Galerie historischer Enthüllungen/3. Agnes Bernauer

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Christian Meyer
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Galerie historischer Enthüllungen/3. Agnes Bernauer
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 454–457
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[454]
Galerie historischer Enthüllungen.
3. Agnes Bernauer.


Zu denjenigen deutschen Städten, deren bloßer Klang eine Fülle großer und kostbarer Erinnerungen in uns wachruft, gehört in erster Reihe das an der Grenze Baierns und Schwabens breit und mächtig hingelagerte uralte Augsburg.

Agnes Bernauer.

Schon zur Zeit der Römerherrschaft ragte die Stadt weit über die benachbarten Römersitze hervor, so daß der große Geschichtsschreiber unseres germanischen Alterthums nicht ansteht, sie „Rhätiens glänzendste Colonie“ zu nennen. Und als später in den Stürmen der Völkerwanderung das Römerreich und mit ihm die stolze Augusta in Trümmer sank, war es das Christenthum und die Kirche, welche in der letzten Ruhestätte der heiligen Afra einen festen Mittelpunkt ihrer Thätigkeit fanden und neues Leben in die verödeten Ruinen brachten. Diese Periode kirchlicher Machtentfaltung erreichte ihren Höhepunkt in Bischof Ulrich dem Heiligen, jenem deutschesten unter den deutschen Kirchenfürsten des ottonischen Zeitalters, welcher, nachdem er drei Tage und Nächte lang in eigener Person die Mauern der schlechtvertheidigten Stadt gegen die wie Hagelgeschosse heranstürmenden Schaaren der Ungarn geschützt hatte, am Morgen des vierten Tages an der Spitze des Reichsheeres, das Kreuz in der erhobenen Rechten, durch die schäumenden Wogen des Lechs setzte und Tod und Verderben in die Reihen der Feinde brachte. Auch das spätere Mittelalter, die Zeit der reichsfreien Selbstherrlichkeit unserer Städte, zeigt uns Augsburg in der vordersten Reihe derselben. Die höchste Blüthe erreichte indeß die Stadt im sechszehnten Jahrhundert. Die größte nationale That unserer Geschichte, die Losringung deutschen Geistes aus den Fesseln römischen Geisteszwangs, bleibt für ewige Zeiten mit Augsburgs Namen verbunden.

Vielleicht noch bekannter, als durch seine Theilnahme an der politischen Geschichte unseres Volkes ist Augsburg als Heimath mehrerer durch Geschichtschreibung und Poesie vielfach gefeierter Frauen. Zwei Namen sind es vorzugsweise, welche in den Kreisen namentlich unserer Leserinnen die höchste Popularität besitzen: Agnes Bernauer und Philippine Welser. Nach Herkunft und Lebensgang äußerst verschieden, haben diese beiden Frauen nur das Gemeinsame, daß ihr Schicksal auf’s Engste mit dem zweier deutscher Fürstensöhne verknüpft war. Philippine Welser war die Tochter einer alteingesessenen Patrizierfamilie, die an Reichthum und Ansehen so hoch gestiegen war, daß Kaiser und Fürsten auf freundschaftlichem [455] Fuße mit ihr verkehrten. Agnes Bernauer dagegen war von niederer Herkunft, und noch ist es nicht gelungen, ihre eigentliche Heimathsstätte mit Sicherheit nachzuweisen. Philippine war dem Kaisersohn Ferdinand durch eheliche Bande angetraut, von ihren Söhnen begründete der eine die Linie der souveränen Markgrafen von Burgau, während der andere im Dienst der Kirche die höchste Rangstufe erreichte; die Verbindung zwischen Agnes und Herzog Albrecht war höchst wahrscheinlich nicht einmal die einer heimlichen Ehe. Philippine lebte, nachdem sie bald ihren Frieden mit dem Kaiser gemacht hatte, an der Seite des Gatten ein ruhiges und glückliches Dasein, während die Bernauerin nach kurzen Jahren genossenen Liebesglückes diese ihr von dem grausamen Zeitalter als Verbrechen angerechnete Liebe mit jähem Tode büßen mußte.

Dieser ungleiche Lebensgang der beiden Frauen äußert seine Wirkung auch in der Art der über sie erhaltenen Nachrichten. Die hohe Stellung, welche die Familie Welser innerhalb der Augsburger Bürgerschaft einnahm, brachte es mit sich, daß die gleichzeitigen Geschichtsschreiber uns eine Menge Notizen über dieselbe aufbewahrt haben. Dazu kam, daß die Patrizier selbst, auf’s Engste unter einander verbunden, sogenannte Geschlechter- und Ehrenbücher, Hochzeitsregister etc. anlegten, in denen oft die unbedeutendsten Familienereignisse mit umständlicher Sorgfalt vorgetragen sind.

