Franz Defregger (Die Gartenlaube 1885/17)
Franz Defregger.
Von Fr. Pecht.
Der Künstler wird immer am volksthümlichsten sein, dem es gelingt, das innerste Wesen, die tiefste Eigenthümlichkeit der eigenen Nation in seinen Gebilden zu verkörpern. Weil er das wie kaum ein zweiter verstand, hat sich seit dem Tage, da Franz Defregger mit seinem Verwundeten Wildschützen vor zwanzig Jahren an die Oeffentlichkeit trat, die Liebe des Volkes in immer steigendem Maße ihm und seinen Schöpfungen zugewendet. Ja diese letzteren haben eine wahrhaft unermeßliche Popularität errungen und, was mehr ist, auch verdient. Denn so wie er die ganze Art und Empfindungsweise unseres Volkes mit seiner Liebe und seinem Haß, mit seinen Freuden und Leiden auszusprecheu, uns nicht nur seine schalkhafte und lustige, sondern auch die mannhafte, ja heroische Seite desselben darzustellen gewußt hat, so ist es noch keinem deutschen Künstler vor ihm gelungen.
Aber auch keiner malte so das eigene tiefe Gemüth in seine Bilder hinein, bei keinem sind die Kunstwerke so ganz und gar er selber. Ebenso ist kein zweiter so durchaus naiv und gläubig in dem, was er macht, gehört so ganz und gar zum Volk selber, das er schildert. Es ist aber nicht nur die Liebe, die er zu seiner schönen Heimath und ihren so biederen als kräftigen Bewohnern hat, sondern vor allem die Reinheit des eigenen Gemüths, die anspruchslose Liebenswürdigkeit der Betrachtung bei allem fröhlichen Humor, die uns so magisch in den engen Kreis bannen, den er mit seinen Darstellungen umfaßt und zu einer eben so reichen als harmonischen Welt auszuweiten gewußt hat. Die weise Selbstbeschränkung auf einen Lebenskreis, den er ganz und vollständig beherrscht, sie ist das Geheimniß von Defregger’s Erfolg, genau wie sie es bei Jeremias Gotthelf, Auerbach, Fritz Reuter war, bei Gottfried Keller und Viktor Scheffel noch ist. Auf die Schilderung der eigenen Heimath, des deutschen Volksstammes, dem sie selber angehören, und seines Zusammenhangs mit der Landschaft sich beschränkend, haben sie Alle es gerade dadurch zu vollendeten Schöpfungen, zur Allgemeingültigkeit gebracht.
Wie klein nun auch der Landstrich sei, der sich von den Dolomitriesen und Gletschern des Pusterthals bis hinab nach Brixen und Bozen, dann hinüber nach Meran und von dort wieder hinauf ins wilde Passeyer zieht, so ist es doch der an Naturreizen reichste, ja durch seine ganz eigenthümliche Mischung vom Erhabenen und Lieblichen berauschendste, den wir auf deutscher Erde überhaupt besitzen. Ebenso ist der herrliche gothische Volksstamm, der ihn bewohnt, wohl der schönste im Vaterland. Er hat sich unter der wärmeren Sonne des Südens, inmitten seiner Weinlauben und Kastanienhaine, aber auch im beständigen Kampf mit den tückischen Gewalten dieser oft eben so wilden als zauberisch reichen Natur zu einer Mannhaftigkeit, Kraft und Schönheit entwickelt wie kaum ein anderer. Defregger selber aber hängt nicht nur mit allen Fasern seines Herzens an dieser schönen Heimath, sondern er ist selber auch eines ihrer echtesten Erzeugnisse. Selbst heute noch, wo er ein halbes Jahrhundert voll von rastloser Arbeit hinter sich hat, noch immer ein auffallend schöner Mann, war er vor fünfundzwanzig Jahren, als ich ihn noch in seinen Lederhosen und der grauen Joppe zuerst im Piloty’schen Atelier arbeiten sah, ein wahres Urbild eines prächtigen Tirolers, der übrigens mit Albrecht Dürer’s Selbstbildnissen die auffallendste Ähnlichkeit hat. Wer ihn aber näher kennt, weiß auch, daß das Innere dem Aeußeren vollkommen entspricht. Gerade diese wohlthuende Uebereinstimmung des Meisters mit seinen Werken ist es ja, die uns Alle so tief an dieselben fesselt, so unbedingt an sie glauben läßt, die ihnen in San Francisko wie in Petersburg, in Paris wie in London oder Berlin dieselbe sympathische Aufnahme gesichert hat. Denn es sind Schilderungen der einfachsten rein menschlichen Verhältnisse, wie sie sich ähnlich auf der ganzen Welt wiederholen und darum auch überall verstanden werden, die aber durch den entschiedenen Erdgeschmack, die starke Lokalfarbe, welche sie haben, nur um so glaubwürdiger werden. Anscheinend örtlich und zeitlich so eng begrenzt, ist es doch eine völlig ideale Welt, in die uns der Meister führt. Denn von ihm gilt genau wie von Schiller:
