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Gesammelte Schriften über Musik und Musiker/Die C Dur-Symphonie von Franz Schubert

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Zur Eröffnung des Jahres 1840 Gesammelte Schriften über Musik und Musiker (1854) von Robert Schumann
Die C Dur-Symphonie von Franz Schubert
Concerte und Concertstücke für Pianoforte


[195]
Die C dur-Symphonie von Franz Schubert.


Der Musiker, der zum erstenmal Wien besucht, mag sich wohl eine Weile lang an dem festlichen Rauschen in den Straßen ergötzen können, und oft und verwundernd immer vor dem Stephansthurme stehen geblieben sein; bald aber wird er daran erinnert, wie unweit der Stadt ein Kirchhof liegt, ihm wichtiger als Alles was die Stadt sonst an Sehenswürdigem hat, wo zwei der Herrlichsten seiner Kunst nur wenige Schritte von einander ruhen. So mag denn, wie ich, schon mancher junge Musiker, bald nach den ersten geräuschvollen Tagen hinausgewandert sein zum Währinger Kirchhof, auf jenen Gräbern ein Blumenopfer niederzulegen, und wär’ es ein wilder Rosenstrauch, wie ich ihn an Beethoven’s Grab hingepflanzt fand. Franz Schubert’s Ruhestätte war ungeschmückt. So war endlich ein heißer Wunsch meines Lebens in Erfüllung gegangen und ich betrachtete mir lange die beiden heiligen Gräber, beinahe den Einen beneidend, irr’ ich nicht einen Grafen Odonnell, der zwischen beiden mitten innen liegt.[H 1] Einem [196] großen Mann zum erstenmal in’s Angesicht zu schauen, seine Hand zu fassen, gehört wohl zu Jedes ersehntesten Augenblicken. War es mir nicht vergönnt, jene beiden Künstler im Leben begrüßen zu dürfen, die ich am höchsten verehre unter den neueren Künstlern, so hätte ich nach jenem Gräberbesuch so gern wenigstens Jemanden zur Seite gehabt, der einem von ihnen näher gestanden, und am liebsten, dachte ich mir, einen ihrer Brüder. Es fiel mir ein auf dem Zuhausewege, daß ja Schubert’s Bruder, Ferdinand, noch lebe, auf den er, wie ich wußte, große Stücke gehalten. Bald suchte ich ihn auf und fand ihn seinem Bruder ähnlich, wie mir nach der Büste schien, die neben Schubert’s Grabe steht, mehr klein, aber kräftig gebaut, Ehrlichkeit wie Musik gleichviel im Ausdruck des Gesichts. Er kannte mich aus meiner Verehrung für seinen Bruder, wie ich sie oft öffentlich ausgesprochen, und erzählte und zeigte mir vieles, wovon auch früher unter der Ueberschrift „Reliquien“ mit seiner Bewilligung in der Zeitschrift[H 2] mitgetheilt wurde. Zuletzt ließ er mich auch von den Schätzen sehen, die sich noch von Franz Sch.’s Compositionen in seinen Händen befinden. Der Reichthum, der hier aufgehäuft lag, machte mich freudeschauernd; wo zuerst hingreifen, wo aufhören! Unter andern wies er mir die Partituren mehrerer Symphonieen, von denen viele noch gar nicht gehört worden sind, ja oft vorgenommen als zu schwierig und schwülstig zurückgelegt wurden. Man muß Wien kennen, die eigenen Concertverhältnisse, [197] die Schwierigkeiten, die Mittel zu größeren Aufführungen zusammenzufügen, um es zu verzeihen, daß man da, wo Schubert gelebt und gewirkt, außer seinen Liedern von seinen größeren Instrumentalwerken wenig oder gar nichts zu hören bekommt. Wer weiß wie lange auch die Symphonie, von der wir heute sprechen, verstäubt und im Dunkel liegen geblieben wäre, hätte ich mich nicht bald mit Ferdinand Sch. verständigt, sie nach Leipzig zu schicken an die Direction der Gewandhausconcerte oder an den Künstler selbst, der sie leitet,[H 3] dessen feinem Blicke ja kaum die schüchtern aufknospende Schönheit entgeht, geschweige denn so offenkundige, meisterhaft strahlende. So ging es in Erfüllung. Die Symphonie kam in Leipzig an, wurde gehört, verstanden, wieder gehört und freudig, beinahe allgemein bewundert. Die thätige Verlagshandlung Breitkopf und Härtel kaufte Werk und Eigenthum an sich und so liegt sie nun fertig in den Stimmen vor uns und vielleicht auch bald in Partitur,[H 4] wie wir es zu Nutz und Frommen der Welt wünschten. –