Straubing und die Donaubrücke zur Zeit der Agnes Bernauer.

Sodann dürfen wir auch nicht vergessen, daß Philippine Welser in einer Zeit lebte, die sich, gegen das fünfzehnte Jahrhundert – das Zeitalter der Agnes Bernauer – gehalten, durch größere Regsamkeit auf allen Gebieten der Kunst und Wissenschaft auszeichnete. Merkwürdige Ereignisse – und ein solches war damals wenigstens die Heirath zwischen einem Kaisersohn und einer Bürgerlichen – gelangten rasch zur Kenntniß auch der fernst liegenden Schichten der Bevölkerung und wurden von Dichtern und Künstlern auf’s Mannigfaltigste verarbeitet.

Nicht so bei Agnes Bernauer! Die gleichzeitigen Augsburger Geschichtsschreiber gehen mit vollständigem Stillschweigen über sie hinweg; die ersten Nachrichten über sie datiren aus der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts und rühren von bairischen Chronisten her, deren Angaben wiederum die späteren Augsburger Quellen vorzugsweise gefolgt zu sein scheinen. Eine Geschichte der Agnes Bernauer zu schreiben, ist daher mit großen Schwierigkeiten verknüpft, und daraus erklärt sich die Verschwommenheit des Urtheils, die auch heutzutage noch über ihre Person beliebt ist. Ich habe mich, um ein möglichst unparteiisches Urtheil zu gewinnen, bemüht, alle erhaltenen Nachrichten zusammenzustellen und unter einander zu vergleichen; insbesondere habe ich versucht, aus dem Schweigen der gleichzeitigen Augsburger Geschichtsquellen den einen und andern Aufschluß zu erhalten. Wenn ich dabei zu Resultaten gelange, die von der bisherigen Auffassung scharf abweichen, so muß ich mir im Voraus die Verzeihung meiner Leserinnen erbitten; die Geschichte ist leider oft gezwungen, die Träume poetischer Gemüther mit rauher Hand zu zerstören.

Zuvörderst muß ich der allgemein verbreiteten Annahme, als ob Agnes Bernauer eine Augsburgerin gewesen sei, entgegentreten. Die von mir angestellten Untersuchungen haben es mir bis zur Evidenz klar gemacht, daß dies nicht der Fall ist. Der Name Bernauer – oder, wie ein späterer Chronikenschreiber den Namen der unglücklichen Frau angiebt, Leichtlin – begegnet uns in keinem der zahlreichen Bürger-, Steuer- und anderer statistischer Tabellen jener Jahre. Die bairischen Geschichtsschreiber, von denen wir oben gesagt haben, daß sie die ältesten Nachrichten der Bernauerin enthalten, schweigen denn auch entweder ganz über ihre Heimath oder bezeichnen als solche die alte Reichsstadt Biberach im heutigen Königreich Würtemberg. So lange also ein Gegenbeweis nicht vorliegt, steht es mir wenigstens fest, daß Agnes keine Augsburgerin gewesen ist.

Man hat mir entgegengehalten, daß ja die Volkstradition noch heutzutage ihr Wohnhaus in Augsburg zu bezeichnen wisse. Darauf entgegne ich, daß die Volkstradition ein sehr trügerisches Beweismittel ist. Zum Beweis dessen möge hier nur das dienen, daß die Tradition das Wohnhaus der Philippine Welser in die heutzutage nach ihr benannte Straße hinter dem großen Rathhausplatz verlegt, während sie nachweisbar in der jetzigen Ludwigsstraße gewohnt hat.