„Und hinter ihm in wesenlosem Scheine,
Liegt was uns Alle fesselt – das Gemeine.“
Daß dieses trotz aller außerordentlichen Wahrheit der einzelnen Figuren absolut keinen Platz hat auf seinen Bildern, das giebt ihnen die ungewöhnliche Anziehungskraft, jene kristallhelle Reinheit und Frische, wie sie die Quellen haben, die aus den Granitfelsen seiner Berge hervorsprudeln. Findet man sich doch in seinen Sennhütten und rauchigen Bauernstuben in viel besserer Gesellschaft als in gar vielen Palästen! Darum däucht es uns auch ganz natürlich, daß derselbe Maler, der uns noch eben die kernfrischen Dirnen über den Salontiroler lachend oder zum Tanze antretend gezeigt, auch dicht daneben die Himmelskönigin mit dem göttlichen Knaben am Arme aus den Wolken heraustreten läßt, wie er es eben jetzt thut. Denn kein anderer Künstler hat das Göttliche und Ewigschöne in der Menschennatur tiefer empfunden als unser Meister. War denn Maria etwas Anderes als eine arme Handwerkersfrau? Hier bei ihm ist sie eine wirkliche Mutter der Gnaden und der kleine Christus auf ihrem Arme ist ebenso ein ganz frischer geistvoller Knabe, wie sie die Verkörperung der Seelenreinheit und des Mutterglücks. Schon jetzt, wo das Bild kaum halb fertig ist, hat es bereits jene Ueberzeugungskraft, jene unbedingte Glaubwürdigkeit, die neben der Schönheit der Empfindung den Hauptreiz der Defregger’schen Bilder ausmacht und wie sie besonders jener früheren Madonna, die er für die Kirche seiner Heimath Dölsach als Altarbild gestiftet, eine wahrhaft unermeßliche Verbreitung durch Lichtdruck und Holzschnitt verschafft hat.
Diese Vereinigung von tiefer behaglicher Gemüthlichkeit und einem fast unmerkbar darüber gebreiteten idealen Hauche, der aber doch Alles adelt, was von Defregger ausgeht, überrascht uns schon gleich, sobald man nur seine Villa unter den prachtvollen Baumgruppen von fern blinken sieht, welche die zu ihr führende Königinstraße zur Rechten begrenzen. Ein Werk seines Freundes und Landsmannes, des Architekten Hauberisser, ist sie in ihrer Verbindung deutscher mit specifisch wälschtirolischen Stilformen, mit ihrem weit vorspringenden Dache, den behaglichen Erkern, Doppelfenstern und Freitreppen, der Blumenfülle und dem üppigen Grün rundherum, die entsprechendste Behausung gerade für diesen Künstler. Hinter ihr dehnt sich dann der weite Garten, in welchem wir die köstlich frischen Kinder des Meisters spielen sehen, während ihnen die anmuthige Mutter zusieht, oder uns in das weiter zurück isolirt liegende Atelier weist, das unter Epheu und Geißblatt fast versteckt steht. Neben dem mit altdeutschen Bildern und Schnitzereien wie köstlichen Meubeln ganz gefüllten eigentlichen Malraum genießt man da den Blick in die reizendste tiroler Bauernstube dahinter. – Im Atelier sehen wir außer der Himmelskönigin gegenwärtig nur wenig andere Bilder auf den Staffeleien stehen. So eine als Subporte für die eigene Wohnung lebensgroß gemalte Gruppe von einigen eng zusammengedrängten Tirolerburschen und Mädchen, die den Eintretenden fröhlich zu begrüßen scheinen, und ein paar Wiederholungen früherer beliebter Kompositionen, mit denen der Meister von den ihn belagernden Kunsthändlern beständig geplagt wird. – Jetzt richtete er sich überdies gerade darauf ein, die Osterferien mit seinem ältesten Sohne in der schönen Heimath zu Bozen zu feiern, wo er schon seit mehreren Jahren eine Villa besitzt, und hatte darum nichts Neues angefangen.
