Gustav Freytag (Gartenlaube 1895)

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Autor: Rudolf von Gottschall
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Titel: Gustav Freytag
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aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 328–334
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein Gedenkblatt für Gustav Freytag.
Für die „Gartenlaube“ gezeichnet von A. Zick.

[330]

Gustav Freytag.

Von Rudolf von Gottschall.
(Mit dem Bilde auf S. 328 und 329.)

Gustav Freytag ist nicht mehr! Die deutsche Nation hat einen ihrer Lieblingsschriftsteller verloren. Am 30. April ist er zu Wiesbaden in seinem 79. Lebensjahre gestorben. Tief wird dieser Verlust empfunden werden, wenn auch der Dichter sich in den letzten Jahren mehr beschaulicher Muße hingegeben und nur selten zur Feder gegriffen hat, um seine Meinung über eine nationale Angelegenheit, wie in der Schrift „Der Kronprinz und die deutsche Kaiserkrone“, auszusprechen. Wie sein Bild der Berliner Nationalgalerie angehört, so gehören seine Werke unserer Nationallitteratur als dauernde Bereicherung.

Gustav Freytag ist ein Schlesier von Geburt; aber das phantasievolle und bewegliche Naturell seines Volksstammes war ihm nur in beschränktem Maße eigen. Die liebenswürdige Plauderhaftigkeit eines Karl von Holtei, die herausfordernde Keckheit eines Heinrich Laube würde man bei ihm vergeblich suchen. Freytag war von Hause aus maßvoll und hat nie eine überschäumende Sturm- und Drangepoche durchgemacht. Seine Jovialität war stets fein und hatte einen starken Zusatz von Ironie, sein Gemüt hatte etwas Inniges, das sich nie ausgab in überströmenden Ergüssen, das mit allen Empfindungen haushielt; aber stets traf er das bezeichnende Wort, das sie voll zum Ausdruck brachte.

Gustav Freytag stammt aus jenen Gegenden jenseit der Oder, die sich nicht gerade des Rufes malerischer Schönheit erfreuen; er ist am 13. Juli 1816 in Kreuzburg geboren, an der Grenze der „Wasserpolackei“, die ihren Namen davon hat, daß hier das Polentum im Osten und Süden dicht heranrückt an die von Deutschen [331] bewohnten Landstriche. In seinen „Erinnerungen“ bricht der Dichter eine Lanze für die Reize dieser Gegenden. Freytags Großvater war Geistlicher, sein Vater Arzt und später Bürgermeister von Kreuzburg; seine Mutter stammte aus einem ländlichen Pfarrhause. In seinen Romanen ist Freytag selten Kindermaler; aber in seinen Erinnerungen wetteifert er mit Oscar Pletsch, indem er uns allerliebste Genrescenen aus seiner Kindheit vorführt. Da schildert er uns den ersten großen Schmerz seines Lebens, als ein aus dem Neste gefallenes Sperlingskind, das seine Mutter künstlich mit Erfolg aufgepäppelt hatte, sein lieber Spielgefährte, plötzlich von des Nachbars Katze gemeuchelt wurde; er schildert uns, wie die Kinder das Waldmoos aus dem Stadtwalde holten für den Teppich, in welchen zur Weihnachtszeit die ausgeschnittenen Figuren der heiligen Familie gesteckt wurden. „Die meisten Kinderspiele,“ erzählt er, „wurden von uns geübt; der Drache flog, der ‚Mönch‘ brummte, die Bleisoldaten marschierten auf dem Fußboden, und was die Händler, welche ‚Spilleleute‘ hießen, von geschnitzter Holzware an den Jahrmärkten ausstellten, wurde so lange sehnsüchtig betrachtet, bis wir davon heimtragen konnten.“

Das Gymnasium in Oels, welches Freytag dann besuchte, bildete in ihm einen tüchtigen Lateiner und Griechen heran; die Lehrer sahen in ihm einen künftigen Philologen; aber als er die Universität bezog, wandte er sich dem Studium der deutschen Sprach- und Altertumskunde zu. In einem Kollegium über Handschriftenkunde war er der einzige Schüler Hoffmanns von Fallersleben, der ihm hierin tüchtige Kenntnisse beibrachte, ihm aber auch daneben seine neuesten lyrischen Gedichte vorlas. Im Jahre 1836 setzte er seine Studien in Berlin fort, wo er sich mit einer Abhandlung über die Anfänge der dramatischen Poesie der Deutschen den Doktorhut erwarb.