Es giebt Leute, die eine jede geschichtliche That mit einer Menge kleinlichen Beiwerks ausgestattet wissen wollen, an das sich, da ihnen jede höhere Auffassungsgabe mangelt, ihre kümmerliche Phantasie anklammert. Diese Art von Geschichtsfreunden weiß noch heutzutage den Pflasterstein zu bezeichnen, über welchen das Pferd des jugendlichen Erzherzogs strauchelte und dadurch die Aufmerksamkeit der am Fenster stehenden schönen Welserin erregte. Betreffs der Wohnstätte der Bernauerin gerathen sich übrigens mehrere Traditionen in die Haare, ein Umstand, der keineswegs geeignet ist, besonderes Vertrauen zu erwecken; der eine Führer weist den nach der schönen Baderstochter fragenden Fremden mit der nöthigen Zuversicht in diese Straße, ein anderer in jene etc. Doch lassen wir den Neugierigen ihr Vergnügen und fragen dafür, wie es möglich wurde, daß mehrere Augsburger Chronisten Agnes Bernauer eine Augsburger[WS 1] Bürgerstochter nennen. Ich vermuthe, daß hierbei eine sehr gewöhnliche Verwechselung vorliegt. Denn wenn ich auch ihre Augsburger Abstammung leugnen muß, so ist dadurch nicht ausgeschlossen, daß sie sich zeitweilig und zwar gerade in den letzten Jahren vor ihrer Verbindung mit Herzog Albrecht in Augsburg aufgehalten habe.

Die Tradition berichtet, sie sei die Tochter eines Augsburger Baders mit Namen Kaspar Bernauer gewesen; ich wende dies dahin, daß sie wohl die Tochter eines Baders Bernauer gewesen sein mag, daß dieser aber nicht in Augsburg, sondern in Biberach gewohnt hat. In welcher Eigenschaft Agnes in der fraglichen Zeit (ungefähr 1430–32) in Augsburg gewesen, kann ich mit Sicherheit nicht angeben. Wenn eine Vermuthung gestattet ist, so geht dieselbe dahin, daß Agnes in dem Dienst eines Baders stand und hierbei die Bekanntschaft des jungen Baiernherzogs machte. Die Tradition weiß natürlich, ähnlich wie bei der Liebesgeschichte der Philippine Welser, ein Breites über die ersten Anfänge des zarten Verhältnisses zu erzählen: Herzog Albrecht sei zu einem großen, von der Reichsstadt veranstalteten Turnier nach Augsburg gekommen, habe sich hier mit den jungen Schwaben herumgestochen und bei einem von dem Stadtrath ihm zu Ehren gegebenen Tanzfeste die Bekanntschaft des schönen Bürgermädchens gemacht. In heißer Liebe zu ihr entflammt, habe er ihr sodann, da sie andern Zumuthungen einen festen Widerstand entgegengesetzt, die Ehe versprochen. Wenige Tage später sei Agnes aus dem väterlichen Hause entflohen, in der Nachbarstadt Friedberg von Albrecht in Empfang genommen und nach Schloß Vohburg gebracht worden. Diese ganze Erzählung ist die Ausgeburt eines müßigen Kopfes, dem es um eine detaillirte Liebesgeschichte zu thun war und der daher die Mängel der wirklichen Geschichte nach seinem Gutdünken ergänzte.

Vorerst constatire ich, daß während des ganzen Zeitraums, [456] innerhalb dessen möglicher Weise die Verbindung zwischen Albrecht und Agnes angeknüpft worden ist, kein Turnier in Augsburg abgehalten wurde. Noch weniger Glauben verdient die andere Angabe, Herzog Albrecht habe die Bekanntschaft der Bernauer bei einem Tanzfest gemacht, das man ihm zu Ehren veranstaltet. Wer auch nur einen oberflächlichen Einblick in die gesellschaftlichen Verhältnisse des fünfzehnten Jahrhunderts gewonnen hat, weiß, daß eine Baderstochter oder gar eine Magd keinen Zutritt zu den Festlichkeiten des Stadtadels hatte. Die Bader zählten zudem zu den verachteten Gewerben; so sehr sich unsere Altväter die Pflege und Reinigung ihres Körpers angelegen sein ließen, so glaubten sie doch diejenigen verachten zu müssen, welche diesem Geschäfte gewerbsmäßig oblagen. Die Badstuben wurden daher fast nur von Fremden besucht, während die Bürger meist eigene Badstübchen in ihren Häusern hatten. Jene öffentlichen Bäder vertraten im Mittelalter die Stelle unserer heutigen Kaffeehäuser. Auch Herzog Albrecht mag öfters von der benachbarten Grenzstadt Friedberg aus nach Augsburg gekommen sein und hier nach der Sitte der Zeit die Badstuben besucht haben. Wenn also Agnes Bernauer eine Bademagd war – und darauf deutet eine Stelle bei einem der hervorragendsten bairischen Chronisten hin – so hat meine Vermuthung, Agnes habe die Bekanntschaft des Herzogs in dem Hause ihres Dienstherrn gemacht, jedenfalls mehr Wahrscheinlichkeit für sich, als die traditionelle Auffassung, welche die Anfänge des Liebesverhältnisses in die Geschlechterstube der Augsburger Patrizier verlegt.

