und jeder, der ihn kannte, wird das gern bestätigen – daß der Mensch, der den Künstler nur allzusehr verbarg, diesem vollkommen ebenbürtig war. C. B.