Franz von Kobell (Die Gartenlaube 1882/48)

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Textdaten
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Autor: D. E. B
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Titel: Franz von Kobell
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 802-803
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[802] Franz von Kobell, der „Naturforscher und Volksdichter“, welchem wir zu seinem fünfzigjährigen Doctorjubiläum in Nr. 15 des Jahrgangs 1878 eine Gedächtnißtafel zu errichten versucht haben, ist, beinahe achtzig Jahre alt, am 11. November dieses Jahres zu München ohne Todeskampf aus Altersschwäche sanft und ruhig entschlafen. Freilich waren auch ihm die Gebrechen des Alters nicht ferne geblieben, und er hat sie in gewisser Beziehung sogar mehr als Andere gefühlt, wenn ihn auch peinigende Krankheiten gänzlich verschonten. Sein Herz wie seine Phantasie waren jugendfrisch bis zuletzt – ein Vorrecht gottbegnadeter Dichter und Künstler –; realistisch und objectiv fühlte er darum doppelt das stetige Sinken der Körperkräfte. Am schmerzlichsten wohl war es ihm, daß die Füße den Dienst versagten, wenn es galt, im Hochgebirge des edlen Waidwerks zu pflegen und dem Gemsenvolke nachzupürschen. Vor ein paar Jahren ließ er sich noch die steileren Stellen, wenigstens bis zu den untersten Höhen, wo Gemsen wechseln, hinauftragen. In einem Gedichte bat er St. Hubertus, ihm hierher noch einen Gemsbock zu schicken. Das Gebet ward auch erhört. Als sechsundsiebenzigjähriger Greis schoß er hier noch seine „letzte Gemse“. Man erzählt sich nach gut verbürgten Quellen, Kobell habe, abergläubisch, wie wohl jeder echte Jäger, fest daran geglaubt, daß er, wenn er einmal ein Jahr hindurch keine Gemse mehr schieße, im nächsten Jahre sterben werde – ein Gedanke, welcher ihm stets ein unangenehmer war und blieb.

Gefürchtet aber hat er den Tod nie, wie er überhaupt nichts gefürchtet, sondern im Gegentheil Gefahren gesucht und überall, auch mit der Feder, derbe „Schneidigkeit“ und rücksichtslose Muthigkeit bis in seine letzten Lebenstage geübt hat. Zeuge dessen ist eine Reihe von Gedichten, [803] welche er noch in den letzten Jahren verfaßt und mit ungedruckten älteren Dichtungen erst jüngst herausgegeben hat.

Nicht allein die geistige Kraft aber ist ihm treu geblieben (erst vor etwa Jahresfrist stellte er seine Collegien über Mineralogie an der Universität ein) – auch seine durch nichts dauernd zu trübende Heiterkeit, sein unverwüstlicher Humor, ja auch seine harmlos spottende Schalkhaftigkeit verließen ihn nicht bis zuletzt. Als die Siebenziger herangekommen waren, begrüßte er sie unehrerbietig genug, indem er den fatalen Monsieur Sieben als „Galgenfigur“ charakterisirte und es ganz offen aussprach, er traue „dem Kerl“, welcher nun sein Begleiter sein solle, nur „mit Rückhalt“. Jedoch ließ er der Zahl die eine Möglichkeit offen, daß sie statt eines Galgens ein Krahn sei, welcher (wenn auch noch lieber in die Achtzig hinein) wenigstens sanft in die Ewigkeit hinüberdrehe. „In letzterem Sinne“ (so schließt er das Gedicht)

 „will ich’s interpretiren
Und grübeln nicht weiter und sinniren;
Nur soll der Krahn in freundlichen Gnaden
Sich nicht beeilen bei’m Ueberladen
Und nicht sich umdreh’n vor der Zeit;
Denn da ohne Ende die Ewigkeit,
So braucht’s keine Hast, zu leeren den Krug –
Ich komm’ ja doch immer noch früh genug.“

Der „dickbauchige Achter“ war ihm freilich lieber, als der „Galgensiebener“, ja wir sind fest überzeugt, daß ihm unter allen Umständen am allerliebsten gewesen wäre, „auf neunzig eingeschrieben“ zu sein (um was sich die köstliche Geschichte des – dem Dichter congenialen – Brandnerkaspers dreht); denn Kobell hat im höchsten Alter sich seines Lebens mit demselben kindlichen Gemüthe gefreut, wie in glücklichster Jugend.