Hält man nun fest, daß die Stellung der Bernauer vor ihrer Verbindung mit Herzog Albrecht eine sehr untergeordnete war, so wird man auch gerechte Zweifel an der traditionell angenommenen Ehe der Beiden hegen müssen. Die Quellen sprechen sich über die Art der zwischen ihnen eingegangenen Verbindung nicht mit der nöthigen Klarheit aus. Die bairischen Chronisten bezeichnen Agnes durchgehends nur als Geliebte des Herzog; die Augsburger hingegen schweigen entweder über diesen Punkt, oder bekennen sich als nicht genügend unterrichtet. So schreibt der Benedictinermönch Clemens Sender, der bedeutendste unter den späteren Chronikenschreibern: „Hertzog Albrecht von Bayern zu München hat aines Baders tochter mit namen Agnes, ain fast schönes mensch, aufs höchst lieb gehabt, also daß man sagt, der Hertzog hatte sie zu der ee genommen und die ee versprochen, aber doch nit zur Kirchen gefiert.“

Meine Ansicht geht dahin, daß das Verhältniß zwischen Albrecht und Agnes über eine Liebschaft gewöhnlichen Schlags hinausgegangen ist, ohne daß man jedoch sofort an eine heimliche Ehe denken darf. Hätte diese stattgehabt, so würde Albrecht nicht unterlassen haben, nach der Aussöhnung mit seinem Vater auf dem Grabdenkmale der Gemordeten dieses ehrende Beiwort zu geben, wie dies beispielsweise Erzherzog Ferdinand seiner Gemahlin Philippine auf dem Grabmonumente in der Innsbrucker Hofkirche gegeben hat. Jedenfalls aber war das Band so fest, daß sich Albrecht an der Eingehung einer standesmäßigen Ehe hindern ließ. Zum Unglück für Agnes war er der einzige Sohn seines Vaters, dem Alles daran gelegen sein mußte, die oberbairischen Lande seiner Linie zu erhalten. Zwar lebte noch ein Bruderssohn des alten Herzogs; allein derselbe war so kränklich, daß man an seinem Aufkommen zweifelte. So lange der Vater glauben konnte, daß das Verhältniß zwischen Albrecht und Agnes eine gewöhnliche Liebeständelei sei, ließ er Beide ruhig gewähren. Im fünfzehnten Jahrhundert war man in derlei Dingen viel weniger rigoros als heutzutage. Sobald Herzog Ernst, der selbst außer der Ehe drei Kinder auszustatten gehabt hatte, wahrnehmen mußte, daß der Sohn, von heftiger Leidenschaft geblendet, seinen Standespflichten nachzukommen sich weigere, mußte die der Dynastie und dem Lande drohende Gefahr jede andere Rücksicht verstummen machen. Vorerst machte Herzog Ernst noch den Versuch, auf die Eitelkeit und den Ehrgeiz seines Sohnes zu wirken. Auf einem Turnier zu Regensburg ließ er Albrecht auf schmähliche Weise von den Turnierschranken zurückweisen, weil diese einem Ritter, der in den Armen seiner „Buhldirne“ seiner Ehrenpflichten vergäße, verschlossen bleiben müßten. Die Wirkung dieser Behandlung war jedoch eine der Absicht des alten Herzogs schnurstracks entgegengesetzte. Wuthentbrannt verläßt Albrecht Regensburg, eilt nach Schloß Vohburg, wo er Agnes geborgen hatte, und bringt sie, da er vielleicht schon jetzt Gewaltthätigkeiten des Vaters fürchtet, nach dem festen Straubing an der Donau. Hier umgiebt er sie mit fürstlichem Gepränge, hält ihr einen Hofstaat und läßt sie als Herzogin von Baiern ehren. Nun kennt auch der Zorn Herzog Ernst’s keine Grenze mehr. Eine Abwesenheit des Sohnes benutzend, eilt er nach Straubing, bemächtigt sich des Schlosses, in dem Agnes Hof hält, und läßt dieselbe gefangen setzen.