Wir finden ihn dann wieder als Privatdocenten in Breslau; er war schon 23 Jahre alt und hatte noch nicht seiner Militärpflicht genügt. Dabei begegneten ihm mehrere Unannehmlichkeiten. Der Oberstlieutenant des elften Regiments gewährte ihm noch einen halbjährigen Aufschub bis zum Herbst. Inzwischen war eine Verordnung erschienen, die alle aus seinem Geburtsjahr, welche ihrer Militärpflicht noch nicht genügt hatten, dringend aufforderte, sich bei der Polizei zu melden. Auch Freytag meldete sich und erhielt einige Wochen darauf den Befehl, sich bei der Ersatzkommission zu stellen. Ein alter mißvergnügter General behandelte ihn als säumigen Kantonisten und erklärte, daß er sein Recht auf einjährigen Dienst verloren habe, der Arzt habe ihn zu untersuchen. Ich war,“ wie Freytag selbst erzählt, „schnell aufgeschossen, damals schmal und kränklich, also versuchsweise einzustellen. Die Stiefeln aus, unter das Maß; die Fahne wurde herumgetragen und ich als Gemeiner für drei Jahre in Eid und Pflicht genommen.“ Als indes der Termin kam, wo er sich zum Eintritt in Breslau stellen sollte, lag er erkrankt danieder. Der Vater zeigte dies der Ersatzkommission an und legte für die Verhinderung ein Zeugnis des Kreisphysikus bei; doch umgehend erging der Bescheid an den Landrat, der Rekrut solle per Schub zum Regiment gebracht werden. Das war verzweifelt gesetzlich, wie Freytag später es nannte; er wurde einige Tage darauf eingepackt und nach Breslau gebracht, wo er zunächst vom Regimentsarzt behandelt wurde, bis er wieder für dienstfähig erklärt werden konnte; er wurde auf dem Bürgerwerder mit zwei andern ebenfalls zurückgebliebenen Rekruten gedrillt. Bald traf dann von Berlin die Ordre ein, welche die Schnur auf den Achselklappen bewilligte. Er nahm auch seine akademischen Vorlesungen wieder auf und bestieg zuweilen, wenn er aus der Kaserne kam, das Katheder in der Kommisjacke, was bei ernsten Professoren Anstoß erregte. Doch beim Exerzieren im leichten Anzuge erkältete er sich und verfiel in ein hitziges Nervenfieber. Einige Zeit blieb er als Revierkranker in seiner Wohnung, bis er als Armeereservist entlassen wurde.

Diese kurze militärische Laufbahn bewies, daß die kriegerischen Lorbeeren für ihn nicht gewachsen waren; aber auch mit den dichterischen sah es anfangs mißlich aus. Wenigstens die Sammlung seiner Gedichte, die damals unter dem Titel „In Breslau“ erschien, erweckte geringe Hoffnungen. Freytag selbst bekennt, daß er kein lyrischer Dichter sei; aber auch die größeren lyrisch-epischen Gedichte fanden nur wenig Anklang. Von Sturm und Drang, von innerer Gährung war darin nie die Rede, wie dies ja dem Charakter und der Entwicklung des Dichters gänzlich fern lag; obwohl Redakteur des studentischen Musenalmanachs und ein Vorsteher im akademischen Klub, hatte Freytag, wie sich alle erinnern werden, die damals die Universität besuchten, sehr viele Gegner. Diese Gegnerschaft hing damit zusammen, daß man ihm in gewissen akademischen Kreisen den engeren Anschluß an einzelne bevorzugte Kreise der Breslauer Handelswelt verdachte. Seine Bekanntschaft mit dem angesehenen Kaufmann Molinari, dessen Haus und Geschäft er einige Motive für „Soll und Haben“ entlehnte, brachte es mit sich, daß er in diesen Kreisen bald der Hahn im Korbe wurde, für die geselligen Vergnügungen des Börsenkränzchens sorgte sowie für die Unterhaltung anderer großer kaufmännischer Klubs, wo er allerlei Lustiges, zuletzt ein großes Maskenfest, einrichtete.