Sag’ ich es gleich offen: wer diese Symphonie nicht kennt, kennt noch wenig von Schubert, und dies mag nach dem, was Schubert bereits der Kunst geschenkt, allerdings als ein kaum glaubliches Lob angesehen werden. Es ist so oft und zum Verdruß der Componisten gesagt worden, „nach Beethoven abzustehen von symphonistischen Plänen,“ und zum Theil auch wahr, daß außer einzelnen bedeutenderen Orchesterwerken, die aber [198] immer mehr zur Beurtheilung des Bildungsganges ihrer Componisten von Interesse waren, einen entschiedenen Einfluß aber auf die Masse, wie auf das Fortschreiten der Gattung nicht übten, das meiste andere nur mattes Spiegelgebild Beethoven’scher Weisen war, jener lahmen langweiligen Symphonieenmacher nicht zu gedenken, die Puder und Perücke von Haydn und Mozart passabel nachzuschatten die Kraft hatten, aber ohne die dazu gehörigen Köpfe. Berlioz gehört Frankreich an und wird nur als interessanter Ausländer und Tollkopf zuweilen genannt. Wie ich geahnt und gehofft hatte, und mancher vielleicht mit mir, daß Schubert, der formenfest, phantasiereich und vielseitig sich schon in so vielen anderen Gattungen gezeigt, auch die Symphonie von seiner Seite packen, daß er die Stelle treffen würde, von der ihr und durch sie der Masse beizukommen, ist nun in herrlichster Weise eingetroffen. Gewiß hat er auch nicht daran gedacht, die 9te Symphonie von Beethoven fortsetzen zu wollen, sondern, ein fleißigster Künstler, schuf er unausgesetzt aus sich heraus, eine Symphonie nach der andern, und daß jetzt die Welt gleich seine siebente zu sehen bekömmt, ohne der Entwickelung zugesehen zu haben und ihre Vorgängerinnen zu kennen, ist vielleicht das Einzige, was bei ihrer Veröffentlichung leid thun könnte, was auch selbst zum Mißverstehen des Werkes Anlaß geben wird. Vielleicht daß auch von den andern bald der Riegel gezogen wird; die kleinste darunter wird noch immer ihre Franz Schubert’sche [199] Bedeutung haben; ja die Wiener Symphonieenausschreiber hätten den Lorbeer, der ihnen nöthig war, gar nicht so weit zu suchen brauchen, da er siebenfach in Ferdinand Schubert’s Studierstübchen in einer Vorstadt Wiens übereinander lag. Hier war einmal ein würdiger Kranz zu verschenken. So ist’s oft: spricht man in Wien z. B. von — —,[H 5] so wissen sie des Preisens ihres Franz Schubert kein Ende; sind sie aber unter sich, so gilt ihnen weder der Eine noch der Andere etwas besonderes. Wie dem sei, erlaben wir uns nun an der Fülle Geistes, die aus diesem kostbaren Werke quillt. Es ist wahr, dies Wien mit seinem Stephansthurm, seinen schönen Frauen, seinem öffentlichen Gepränge, und wie es von der Donau mit unzähligen Bändern umgürtet, sich in die blühende Ebene hinstreckt, die nach und nach zu immer höherem Gebirge aufsteigt, dies Wien mit all’ seinen Erinnerungen an die größten deutschen Meister, muß der Phantasie des Musikers ein fruchtbares Erdreich sein. Oft wenn ich es von den Gebirgshöhen betrachtete, kam mir’s im Sinn, wie nach jener fernen Alpenreihe wohl manchmal Beethoven’s Auge unstät hinübergeschweift, wie Mozart träumerisch oft den Lauf der Donau, die überall in Busch und Wald zu verschwimmen scheint, verfolgt haben mag und Vater Haydn wohl oft den Stephansthurm sich beschaut, den Kopf schüttelnd über so schwindlige Höhe. Die Bilder der Donau, des Stephansthurms und des fernen Alpengebirgs [200] zusammengedrängt und mit einem leisen katholischen Weihrauchduft überzogen, und man hat eines von Wien, und steht nun vollends die reizende Landschaft lebendig vor uns, so werden wohl auch Saiten rege, die sonst nimmer in uns angeklungen haben würden. Bei der Symphonie von Schubert, dem hellen, blühenden, romantischen Leben darin, taucht mir heute die Stadt deutlicher als je wieder auf, wird es mir wieder recht klar, wie gerade in dieser Umgebung solche Werke geboren werden können. Ich will nicht versuchen, der Symphonie eine Folie zu geben, die verschiedenen Lebensalter wählen zu verschieden in ihren Text- und Bilderunterlagen, und der 18jährige Jüngling