Näheres über die gegen die Unglückliche jedenfalls in sehr summarischer Weise geführte Untersuchung ist uns nicht überliefert; aus einem später von Herzog Ernst an Kaiser Sigismund gerichteten Briefe erfahren wir jedoch, daß sie der Zauberei angeklagt wurde. Das Urtheil der willfährigen Richter lautete auf Tod durch Ertränken. Es war dies während des ganzen Mittelalters die bei Frauen angewandte Hinrichtungsart. Die Hinrichtung wird von den Chronisten mit seltener Uebereinstimmung geschildert. Von der Donaubrücke in den reißenden Strom hinuntergestürzt, gelang es der Unglücklichen, den einen Fuß aus den Banden loszumachen, an das Ufer zu schwimmen und mit vor Angst erstickter Stimme um Hülfe zu rufen. Da ergriff der Henker, den Zorn des alten Herzogs fürchtend, eine Stange, umwickelte damit ihr langes, goldglänzendes Haar und stieß sie in die Fluthen zurück.

Als Albrecht zurückkam, war sein Schmerz grenzenlos; wütend schwur er, das unschuldige Opfer an seinem Vater, an dessen Rathgebern und Helfershelfern zu rächen. Sofort verband er sich mit Herzog Ludwig von Ingolstadt, dem alten Feinde seines Vaters, zu gemeinsamer, offener Fehde. Vergebens waren Ernst’s Mahnungen und Bitten, vergebens die Vorstellungen des Markgrafen Friedrich von Brandenburg und des Pfalzgrafen Johann. Im Frühjahr 1436 fiel Albrecht in das Gebiet seines Vaters ein, plünderte Städte und Dörfer, führte die Einwohner in die Gefangenschaft weg und zündete die verlassenen Wohnstätten an. In seiner Verzweiflung wandte sich Herzog Ernst an Kaiser Sigismund und beschwor ihn, den Rasenden zu beschwichtigen. Agnes wäre ein böses Weib gewesen – so sucht er die grausame Tödtung zu entschuldigen – so hart und streng gegen Albrecht, daß es sich mit Worten nicht aussprechen lasse. Seit drei Jahren habe er keinen fröhlichen Tag gehabt. Auch habe er erfahren, daß sie damit umgegangen, seinen Bruderssohn mit Gift aus dem Wege zu räumen. Da sie nun, obgleich öfters angegangen, von Albrecht nicht abgelassen, habe er sie ersäufen lassen.

Aber erst den Mahnungen des Baseler Concils gelang es, den Sohn versöhnlich zu stimmen. Am 17. Juli 1436 machten Vater und Sohn Frieden. Zur Sühne seiner Handlung stiftete der erstere in einer von ihm auf dem Kirchhof zu St. Peter in Straubing eigens erbauten Capelle der Gemordeten eine tägliche Messe und einen ewigen Jahrestag. Agnes selbst hatte noch bei Lebzeiten gewünscht, im Kloster der Carmeliterinnen beigesetzt zu werden. Vorläufig stiftete Albrecht auch an dieser Stelle Messe und Jahrestag; im Jahre 1447 sodann, am Agnesen-Tag, ließ er ihre Gebeine aus dem St. Peters-Friedhof erheben und zu den Carmeliterinnen überführen. Es geht dies mit Sicherheit auch daraus hervor, daß man, als auf Veranlassung der kurbaierischen Akademie im Jahre 1785 der Grabstein in der Friedhofcapelle vom Fußboden weg in die Mauer eingefügt wurde, nicht die mindeste Spur eines Sarges oder andere Ueberreste fand. Dieser Grabstein gehört daher der Zeit von 1436 bis 1447 an, innerhalb deren Agnes Bernauer in der Capelle zu St. Peter begraben war. Wahrscheinlich ist er auf Veranlassung Herzog Ernst’s gefertigt worden, der damit die grausame Tödtung sühnen zu können glaubte. Diese versöhnliche Stimmung zeigt sich auch in der Behandlung des Costümes und mehrerer anderer Beigaben. Das Haupt der Todten ruht auf einem Kissen; milder Friede lagert sich über das Antlitz, das einer Schlafenden mehr als einer Todten anzugehören scheint. Ein kostbarer Schleier, der nach der Sitte der damaligen Zeit nur Frauen vornehmen Standes zukam, umhüllt züchtig Kopf und Hals; ein langer, mit Hermelin ausgeschlagener Mantel wallt zu den Füßen herab, an denen ein Hund und eine Eidechse, die Sinnbilder häuslicher Treue und Geselligkeit, angebracht sind. Die Umschrift des Steines meldet einfach Jahr und Tag des Todes nebst dem Namen der Entschlafenen: anno domini millesimo quadrigentesimo tricesimo [457] quinto duodecimo die Octobris obiit Agnes Bernauerin. Requiescat in pace. (Im Jahre des Herrn 1435 am 12. Oct. starb Agnes Bernauer. Sie ruhe in Frieden.)