Inzwischen hatte aber Freytag auf anderem Gebiete einen Erfolg davongetragen, der seine Gegner nachdenklich machen mußte: er hatte auf Grund geschichtlicher Studien ein Lustspiel geschrieben, „Die Brautfahrt“, dessen Inhalt die Werbung des Erzherzogs Maximilian um Maria von Burgund war und in welchem der Hofnarr Kunz von der Rosen eine wichtige Rolle spielte. Da wurde gerade von der Hofintendanz von Berlin ein Preis für das beste Lustspiel höheren Stils ausgeschrieben; der Dichter sandte sein Manuskript ein und sein Lustspiel erhielt mit drei andern zusammen 1842 den Preis. Das Berliner Hoftheater selbst brachte indes das Stück nicht zur Aufführung, eine Thatsache, die noch mehr befremden müßte, wenn sie sich nicht später nach Verteilung des Berliner Schillerpreises mehrfach wiederholt hätte. Etwa zwölf andere Bühnen gaben das Stück. Der Dichter wohnte der Breslauer Vorstellung bei; er berichtet darüber: „Bei der ersten Aufführung war ich selig; ich saß wie verzückt und ertappte mich darüber, daß ich fortwährend die Lippen bewegte und die Worte der Schauspieler leise mitsprach. Es störte mich auch gar nicht und ich war beim Schluß nur etwas verwundert, daß das Publikum meine Begeisterung nicht recht teilen wollte und dem jungen Verfasser nur ein mäßiges Wohlwollen gönnte.“

Bei späterem Nachdenken fand er die Fehler heraus, welche den Erfolg beeinträchtigt hatten. Ein Hauptübelstand waren die häufigen Verwandlungen, aber auch die Vorliebe, welche der Dichter einer Nebenfigur, dem Kunz von der Rosen, zugewendet hatte.

Doch schon traf Freytag in seinem nächsten Stücke das richtige, was scenische Einrichtung und die Wirkung auf der Bühne anlangt. Damals war durch Gutzkow und Laube das Theater für eine jüngere Richtung erobert worden; Gutzkow hatte mit Vorliebe moderne Stoffe gewählt und war mit Erfolg auf theatralische Wirkung bedacht gewesen. Freytag trat in seine Fußstapfen und sein nächstes Schauspiel, „Die Valentine“, das er im Frühjahr 1846 dichtete, ging mit Erfolg über alle Bühnen und hält sich noch heute auf denselben. Der Stoff hat etwas gewagtes; die Errettung einer schönen Hofdame aus bedenklichen Verhältnissen durch die Liebe eines unternehmenden jungen Mannes, der aus Amerika, wohin er wegen politischer Verwicklungen geflüchtet, zurückgekehrt war und bei einem nächtlichen Besuch nicht scheute, sich als Dieb verhaften zu lassen, bildet die Haupthandlung. Freytag selbst war später, wo er den Jungdeutschen gegenüber den Standpunkt moralischer Tüchtigkeit hervorkehrte, nicht ganz mit diesem Stücke einverstanden.

Er ist geneigt, seinem nächsten Drama, „Graf Waldemar“, das er 1847 verfaßte, den Vorrang vor der „Valentine“ einzuräumen; er glaubte darin einen Fortschritt zu erblicken, trotz einiger Bedenken, die er selbst hervorhebt. So leicht wie er selbst setzte sich indes das Publikum und die Kritik nicht über das Gewagte der ganzen Begebenheit, die Unwahrscheinlichkeit, daß der Held Georgine nicht wiedererkennt, so nahe sie ihm gestanden; und die Unsicherheit, was die Nachhaltigkeit der Bekehrung des Helden am Schluß betrifft, hinweg. „Graf Waldemar“ ist ein Gegenstück zur „Valentine“; hier wird der Held selbst durch die Liebe zu einem schlichten braven Mädchen aus mißlichen Verwicklungen gerettet. Das ist bei der Valentine glaubhafter; denn über ein Frauenherz hat die Liebe eine bewältigende Macht, welche das ganze Leben ausfüllt: bei einem wüsten Genußmenschen wie Graf Waldemar ist ein Rückfall aus einem stillen für den Augenblick fesselnden Liebesglück in das frühere abenteuerliche Leben nicht nur möglich, sondern auch wahrscheinlich.