Leider versetzte, als ich das lieblichste aller Künstlerheime, die wir in München besitzen, kaum einige Tage verlassen, der Tod ihres einzigen achtjährigen Töchterchens nach nur kurzer Krankheit die Eltern in ungeahnt großen Jammer und erfüllte diesen anscheinenden Sitz des reinsten Glücks mit tiefer Trauer. Man muß es selber schon gesehen haben, wie der so gemüthvolle Defregger an seinen Kindern hängt, um die ganze Schwere dieses Verlustes für ihn und die Mutter zu ermessen, wenn ihnen auch noch drei köstlich frische Knaben geblieben sind. So nahe liegt oft neben dem hellsten glänzendsten Sonnenschein tiefes Dunkel, bricht aus dem kleinsten Wölkchen am blauen Himmel der vernichtende Blitz! Ich mußte bei der Nachricht von dem Unglücke, das ihn betroffen, unwillkürlich an Defregger’s erstes Bild denken, wo er eine junge Mutter voller Glück ihr Kind baden läßt, während hinten bereits zwei Kameraden ihren zum Wildern ausgezogenen Mann tödlich verwundet bringen. Diese in seiner Heimath so häufigen jähen Schicksalswechsel, wo so oft nach kurzem Gewitter mitten in die blumigen Matten und Weinberge der tobende Wildbach bricht, alles, was fröhlich blühte und grünte, mit [286] Schutt und Geröll überdeckend und in eine Wüste verwandelnd, sie sind dem Meister auch früher nicht unbekannt geblieben und haben seinen Charakter gefestet. Ward er doch gleich nach seinen ersten glänzenden Triumphen durch einen Gelenkrheumatismus, der sich in den Fuß gesetzt, so gelähmt, daß er zwei Jahre lang nur auf dem Sopha liegend malen konnte.
Damals hatte Defregger, gerade wie jetzt, eine Madonna angefangen – die oben erwähnte – und durch das Auf- und Absteigen vom Gerüst das Uebelweh recht verschlimmert, sodaß er sie erst in Bozen, wohin er sich, vom milden Klima Heilung hoffend, hatte bringen lassen, noch liegend fertig malen mußte. Dennoch arbeitete er mit so festem Gottvertrauen, daß uns jetzt aus dem seelenvollen Antlitz der himmlischen Mutter ein Ausdruck von so überirdischer Milde beseligend und tröstend entgegenkommt, um gerade dies in der Zeit seiner schwersten Noth gemalte Bild als seine höchste Leistung betrachten zu lassen. Das Uebel aber wich kurz darauf, nachdem die Kunst der berühmtesten Aerzte es nicht zu beseitigen vermocht, den Rathschlägen eines Bauern seiner Bekanntschaft. Diese glückliche Heilung veranlaßte ihn damals, noch zwei Jahre in der Stadt am Eisack zu bleiben, und im Jubel der wiedererlangten Gesundheit eine ganze Reihe seiner herrlichsten Bilder zu malen. So jenes berühmte „letzte Aufgebot“, das, die ganze Schwere eines Volkskrieges mit furchtbarem Ernst versinnlichend, seinen Ruhm erst recht in alle Welt trug und jetzt eine Zierde des Wiener Belvedere geworden. Darin eben unterscheidet sich Defregger gründlich von allen übrigen Bauern- und Sittenbildmalern, daß der starke heroische Zug seines Stammes, jedes Aufflammen der höchsten Vaterlandsliebe und des entschlossensten Opfermuthes in ihm einen ebenso glühenden und verständnißvollen Darsteller gefunden haben, wie die heitere idyllische Seite dieses tiroler Bauernlebens. Und so wollen wir denn auch jetzt hoffen, daß der schwere Schicksalsschlag, der den Meister getroffen, ihn auch diesmal wieder nach Art aller echten Talente zu erneuter Vertiefung seines Schaffens anrege!
Auf der Höhe des Lebens und des Ruhmes wie der produktiven Kraft angelangt, wird Defregger uns hoffentlich noch viele ebenso schöne Kunstwerke schenken, wie er sie schon in fast unübersehbarer Masse geschaffen. Wer vermöchte es aber vorauszusehen, welche unerwartete Seiten seines reichen Talentes er noch entfalten wird? – Die schaffende Kraft des Malers bat sonst erfahrungsgemäß ungefähr dieselben Grenzen wie die des lyrischen oder dramatischen Dichters, beide erfinden nach den Fünfzigern nur in selteneren Fällen eigentlich Neues mehr, und selbst ein Shakespeare hat in seinen letzten Lebensjahren nur mehr die alten Aufgaben in veränderter Form, allerdings auch mit vertieftem Inhalte gelöst. Indeß hat uns der Meister bis jetzt noch immer mit neuen Wendungen seines Talents überrascht, wenn man ihn schon am Ende angelangt glaubte. Aber selbst wenn das nicht mehr geschähe, wo wäre außer Hans Makart in Deutschland ein Künstler zu finden, der in kaum zwanzig Jahren eine solche unübersehbare Fülle köstlicher Werke von ewiger Dauer seinem Volke geschenkt, als dieser Homer des deutschen Bauernstandes?