Wenn nun auch das geschichtliche Bild der Bernauerin in wesentlichen Punkten von der hergebrachten Auffassung abweicht, unsere volle Theilnahme darf die Unglückliche schon um ihres grausamen unverdienten Endes willen in Anspruch nehmen. Die Geschichtsschreiber haben es versäumt, über die Eigenschaften ihres Geistes und Herzens Nachricht zu geben. Eines Lobes voll sind sie dagegen über ihre körperliche Schönheit. Man wußte nicht, was man mehr an ihr bewundern sollte, den hohen Liebreiz ihrer ganzen Erscheinung, das vollendete Ebenmaß ihres Körperbaues oder die zarte Feinheit ihres Antlitzes. Eine Fülle goldglänzenden Haares wallte ihr fast bis zu den Füßen herab. Daß diesen äußeren Vorzügen auch der innere Gehalt entsprach, dürfen wir daraus abnehmen, daß es ihr gelang, den gefeierten jungen Herzog mehrere Jahre auf’s Engste an sich zu fesseln. Ein idealer Heroismus – wenn wir anders der Angabe des Benedictiners Sender Glauben beimessen dürfen – liegt darin, daß sie, im Angesicht des Todes aufgefordert, sich durch Verzichtleistung auf Albrecht zu retten, den Tod in den Wellen einem Leben ohne den Geliebten vorzog.

Härter dagegen muß sich das Urtheil über Albrecht gestalten. Daß die Ermordung der Jugendgeliebten ihn zur blinden, Alles zerstörenden Raserei fortriß, dürfen wir ihm allerdings bei der ausgesprochenen Leidenschaftlichkeit seines Charakters nicht allzuhoch anrechnen; wohl aber muß es befremden, daß er, im geraden Gegensatz zu seiner bisherigen Handlungsweise, noch vor Jahresfrist die Heirath mit Anna von Braunschweig einging. Uebereinstimmend melden uns die Geschichtsschreiber seine stark ausgeprägte Neigung zum schönen Geschlecht. Schon vor der Verbindung mir Agnes hatte ihn Elisabeth von Würtemberg ausgeschlagen, „weil ihr zu Ohren gekommen, daß er ein allzu großer Weiberfreund sei“. Noch in seinen späteren Jahren finden wir ihn in mannigfache Liebesverhältnisse verstrickt. So lange er jung war, konnte er das Urtheil über seine Person durch eine Reihe ihm zu Gebote stehender ritterlicher Künste und Vorzüge irre führen; als diese mehr und mehr schwanden, traten die schweren Gebrechen seines Charakters unverhüllt zu Tage. Wir dürfen daher nicht verwundert sein, wenn wir ihn später ganz in den Händen der Pfaffen finden. Von heftigem Podagra gequält, suchte er in der Stiftung von Kirchen und Klöstern, in der Aufrechthaltung strengster kirchlicher Zucht und Moralität, in der Verfolgung und Austreibung der in seinem Lande zahlreich angesiedelten Juden Ersatz für sein verlornes Leben.

Agnes Bernauer aber lebte im Munde des Volkes fort. Schon bald nach ihrem Tode entstanden Lieder, die ihre Liebe und ihr grausames Ende besangen. Wie das Rechtsgefühl des gemeinen Mannes auch heute noch bei der alten Geschichte erregt zu werden vermag, hat Fr. von Kobell in seinen oberbaierischen Gedichten drastisch geschildert. Von den zahlreichen dramatischen Bearbeitungen will ich hier nur auf die drei jüngsten von Melchior Meyr, Fr. Hebbel und Otto Ludwig aufmerksam machen. Am längsten und eingehendsten beschäftigte sich der Letztgenannte mit der Gestalt der Bernauerin. In vier vollständigen Tragödien und zwei Fragmenten suchte er den spröden Stoff dichterisch zu bewältigen. Sein eigenes Verhältniß zu der Gestalt der unglücklichen Frau hat er in ergreifender Weise in einem Liede ausgesprochen, das aus seinem Nachlaß in dem Album „Deutsche Kunst in Bild und Schrift“ veröffentlicht worden ist.
Achivar Dr. Chr. Meyer.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ausburger