hört oft eine Weltbegebenheit aus einer Musik heraus, wo der Mann nur ein Landesereigniß sieht, während der Musiker weder an das Eine, noch an das Andere gedacht hat, und eben nur seine beste Musik gab, die er auf dem Herzen hatte. Aber daß die Außenwelt, wie sie heute strahlt, morgen dunkelt, oft hineingreift in das Innere des Dichters und Musikers, das wolle man nur auch glauben, und daß in dieser Symphonie mehr als bloßer schöner Gesang, mehr als bloßes Leid und Freud, wie es die Musik schon hundertfältig ausgesprochen, verborgen liegt, ja daß sie uns in eine Region führt, wo wir vorher gewesen zu sein uns nirgends erinnern können, dies zuzugeben, höre man solche Symphonie. Hier ist, außer meisterlicher musikalischer Technik der Composition, noch Leben in allen Fasern, Colorit bis [201] in die feinste Abstufung, Bedeutung überall, schärfster Ausdruck des Einzelnen, und über das Ganze endlich eine Romantik ausgegossen, wie man sie schon anderswoher an Franz Schubert kennt. Und diese himmlische Länge der Symphonie, wie ein dicker Roman in vier Bänden etwa von Jean Paul, der auch niemals endigen kann und aus den besten Gründen zwar, um auch den Leser hinterher nachschaffen zu lassen. Wie erlabt dies, dies Gefühl von Reichthum überall, während man bei Anderen immer das Ende fürchten muß und so oft betrübt wird, getäuscht zu werden. Es wäre unbegreiflich, wo auf einmal Schubert diese spielende, glänzende Meisterschaft, mit dem Orchester umzugehen, hergenommen hätte, wüßte man eben nicht, daß der Symphonie sechs andere vorausgegangen waren, und daß er sie in reifster Manneskraft schrieb.[1] Ein außerordentliches Talent muß es immer genannt werden, daß er, der so wenig von seinen Instrumentalwerken bei seinen Lebzeiten gehört, zu solcher eigenthümlichen Behandlung der Instrumente, wie der Masse des Orchesters gelangte, die oft wie Menschenstimmen und Chor durcheinandersprechen. Diese Aehnlichkeit mit dem Stimmorgan habe ich außer in vielen Beethoven’schen, nirgends so täuschend und überraschend angetroffen; es ist das Umgekehrte der Meyerbeer’schen Behandlung der Singstimme. Die völlige [202] Unabhängigkeit, in der die Symphonie zu denen Beethoven’s steht, ist ein anderes Zeichen ihres männlichen Ursprungs. Hier sehe man, wie richtig und weise Schubert’s Genius sich offenbart. Die grotesken Formen, die kühnen Verhältnisse nachzuahmen, wie wir sie in Beethoven’s spätern Werken antreffen, vermeidet er im Bewußtsein seiner bescheideneren Kräfte; er gibt uns ein Werk in anmuthvollster Form, und trotz dem in neuverschlungener Weise, nirgends zu weit vom Mittelpunct wegführend, immer wieder zu ihm zurückkehrend. So muß es Jedem erscheinen, der die Symphonie sich öfters betrachtet. Im Anfange wohl wird das Glänzende, Neue der Instrumentation, die Weite und Breite der Form, der reizende Wechsel des Gefühllebens, die ganze neue Welt, in die wir versetzt werden, den und jenen verwirren, wie ja jeder erste Anblick von Ungewohntem; aber auch dann bleibt noch immer das holde Gefühl etwa wie nach einem vorübergegangenen Märchen- und Zauberspiel; man fühlt überall, der Componist war seiner Geschichte Meister und der Zusammenhang wird dir mit der Zeit wohl auch klar werden. Diesen Eindruck der Sicherheit gibt gleich die prunkhaft romantische Einleitung, obwohl hier noch alles geheimnißvoll verhüllt scheint. Gänzlich neu ist auch der Uebergang von da in das Allegro; das Tempo scheint sich gar nicht zu ändern, wir sind angelandet, wissen nicht wie. Die einzelnen Sätze zu zergliedern, bringt weder uns, noch Andern Freude; man [203] müßte die ganze Symphonie abschreiben, vom novellistischen Charakter, der sie durchweht, einen Begriff zu geben. Nur vom zweiten Satze, der mit so gar rührenden Stimmen zu uns spricht, mag ich nicht ohne ein Wort scheiden. In ihm findet sich auch eine Stelle, da wo ein Horn wie aus der Ferne ruft, das scheint mir aus anderer Sphäre herabgekommen zu sein. Hier lauscht auch Alles, als ob ein himmlischer Gast im Orchester herumschliche.