Freytag war inzwischen von Schlesien nach dem Königreich Sachsen übergesiedelt. Die akademische Laufbahn hatte er aufgegeben; die Freude, selbst Dichterisches zu schaffen, ward allmählich stärker in ihm als der Drang, über dem zu verweilen, was andere in alter und neuerer Zeit geschaffen haben. Die äußere Veranlassung zu seinem Rücktritt gab die Weigerung der Fakultät, ihm [332] eine beabsichtigte Vorlesung über deutsche Kulturgeschichte zu gestatten. Der Wunsch, ein tüchtiges Schauspielensemble kennenzulernen, führte ihn zunächst nach Leipzig, wo Heinrich Marr als energischer und kundiger Regisseur das Scepter führte. Hier verkehrte Freytag viel in schauspielerischen Kreisen; dann ließ er sich ganz in Dresden nieder, wo er seine erste Frau, die geschiedene Frau des Grafen Dyhrn, die Tochter eines Breslauer Beamten, heiratete.

Schon sein „Graf Waldemar“ war in die politische Bewegung hineingeraten und bald sollte die „Dame Politik“, wie es in den „Journalisten“ heißt, den Dichter ganz in ihrem Banne halten. Da traf es sich im Einklang mit der Zeitrichtung und seiner eigenen Stimmung, daß er selbst mit einem Freunde zusammen ein Jourmal erwerben konnte, in welchem sein politischer Eifer zu Worte kam und seine litterarischen Tendenzen Vertretung finden konnten. Der Freund war Julian Schmidt, das Blatt die damals von Kuranda herausgegebenen „Grenzboten“. Bei einem Besuche in Leipzig traf er einen kleinen Herrn, dem hübsche blonde Locken ein rundliches rosiges Kindergesicht einfaßten und der hinter großen Augengläsern starr und schweigsam auf seine Umgebung sah. Mit diesem Herrn, der ihm als Julian Schmidt bezeichnet wurde, Verfasser einer gelehrten „Geschichte der Romantik“, geriet Freytag bald in ein Gespräch und es zeigte sich eine solche Uebereinstimmung in den Ansichten nicht nur über Preußen und die deutsche Unordnnung, sondern auch über litterarische Richtungen der Zeit, daß er mit größter Hochachtung von ihm schied. Sie erwarben beide zu gleichen Teilen Eigentumsrecht an den bisher von Kuranda herausgegebenen „Grenzboten“, und am 1. Juli 1848 begann die selbständige Thätigkeit der neuen Redaktion. Julian Schmidt besorgte die deutschen Artikel, schrieb über Litteratur und Kunst, Freytags Bereich war Oesterreich und das Ausland. Die „grünen Blätter“ fanden zwar nie einen ausgedehnten Leserkreis, aber ihre politischen Artikel wurden beachtet und die litterarischen Kritiken von Julian Schmidt machten Aufsehen durch ihr kaltes nüchternes Urteil, durch ihren Widerspruch gegen die damals herrschende Richtung, durch ihre hartnäckige Polemik gegen einzelne hervorragende Schriftsteller wie Gutzkow und die nachdrückliche Betonung der Charakterfestigkeit und sittlichen Tüchtigkeit als entscheidender Vorzüge auch auf litterarischem Gebiete. Ein großer Teil dieser Blätter fand sich wieder zusammengeheftet in der Julian Schmidtschen Litteraturgeschichte. Bisweilen aber erschien auch Freytag auf dem Kampfplatze der litterarischen Polemik, wo er mit feiner Ironie oft seine Gegner zu entwaffnen wußte. Freytag verkehrte in der Leipziger Gesellschaft viel mit einzelnen Universitätsprofessoren, außerdem mit Mathy, dem früheren Revolutionär und späteren badischen Minister, der damals Direktor der Leipziger Kreditanstalt war; ein traulicher Abendcircel vereinigte Freytag und Julian Schmidt öfter mit Heinrich von Treitschke und Wilhelm Hamm, dem schleswig-holsteinschen Freiheitskämpfer und späteren österreichischen Ministerialrat. In der Wintersaison fiel auf Freytag der Hauptanteil der Redaktion; für den Sommer hatte er inzwischen sich ein ländliches Heim erworben. Es war ein Landhaus mit Garten in Siebleben bei Gotha. Das altfränkische Haus, gerade ausreichend für einen bescheidenen Haushalt, anfangs von einem Gothaschen Minister eingerichtet, hatte oft die Gäste von Weimar, Karl August, Goethe und Voigt, auf ihren Fahrten nach Eisenach beherbergt und war in ihrem Kreise unter dem Namen „die gute Schmiede“ wohlbekannt. Jetzt stand der kleine alte Bau, wie Freytag selbst sagt, nach manchem Wechsel der Besitzer als ein Zeugnis, wie eng, anspruchslos und doch behaglich ein früheres Geschlecht gehaust hatte. „Ich fühlte mich in dem Besitz sehr wohl und siedelte jedes Frühjahr gern dorthin über. Die heitere Ruhe förderte mir auch die litterarische Thätigkeit, dort ist bei weitem der größte Teil meiner größeren Arbeiten entstanden.“ Hier genoß er den Zuspruch werter Männer aus der Nähe und Ferne.

