Harder’s Jahresuhr

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Titel: Harder’s Jahresuhr
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aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 708
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[708] Harder's Jahresuhr. In der Ausstellung der deutschen Kunstgewerbehalle im „Rothen Schloß“ in Berlin, wo sich die sogenannten „kleinen Künste“ ein für die Augen der Besucher berückendes und für ihre Geldbeutel oft gefährliches Stelldichein geben, zieht seit längerer Zeit eine neuere deutsche Erfindung, die sogenannte „Schwesteruhr“, die Aufmerksamkeit der Kenner auf sich. Sie ist eine fast unhörbar gehende Standuhr, die im Jahre nur ein einziges Mal, also etwa in der Silvesternacht, aufgezogen zu werden braucht, und deren Regelung auf einer neuen Art von Pendel beruht, von dessen allgemeinerer Einführung kundige Beurtheiler einen neuen Aufschwung der Uhrmacherkunst erwartet. Die Gleichmäßigkeit des Ganges unserer Zimmeruhren beruht bekanntlich auf einer Anwendung der Pendelgesetze, welche Galileo Galilei vor drei Jahrhunderten entdeckte, als er im Dome von Pisa, augenscheinlich etwas zerstreut, die Schwingungen der Kronleuchter beobachtete, welche an längeren Ketten vom Gewölbe herabhingen. Sein erstes für die Verbesserung der Uhren wichtig gewordenes Gesetz lautet, daß die Schwingungen eines und desselben Pendels gleichlangzeitig (isochron) ausfallen, wenn auch der Ausschlag (in gewissen Grenzen) größer oder kleiner ist, so lange sich weder die Länge des Pendels noch die Anziehungskraft der Erde verändert.

Galilei bereits bediente sich deshalb des Pendels als eines Zeitmessers bei astronomischen Beobachtungen, und dem berühmten niederländischen Physiker und Mathematiker Christian Huygens gelang es 1657 zuerst, durch die Verbindung mit dem Pendel den Gang einer Uhr gleichmäßig zu machen, was Galileis Sohn Vincenzo angeblich lange ohne Erfolg angestrebt haben soll. Die Wirkung des Pendels auf die Uhr, wie sie sich in späteren Verbesserungen herangebildet hat, ist bekanntlich die eines Tactschlägers von unbestechlicher Genauigkeit, der bei jedem Ausschlage nach rechts und links in das von Gewichten oder Federn getriebene Zahnrad einfällt und es zwingt, sich ganz gleichmäßig zu bewegen. Nun verlangt aber ein solcher Pendel von der Triebkraft der Uhr eine erhebliche Nachhülfe, um im Gange zu bleiben, da der Widerstand der Luft und die Reibung am Aufhängungspunkt des Pendels beständig die ihm mitgetheilte Kraft vermindern, und daher kommt es, daß man solchen Uhren durch Federn oder Gewichte höchstens auf acht bis vierzehn Tage den ihnen erforderlichen Kraftvorrath mitzutheilen im Stande ist.

Nun ist aber gerade das häufige Aufziehen, sowie das damit verbundene Vergessenwerden und Nachstellen der Pendeluhren die gewöhnliche Gelegenheitsursache zur Beschädigung des Mechanismus, und schon mancher Uhrmacher mag darüber gegrübelt haben, wie ein weniger Kraft verbrauchendes Pendel hergestellt werden könnte. Um so überraschender ist es, daß eine befriedigende Lösung dieses Problems nicht einem Uhrmacher von Fach, sondern einem sogenannten Dilettanten, der sich aus bloßer Liebhaberei mit mechanischen Problemen beschäftigte, gelungen ist, nämlich dem Rittergutsbesitzer Harder auf Ransen bei Steinau an der Oder. Seine Erfindung besteht in dem sogenannten rotirenden Pendel, richtiger: Torsionspendel oder rotirende Scheibe genannt, einer wagerechten Scheibe, die in ihrem Mittelpunkte an einer dünnen und schmalen, senkrecht von einem festen Punkte herabhängenden Feder befestigt ist und, ohne ihre Lage zu verändern, vorwärts und rückwärts schwingt. Da diese Scheibe bei ihrer immer gleichbleibenden Lage keine Luft verdrängt und nicht gehoben wird, so ist es begreiflich, daß sie durch denselben Kraftaufwand unter sonst ähnlichen Verhältnissen fünfzig Mal länger im Gange erhalten wird als ein Pendel, also statt einer Woche ein ganzes Jahr.

Natürlich bestand die Hauptaufgabe zunächst darin, festzustellen, ob die Schwingungen des Torsionspendels wirklich ebenso gleichlangzeitig (isochron) sind, wie die eines gewöhnlichen Pendels, und nachdem die dahingehende Vermuthung sich bestätigt hatte, mit Hülfe der netten Erfindung eine Uhr zu construiren. Der auf dem Gebiete der Uhrmacherkunst völlig unbewanderte Dilettant brauchte nun allerdings Jahre, bevor es ihm gelang, eine Uhr von befriedigender Leistung herzustellen, und als ihm dies im Jahre 1871 wirklich gelungen war und er auf Drängen seiner Freunde um ein Reichspatent nachsuchen wollte, da ereignete sich der in der Geschichte der Entdeckungen und Erfindungen nicht seltene Zufall, daß ein badischer Uhrmacher denselben Gedanken gehabt und bereits ein Patent darauf erhalten hatte. Die Ausführung dieses Patentes geschah indessen in so unvollkommener Weise, daß sie sich als verfehlt erwies. Herr Harder hat daher neuerdings das damals verdrängte Kind seiner langjährigen Studien wieder hervorgesucht und nunmehr auf dem Wege der Vereinbarung den Patentschutz des deutschen Reiches und der österreichisch-ungarischen Monarchie für seine Uhr ohne weitere Schwierigkeiten erlangt. Man darf dem Erfinder diesen schließlichen Erfolg von Herzen gönnen, denn eine Standuhr, die bei gleich genauer Arbeit nicht theurer ist als die bisherigen, dagegen den Vorzug besitzt, alle Jahre nur einmal aufgezogen und deshalb nicht so leicht vergessen zu werden, ist sicher eine der allgemeinen Anerkennung würdige Errungenschaft, falls sie sich so bewährt, wie es den Anschein hat.