Die Symphonie hat denn unter uns gewirkt, wie nach den Beethoven’schen keine noch. Künstler und Kunstfreunde vereinigten sich zu ihrem Preise, und vom Meister, der sie auf das Sorgfältigste einstudirt, daß es prächtig zu vernehmen war, hörte ich einige Worte sprechen, die ich Schubert’en hätte bringen mögen, als vielleicht höchste Freudenbotschaft für ihn. Jahre werden vielleicht hingehen, ehe sie sich in Deutschland heimisch gemacht hat; daß sie vergessen, übersehen werde, ist kein Bangen da; sie trägt den ewigen Jugendkeim in sich.

So hat denn mein Gräberbesuch, der mich an einen Verwandten des Geschiedenen erinnerte, mir einen zweiten Lohn gebracht. Den ersten erhielt ich schon an jenem Tage selbst; ich fand auf Beethoven’s Grab — eine Stahlfeder, die ich mir theuer aufbewahrt. Nur bei festlicher Gelegenheit, wie heute, nehm’ ich sie in Brauch: mög’ ihr angenehmes entflossen sein. –




  1. Auf der Partitur steht „März 1828“; im November darauf starb Schubert.

Anmerkungen (H)

  1. [GJ] Zwischen Beethovens ehemaliger Grabstätte auf dem Währinger Friedhofe und der Schuberts sind noch drei Gräber gewesen. Zunächst Beethoven war die Familiengruft des Freiherrn Schlechta v. Wssehrd und der ihm verschwägerten von Hardtmuth 1827; dann kam das Grab von Caroline Gräfin Odonnel und von Joh. Graf Odonnel. Anmerkung 46, II.521 Commons
  2. [GJ] 1839, X, 37. [Google] Es waren Briefe und Gedichte von Franz Schubert. II.229 Commons
  3. [GJ] Mendelssohn. II.230 Commons
  4. [GJ] Die Partitur erschien 1849. II.230 Commons
  5. [WS] gemeint ist Mendelssohn. [GJ] Die Bedeutung Mendelssohns wurde bei seinen Lebzeiten nur von einem kleinen Theil der Wiener Musikfreunde erkannt. Das bestätigt ein Aufsatz Hanslicks im „Wiener Boten“ (Beilage zu den „Sonntagsblättern“) vom 31. Oct. 1847, der auf die bevorstehende Aufführung des Elias hinweist. Von freudiger Bewunderung für das Werk erfüllt, wollte Hanslick die Hörer mit dem Plan des Ganzen bekannt und auf die einzelnen Schönheiten aufmerksam machen. Er läßt aber die Bemerkung einfließen: „In Wien hat, ehrlich gestanden, der Paulus wenig Glück gemacht, überhaupt kein Werk Mendelssohns nachhaltig gewirkt. Die Bestrebungen würdiger Männer, wie Fischhof, Becher, Vesque, Laurencin sind vereinzelt geblieben; zu einer populären Größe, einer allgemeinen [522] Beliebtheit, wie sie Mendelssohn in Deutschland genießt, konnte er es in Wien niemals bringen. … Häufiger als irgendwo hört man in Wien den Gemeinplatz gegen Mendelssohn richten: er componire mit dem Verstand und nicht mit dem Gefühle.“ (Ueber solche Urtheile der Wiener spricht auch Schumann [WS: in seinem Text Mendelssohn’s „Paulus“ in Wien].) Hanslick glaubt aber erwarten zu dürfen, daß beim Elias nicht, wie bei der ersten Aufführung des Paulus (1839), Journalritter von der traurigsten Gestalt einem Felix Mendelssohn die Fehler dutzendweise nachrechnen würden. „Auch das unleugbare Widerstreben, welches sich von jeher in unsrer Presse und unserm Publicum gegen Kunstleistungen äußerte, die von Norddeutschland kamen, schwindet immer mehr und mehr; und wenn wir auch nicht hoffen dürfen, daß Wien je ein Grenzdamm sein werde gegen das Schlechte aus Süden, so wird es doch gewiß aufhören, ein Grenzdamm zu sein gegen das Gute aus Norden.“ – Die erste Aufführung des Elias sollte am 7. Nov. 1847 unter Mendelssohns eigener Leitung stattfinden, doch mußte sie „wegen eingetretenen Unwohlseins des Compositeurs“ auf den 14. Nov. verschoben werden. Als Hanslick am Schluß seines Aufsatzes Mendelssohn zuversichtlich und freudig zurief, wie der Engel dem Elias: „Komm’ herab! noch sind übrig geblieben 7000 in Israel, die sich nicht gebeugt vor Baal“ – da ahnte er nicht, daß wenige Tage darauf der Erwartete heimgegangen sein und die Aufführung des Elias am 14. Nov. sich zu einer Todtenfeier für den verklärten Meister gestalten werde. Anmerkung 47, II.521–522 Commons
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