Unter dem Blätterdach der alten Linden von Siebleben sind nun in der ersten Hälfte des sechsten Jahrzehnts die beiden Werke gedichtet worden, welche mehr als alle seine andern Schriften seinen Ruhm in weiten Kreisen verbreitet und für die Nachwelt gesichert haben: das Lustspiel „Die Journalisten“ (1852) und der Roman „Soll und Haben“ (1855). Seitdem Freytag selbst unter die Journalisten gegangen, hatte er die verschiedensten Arten und Abarten des beweglichen Völkleins kennengelernt; auch gaben ihm seine eigenen Erlebnisse manchen Anhalt für eine glückliche Erfindung. Sowohl dies Lustspiel als auch der Roman sind so bekannt, daß ihre Inhaltsangabe überflüssig ist und ihre Vorzüge keines eingehenden Lobes bedürfen. „Die Journalisten“, denen es längere Zeit nicht gelang, die Berliner Hofbühne zu erobern, sind jetzt ein beliebtes Repertoirestück aller Bühnen, trotz der gänzlich veränderten politischen Weltlage. Wenn sie in keiner Weise veraltet sind, so lag das an der feinen Kunst und glücklichen Vorsicht der Freytagschen Darstellungsweise. Wenn er auch die Parteikämpfe selbst und ihre Taktik mit vieler Lebenswahrheit und glücklicher Satire zeichnete, wenn man auch sah, daß es sich um einen Kampf der Konservativen und Liberalen handelte, so war doch keine der Parteien über die Taufe gehalten, und für alle Parteiverschiebungen der Zukunft konnten dieselben Charaktere und Situationen gelten; dennoch entstanden dadurch keine unsichern und verblaßten Umrisse; dafür sorgten die lebensfrisch gezeichneten Persönlichkeiten. Ein Piepenbrink konnte einen ganzen Akt den lebhaftesten Beifall des großen Publikums sichern; das war ein Vertreter des fest auf sich selbst stehenden Bürgertums in lustigen Scenen, in denen das Parteigespinst beiseitegefegt wird von einem fröhlichen Humor, der keine andern Götter kennt; Schmock und Bellmaus sind Gestalten, die man in der Tagespresse immer wieder findet wird; Bolz aber ist der glännzende Vertreter des eigenartigen Freytagschen Humors mit seinen übermütigen Launen und dem rücksichtslosen Geltendmachen geistiger Ueberlegenheit. Die Handlung, im ganzen durch lockere dramatische Fäden verknüpft, steigert sich gegen den Schluß des Stückes in glücklicher Weise; gerade der letzte Act sichert demselben den großen Bühnenerfolg, den es überall und bis zur Gegenwart davongetragen.

Und unter den rauschenden Linden von Siebleben hatte Freytag noch eine andere dichterische Eingebung; die Erinnerungen an seine schlesische Heimat, an seine Erlebnisse in Kaufmannshäusern und auf Rittersitzen und auf einer polnischen Reise befruchteten seine Phantasie mit jenen mannigfachen Bildern, die er in seinem großen Roman „Soll und Haben“ (1855) um eine freie Erfindung schlang, in welcher er einen dichterischen Grundgedanken verwertete und zugleich zwei gesellschaftliche Kreise, die kaufmännische Welt und den Adel, in ihren gegenseitigen Beziehungen schilderte.