Mit wahrhaft jugendlicher Lust gewann er selbst dem Gebrechen des höchsten Alters eine heitere Seite ab. Gerade Kobell wurde vom Alter im Verhältniß zu anderen wetterharten Jägernaturen früh gebeugt. Er widmete dem Alter ein besonderes Gedicht: „Der Rucksack“ (jener für alle Bergsteiger unübertrefflich praktische Reisebegleiter). In diesen Rucksack, welchen Jeder trägt, sagt Kobell, kommen nämlich die Jahre hinein. In der Jugend trägt man leicht daran, allein es kommen dann Jahre, welche schwer niederdrücken:

„Schaug’s an die alten Kraxler, gel’!
Wie müssen die sich plag’n
Mit so an’ Sack, wenn’s d’rinn amal
An achtzgi ebba tragn’!

Der Buckl allwei’ krummber werd;
Der Sack wird allwei’ schwaarer,
Und Koaner hat’s no’ zweg’n bracht,
Wie daß er’n machet laarer.

Dees is ja recht a’ zwidri Gschicht,
Und kannt’ ’ma wohl studir’n:
Für was denn trag’n die dumme Jahr,
Die kunnt’n zu Fuß marschir’n!

No! ’s werd schon müssen a so sein,
Und dees ist halt das Beßti,
Daß’s Oan wie dem Andern geht –
Schau Bua und mit dem tröst’ Di’!“

Dies die Lebensweisheit eines Mannes, welcher – wissenschaftlich tüchtig wie Wenige – bis zum höchsten menschlichen Lebensalter heiter und glücklich gelebt, welcher allerdings auch bescheiden wie wenige über Vieles sich gefreut hat, was Andere als pflichtschuldigsten Tribut für ihre Verdienste kalt hinnehmen. Wie herzlich freute er sich in seinem dankbaren Sinne noch über die ihm zu Theil gewordenen Ehrenbezeigungen der letzten Zeiten, besonders bei Gelegenheit der im December 1876 gefeierten goldenen Hochzeit! Freilich Eins ist hierbei nicht zu vergessen und von gar Wenigen nachzumachen. Er lebte sein an Arbeit und Genuß, an Enttäuschungen und Freuden reiches Leben zugleich als Dichter von Gottes Gnaden, welcher Alles, was das Menschenherz bewegt, im verklärten Lichte schaut. Drum war sein heißestes Gebet auch das, daß ihm dieser Blick nie getrübt werde. Die lieblichste Seite war seine Dichterliebe zur Natur.

„O lieber Mai, wie grüß ich dich
Mit der singenden Nachtigall,
Und daß du wieder blühst für mich,
Wie dank’ ich’s tausendmal!“

So sang er noch in der letzten Zeit.

Wie rührend hatte er denselben Gedanken in jüngeren Jahren ausgeführt! Er sprach damals dem Frühling sein Mitleid aus, weil dieser über die Unbilden seitens der Menschen traurig war. „Gelt, rupfen thun sie dich,“ so sagte er zu ihm – die frühlingsheiteren Menschen nämlich, welche es in ihrer Freude nicht lassen können, Blumensträuße zu pflücken. Von sich aber singt er dann:

„Versteh’ mi’ recht! I’ nimm koa Bliemi,
I’ laß dir s’ gern – bleib g’rad bei mir;
Geh’ bleib’ bei mir a bisl länger;
I’ dank dir tausendmal dafür.“

Und auch dieses sein Gebet, es ist erhört worden. Der Frühling blieb bei ihm bis in sein achtzigstes Jahr. Danken jetzt wir, denen er sein unsterblich Theil in Gedichten hinterlassen, tausendmal dafür.
D. E. B.

Denselben Dank schulden wir dem Dichter, der uns nur drei Tage nach Franz von Kobell, aber um zwölf Jahre jünger als dieser, plötzlich entrissen wurde: Gottfried Kinkel. Ein Schlagfluß, der ihn am 13. November traf, legte ihn schon am folgenden Tage auf die Bahre, einen Tag vor dem 15. November, der ihm vor vierundzwanzig Jahren im Exil zu London seine Johanna geraubt.

Wenn auch die „Gartenlaube“ diesem Dichter und Patrioten ihre Anerkennung in einer Reihe von Artikeln bereits bethätigt und ihm selbst die Gelegenheit geboten hat, die Erinnerung an seine „Kindheit“ und seine „Schuljahre“ (Jahrgang 1872 und 1873) in ergreifenden Schilderungen dem deutschen Volke darzulegen, so kann uns doch diese Hinweisung allein nicht genügen, um das Andenken eines so hervorragenden deutschen Mannes, Dichters und Kämpfers zu feiern. Wir werfen heute im Geiste eine Hand voll Erde auf seinen Sarg – den Nachruf an seinem Grabe aber wird die „Gartenlaube“ ihm nicht lange schuldig bleiben.
D. Red.