Der liebenswürdige Humor dieser Schilderungen, die Charakteristik mit ihren Gegensätzen: Anton und Fink, der Kaufmann und der Aristokrat, Leonore und Sabine, Pix und Specht, darunter der Lieblingstypus Freytags, der etwas burschikose, flotte, ironisch überlegene Fink, der Geistesverwandte von Bolz in den „Journalisten“, trugen zu dem seltenen Erfolge des Werkes bei; der leitende Grundgedanke, wie er Freytag vorschwebte, war, der Mensch solle sich hüten, daß Gedanken und Wünsche, welche durch die Phantasie in ihm aufgeregt werden, nicht allzugroße Herrschaft über sein Leben erlangen: Anton und Itzig, der Freiherr und Ehrenthal und in geringerem Maße auch die anderen Gestalten haben mit solcher Befangenheit zu kämpfen; sie unterliegen oder werden Sieger. Einen andern Kreis des bürgerlichen Lebens schilderte Freytag in dem nächsten Roman, „Die verlorne Handschrift“ (1864), den Kreis der Universitätsprofessoren; Beziehungen von Gelehrten zu den kleinen Höfen schürzen die Konflikte, die fast eine tragische Wendung nehmen. Die Genremalerei bewegt sich hier nicht mit vollem Behagen; es sind ihr einige zu grelle Lichter aufgesetzt. Die Absicht des Dichters war, „zu zeigen, wie in die unsträfliche Seele eines deutschen Gelehrten durch den Wunsch, Wertvolles für die Wissenschaft zu entdecken, gaukelnde Schatten geworfen werden, welche ihm, ähnlich wie Mondlicht die Formen der Landschaft verzieht, die Ordnung seines Lebens stören und zuletzt durch schmerzliche Erfahrungen überwunden werden.“

Inzwischen hatte Freytag auch ein politisches Abenteuer zu bestehen gehabt, durch welches er in das schwarze Buch der Berliner Polizei kam. Er gab 1854 mit einigen Gesinnungsgenossen eine autographierte Korrespondenz heraus; die Eingänge wurden zunächst an ihn adressiert. Sie enthielten einmal eine Notiz, der preußische Mobilmachungsplan sei an Rußland verraten worden. Diese Mitteilung erregte in Berlin den höchsten Unwillen; gegen Freytag war sogar ein geheimer Haftbefehl erlassen worden; die höchsten Berliner Polizeibeamten kamen nach Leipzig, um nach dem Verbreiter dieser Nachricht zu forschen. Freytag, der sich in Siebleben aufhielt, konnte auf Grund der bestehenden Auslieferungsverträge dort [334] abgefordert werden. Es gab nur ein Mittel, ihn in Gotha sicher zu stellen, ein kleines Hofamt, und Herzog Ernst gewährte dem verfolgten Politiker seinen Schutz, indem er ihn zu seinem Vorleser und zum Hofrat ernannte. Nach einem Jahre gab man in Berlin die Verfolgung auf. Sehr schön spricht Freytag selbst über sein Verhältnis zu dem vor ihm dahingeschiedenen Fürsten; es sei nicht nur ein Schmuck, auch eine Bereicherung seines Erdenlebens geworden.

Als die Wahlen zum Norddeutschen Reichstag ausgeschrieben wurden, erlangte auch Freytag einen Sitz in demselben; er wurde 1867 in Erfurt gewählt. Doch ein Versuch auf der Tribüne blieb erfolglos; er selbst machte die Beobachtung, daß er noch nicht das Zeug zu einem Parlamentsredner besaß und dafür längerer Uebung bedurft hätte, daß seine Stimme zu schwach war, den Raum zu füllen, daß er bei dem ersten Auftreten nicht vermochte, die unvermeidliche Befangenheit zu überwinden – war er doch durch langjährige Beschäftigung in der stillen Schreibstube zu sehr an das langsame und ruhige Ausspinnen der Gedanken gewöhnt, das ein Vorrecht des Schriftstellers ist. Im Juli folgte er einer Einladung des Kronprinzen nach dem Hauptquartier und er verweilte bis zur Belagerung von Paris bei der Dritten Armee. Da, als er „mit der Wetterwolke, die über Frankreich dahinfuhr,“ über die Schlachtfelder zog, fielen ihm immer wieder die Heerzüge unserer germanischen Vorfahren in das römische Gallien, die schweren Heimsuchungen des eigenen Vaterlandes durch die Franzosen ein, und aus diesen Träumen und Erinnerungen erwuchs nach seiner Rückkehr jener große Cyklus von Kulturbildern in sechs Bänden, „Die Ahnen“ (1872 bis 1880), ein Bildersaal freier Erfindung auf geschichtlichem Hintergrunde, der sich an die schon früher erschienenen und sehr wertvollen „Bilder aus der deutschen Vergangenheit“ (5 Bde. 1859 bis 1867) anschloß. Dieser in den germanischen Urwäldern beginnende Kreis von Erzählungen, der in den ersten, „Ingo und Ingraban“, das Seßhaftwerden deutscher Männer während der Völkerwanderung schildert, der später Bilder aus der Hohenstaufen- und Reformationszeit, mit besonderer Rücksicht auf die weltgeschichtliche Mission Preußens entrollt und nach Geschichten aus der Franzosenzeit bis in die Jugendzeit des Dichters führt, hat die Söhne und Enkel eines deutschen Geschlechts zu Helden, dessen Ahne der flüchtige Vandalenfürst Ingo, dessen noch lebender Enkel der Schriftsteller und Journalist Viktor König ist; in seinen Erlebnissen und seinem Wesen erkennen wir die Züge von Gustav Freytag selbst wieder.

Ueber Freytags Römertragödie „Die Fabier“ und die verdienstvolle „Technik des Dramas“ können wir hier flüchtig hinweggehen, da wir nur die Hauptzüge für das Charakterbild des hervorragenden Dichters und Schriftstellers hervorheben können. Auch die schmerzlichen Erfahrungen seines häuslichen Lebens erwähnen wir nur, ohne dabei zu verweilen. Im Jahre 1879 war er nach Wiesbaden übergesiedelt, nachdem er schon 1870 die Redaktion der „Grenzboten“ niedergelegt hatte. Der eben dahingeschiedene Veteran Gustav Freytag ist einer jener Dichter, welche nie auf spontane Erregung der großen Menge ausgegangen sind, dafür aber desto tiefere Wurzeln in der allgemeinen Geltung geschlagen haben. Frei von allem Sturm und Drang hat er sich ruhig und stetig entwickelt, aber auf zwei Gebieten, dem des Lustspiels und des Romans, das Beste geleistet von den Zeitgenossen. Als feinsinniger Genre- und Kulturmaler der Gegenwart und der Vergangenheit steht er unerreicht da; vor allem aber hat er stets ein warmes patriotisches Herz und eine nachhaltige nationale Begeisterung bewährt, wie in allem, was er geschaffen, so in seinem ganzen Leben und Wirken.

Und so leben auch die Gestalten seines Schaffens in kraftvoller Frische im Bewußtsein der Nation: nicht nur diejenigen, welche uns die Kunst der Bühne vergegenwärtigt, sondern auch jene, die in seinen Romanen lieben und kämpfen, Freudiges und Trübes erleben, Heiterkeit und hohe Empfindungen wecken. Mit ihnen bleibt der verstorbene Dichter unsterblich – wie es das künstlerische Gedenkblatt von Alexander Zick andeutet, auf welchem wir die Schar seiner „Ahnen“, dem Winke des Genius folgend, heranziehen sehen, um für den Ruhm des Dichters zu zeugen. Fern im Hintergrund zeigt das Bild Ingo und Irmgard sterbend in der brennenden Burghalle und die mit dem Kinde flüchtende Magd. Nun wallen von dort heran zu Roß und zu Fuß Ingraban und der junge Mönch Gottfried, Ivo, der Kreuzfahrer des Geschlechts und „Bruder vom Deutschen Haus“, der Friderun an sich zieht – Georg König als Landsknecht mit seiner Anna und ihrem Vater dem Magister Fabricius. Vorn im Zug schmiegt sich die treue Pastorstochter an den geliebten Ernst König, den Freiwilligen, von welchem abseits sein Rival und Gegner Oberst Dessalle steht. Gestalten aus den modernen Romanen gesellen sich dazu. Da kommt Anton Wohlfahrt und Leonore aus „Soll und Haben“, das verschmitzte Gesicht von Veitel Itzig wird hinter ihnen sichtbar, und sogar einer der epischen Charakterhunde aus der „Verlornen Handschrift“ stellt sich ein. Vorn aber schwebt eine sagenhafte Gestalt aus den „Bildern aus deutscher Vergangenheit“, der Geist des Kinds mit dem Thränenkrüglein, daher – eine Mahnung zu jener echten Trauer, wie sie auch dem verstorbenen Dichter gegenüber sich ziemt, dessen Sieblebener Poetenheim wir hinter seinem Bildnis erblicken.